Freiheitsentzug

Hallo!

Im Mittelalter waren die Menschen noch sehr „kreativ“, auf welche Weise man einen Mitmenschen bestrafen konnte, der Schuld auf sich geladen hatte.

Mit der Entwicklung der Grundrechte fand man diese Methoden immer mehr barbarisch. In einem modernen Rechtsstaat steht dem Staat daher nur noch eine Strafmethode bei schweren Vergehen zur Verfügung: Der Freiheitsentzug.

Warum?

Warum glaubt man, dass Prügel, Folter, Pranger, Versklavung, Ächtung, … die Würde eines Menschen verletzt, während eine vieljährige Haftstrafe seine Würde wahrt? Ich glaube, dass der psychologische Schaden, den man bei einem Menschen durch mehrere Jahre Strafvollzug anrichtet, größer ist als bei einer Tracht Prügel. Wenn man einen Menschen 10 Jahre lang einsperrt, bedeutet das ja nicht nur, dass man ihn zwingt 10 Jahre lang an einem unkomfortablen Ort zu verweilen. Man raubt ihm einen Lebensabschnitt, man hindert ihn an der Auslebung seines Sexuallebens, man bringt ihn in Kontakt mit Mithäftlingen (die allesamt kriminell sind) und mit Wärtern (die eine uneingeschränkte Machtposition ihm gegenüber haben).

Mir geht es nun nicht darum, ob die Tat des Häftlings diese Strafe rechtfertigt oder nicht. Mich interessiert vielmehr die Frage, warum diese Art der Strafe als legitim gilt, während andere Strafen (die seelisch auch nicht grausamer sind) als barbarisch angesehen werden.

Oder (falls das schon die Begründung war): Warum ist es in Ordnung, einem Verurteilten gegenüber seelische Grausamkeit angedeihen zu lassen, nicht jedoch körperliche Gewalt?

Michael

Hi.

Warum ist es in
Ordnung, einem Verurteilten gegenüber seelische Grausamkeit
angedeihen zu lassen, nicht jedoch körperliche Gewalt?

Womöglich weil wir das nicht direkt sehen und uns einreden, dass wir nicht nach Rache lechzen und uns die Vorstellung lebendig begraben zu werden das vorstellbar grausamste ist?:smile:

Gruß

Balázs

Hallo Michael,

kommst Du durch die Lektüre Foucaults „Überwachen und Strafen“ zu diesen Überlegungen? Wenn nicht, wäre dies ein Lesetipp. Wobei es dann nicht so sehr um die „Strafpsychologie“ ginge, die Du andeutest.

Beste Grüße

M.

Oder (falls das schon die Begründung war): Warum ist es in
Ordnung, einem Verurteilten gegenüber seelische Grausamkeit
angedeihen zu lassen, nicht jedoch körperliche Gewalt?

Ich finde, dass ist eine verdammt gute Frage.

Nur noch Psychotherapie??

Oder (falls das schon die Begründung war): Warum ist es in
Ordnung, einem Verurteilten gegenüber seelische Grausamkeit
angedeihen zu lassen, nicht jedoch körperliche Gewalt?

Ich finde, dass ist eine verdammt gute Frage.

Das ist „eine verdammt gute Frage“, weil in der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins diese Erkenntnis erst verhältnismäßig jung ist, bezogen auf die ca. 5 Millionen Jahre Evolution der Menschheit. Die körperliche Gewalt war früher so selbstverständlich, dass es diesem Bewusstsein entsprach, wie das AT formuliert: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Als sich durch humanistische Bewegungen das Bewusstsein dafür veränderte, dass die Bestrafung mit ähnlich brutalen Mitteln wie die Ursprungstat für den Anspruch einer höher entwickelten Zivilisation zu barbarisch sei, kam man schließlich durch ein ewiges Hickhack der Politik zur heutigen allgmeinen Abschaffung solcher Vergeltungsstrafen körperlicher Gewalt in Europa, wobei auch die Todesstrafe schließlich wegfiel.

Die „verdammt gute Frage“, bezogen auf die psychische Gewalt, würde ich wiederum in den Kontext einbeziehen, wie die körperliche Gewalt abgeschafft wurde, die mit dem höheren Bewusstsein der menschlichen Zivilisation noch nicht so selbstbewusst reflektiert ist in politischer Übereinkunft als die körperliche Gewalt. Das hängt ganz einfach auch an dem, was zunächst offensichtlich ist (der Körper) und was nicht offensichtlich ist (die Psyche). Es gibt doch aber auch Bestrebungen, diese „unsichtbare“ Gewalt mehr bewusst zu machen, wobei wir darüber ja von wissenschaftlicher Seite aus schon eine ganze Menge wissen.

Auf der anderer Seite ist eine Bestrafung von Straftaten immer eine psychische Gewalt, das soll sie ja auch bewusst sein. Wie aber genau, das ist eben eine politische Debatte. Wie sähe die Bestrafung einer weiter fortschreitenden Zivilisation in der Zukunft aus? Nur noch Psychotherapie??

CJW

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Hallo!

Auf der anderer Seite ist eine Bestrafung von Straftaten immer
eine psychische Gewalt, das soll sie ja auch bewusst sein. Wie
aber genau, das ist eben eine politische Debatte. Wie sähe die
Bestrafung einer weiter fortschreitenden Zivilisation in der
Zukunft aus? Nur noch Psychotherapie??

Strafe verfolgt mehrere Ziele:

  • Sühne der Schuld
  • Wiedergutmachung für die Opfer
  • Läuterung des Täters (falls das nicht gelingt: Schutz vor Wiederholungstaten)
  • Abschreckung für alle anderen

Was genau „Sühne“ sein soll und welche Bedeutung sie in einer modernen, aufgeklärten, säkularen, rationalistischen Welt haben soll, ist eine ganz schwierige Frage. Vielleicht hat sie gar keine Bedeutung mehr und vielleicht wäre eine Welt gerechter, wenn man den Gedanken der Sühne ganz abschaffen würde. Das würde jedoch voraussetzen, dass sich das Gerechtigkeitsempfinden der allermeisten Menschen ganz drastisch ändern müsste.

Psychotherapie deckt nur den dritten Punkt ab. Sie hat auch nur dann einen Effekt, wenn der Täter willens ist, sich zu bessern.

Um jedoch alle vier Ziele der Strafe abzudecken (oder wenigstens die drei Ziele ohne die Sühne), reicht die Psychotherapie nicht.

Wie ein adäquater Vollzug in Zukunft aussehen könnte, weiß ich nicht. Wir Europäer (ich auch!) rümpfen die Nase über die amerikanischen Bootcamps. Aber wenn wir ehrlich sind, haben wir uns über den Vollzug in unseren eigenen Ländern auch nicht mehr Gedanken gemacht. Wir schließen die Straftäter weg - und vergessen sie.

Michael

Wie sähe die
Bestrafung einer weiter fortschreitenden Zivilisation in der
Zukunft aus? Nur noch Psychotherapie??

Wenn eine Vorerkennung möglich wird (was theoretisch nicht unmöglich ist) dann löst sich das Problem alleine. (Utopie?)

Gruß

Balázs

Wie sähe die
Bestrafung einer weiter fortschreitenden Zivilisation in der
Zukunft aus? Nur noch Psychotherapie??

Wenn eine Vorerkennung möglich wird (was theoretisch nicht
unmöglich ist) dann löst sich das Problem alleine. (Utopie?)

Möglicherweise einmal in naher oder ferner Zukunft durch die weiterführenden Erkenntnisse in der Verhaltens-, Hirn- und Genforschung?

Gruß
C.

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Hallo Michael,

auch ich finde deine Frage ganz ausgezeichnet.

Ich kann dir nur antworten, dass es sich um ein grundlegendes Phänomen unserer Gesellschaft und unseres Rechtssystems handelt, über das sich kaum jemand Gedanken zu machen scheint. Zumindest findet kein nennenswerter öffentlicher Diskurs darüber statt.

Psychische Grausamkeit wird unterbewertet, nicht wahrgenommen und juristisch nur in sehr seltenen Fällen verfolgt. Eine Ausnahme aus jüngerer Zeit findet sich im Stalking-Gesetz, das jedoch auch meistens eine physische Komponente zugrundelegt (die physische Anwesenheit des Stalkers).

Auch die psychischen Folgen körperlicher Angriffe werden geringgeschätzt, wenngleich diese oft viel schwerwiegender sind, als der eigentliche körperliche Schaden.

Wen wundert es also, in diesem Zusammenhang, dass man kein Problem darin sieht, einen Menschen jahrelang einzusperren (mit allen Folgen, die du schilderst), es jedoch als einen Verstoß gegen die Menschrechte betrachtet, ihn zu vertrimmen (bzw. andere körperliche Strafen anzuwenden).

Nebenbei: Auch bei schweren körperlichen Strafen sind die nachhaltigeren Folgen für den Betroffenen die psychischen und nicht die körperlichen. Denke an ein Folteropfer: Selbst wenn die körperlichen Schäden bei so einer Strafe vollständig verheilen sollten, leiden die Betroffenen ein Leben lang unter der erlittenen Demütigung, Entmachtung, Entwürdigung und der totalen Hilflosigkeit, die sie im Moment ihrer Folter erlitten haben.

Warum seelische Aspekte einer Strafe oder auch einer Straftat in unserer Gesellschaft so sehr missachtet und nicht wahrgenommen werden, hängt meiner Ansicht nach mit der „Wissenschaftsgläubigkeit“ seit der Aufklärung zusammen.
Wenn man nicht definieren, messen, nachweisen kann, was eine „Seele“ ist, wie soll man da „seelischen Schmerz“ definieren, messen und nachweisen?

Dies widerspricht in diesem Fall zwar der persönlichen Erfahrung der meisten Menschen, dennoch neigen wir dazu, nur das als „real“ anzuerkennen, was mit wissenschaftlichen Methoden fass- und nachweisbar ist.

Soweit meine höchst laienhafte Erklärung.

Verschieb deinen Artikel doch mal in die Bretter „Philosophie“ oder ins juristische Brett.
Oder frag den Mod ob du ausnahmsweise mehrfach posten darfst, da deine Frage ganz zweifellos mehrere Disziplinen berührt.

Liebe Grüße

Doitmyself

Wie sähe die
Bestrafung einer weiter fortschreitenden Zivilisation in der
Zukunft aus? Nur noch Psychotherapie??

Wenn eine Vorerkennung möglich wird (was theoretisch nicht
unmöglich ist) dann löst sich das Problem alleine. (Utopie?)

Möglicherweise einmal in naher oder ferner Zukunft durch die
weiterführenden Erkenntnisse in der Verhaltens-, Hirn- und
Genforschung?

Was noch „unterwegs“ als Methoden dazu kommen wird ist ja nicht genau vorauszusehen aber es ist bisher immer was dazugekommen.

Wenn ich da weiterspinnen darf. Selbst die Gesellschaft ist ein Grund samt völlig unzureichende Allgemeinbildung und Ungerechtigkeiten.
Wie viel bleib selbst in der Person wenn das all verschwunden ist?
Nicht allzu viel wage ich zu behaupten. Jeder will irgendwie geliebt und nicht gehasst werden. Die Paar die dann übrig bleiben werden dann zu dir Deportiert und ist das Problem endgültig gelöst:smile:

Gruß.

Balázs

Moin,

Wenn eine Vorerkennung möglich wird (was theoretisch nicht
unmöglich ist) dann löst sich das Problem alleine. (Utopie?)

Erinnert an Orwells Thoughtcrime. Dies löst keine Probleme, es schürt nur Ängste.

Und es ist keine Utopie, es war und ist Realität: Die Angst eines Despoten vor fremden Gedankengut, die Angst vor Terroranschlägen, die Debatte zur Sicherungsverwahrung, „gewaltfreie“ Erziehung, …

Alles auf Grundlage einer vermeintlich sicheren Vorerkennung (welche es niemals geben wird).

Franz

Hallo,
in der Tat eine ernst zu nehmende Frage. Die Science-Fiction ist da ja schon seit Jahrzehnten weiter. Da gibt es also elektronische Fußfesseln, die einem das gesellschaftliche Leben - wie damals die Auflagen für Strauss-Kahn - ganz schön einschränken. Man geht also in ein Lokal: „Tut mir leid - hier nicht!“ Kultur, etwa Mozart, wird gerade noch geduldet. Märchenpark? Nur in Begleitung von Kindern!
Ja, ich weiß nicht recht: Meinst du das? Auch ich bin hier ziemlich ratlos!
Gruß
Sepp

alle humanen Maßnahmen ähneln einander. Inhuman ist jede Maßnahme auf ihre eigene Art.

In Anlehung an Tolstoi

Moin,

Wenn eine Vorerkennung möglich wird (was theoretisch nicht
unmöglich ist) dann löst sich das Problem alleine. (Utopie?)

Erinnert an Orwells Thoughtcrime. Dies löst keine Probleme, es
schürt nur Ängste.

Und es ist keine Utopie, es war und ist Realität: Die Angst
eines Despoten vor fremden Gedankengut, die Angst vor
Terroranschlägen, die Debatte zur Sicherungsverwahrung,
„gewaltfreie“ Erziehung, …

Hi.

Alles auf Grundlage einer vermeintlich sicheren Vorerkennung
(welche es niemals geben wird).

Sag niemals nie:smile:

Auf jeden Fall müssen wir nach die Ursachen suchen.
Und siehe da viele kennen wir schon.

Gruß

Balázs

Hi alle zusammen

Das Thema ist für mich sehr bedeutend, und ich habe weitreichende Erkenntnisse darüber!

Ersteimal folgendes:
Da wir alle aus dem gleichen „Holz geschnitzt“ sind, kann jeder von uns „straffällig“ werden. Wir sind alle GENETISCH anfällig!!!

Zweitens (und warum ich straffällig in Anführungszeichen setze):
Der Fehler ist die Unterscheidung zwischen psychischen und physischen Schmerz. Im Gehirn wird NICHT unterschieden!!! Desshalb sehen wir jemanden der physische Schmerzen verursacht aber nicht seinen psychischen Schmerz der ihn dazu treibt. Der Betreffende weiß meistens nicht das seine Schmerzen psychischer Natur sind!
Das heißt, jemanden für einen Fall zu Strafen der seinerseits mit Schmerzen gestraft wurde, führt nur zum Aufschaukeln. Ihr seht schon wie sinnlos diese ganze Straferei eigentlich ist und die hohen Rückfallquoten von Ex-Häftlingen bestätigen das auch.

Was da im Kopf passiert:
Die Psyche kann aufgrund von, für ihren Wissensstand, unlogischen Umständen, keine rationale Lösung für ein Problem finden (Bildungsdefizit => es fehlt an Erfahrung und dem davon abhängigen Lösungsalgorythmus).
Wenn sich das betreffende Individuum nun in die Enge getrieben fühlt weil es z.B. nicht mehr zu argumentieren weiß, so greift die Psyche unbewusst auf instinktive Lösungsverfahren zurück (flüchtet oder währt sich physisch). Primitiv ausgedrückt: Wer nicht weiter weiß, läuft weg oder wird gewalttätig. Ein gutes Beispiel hierfür sind alkoholisierte Menschen, die nüchtern eigentlich sehr nett und freundlich sind, aber durch die eingeschränkte Hirnfunktion im Rausch ihre Lösungsalgorytmen nichtmehr fehlerfrei ausführen können. Der harmlose verbale Streit eskaliert! Das passiert natürlich nüchtern genauso nur erreicht man diesen Punkt in der Regel nicht.

Die Art der Ausübung der physischen Gewalt ist wiederum von den Erfahrungen und den zur Verfügung stehenden Mitteln sowie dem Konfliktbewältigungstyp (extrapunitiv, intropunitiv, impunitiv) abhängig.

Ergo:
Die Psychotherapie ist die einzig sinnvolle Lösung in dieser Zeit.
Daraus lässt sich auch ableiten wie man mit Kindern umzugehen hat. Keine Bestrafung, nur Erklärung, Erklärung, Erklärung! - Oder wollen wir die Fehler, die wir unseren Vorfahren ankreiden unseren Kindern antun?

PS: Ich verzichte hier aus gesellschafftskritischen Gründen auf die genaueren Ursachen für diesen Missstand in unserer Zivilisation.

Ich hoffe dass ich für ein wenig Aufklärung sorgen konnte @(^_^)@

Hallo Mr. Bauer

Oder (falls das schon die Begründung war): Warum ist es in
Ordnung, einem Verurteilten gegenüber seelische Grausamkeit
angedeihen zu lassen, nicht jedoch körperliche Gewalt?

Deine Entscheidung seelische und körperliche Gewalt zu trennen, finde ich recht eigenmächtig.
Zum einen ist der Schmerz aus körperlicher Gewalt auch ein seelischer Vorgang, zum anderen unterstelle ich den kriminelleren Elementen unserer Gesellschaft eine „weniger schützenswerte Seele“.
Ich meine, wenn man einmal annimmt, die Seele sei schuld am Verbrechen(Worüber man durchaus streiten kann).
In anderen Worten, wurden Leute gerechterweise eingelocht, dann haben die nur Sch… im Kopf.
Und so manche Psychopathen scheinen überhaupt keine „Seele“ zu haben.
Sie sind mehr wie gefährliche Tiere.

Soweit ich weiß, ist „seeliche Gewalt“ auch nicht direkt als Strafe vorgesehen. Ich vermute, sie existiert hauptsächlich in der Vorstellung eines Gefangenen mit anderen Absichten als Gefängnisaufenthalt.

Andererseits, wer sagt Dir, das Gefängnis keine körperliche Gewalt darstellt?
Es gibt ja verschiedene Qualitäten die durch Bewegungs- und Betätigungsmangel vermindert werden.

Prügelstrafe z.B. gilt nicht nur als barbarisch. Es gilt auch als eine allgemeine Erkenntnis der heutigen Zeit, das man Verstand nicht „hineinkloppen“ kann.
Ob durch langjährigen Gefängnisaufenthalt „Hirn“ bzw. „gute Absicht“ entsteht, ist wohl zuweilen das große Thema. An der Stelle würde ich auch Diskussion empfehlen.

MfG
Matthias