Wieso gerade Freud?
Wenn man sich mit den großen geistigen Bewegungen der Moderne befasst, die das Welt- und Menschenbild am meisten revolutioniert haben gegenüber kulturellen Traditionen, dann: 1) Charles Darwin, 2) Karl Marx 3) und Sigmund Freud. Die Kritik von Popper an Freud hat den Namen Popper längst nicht so populär gemacht als den von Freud, dessen Name in der ganzen Welt selbst dem Normalbürger bekannt ist, Popper dagegen kennt kaum jemand. Das muss kein Kriterium sein für die Wissenschaft, ist aber für den Wert von praktischem Wissen maßgeblich, das gegenüber der streng methodischen Wissenschaftlichkeit den weit größeren Anteil ausmacht.
Trotz der „Revolutionen“, die auf dem Gebiete der Psychologie seit Freud stattfanden, ist Freud gegenüber seinen Konkurrenten wie zum Beispiel dem Schweizer Professor Karl Gustav Jung oder dem Österreicher Dr. Alfred Adler oder Professor Viktor Frankel weiterhin der meist gelesene Psychologe der Welt. Das gilt auch weiterhin gegenüber den amerikanischen Pionieren in der Humanistischen Psychologie wie Professor Abraham Maslow, Dr. Fredrick Perls oder Professor Carl Rogers. Und das gilt auch gegenüber den Behavioristen wie Skinner und Watson usw.
Die letzt genannten Verhaltenswissenschaftler können die strengen wissenschaftlichen Verfifikationen und Falsifizierungen am ehesten erfüllen, sind aber selbst schon wieder überholt durch die „kognitive Wende“.
Freuds größte Leistung ist und bleibt die Bekanntmachung des „Unbewussten“. Dieses Wissen kann man heute durchaus mit strengen wissenschaftlichen Methoden nachprüfen, auch wenn Popper von den heutigen Möglichkeiten der Psychologie und Hirnforschung noch nichts wusste.
Außerdem war die Psychoanalyse seit Freud sehr lernfähig und hat Erkenntnisse aus vielen anderen psychologischen Schulen integriert. Und außerdem muss sie ja nicht unbedingt die Kriterien von Wissenschaftlichkeit erfüllen, wenn sie trotzdem in der Lebenspraxis weltweit angewandt wird (ich glaube am meisten in Rio de Janeiro, wo über 20 000 Psychoanalytiker nach der Lehre von Freud tätig sein sollen). Die Krankenkasse bezahlt so viel ich weiß zwar eine psychoanalytische Behandlung, dagegen bezahlt sie Humanistische Therapien nicht.
Es kommt noch eine Erkenntnis dazu, warum Freud populärer ist als Popper. Freud fragte nicht erst die akademischen Wissens-Hüter, ob sie mit seinen Erkenntnissen einverstanden seien, sondern organisierte sein Wissen direkt über den freien Markt, anstatt über die europäischen Universitäten. Während seine Schriften in Deutschland verboten und sogar öffentlich verbrannt wurden, konnte er in den USA sein Wissen direkt an den Universitäten vortragen. Da die Amerikaner ein praktisches Volk sind, erkannten sie den kolossalen Nutzen des Freud’schen Wissen sehr viel schneller als die Europäer und wandten es in vielen Bereichen der Wirtschaft, Kunst und Politik an.
Fazit: Der Wert von Wissen zum Nutzen für das praktische Leben kann durchaus bei auch nicht verfifizierbarem und falsifiziertem Wissen sehr viel höher sein als nur Poppers sehr eingeschränkte und sehr zwanghafte Wissenschaftstheorie.