Freud und die Todestriebin

Doppelte Fragestellung von mir, Hallo zuerst!

Erstens: In einem brasilianischen Artikel fiel mir heute morgen die Wendung „A Todestrieb de Freud“ auf.
Der Todestrieb wurde dort also verweiblicht. Hintergrund ist natürlich der, dass die mitgedachte portugiesische Übersetzung (Pulsão de morte) weiblich ist.
Gilt für sämtliche romanische Sprachen, in denen Freud heute ohnehin einen höheren Stellenwert als in allen anderen Sprachen hat.

Jedenfalls: „der Trieb“ nach Freud ist männlich.
Grammatikalisch und inhaltlich: der Trieb ist rein aktiv, der Mann ist nach Freud aktiv, das Weib passiv.
Das hat Freud nie revidiert, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Freuds bekannter Phallozentrismus.
Sollte man als Portugiese daher „o Todestrieb“ schreiben oder gar „o pulsão“?
Als Franzose standardmäßig „le pulsion“, wenn man nach Freud arbeitet?

Zweitens und eigentlicher: Kann mir jemand hier zufälliger- und freundlicherweise eine a) möglichst aktuelle Übersicht über b) möglichst viele verschiedenen Todestrieb-Konzeptionen in der c) möglichst kliniknahen Psychoanalyse (Kernberg, Kleinianer, Green, non-Winnicott, Fonagy, Laplanche usw.) nennen?

Gruß
F.

Kann deine zwei Fragen nur aus meinem subjektiven WISSEN versuchen zu beantworten:

Zur 1. Frage: Männlich oder weiblich, Ying oder Yang, ist kein wahres Problem. Begründung: Es gibt in vielen Weltsprachen keine einheitliche Grammatik. Ob in einer Sprache ein Substantiv mit der, die oder das voranstellt, ist doch relativ. Was in der einen Sprache männlich ist, ist in einer anderen weiblich, das gilt doch nicht allein nur auf den Begriff vom Trieb des Lebens, das gilt bezogen auf unzählige Substantive, im Nicht-Deutschen. Somit sehe ich in der Frage lediglich ein Scheinproblem.

Zur 2. Frage: Im Grunde ist die Konstruktion von Freuds „Todestrieb“ ein Widerspruch zu seiner eigenen Lehre des Lustprinzips. Dazu hat der Meister ja auch extra ein Werk verfasst, das soweit ich mich erinnere, so ähnlich lautet wie „Gegen das Lustprinzip“. Hierin widerspricht Freud seiner eigenen früheren Theorie, der Sexualtrieb (Libido) sei das Grundprinzip der Psyche (also die GEMEINSAME Trieb-Energie von Es, Ich und Über-Ich, die in DIESER Konzeption die drei INSTANZEN der Psyche bestimmen, wobei das Es keine Erkenntnis von Freud war, sondern von seinem Baden-Badener Arzt-Kollegen Grodeck und dessen Werk „Das Buch vom Es“ oder wie der Titel ähnlich hieß, ich bin zu faul, es zu eruieren).

Das Problem von Freud und seiner ärztlichen Ausbildung ist m. E. ein grundlegender Konflikt zwischen einem idealistischen und mechanistischen Weltbild. Mag sein, dass Freud nicht viel von den Philosophen gehalten hat, jedenfalls hat er aber doch eine seiner grundlegenden Ideen von Platon übernommen und dessen Lehre von den unsterblichen Ideen, die in Freuds psychischem Konzept zwar nicht explizit ausformuliert sind, aber die Basis seines Psycho-Modells konstituieren.

Deshalb bleibt Freud nicht nur seiner medizinisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung als Arzt verhaftet, sondern übernimmt nach Platon die Idee der „unsterblichen Idee“. Logischerweise verwendet Freud dazu auch den alten Begriff der Seele", wie er als Begriff abgelehnt wird in den Naturwissenschaften.

Gleichzeitig aber will Freud auch weiterhin wissenschaftlich ernst genommen werden und übernimmt zum teil die GEGENSÄTZLICHE Idee von dem französischen Arzt und Philosophen La Mettrie „Der Mensch eine Maschine“, wobei Freud daraus dann den sogenannten „seelischen Apparat“ konstruiert.

Jetzt hat er natürlich in seiner Theorie des „Lustprinzips“ ein Problem, und zwar zwischen Idealismus der Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen und einem mechanischen Determinismus. Und da Freud Realist sein will und nicht allein nur Idealist im Sinne Platons, stößt er zwangsläufig auf das Problem, das bei jeder Art von Idealismus gegen den freien Willen spricht, das Problem nämlich des Todes. MECHANISCH gesehen kommt Freud in seinem Glauben an den Realismus nun auch zu dem logischen Schluss, dass es neben dem Lustprinzip als einem Programm der Natur nun auch einen GEGENTRIEB zu diesem Determinismus gegen müsste, den „Todestrieb“.

Wenn es stimmt, was manche Kulturwissenschaftler über Freud erzählen, dass er auf der Schiffsreise zusammen mit seinem ehemaligen Lieblingsschüler, dem Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung, um an amerikanischen Universitäten seine neue Lehre der Psychoanalyse vorzustellen, angeblich in OHNMACHT fiel, als Jung den Begriff „Tod“ in ihre Diskussion einbrachte, dann würde das zeigen, wie dieses Problem mit der persönlichen Einstellung Freuds korrelierte. Um diese Zusammenhänge besser zu verstehen ist auch wichtig zu wissen, dass Freud ein Atheist, Jung dagegen religiös und von östlichen Lehren beeinflusst war, in denen es um Wiedergeburt geht, was Freud absolut abgelehnt hat. Logischerweise kam es dadurch auch letztlich zum Bruch beider einflussreicher Ärzte, wonach Jung seine eigene Lehre begründete.

Ich bin schon sehr alt, gefühlte Hundert, und ich scheiße in die Hosen, WENN ICH AN DEN TOD denke, der schon an der Türe klopft. Ich sage das, weil ich schon zahlreiche Erfahrungen (schätzungsweise acht bis zehn) hatte, den Tod unmittelbar zu erfühlen. Und wenn ich mich frage, was das schrecklichste Erlebnis von allen war, kann ich es nicht sagen, weil im Endeffekt alle gleich schrecklich waren, gefühlte Todespanik, das beschissenste GEFÜHL, das religiös Gläubige gerne ganz verdrängen. Ist es schrecklicher, im tosenden Atlantik abzusaufen oder im Flugzeug zu sitzen, mit dem Wissen, in wenigen Minuten stürzt es ab und alle werden in dieser Kiste sterben?

Also, abgesehen von den schönen Märchen, die man den Menschen erzählt, dass der Tod gar nicht so schlimm sei, will ich niemals sterben, sondern ewig leben, ich glaube nur nicht an ein Weiterleben nach dem Tod (Freud glaubte das auch nicht). Eine systematische TODESVERDRÄNGUNG geschieht kulturell nicht nur durch die Religionen, die Politik, die Medien, sondern natürlich auch durch die MECHANISIERUNG der Wissenschaft, nach dem Glauben, wenn wir uns nur selbst als „Überlebensmaschinen der Gene“ erfinden, dann ist der Tod so unbedeutend in der Natur, wie das Leben, denn Maschinen fühlen nichts.

Es wäre schön, wenn die Erfindung, wir seien Maschinen auch wirklich wahr wäre, denn dann hätte ich auch keine Angst vor dem Tod (und Freud hätte vielleicht auch nicht in Ohnmacht fallen müssen, als sein Lieblingsschüler und auserkorener Nachfolger, Carl Gustav Jung, den Begriff des Todes ins Spiel brachte).

Meine eigene Theorie ist, dass es NUR EINE SUBSTANZ gibt (im Sinne des Spinoza, Whitehaead und Nietzsche beispielsweise), und dass die STRUKTUREN (also z. B. mein Körper) ein weiger Wille zur Unsterblichkeit ist, die jedoch nie erreichbar ist für Individuen. Aber der TRIEB dazu, ewig leben zu wollen, ist im Gegensatz zur Lehre des Arthur Schopenhauers zwar für alle Individuen ILLUSORISCH, weil unser fühlender Körper niemals sterben will, wie auch schon die kleinste Blattlaus ewig leben will, aber die STRUKTUREN schaffen es nicht, ewig zu leben. Wir STREBEN nur ewig danach, von der Höhle der Neandertaler bis zu der Skyline unserer Hochhäuser, die so gebaut sind, dass sie den individuellen Tod ihrer Baumeister überleben. Auch die Wissenschaft tut nichts anderes als mit immer wieder neuen Anläufen weitere STRATEGIEN für ein bisschen mehr „Unsterblichkeit“ anzuhäufen, zum Beispiel die Medizin. Oder wie die Ökonomen sagen: Wir denken nicht in der Kürze einer Lebenszeit, sondern wir denken in Generationen, soll heißen: Der Firmengründer stirbt, aber sein Unternehmen existiert weiter, sozusagen als konstruierte „Überlebensmaschine der Gene“ oder wie der weltbekannte englische Biologe Prof. Dr. Richard Dawkins sagt:

Als Mem…

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort!
Ich möchte auf ein paar Punkte eingehen.

Ich sehe es anders.
Gerade für die Psychoanalyse, die so sehr auf der Ebene des Wortes und des Sprechens arbeitet, sind Worte eben nicht nur Worte.
So ist entsprechend die Übersetzung der Freudschen Texte ins Französische (auch in andere Sprachen, aber ins Französische deshalb besonders, weil sich in Frankreich eine Variante der Psychoanalyse herausgebildet hat, die noch stärker an Worten orientiert ist als Freud selbst) nach 100 Jahren nach wie vor umstritten und thematisiert und wird immer wieder verändert.
Aber auch die Philosophie hat einen „linguistic turn“ vollzogen, so dass sie großteils Sprachphilosophie geworden ist.
Es geht natürlich um die wichtigsten Schlüsselbegriffe, nicht um jedes Wort.

Ja, klar.
Freud hat seinen Angaben nach klinische Phänomene entdeckt, die für ihn nicht mehr mit dem Lustprinzip erklärbar waren. Darum hat er Begrifflichkeiten wie den Wiederholungszwang oder den Todestrieb eingeführt, die ein Gebiet „Jenseits des Lustprinzips“ abstecken sollten.
M.E. kein Zufall, dass das gerade in den Jahren des 1. Weltkriegs geschehen ist.

Du erklärst die Einführung des Todestriebs stärker theorie-immanent; dem kann ich auch etwas abgewinnen, denn dieses Spannungsfeld von Freiheit und Determinismus sehe ich ebenfalls.

Das Es gabs ja auch schon vor Groddeck, etwa bei Nietzsche.

Ja, das stimmt.
Wobei ich meine, dass Freud sehr viel mehr von zeitgenössischen Philosophen übernommen hatte (weniger aus deren Werken selbst als bereits vermittelt über anderen Autoren), sich aus einer bestimmten Philosophie-Scheu heraus aber nie darauf berufen wollte. Er hat dazu ja bestimmte Äußerungen getätigt wie die Psychoanalyse bräuchte keine philosopische Legitimierung, die Philosophie würde seine Denken eher verhindern als stimulieren usw.

Ist das nicht von Jung selbst so dargestellt worden?

Danke für deine vielen interessanten Gedanken - auch für die, auf die ich nicht explizit eingegangen bin.

Gruß
F.

Noch einige Bemerkungen zum von dir erwähnten „linguistic turn“, das vor durch den Neopositivismus des Wiener Kreises und durch Wittgenstein auch in der anglo-amerikanischen Philosophie bzw. der Analytischen Sprachphilosophie „Mode“ wurde: Dagegen steht immer noch die Praktische Philosophie unterstützt durch die Theorie des Pragmatismus des Deutsch-Engländers Schiller, der Amerikaner Peirce, James, Dewey, Rorty (Neopragmatist) bis hin zu Hilary Putnam („Für eine Erneuerung der Philosophie“) und vielen anderen dieses „pragmatic turns“.

Dies zu erwähnen ist nur eine kleine Ergänzung zum „lingusitic turn“, den in der Psychoanalyse der französische Psychiater Jacques Lacan mit „Das Symbolische“ explizit machte, mit dem Postulat „zurück zu Freud“.

Vielleicht hatte dieses Postulat von Lacan „zurück zu Freud“ die Psychoanalyse zu ihrer Selbstverteidigung ja auch dringend nötig, denn nach Freuds Tod war viel ernst-zunehmende Konkurrenz entstanden, zum Beispiel neben dem Behaviorismus die sogenannte „kognitive Wende“ der Verhaltenspsychologie bis hin zum Extremismus im NLP (Neuro-linguistisches Programmieren, als eine neue „Kurztherapie“, typisch für Amerikaner, alles zum kommerziellen Erfolg haben, was man aber der Psychoanalyse ganz gewiss auch nicht absprechen kann, wenn vor schon zehn Jahren allein in Rio de Janeiro sage und schreibe mehr als 20.000 Psychoanalytiker dort ihre Dienste feil boten (möglicherweise haben es ja die Südamerikaner mit ihrem heißblütigen Temperament besonders nötig, sich ihre Sexual-Neurosen weg therapieren zu lassen??? Und vielleicht sind es ja heut sogar doppelt so viel praktizierende Psychoanalytiker in Rio, ODER???)

Vergessen darf man auch nicht in diesem Zusammenhang, dass Freud die Vision hatte, die Neuentdeckung seiner Psychoanalyse gegenüber der Macht der großen Weltreligionen, die er ganz konkret als Konkurrenz zu seiner Psychoanalyse sah, beispielsweise in seinem Werk „Die Zukunft einer Illusion“ oder ähnlich, weltweit zu verbreiten.

Immerhin hat Freud den Erfolg zu verzeichnen, dass heute alle Welt seinen durch ihn popularisierten Begriff des „Unbewussten“ kennt, das heißt es wird in jedem Lexikon auf der ganzen Welt für ewige Zeiten mit dem Namen Freuds verbunden bleiben, obwohl es immer noch Philosophen und Wissenschaftler zu geben scheint, die diese Theorie des „Unbewussten“ kategorisch ablehnen.

Eine ernst-zunehmende Konkurrenz zur Psychoanalyse ist auch die aus den USA stammende „Revolution“ der Humanistische Psychologie: Hauptvertreter war Abraham Maslow. In seinem Hauptwerk „Psychologie des Seins“ kritisiert Maslow an verschiedenen Stellen Freud sehr heftig, er würdigt Freud aber auch als einen großen Visionär der Menschheit und stellt Freud neben wissenschaftlichen Größen wie Galilei, Darwin und Einstein in eine Reihe. Interessant ist auch, dass Freud heute auch in jedem gutem Fachwörter-Lexikon der Philosophie eine besondere Würdigung erfährt, z. B. im „Kröner“.

Maslow erwähnt in seinem Hauptwerk (siehe oben) Freud geschätzte zwanzig Mal. Zu Freuds Todestrieb schreibt Maslow: „Der Trieb und das Bedürfnis drängen nach ihrer eigenen Eliminierung. Ihr einziges Bemühen richtet sich auf das Aufhören, das Loswerden ihrer selbst, auf einen Zustand des Nichtwollens. Ihr logisches Extrem ist Freuds Todestrieb.“ Ich würde in diesem Punkt Maslow widersprechen, führt aber auch zu weit, und meine eigene Theorie zum Tod habe ich ja schon im vorigen Post dargestellt, jedenfalls wundert es mich, dass Maslow so denkt in diesem Punkt. Dagegen stelle ich John Stuart Mills Menschenbild oder noch besser Robert Nozicks oder am allerbesten das Menschenbild des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman (Nobel-Preisträger), soll heißen: Die BEDÜRFNISSE nach UNSTERBLICHKEIT SIND UNENDLICH UND WERDEN NIEMALS ECHT BEFRIEDIGT, dies spricht ganz gegen Freuds Todestrieb und auch gegen die unscharfe Theorie in diesem Punkt von Maslow.

Zurück zum sogenannten „linguistic turn“!

Einen Gegenentwurf dazu habe ich ja schon zuvor erwähnt mit dem „pragmatic turn“. Jetzt aber ganz neu wird dem „linguistic turn“ gegenübergestellt der sogenannte „iconic turn“, mit der wissenschaftlichen (vgl. Kulturwissenschaft bzw. Kommunikationswissenschaft bzw. Medien-Philosophie, Medien-Soziologie, Medien-Psychologie usw., wovon Freud und Nietzsche noch nichts wussten, und natürlich eben sowenig Wittgenstein).

Die LOGIK des sogenannten „iconic turns“ ist die veränderte reale Welt. Zur Zeit von Gutenberg wurde die SCHRIFTKULTUR weltweit über das neue Medium des Buchdrucks verbreitet, heute hat die „Macht der Bilder“ eine noch viel größere Verbreitung von kommunikativer Wissensvermittlung und auch Unterhaltung übernommen, über das Fernsehen, durch Hollywood (selbst im entferntesten Winkel der Welt glotzen die Menschen wie gebannt auf die Storys, die die Amis durch ihre „Kunst“ weltweit verbreiten, mit dem politischen WISSEN, dass nicht die Ökonomie die absolut oberste Macht der Menschheitsgeschichte darstellt, sondern die Kultur, d. h. die KUNST.

Von der KUNST hing schon in der Zeit des TOTEMISMUS die ganze politische und wirtschaftliche Ordnung einer Gesellschaft ab, danach von den großen Weltreligionen, und weiter durch die Wissenschaft als Kunst im Sinne Nietzsches. Wer die oberste Macht der KUNST verbreitet, regelt mit der Macht der KUNST ganz automatisch die Macht der Politik und Wirtschaft, das WISSEN nicht nur die Amis, sondern auch die Chinesen, die sich nach dem Hype um Marx jetzt mehr wieder auf Konfuzius besinnen, um über die KUNST weltweit Einfluss auszuüben, gegen die Amis, mit ihrem gigantischen Pop-Scheiß (an den sich kluge chinesische Politiker längst angeglichen haben, als ein Gegen-Turn zu der klassischen Kulturrevolution des Marxisten-Leninisten Mao Tse-tung.

Kurz zum Abschluss: Ich mache gerade meinen 37. Film. Jeder Film besteht in meiner Produktion aus drei Ebenen. Die oberste Ebene sind Bilder bzw. einzelne Filmsequenzen. Eine Ebene darunter ist die Musik. Schopenhauer und Nietzsche haben gerade über diese Macht der Musik ausführliche Ideen herausgearbeitet, mit der Erkenntnis, wie stark gerade der Einfluss der Musik weltweit über alle Grenzen der verschiedenen Kulturen hinweg ein gigantisches Phänomen darstellt. In meinen Filmen wähle ich, welche Musik zu welchen Filmbildern passt, das ergibt eine Verstärkung oder eine Abschwächung in der Macht der Bilder bzw. des „iconic turns“. So kann ich z. B. bei einer Action-Szene entweder eine poppige Musik unterlegen und damit die Action noch weiter aufheizen. Ich kann aber auch das genaue Gegenteil von Musik auswählen, z. B. während einer Action-Szene klassische Musik, die die Bilder abschwächt oder eine melancholische Musik, was auch als Gegenteil die Action abschwächt.

Auf der untersten Ebene meiner Filme spreche ich meine philophischen Gedanken, die sich mit theoretischen Problemen befassen, die gar nicht zur Musik und den Bildern passen. Ich benütze das moderne Medium „Film“ zur sokratischen Selbsterkenntnis, die ich mit dem Begriff der „Dekonstruktion“ (ein Begriff vom französischen Philosophen Jacques Derrida) versuche zu erlangen, indem ich meine eigene Filme „dekonstruiere“. Und das Interessante dabei, was ich durch diese Methode der „Dekonstruktion“ herausgefunden habe ist, dass die Sprache doch im Endeffekt die größere Macht ist als nur allein die Bilder und die Musik, wobei ich zu guter Letzt dann doch den „linguistic turn“ favorisiere, allerdings nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Stringenz, sondern im Sinne von Nietzsche und seiner Frage: „Gibt es ein Reich, zu dem der Logiker keinen Zugang hat?“

Die Antwort ist, vielleicht die KUNST!!! Nietzsche formuliert sehr vorsichtig, vielleicht ist ja gerade die KUNST als Gegenmacht zur objektiven Wissenschaft NOTWENDIG???

Sehr umfassender, kundiger Artikel von dir.
Ich werde auf einige Aspekte eingehen.

Die größte Analytikerdichte soll ja in Buenos Aires sein, wenn meine Information stimmt.
Auch New York ist ‚dicht‘.
Hängt sicher mehr mit anderen berufsrechtlichen Gegebenheiten als hierzulande zusammen denn mit den Neurose der Nord- und Südamerikaner.

Bei Maslow kann ich gar nicht groß mitreden.
Jedenfalls wäre die Humanistische Psychotherapie (bewusst nicht H. Psychologie geschrieben, weil die Psychoanalyse ja auch keine Psychologie ist) ohne die Psychoanalyse kaum denkbar, auch in ihrer Absetzbewegung davon. Sie ist sehr von ihr bestimmt.
Zudem ist die spätere Psychoanalyse recht „humanistisch“ geworden, z.B. bei Winnicott, der ja eine zentrale Figur der modernen Psychoanalyse-Auffassung ist - und übrigens den Todestrieb ablehnt.

Interessant ist aber auch, warum Freud in der Philosophie nicht als Philosoph gilt.
Natürlich ist seine „Metapsychologie“ als Philosophie zu verstehen. Die Bezüge zu Nietzsche, Schopenhauer, Spinoza und anderen Philosophen sind ja objektiv gegeben und wurden von Zeitgenossen auch unmittelbar erkannt.
Nur weil Freud sich geweigert hat, selbst diese Bezüge zu explizieren, sind sie ja nicht inexistent.

Ja, das ist von Maslow gänzlich „unhumanistisch“ gedacht.
Alle großen „Humanistischen Ansätze“ und die „humanistischen“ Ansätze innerhalb der PsA lehnen den Todestrieb ab.

Aus meiner Sicht: Ein „Trieb“ ist nicht sinnvoll als Trieb zu konzeptualisieren, wenn er nicht notwendig über die Selbsterhaltung des Organismus hinausreicht. Insofern ist jeder Trieb „zum Tode“, wenn er Trieb ist. Wenn er nicht „zum Tode“ ist, ist er auch kein Trieb, sondern so etwas wie ein Bedürfnis oder ein Instinkt oder oder.

Naja, die haben ja auch nicht das Konzept eines Triebs.

Das ist für mein Empfinden kein kompletter GEGENentwurf, sondern eine Akzentuierung.
Sprache ist auch ein SprechHANDELN, wird insofern auch vom „pragmatic turn“ erfasst.
Rorty ist m.E. das ideale Beispiel dafür, wie linguistic und pragmatic turn Hand in Hand gehen können.

Ich sehe hier die Unterschiede gar nicht so sehr. Sprache wie Bilderserien (jedes Bild ist in Serie) und Musik (ebenfalls Serien) sind doch im Kern das gleiche: Ordnungen von Zeichen, die refentialisieren, aber auch unabschließbar aufeinander verweisen. Für mich ist das alles „Sprache“ im weiten Sinn.

Gruß
F.

Danke für deine ausführliche Re. Besonders stark finde ich deine Erkenntnis, die PA hätte sich in ihrer reformierten Form immer mehr humanisiert, das sehe ich genauso (natürlich beeinflussen sich die konkurrierenden Therapieschulen immer gegenseitig, trotz erbitterter Selbstverteidigung übernimmt man nützliche Ideen nach längerem Zögern gerne von der Konkurrenz).

Zu John Stuart Mill!

Wie du zu Recht mokierst, verfügt er über keine explizit ausgearbeitete Trieb-Theorie, wie Freud: Aber die klassische Philosophie vom „Nutzen“ (in Form des Liberalismus und Utilitarismus) ist tiefen-psychologisch m. E. gerade durch den unendlichen Konsumrausch in der Lage, eine noch tiefere Schicht unserer menschlichen Triebstruktur freizulegen, wenn man ihn „radikal“ existenzphilsosophisch interpretiert. Und in diesem Sinne hat auch Schopenhauer dem Überlebenstrieb jeder Sekunde seines Lebens nachgegeben, entgegen seiner Lehre „zur Verneinung des Willens zum Leben“ (Manfred Frank hätte sein philosophisches Buch, bezogen auf Schelling und Hegel, mit dem Titel „Der endlose Mangel an Sein“ treffender nennen sollen: „Der endlose Mangel an Sein“, das passt auf die gesamte Menschheitsgeschichte…

Was könnte einem Lebewesen mehr nützen als jede Sekunde seines Seins zu überleben? Zeit… wie Heidegger erkannte, ist der größte Nutzen. Mehr Zeit zu haben, sie unendlich auszudehnen, das wäre ein noch größer Nutzen als nur Geld.

Sorry, ich wollte sagen, Manfred Frank hätte sein Buch nennen sollen, statt: „Der endlose Mangel an Sein“ treffender:

"Der endlose Mangel an Selbsterkenntnis", das trifft das Bewusstsein der Menschheit besser.
Grüße
CJW

Es wäre interessant zu überlegen, was „tiefer“ liegt:
Das utilitaristische Nutzenprinzip, Freuds Lustprinzip oder Freuds Wiederholungszwang ‚jenseits des Lustprinzips‘

Gruß
F.

Freuds „Wiederholungszwang“ und Nietzsches „ewige Wiederkehr“ interpretiere ich so: Wiederholung bewusst oder unbewusst führt zum Automatismus, das ist auch positiv.

Psychotherapeuten haben es meist mit pathologischen Fällen zu tun, die nicht, wie „Gesunde“, traumatische Erfahrungen als positiven Nutzen zum Überleben SELBER verarbeiten können. Neben positiven sind auch negative Erfahrungen nützlich zur Wissensvermehrung des Überlebens.

Der „Wiederholungszwang“ ist bei Defekten ein Problem, nicht aber für ein gesundes Lernen am Leben durch Wissensvermehrung. Negative Erfahrungen sind ebenso nützlich wie positiv, denn nur in der Ambivalenz geschieht Evolution.

(Ich muss nicht das letzte Wort haben, das ist mein letzter Post, sonst wird’s endlos. Bitte setz nochmal einen drauf).

okay

Unterscheide Wiederholung und Wiederholungszwang.

Gruß
F.