Die Entwicklung des Konzepts der Heiligkeit bis zur Reformationszeit
Hi.
Kann es nicht sein, das ein gewisser Paradigmenwechsel über
das Wesen der Heiligen zu Schwierigkeiten führt?
Einen solchen gab es schon zwei Mal, einmal in der Antike, dann im Mittelalter. Offiziell gilt, auf der Basis des Trienter Konzils von 1563, ein Heiliger auch heute sowohl als Vorbild als auch als Fürbitter. Zur Entwicklung des Heiligenwesens versuche ich nachfolgend einen Überblick, um für ein wenig Transparenz hinsichtlich des Heiligenbegriffs zu sorgen, gemäß der Aussage von Jean Piaget, dass man etwas am besten versteht, wenn man sich seine Entstehung ansieht:
„Heilig“ im Sinne von „dem Göttlichen nahe“ waren im außerisraelitischen AO entweder Könige oder bestimmte Tiere („Tempeltiere“ als Medien für Götter). Bei Königen (Mesopotamien, Ägypten usw.) bedeutete Heiligkeit Statthalterschaft eines Gottes, Gotteskindschaft oder unmittelbare Göttlichkeit. Damit verbunden war der (offizielle) Anspruch, ein den göttlichen Gesetzen konformes Leben zu führen und ihnen entsprechend das Volk mit Gerechtigkeit zu regieren. Eng damit zusammen hing vor allem in Mesopotamien seit der Entstehung des Königtums die Institution der „Heiligen Hochzeit“, welche ein jährlich inszeniertes Ritual war, bei dem der König sich mit der höchsten Göttin vermählte - was praktisch bedeutete, dass er sich mit einer Hohepriesterin, welche die Göttin repräsentierte, sexuell vereinigte. Diese Praxis gab es im AO und in der Ägäis noch bis in das 1. Jt. vuZ.
In der israelitischen Religion wurde ein Sonderweg eingeschlagen. Als „heilig“ galt in erster Linie Jahwe selbst. Die „Heilige Hochzeit“ manifestierte sich hier in Gestalt einer erotisch anmutenden Beziehung zwischen Jahwe und dem Volk Israel, wie es z.B. bei Hosea, Jeremias und Deuterojesaja zum Ausdruck kommt, wenn Jahwe allegorisch als „Bräutigam“ der „Braut“ Israel bezeichnet wird. In Hosea 2, 16-17 sagt Jahwe über Israel: Ich will sie locken und in die Wüste führen und ihr Herz umwerben.
Im jüdischen Sinne „heilig“ waren auch Menschen, welche im Sinne Jahwes „rein“ lebten. „Heiligkeit“ war also gleichbedeutend mit der Einhaltung religiöser Gesetze. Hohepriester galten in einem besonderen Maße als „heilig“, da sie Jahwe besonders nahe standen und auch, infolge ihrer Mittlerfunktion zwischen Jahwe und Volk, als Fürbitter bei Jahwe auftreten konnten. An diesem Heiligentyp orientierte sich dann auch das christliche Konzept des Heiligen, in Kombination mit dem Typ des (jüdischen) Märtyrers, der zwar keinen besonderen Heiligenstatus hatte, aber eine moralische Vorbildfunktion.
Diese beiden Typen - Hohepriester und Märtyrer - wurden also zum Modell des christlichen Heiligen, der sowohl heilig ist im Sinne einer besonderen Nähe zu „Gott“ als auch, in den ersten Jahrhunderten des Christentums, eine wichtige Vorbildfunktion hatte (Standhaftigkeit im Glauben). Allerdings erschien die Mittlerfunktion des jüdischen Hohepriesters im christlichen Rahmen zunächst nur als priesterliche Eigenschaft des Christus, war also diesem vorbehalten. Erst im 2. Jh. entwickelte sich, forciert durch neue Konzepte seitens der ersten „Theologen“, ein erster Glaube an die Mittlerfunktion der Märtyrer. Im 3. Jh. kam es im Kontext zunehmender Christenverfolgungen zu ersten Heiligsprechungen von Märtyrern. Aus dem Jahr 260 datiert ein erster greifbarer Hinweis auf die Anrufung eines Märtyrerheiligen als Fürbitter bei „Gott“ (Kirche San Sebastiano in Rom).
Als das Christentum zur Staatsreligion wurde, gab es einen Wandel in der Vorstellung von Heiligkeit, denn märtyrerhafte Standhaftigkeit konnte nun kein alleiniges Kriterium mehr sein. Auf der Basis der Lehre des Clemens von Alexandria galten jetzt, erstens, ein Leben in strenger Askese, das allen Verlockungen „Satans“ widersteht, und, zweitens, die Standhaftigkeit im Glauben bei Verfolgung, aber ohne märtyrerhaftes Ende als zusätzliche Indikatoren für Heiligkeit. Diese neuen Kriterien wurden auf dem Konzil von Ephesus 431 offiziell festgelegt.
Erst im Mittelalter trat unter dem Einfluss volkstümlicher Anschauungen die Funktion eines Heiligen als Nothelfer für irdische Angelegenheit gegenüber der Vorbildfunktion deutlich in den Vordergrund. Die reformatorischen Theologen kämpften gegen diese Entwicklung energisch an, indem sie darauf pochten, dass einzig Christus - und nicht den Heiligen - eine Mittlerfunktion bei „Gott“ zugestanden werden darf. Diese Widerstand legte sich aber, als das Luthertum sich etablierte und mit dem Phänomen der Heiligenverehrung arrangierte. Auf dem Konzil von Trient 1563 legitimierte und festigte die katholische Kirche per Dekret die Praxis der Anrufung Heiliger als Fürbitter:
(Passage aus der 25. Sitzung des Konzils, an zahlreichen Stellen im Internet recherchierbar)
Die Heiligen herrschen zusammen mit Christus, sie bringen ihre Gebete für die Menschen Gott dar. Es ist gut und nutzbringend, sie um Hilfe anzurufen und zu ihren Gebeten, zu ihrer Macht und Hilfe Zuflucht zu nehmen, um von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn, der allein unser Erlöser und Heiland ist, Wohltaten zu erlangen.
Das ist im Prinzip der Stand der Dinge.
Chan