Freud-Kritik von Popper, wo?

Hallo,

kann mir jemand sagen, wo genau ich eigentlich die Freud-/Psychoanalysekritik von Popper nachlesen kann? Insbesondere seine Feststellung der „doppelten Verschanzung“ (oder so ähnlich).

Ist das auch irgendwo in einem preiswerten Taschenbuch o.ä. enthalten oder im www.?

Viele Grüße und vielen Dank für eure Hilfe

Hallo,

guckst du:

Popper, K. R. [1972]. Science: Conjectures and Refutations)
oder
http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/120060.html

Schöne Grüße,
Jule

Wieso gerade Freud?
Wenn man sich mit den großen geistigen Bewegungen der Moderne befasst, die das Welt- und Menschenbild am meisten revolutioniert haben gegenüber kulturellen Traditionen, dann: 1) Charles Darwin, 2) Karl Marx 3) und Sigmund Freud. Die Kritik von Popper an Freud hat den Namen Popper längst nicht so populär gemacht als den von Freud, dessen Name in der ganzen Welt selbst dem Normalbürger bekannt ist, Popper dagegen kennt kaum jemand. Das muss kein Kriterium sein für die Wissenschaft, ist aber für den Wert von praktischem Wissen maßgeblich, das gegenüber der streng methodischen Wissenschaftlichkeit den weit größeren Anteil ausmacht.

Trotz der „Revolutionen“, die auf dem Gebiete der Psychologie seit Freud stattfanden, ist Freud gegenüber seinen Konkurrenten wie zum Beispiel dem Schweizer Professor Karl Gustav Jung oder dem Österreicher Dr. Alfred Adler oder Professor Viktor Frankel weiterhin der meist gelesene Psychologe der Welt. Das gilt auch weiterhin gegenüber den amerikanischen Pionieren in der Humanistischen Psychologie wie Professor Abraham Maslow, Dr. Fredrick Perls oder Professor Carl Rogers. Und das gilt auch gegenüber den Behavioristen wie Skinner und Watson usw.

Die letzt genannten Verhaltenswissenschaftler können die strengen wissenschaftlichen Verfifikationen und Falsifizierungen am ehesten erfüllen, sind aber selbst schon wieder überholt durch die „kognitive Wende“.

Freuds größte Leistung ist und bleibt die Bekanntmachung des „Unbewussten“. Dieses Wissen kann man heute durchaus mit strengen wissenschaftlichen Methoden nachprüfen, auch wenn Popper von den heutigen Möglichkeiten der Psychologie und Hirnforschung noch nichts wusste.

Außerdem war die Psychoanalyse seit Freud sehr lernfähig und hat Erkenntnisse aus vielen anderen psychologischen Schulen integriert. Und außerdem muss sie ja nicht unbedingt die Kriterien von Wissenschaftlichkeit erfüllen, wenn sie trotzdem in der Lebenspraxis weltweit angewandt wird (ich glaube am meisten in Rio de Janeiro, wo über 20 000 Psychoanalytiker nach der Lehre von Freud tätig sein sollen). Die Krankenkasse bezahlt so viel ich weiß zwar eine psychoanalytische Behandlung, dagegen bezahlt sie Humanistische Therapien nicht.

Es kommt noch eine Erkenntnis dazu, warum Freud populärer ist als Popper. Freud fragte nicht erst die akademischen Wissens-Hüter, ob sie mit seinen Erkenntnissen einverstanden seien, sondern organisierte sein Wissen direkt über den freien Markt, anstatt über die europäischen Universitäten. Während seine Schriften in Deutschland verboten und sogar öffentlich verbrannt wurden, konnte er in den USA sein Wissen direkt an den Universitäten vortragen. Da die Amerikaner ein praktisches Volk sind, erkannten sie den kolossalen Nutzen des Freud’schen Wissen sehr viel schneller als die Europäer und wandten es in vielen Bereichen der Wirtschaft, Kunst und Politik an.

Fazit: Der Wert von Wissen zum Nutzen für das praktische Leben kann durchaus bei auch nicht verfifizierbarem und falsifiziertem Wissen sehr viel höher sein als nur Poppers sehr eingeschränkte und sehr zwanghafte Wissenschaftstheorie.

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Guten Morgen!

Professor Viktor Frankel

Freuds größte Leistung ist und bleibt die Bekanntmachung des
„Unbewussten“.

Präziser: des „dynamischen Unbewussten“ (in Gegensatz zum ‚deskriptiven Unbewussten‘, das schon Leibniz lehrte)

(ich glaube am
meisten in Rio de Janeiro, wo über 20 000 Psychoanalytiker
nach der Lehre von Freud tätig sein sollen).

Ich glaube, dass Buenos Aires die Stadt mit der größten Analytikerdichte weltweit ist. Übrigens auch, vor Wien, die mit der größten Kaffehausdichte.
Ich glaube überdies, dass diese beiden Dichten gut miteinander korrelieren :wink:

Die Krankenkasse
bezahlt so viel ich weiß zwar eine psychoanalytische
Behandlung, dagegen bezahlt sie Humanistische Therapien nicht.

Kommt darauf an, von welchem Land wir sprechen.

In Österreich z.B. schon.

Da die Amerikaner ein praktisches
Volk sind, erkannten sie den kolossalen Nutzen des Freud’schen
Wissen sehr viel schneller als die Europäer und wandten es in
vielen Bereichen der Wirtschaft, Kunst und Politik an.

… nur nicht in der Medizin :wink:

Von allen „nationalen“ Ausprägungen der psychoanalytischen Bewegung ist wohl die amerikanische diejenige, die am frühesten und am entschiedensten auf Revisionskurs zu Freud gegangen ist.
Auch institutionell übrigens.

E.T.

Hallo,

Fazit: Der Wert von Wissen zum Nutzen für das praktische Leben
kann durchaus bei auch nicht verfifizierbarem und
falsifiziertem Wissen sehr viel höher sein als nur Poppers
sehr eingeschränkte und sehr zwanghafte Wissenschaftstheorie.

Genau!
Das ist ja gerade das Ziel von Poppers Falsifikation. Zu zeigen, das es die „Verifizierung einer Theorie“ im realen Leben gar nicht geben kann.
Zu zeigen, das Wissenschaft eben kein Religions-Aquivalent ist und mit unumstoßbaren Gewissheiten daher kommt.

Und alles was mit nicht angreifbaren Gewissheiten daher kommt mag durchaus seinen Nutzen haben - ist aber eben keine Wissenschaft.

Grüße
K.

Und alles was mit nicht angreifbaren Gewissheiten daher kommt
mag durchaus seinen Nutzen haben - ist aber eben keine
Wissenschaft.

Gut, dann ist es eben KEINE Wissenschaft, sondern KUNST. Damit lässt sich dann aber oft besser leben als nur mit der Wissenschaft, sofern man kein Wissenschaftler ist und sein will. Das gilt auch in der Philosophie als LEBENSKUNST.

Gruß
C.

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Freud und der amerikanische Kapitalismus
Hallo,

stimmt, Buenes Aires hat eine noch etwas größere Analytikerdichte als Rio de Janeiro. Warum Freud sich aber gerade in dem stockkonservativen katholisch geprägten Lateinamerika so erfolgreich durchsetzen konnte, bleibt mir allerdings weiterhin ein Rätsel. Der Hinweis, Freud sei von den Amis am meisten in seiner Dogmatik infrage gestellt worden gegenüber der europäischen Gläubigkeit an „unerschütterliche Systeme“, ist natürlich sehr wahr. Zudem passte das pessimistische Welt- und Menschenbild von Freud nicht so gut zum typisch positiv geprägten amerikanischen Protestantismus, der nach dem Münchner Soziologie-Professor Max Weber die eigentliche Grundlage des ganzen amerikanischen Kapitalismus sein soll. Deswegen haben die Amerikaner Freuds Lehre „revolutioniert“.

Gruß
C.

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Guten Tag!

stimmt, Buenes Aires hat eine noch etwas größere
Analytikerdichte als Rio de Janeiro. Warum Freud sich aber
gerade in dem stockkonservativen katholisch geprägten
Lateinamerika so erfolgreich durchsetzen konnte, bleibt mir
allerdings weiterhin ein Rätsel.

Darum auch der kleine Hinweis aufs Kaffeehaus.
B.A. (und damit meine ich jetzt hauptsächlich das B.A. der gehobenen Mittelschicht; das gleiche gilt für Montevideo auf der anderen Seite des Rio de la Plata) ist von der Mentalität und vom Selbstverständnis her Wien, London, Paris, also den Hochburgen des Freudismus, weit ähnlicher als dem Rest des Landes und erst recht ähnlicher als dem Rest Lateinamerikas.
Ansonsten haben die einzelnen „nationalen Wege“, die die PA jeweils gegangen ist, viel mit den Ausrichtungen und Machtkämpfen der jeweiligen Berufsvertretungen zu tun.

Der Hinweis, Freud sei von
den Amis am meisten in seiner Dogmatik infrage gestellt worden
gegenüber der europäischen Gläubigkeit an „unerschütterliche
Systeme“, ist natürlich sehr wahr.

Den Satz verstehe ich nicht.

Zudem passte das
pessimistische Welt- und Menschenbild von Freud nicht so gut
zum typisch positiv geprägten amerikanischen Protestantismus,
der nach dem Münchner Soziologie-Professor Max Weber die
eigentliche Grundlage des ganzen amerikanischen Kapitalismus
sein soll. Deswegen haben die Amerikaner Freuds Lehre
„revolutioniert“.

Sicherlich eine interessante Frage, wie die PA durch den ‚protestantischen Geist‘ beeinflusst wurde.
Naheliegender scheint mir aber auch bei den US-Amerikanern erst mal die Institutionengeschichte, die in den USA eine sehr frühe Professionalisierung der PA zeigt, wodurch sie zum bloßen Hilfsmittel der Medizin wurde. Der Erfolgszug der sog. „Ich-Psychologie“ mit ihrer Generallosung der „Anpassung“ (an eine als „Realität“ maskierte amerikanische Durchschnittsgesellschaft der 40er und 50er Jahre) und der sog. Eissler’schen „Standartechnik“ sind die inhaltlichen Reflexe dieser institutionellen Einbettung.

E.T.

Hallo Jule,

vielen Dank. Du bist die einzige, die auf meine Frage geantwortet hat.

Gibt es den Text von Popper nicht auch irgendwo in deutscher Übersetzung, am besten als Taschenbuch? Kann mir da vielleicht nochmal jemand weiterhelfen?

(Schon eigenartig, dass jede Frage, die etwas mit Psychotherapie zu tun hat und das Wörtchen Kritik enthält oder auch nur den Verdacht einer beabsichtigten kritischen Auseinandersetzung erwecken mag, sofort mit -gar nicht zum Thema gehörenden- Apologien der Psychoszene oder der Herabwürdigung von Kritikern quittiert wird.)

Also, wäre dankbar, wenn noch jemand weiterhelfen könnte.

In diesem Interview findest du einiges von Poppers Freud-Kritik kompakt auch auf deutsch.

http://www.astro.uni-bonn.de/~willerd/popper.html

Und Conjectures and Refutations gibt es selbstverständlich ebenfalls übersetzt:
ISBN 3161473116 Buch anschauen

Gruß
Metapher