Freigesetzte Schadstoffe bei Brand im ChemPark

Es gibt eine Explosion, drei Tanks mit mit mehreren Hunderttausend Litern organischer Lösungsmittel geraten in Brand. Die Rauchwolke zieht einen Vormittag lang über angrenzende Wohngebiete. Auch jetzt, 24 Stunden nach der Explosion, gibt es keine Information darüber, welche Stoffe von der Rauchwolke transportiert wurden. Es gibt aber „Handlungsempfehlungen“ der Betreiberfirma,die nicht gerade beruhigend wirken:

Nach wie vor gelten zudem vorsorglich folgende Handlungsempfehlungen:

  • Nahrungsmittel aus dem Garten nicht verzehren.
  • Keine Spielplätze, Spielgeräte, Gartenmöbel, Pools etc. nutzen, auf denen Ruß niedergegangen ist.
  • Keine Reinigung der verschmutzten Gegenstände vornehmen, da eine erhöhte Schadstoffkonzentration bislang nicht ausgeschlossen werden kann.
  • Bei nicht aufschiebbaren Arbeiten im Garten Handschuhe tragen.

Mir stellen sich da einige Fragen:

  • Kann man nicht aus der Zusammensetzung des Inhalts der Tanks auf die Art der freigesetzten Stoffe schließen?
  • Ist die chemische Analyse der freigesetzten Stoffe, etwa anhand von Luftproben oder Rußpartikeln, derart aufwändig, dass das Ergebnis auch nach einem Tag nicht bekannt ist?
  • Warum kommen offenbar (hier kann ich mich täuschen und lasse mich gerne korrigieren) alle technischen Informationen vom Betreiber und nicht von staatlichen Stellen? Außer dem Hinweis auf die Einstufung in Warnstufe „Extreme Gefahr“ durch das BBK und eine Warnung in der Nina-App habe ich nichts auf offiziellen Seiten gefunden.

Servus,

Jein. Man kann wegen der chlorierten Lösungsmittel in mindestens einem Tank nicht ausschließen, dass bei der Explosion oder dem anschließenden Brand Polychlorierte Dibenzodioxine (= „Seveso-Gift“) entstanden sind. Man kann aber nicht feststellen, dass sicherlich welche entstanden sind.

Ja - es ist bei der unkontrollierten Reaktion, die zum Entstehen von Polychlorierten Dibenzodioxinen geführt haben kann, schon möglich, dass Rußproben von einem Ort keine Aussage über den Ruß erlauben, der irgendwo anders niedergegangen ist. Nachweisen, dass etwas nicht vorliegt, ist eine sehr ausführliche Arbeit.

Bis auf weiteres muss man also davon ausgehen, dass das ein „Seveso-Unfall“ gewesen sein könnte, aber nicht muss.

Schöne Grüße

MM

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Kann demnach davon ausgegangen werden, dass sich gerade die Verschleppungen von Seveso wiederholen?

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Eben nicht, weil derzeit nicht bekannt ist, ob Polychlorierte Dibenzodioxine entstanden sind oder nicht. Wenn keine entstanden sind, ist die Situation vollkommen anders als die von Seveso. Wenn welche entstanden sind, wurde von vornherein vor der Gefahr gewarnt und angemessene Vorsichtsmaßnahmen empfohlen, d.h. auch dann ist sie anders als damals.

Schöne Grüße

MM

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Ich habe in den von mir konsultierten Medien nicht den kleinsten Hinweis auf diese Möglichkeit gefunden, auch nicht andeutungsweise. Auch die empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen, einen halben Tag lang Fenster schließen, jetzt nur noch Vorsicht bei Rußniederschlag, erscheinen mir für einen potentiellen Seveso-Unfall unzureichend, selbst wenn die Wahrscheinlicheit, dass es sich tatsächlich um so etwas handelt, minimal ist.

Etwas mehr war es schon.

Oberbürgermeister Uwe Richrath kündigte an, dass die städtischen Spielplätze sicherheitshalber gesperrt werden. Sollten Bürger seltsame Niederschläge finden, etwa Ruß, sollten sie diese nicht anfassen und unter dem Bürgertelefon 0214/ 406 33 33 melden. Die Behörden warnten bis in den Nachmittag vor extremer Gefahr. Nahrungsmittel aus betroffenen Gärten sollen vorsorglich nicht gegessen werden.

Quelle:

Ich habe mir die Pressekonferenz am frühen Nachmittag angeschaut. Der Begriff „extreme Gefahr“, den ich übrigens weiter oben selbst zitiert habe, ist meiner Erinnerung nach dabei nicht einmal gefallen. Türen und Fenster schließen, Gemüse waschen und Spielplätze sperren ist bei „extremer Gefahr“, möglicherweise „Seveso“-artig, in etwa so angemessen wie bei drohendem Jahrhunderthochwasser zu empfehlen, in flußnahen Lagen die Kellertüren und -fenster zu schließen, und den Spielplatz an der Ahr abzusperren.

Das „Ereignis“ weckt bei mir Erinnerungen an den Lubrizol-Unfall in Rouen im Jahr 2019. Ich kann aber nicht einschätzen, ob bzw. inwieweit beide Unfälle in ihrer Schwere vergleichbar sind. Vermutlich war der Unfall in Leverkusen weit weniger gravierend, sowohl was die Ausmasse des Brandes anbelangt als auch die Gefährlichkeit der betroffenen Stoffe.

https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-10/rouen-chemie-fabrik-lubrizol-brand-gift

Mehr Infos auf Wikipédia.fr

Diese Möglichkeit ist grundsätzlich gegeben, wenn chlorierte organische Lösungsmittel unter unkontrollierten Bedingungen (Temperatur, Druck, Sauerstoffkonzentration) verbrennen.

Die Mühsal, bei so einem Ereignis nachzuweisen oder zumindest mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass kein TCDD entstanden ist, macht die Sache so langwierig. Von der bloßen Möglichkeit wird niemand unter Nennung des Begriffs an der Öffentlichkeit reden, weil aus anderen Zusammenhängen hinlänglich bekannt ist, wie das Wort dann teils im Irrtum verkehrt verstanden und teils willentlich herumgedreht wird.

Schöne Grüße

MM

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Eben, und in einer Sprache die jeder versteht. Melden, nicht anfassen, kann gefaehrlich sein.
Die offiziellen Stellen haben jetzt anderes zu tun als kilometerweit die Schadstoffe zu untersuchen. Sie suchen vorrangig die Vermissten und
wollen an den Schadensort heran.
Mit „Melden von Vielen“ laesst sich vorab eine Ausbreitungskarte erstellen und dann mit weniger Untersuchungen die Zusammensetzung ermitteln. Die nah durchaus anders sein kann als fern.

Das ist selbst theoretisch schwierig. Laut https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/was-ist-der-chempark-leverkusen-100.html werden in diesem Industriepark rund 5000 Chemikalien u.a. für die Produktion von Autos, Baumaterialien, Medikamenten, Kosmetik oder Lebensmitteln hergestellt. Als ob das nicht schon komplex genug wäre, wurden in den betroffenen Tanks Abfälle aus dieser Produktion gelagert. Man muss also davon ausgehen, dass bereits die Zusammensetzung des Inhalts vor dem Brand nicht vollständig bekannt war. Das gilt dann umso mehr für die Reaktionsprodukte danach. Sicher ist nur, dass die Gefahr besteht, dass giftige Substanzen freigesetzt werden. Aber man weiß nicht welche und in welchen Mengen.

Diese Frage ist Ausdruck einer völlig unrealistischen Erwartungshaltung, wie sie u.a. durch Filme und Fernsehserien erzeugt wird. Innerhalb nur eines Tages flächendecken Proben zu sammeln, zu analysieren und die Ergebnisse zu bewerten ist Science-Fiction. In dieser Zeit schafft man bestenfalls ein Screening weniger Stichproben auf ausgewählte Substanzen. Wenn man dabei nichts findet, dann heißt das nicht, dass nichts da ist.

Weil keine staatliche Stelle sondern der Betreiber die Anlagen am besten kennt und verantwortlich für deren Sicherheit sowie für Schäden ist, die von ihnen ausgehen. Staatliche Stellen prüfen nur, ob der Betreiber seine Verpflichtungen erfüllt.

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Diese Frage war völlig wertfrei gemeint. Inzwischen habe ich acuh fachkundige Antwort auf meine ersten beiden Fragen gefunden:

Das dem Betreiber zu überlassen und womöglich noch davon auszugehen, dass man von ihm zeitnah transparente, vollständige und korrekte Daten und eine objektive Einschätzung der Situation bekommt, halte ich wiederum für den „Ausdruck einer völlig unrealistischen Erwartungshaltung“. Wir werden sehen…

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Servus,

gehört zu seinem täglichen Brot. Die detaillierte Dokumentation aller behandelten Chargen macht bei seiner Tätigkeit mindestens so viel aus als wie der technische Betrieb der Anlagen. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch rückverfolgen, wo und wofür die fraglichen Lösungsmittel eingesetzt waren und welche Kontaminierungen in Frage kommen.

Schöne Grüße

MM

Die Antwort auch.

Und da wird alles bestätigt, was Dir hier bereits erzählt wurde: Man weiß nicht genau, was in den Tanks war. Die Zusammensetzung ist möglicherweise so komplex, dass man nicht vorhersagen kann, was daraus enstanden ist. Es können krebserregende Dioxine oder chlorierte Biphenyle dabei sein (vielleicht aber auch nicht). Probennahme und Analyse dauern dauern Tage und Wochen. Es ist Aufgabe des Betreibers die notwendigen Informationen zu liefern und Behörden können derzeit keine konkreten Angaben machen.

Wenn der Betreiber das nicht kann, dann kann es niemand. Hier liegt tatsächlich ein Fall von unrealistischer Erwartungshaltung vor - nur nicht so, wie Du glaubst. Normalerweise wird von Unternehmern erwartet, dass sie am besten wissen, was sie tun - insbesondere besser als staatliche Organe. Aber wenn irgend etwas schief läuft, werden ihnen pauschal Inkompetenz oder betrügerische Absichten unterstellt. Bei den Behörden ist es genau umgekehrt. Normalerweise gelten die als bürokratisch, träge und ineffizient. In Krisenfällen scheint aber plötzlich die Erwartung zu überwiegen, dass sie allmächtig und allwissend sind und sofort helfen und alle Informationen liefern sollen. Mit der Realität haben solche Vorstellungen eher selten zu tun. Leider sind es die seltenen Fälle, über die bevorzugt berichtet wird. Wenn alles so läuft, wie es soll, dann ist das keine Schlagzeile wert.

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