Funktion von Heiligen: Paradigmenwechsel?

Guten Abend!
Das vorige Thema (das ich wegen Abwesenheit nicht vollständig verfolgt habe) veranlasst mich zu der folgenden Frage:
Kann es nicht sein, das ein gewisser Paradigmenwechsel über das Wesen der Heiligen zu Schwierigkeiten führt? Was ich damit meine:
Die aus der Antike und dem Mittelalter stammende Auffassung vom Heiligen als patronus* (persönlicher Schutzpatron z. B. als Namenspatron, Schutzheiliger eines Ortes oder Berufs oder Standes oder als Nothelfer für bestimmte Probleme …) hat in einer demokratischen Gesellschaft Gleicher, die vorgibt, sich Patrone nur in mafiösen oder quasimafiösen (Amigo-) Strukturen vorstellstellen zu können, an Plausibilität verloren.
Mir scheint, dass Heilige heute - auch wenn man auf die Kanonisierungen durch Rom schaut - nicht für demütige Verehrung und Zuflucht Bedrängter, sondern in erster Linie als Vorbilder propagiert werden (einschließlich der neueren Tendenzen im Marienkult). [Wann wären denn z. B. die Vierzehn Nothelfer als Vorbilder aufzufassen gewesen? Allein schon die Bezeichnung verbietet das.]
Ich meine, dass man dies ganz gut z. B. am Kult eines Heiligen, dessen Kanonisierung in den Beginn der ns. Ära fällt (und der unter anderen Umständen vielleicht unbeachtet geblieben wäre) beobachten kann: Bruder Konrad. Als Schutzpatron kann er kaum interpretiert wertden, wohl aber als Vorbild für Glaubenstreue, getreue Pflichterfüllung usw.
Dem gegenüber fällt mir auf, dass jahrhundertelang europaweit verehrte Heilige diesen ihren Status verloren haben, weil ihre Wunderwirksamkeit, eben die Patronatsmacht, nicht mehr als plausibel, also als vermittelbar, erschien. Als Beispiel, das mir dazu einfällt, könnte etwa Godehard dienen.

* Es ist sicher lohnend, über das antike Patronatswesen nachzulesen. (Von Cicero stammt die Beobachtung, dass Dankbarkeit und Käuflichkeit sich manchmal kaum unterscheiden lassen.)

Dieser Beobachtung entspricht etwa auch die Tendenz der Uminterpretation der Berichte in den Evangelien in den Predigten. Da finden sich die Zuhörer nicht mehr in der angestammten Rolle der Lahmen und Blinden und sonstiger Heilung Bedürftiger (Drewermann ließ da mal grüßen, durfte das aber nicht lang), sondern ihnen wird die Nachfolge in der Heilandsrolle ans Herz gelegt. Aber das wäre ein anderes weites Feld.

Freundlichen Gruß!
H.

Hallo Hannes,

Kann es nicht sein, das ein gewisser Paradigmenwechsel über
das Wesen der Heiligen zu Schwierigkeiten führt?

nein.
Die Schwierigkeiten hat nur der, welcher den Begriff mit Geschwufel Geschwafel
hinterlegt.Ich meine hier den Begriff des christlichen Heiligen.
Das ist eine Person,welche eben das Heil hier auf Erden schon erlangt hat durch
die Befolgung der Botschaft Jesu.

Was ich damit meine:…usw…

Eben, eine andere Deutung hinterfragen.

Mir scheint, dass Heilige heute - auch wenn man auf die
Kanonisierungen durch Rom schaut - nicht für demütige
Verehrung und Zuflucht Bedrängter, sondern in erster Linie als
Vorbilder propagiert werden

Das war immer so.
Die Kriterien der „Heiligsprechung“ in der kath. Kirche berühren dies nicht. Auch nicht die
Heiligenverehrung in der Kirche und in der Volksfrömmigkeit.

Es ist sicher lohnend, über das antike Patronatswesen nachzulesen.

Für wen lohnt das und wozu.

…die Tendenz … …in den Predigten… ihnen wird die Nachfolge in der
Heilandsrolle ans Herz gelegt. Aber das wäre ein anderes
weites Feld.

Genau, so war es und ist es entsprechend der christl. Botschaft.
Gruß VIKTOR

Die Entwicklung des Konzepts der Heiligkeit bis zur Reformationszeit
Hi.

Kann es nicht sein, das ein gewisser Paradigmenwechsel über
das Wesen der Heiligen zu Schwierigkeiten führt?

Einen solchen gab es schon zwei Mal, einmal in der Antike, dann im Mittelalter. Offiziell gilt, auf der Basis des Trienter Konzils von 1563, ein Heiliger auch heute sowohl als Vorbild als auch als Fürbitter. Zur Entwicklung des Heiligenwesens versuche ich nachfolgend einen Überblick, um für ein wenig Transparenz hinsichtlich des Heiligenbegriffs zu sorgen, gemäß der Aussage von Jean Piaget, dass man etwas am besten versteht, wenn man sich seine Entstehung ansieht:

„Heilig“ im Sinne von „dem Göttlichen nahe“ waren im außerisraelitischen AO entweder Könige oder bestimmte Tiere („Tempeltiere“ als Medien für Götter). Bei Königen (Mesopotamien, Ägypten usw.) bedeutete Heiligkeit Statthalterschaft eines Gottes, Gotteskindschaft oder unmittelbare Göttlichkeit. Damit verbunden war der (offizielle) Anspruch, ein den göttlichen Gesetzen konformes Leben zu führen und ihnen entsprechend das Volk mit Gerechtigkeit zu regieren. Eng damit zusammen hing vor allem in Mesopotamien seit der Entstehung des Königtums die Institution der „Heiligen Hochzeit“, welche ein jährlich inszeniertes Ritual war, bei dem der König sich mit der höchsten Göttin vermählte - was praktisch bedeutete, dass er sich mit einer Hohepriesterin, welche die Göttin repräsentierte, sexuell vereinigte. Diese Praxis gab es im AO und in der Ägäis noch bis in das 1. Jt. vuZ.

In der israelitischen Religion wurde ein Sonderweg eingeschlagen. Als „heilig“ galt in erster Linie Jahwe selbst. Die „Heilige Hochzeit“ manifestierte sich hier in Gestalt einer erotisch anmutenden Beziehung zwischen Jahwe und dem Volk Israel, wie es z.B. bei Hosea, Jeremias und Deuterojesaja zum Ausdruck kommt, wenn Jahwe allegorisch als „Bräutigam“ der „Braut“ Israel bezeichnet wird. In Hosea 2, 16-17 sagt Jahwe über Israel: Ich will sie locken und in die Wüste führen und ihr Herz umwerben.

Im jüdischen Sinne „heilig“ waren auch Menschen, welche im Sinne Jahwes „rein“ lebten. „Heiligkeit“ war also gleichbedeutend mit der Einhaltung religiöser Gesetze. Hohepriester galten in einem besonderen Maße als „heilig“, da sie Jahwe besonders nahe standen und auch, infolge ihrer Mittlerfunktion zwischen Jahwe und Volk, als Fürbitter bei Jahwe auftreten konnten. An diesem Heiligentyp orientierte sich dann auch das christliche Konzept des Heiligen, in Kombination mit dem Typ des (jüdischen) Märtyrers, der zwar keinen besonderen Heiligenstatus hatte, aber eine moralische Vorbildfunktion.

Diese beiden Typen - Hohepriester und Märtyrer - wurden also zum Modell des christlichen Heiligen, der sowohl heilig ist im Sinne einer besonderen Nähe zu „Gott“ als auch, in den ersten Jahrhunderten des Christentums, eine wichtige Vorbildfunktion hatte (Standhaftigkeit im Glauben). Allerdings erschien die Mittlerfunktion des jüdischen Hohepriesters im christlichen Rahmen zunächst nur als priesterliche Eigenschaft des Christus, war also diesem vorbehalten. Erst im 2. Jh. entwickelte sich, forciert durch neue Konzepte seitens der ersten „Theologen“, ein erster Glaube an die Mittlerfunktion der Märtyrer. Im 3. Jh. kam es im Kontext zunehmender Christenverfolgungen zu ersten Heiligsprechungen von Märtyrern. Aus dem Jahr 260 datiert ein erster greifbarer Hinweis auf die Anrufung eines Märtyrerheiligen als Fürbitter bei „Gott“ (Kirche San Sebastiano in Rom).

Als das Christentum zur Staatsreligion wurde, gab es einen Wandel in der Vorstellung von Heiligkeit, denn märtyrerhafte Standhaftigkeit konnte nun kein alleiniges Kriterium mehr sein. Auf der Basis der Lehre des Clemens von Alexandria galten jetzt, erstens, ein Leben in strenger Askese, das allen Verlockungen „Satans“ widersteht, und, zweitens, die Standhaftigkeit im Glauben bei Verfolgung, aber ohne märtyrerhaftes Ende als zusätzliche Indikatoren für Heiligkeit. Diese neuen Kriterien wurden auf dem Konzil von Ephesus 431 offiziell festgelegt.

Erst im Mittelalter trat unter dem Einfluss volkstümlicher Anschauungen die Funktion eines Heiligen als Nothelfer für irdische Angelegenheit gegenüber der Vorbildfunktion deutlich in den Vordergrund. Die reformatorischen Theologen kämpften gegen diese Entwicklung energisch an, indem sie darauf pochten, dass einzig Christus - und nicht den Heiligen - eine Mittlerfunktion bei „Gott“ zugestanden werden darf. Diese Widerstand legte sich aber, als das Luthertum sich etablierte und mit dem Phänomen der Heiligenverehrung arrangierte. Auf dem Konzil von Trient 1563 legitimierte und festigte die katholische Kirche per Dekret die Praxis der Anrufung Heiliger als Fürbitter:

(Passage aus der 25. Sitzung des Konzils, an zahlreichen Stellen im Internet recherchierbar)

Die Heiligen herrschen zusammen mit Christus, sie bringen ihre Gebete für die Menschen Gott dar. Es ist gut und nutzbringend, sie um Hilfe anzurufen und zu ihren Gebeten, zu ihrer Macht und Hilfe Zuflucht zu nehmen, um von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus, unseren Herrn, der allein unser Erlöser und Heiland ist, Wohltaten zu erlangen.

Das ist im Prinzip der Stand der Dinge.

Chan

Hallo hannes,

in der katholischen Kirche ist zwar nur ein Glaube, da sind aber viele Ansichten und
Geschmäcker.
Ebenso wie es verschiedene Heilige gibt, kann auch deren Funktion mal eher Vorbild-, mal eher Verehrungscharakter haben.

Gruss,
Mike