H wie Hola.
Bei all der Aufregung über das Abi nach 12 Jahren frage ich
mich, wie das in den neuen Bundesländern gehandhabt wird.
Dort gab es immer 12 Jahre bis zum Abi.
[…]warum klappt das dort und im Westen ists ein Ding der Unmöglichkeit.
Woran liegt das?
Den entscheidenden Grund hast Du doch selber bereits erkannt -
im Osten ist es schon immer so gewesen.
Das Bildungssystem war von Anfang an auf vier Stufen detailliert geplant worden. Mit dem „Gesetz über die Demokratisierung der deutschen Schule“ vom Frühjahr 1946 wurde bereits die reformpädagogische deutsche Einheitsschule als „achtjährige Grundschule“ eingeführt. Zwar beendete die politische Intervention Moskaus 1949 den Einfluß der Reformpädagogen beinahe, doch die reformpädagogische Schulreform wurde nicht mehr gestoppt, nur stalinistisch deformiert (Politisierung und versuchte ideologische Indoktrinierung). An der genialen Einheitsstruktur rührte man jedoch nicht.
Der Rest ist Geschichte:
* professionelle frühkindliche Betreuung & Erziehung & Förderung schon in der Kinderkrippe
* professionelle Kindergärten mit pflichtmäßiger Vorschule im letzten Jahr vor der Einschulung und gehobener pädagogischer Erziehung & Förderung für die Kinder
* eine straffe zehnjährige Einheitsschule von hohem Niveau
* eine zweijährige weiterführende Schule als direkte Fortsetzung der Einheitsschule
Die Zeit bis zum Abitur in der DDR war nicht nur kürzer, sondern die Abschlüsse rangierten auf einem intellektuell höheren Niveau.
Doch die EOS (Erweiterte Oberschule, „Gymnasium“) hatte daran den geringsten Beitrag!
Viel schwerer wog, daß sich frühzeitig sozial wie intellektuell gut um die Kinder gekümmert wurde. Kinderkrippen & Kindergärten stellten sicher, daß zur Einschulung Chancengleichheit herrschte.
Sprache, Motorik, mathematisch-technisches Denken, Sozialverhalten im Kollektiv, Normen und Tugenden wie Neugierde, Wißbegierde, Spaß am Lernen, Pünktlichkeit, Höflichkeit, Anstand, Benehmen, Disziplin, Selbständigkeit und Ordnung waren zentrale Bestandteile der umfangreichen kindgerechten, pädagogischen Erziehung in der sogenannten „Vorstufe“ des Bildungssystems.
(Das „Gesetz über die Demokratisierung der deutschen Schule“ etablierte 1946 nicht nur die Einheitsschule, sondern legte wie oben erwähnt die Elementarstruktur des Bildungssystems fest;
und die 1. Stufe, die Vorstufe, war nicht (!) die Einheitsschule, sondern der Kindergarten – im Prinzip auch die Kinderkrippen, obwohl diese dem Gesundheitsministerium (!) unterstanden.)
Auf diese Weise war es für alle Kinder im Vorfeld durch den Staat ermöglicht worden, die anspruchsvolle Einheitsschule auch zu schaffen.
Nicht zu vergleichen mit dem oft eigentlich nicht schultauglichen Rohmaterial, was sich in den unteren Klassen der deutschen Grundschulen tummelt!
Bildung in der DDR wäre ohne die Kinderkrippen & Kindergärten nicht das gleiche gewesen.
Neben der frühkindlichen Förderung war es dann vor allem die sogenannte „Grundstufe“, die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule, POS, die das eigentliche Bildungsniveau bestimmte.
Schon in der Unterstufe der POS (1. - 4. Klasse) wurde von Anfang an streng benotet, auch in Kopfzensuren (Betragen, Fleiß, Ordnung, Mitarbeit).
Eine sinnentleerte Schonzeit wie heute in der Grundschule war nicht existent! Unsere Grundschulen haben sich in pseudomoderner, verwissenschaftlichter Pädagogik und der lächerlichen Überbetonung von offenen Unterrichtskonzepten absolut verloren. Leistung wird nicht gefördert. Schlimmer noch: Leistung wird nicht gefordert!
Auch ein erzieherisches soziales Umfeld wird nicht geboten, den Kindern werden zuwenig Normen vermittelt, den Kindern werden zuwenig Werte, oder die falschen Werte, mitgegeben.
Deshalb kommt es immer öfter vor, daß an herkömmlichen Grundschulen auch Kinder, die im Grunde nur ein durchschnittliches Leistungspotential besitzen, gelangweilt in den Bänken hängen.
Nach der frühselektiven Phase, also der Entscheidung für Hauptschule, Realschule oder Gymnasium kommt deswegen unvermeidlich der Schock. Statt der Einsen und Zweien, die man bis dahin in den Arsch geschoben bekam, weht ab der 5. Klasse auf einmal ein anderer Wind.
Auch bei den Kopfzensuren wird alles falsch gemacht, was falsch zu machen ist. Statt einen ausdrucksfähigen Maßstab zur Benotung heranzuziehen (z.B. in Noten – Fleiß: 2, Ordnung: 5, Mitarbeit: 1, Betragen: 3), werden vielerorts hochgestochene, mitunter kryptische Texte fabriziert, geschrieben in einem pädagogischen Kauderwelsch sondersgleichen.
Die Kopfzensuren waren für uns eine fundierte, klare Ansage, wo wir standen. Und das ab Beginn der ersten Klasse.
(Eine kurze ausformulierte Einschätzung gab es auf dem Zeugnis zusätzlich - in ANSTÄNDIGER, VERSTÄNDLICHER Sprache!)
Lese ich die Beurteilungen heutiger Erstklässler wirkt das wie eine rhetorische Parodie, nicht wie eine transparente Zusammenfassung für die Eltern, wie sich das Kind so gezeigt hat.
Das Abitur der DDR war also deswegen so gut, weil in den vorgelagerten Stufen (Vorstufe u. Grundstufe), in der Breitenbildung also, gute Arbeit geleistet wurde.
Weil oft die Wochenstundenzahl unter Beschuß steht, habe ich aus Interesse die alten Schulhefte aus meinem mit Akten vollgestopften DDR-Panzerschrank gekramt.
Mit dem Sonnabend als regulärem Unterrichtstag hatte ich laut Heft damals 1989 in der 1. Klasse folgendes Pensum
Deutsch: 11
Mathe: 5
Sport: 2
Zeichnen: 1
Musik: 1
Werken: 1
Schulgarten: 1
Summa summarum: 22 (+3 Wochenstunden Deutsch-Ergänzung)
– die freiwillige Englisch-AG zum Ende der 1. Klasse, nachdem man also Lesen und Schreiben konnte, nicht eingerechnet (+2 Wochenstunden).
Alsbald kam die Wende und die Zerschlagung der POS (allerdings formal, inhaltlich erstmal nicht); im Schuljahr 1992/1993, 4. Klasse, sah es dann in meiner Stundentafel so aus
Deutsch: 14
Mathe: 6
Sport: 3
Zeichnen: 2
Musik: 1
Werken: 2
Schulgarten: 1
Summa summarum: 29
+2 Deutsch-Ergänzung, +2 Englisch
Der Sonnabendunterricht war schon mit dem Schuljahr 1990/1991 abgeschafft worden; die rein fakultativen Deutsch-Ergänzungsstunden waren bei uns an der POS ein Sonderangebot für die guten Leute.
(Wer allerdings zu Anfang hinging, mußte das verpflichtend bis zum Schuljahresende tun.)
Soso.
22 Regelstunden in der ersten Klasse, 24 in der zweiten, 27 in der dritten, 29 in der vierten - anscheinend kaum anders als heute, nicht wahr. Und trotzdem ein höheres Niveau.
Der Blick in die Stundentafel Mittelstufe (5. - 10. Klasse) fördert durchschnittlich 32 Wochenstunden zu Tage, nicht eingerechnet den zweistündigen Wehrunterricht in den Klassen 9 und 10.
Besonderes Gewicht lag auf Mathematik, Polytechnik und Naturwissenschaften. Sprachen sowie Geisteswissenschaften wurden in Umfängen wie heute erteilt.
Kinder, die eventuell später nach der Zehnten auf die EOS wechseln wollten, mußten das sonst fakultative Englischangebot zwingend in Anspruch nehmen (ab Klasse 7), damit eine 2. Fremdsprache über einen längeren Zeitraum als erteilt gelten konnte. An meiner POS waren das bspw. zusätzliche 4 Wochenstunden.
Gespannt warten einige hier sicherlich jetzt auf die Stundentafel der zweijährigen Oberstufe.
Auch diese Informationen hab ich aus dem Schrank herzugesucht.
Klasse 11
Mathematik: 5
wpA: 4
Physik: 3
Astronomie: -
Chemie: 2
Biologie: 2
Geographie: 2
Geschichte: 3
Staatsbürgerkunde: 1
Deutsch: 4
Russisch: 3
2. Fremdsprache: 3
Kunsterziehung: 1
Musik: -
Sport: 2
Summa summarum: 35
Klasse 12
Mathematik: 5
wpA: 4
Physik: 3
Astronomie: 1
Chemie: 3
Biologie: 3
Geographie: -
Geschichte: -
Staatsbürgerkunde: 2
Deutsch: 4
Russisch: 3
2. Fremdsprache: 3
Kunsterziehung: -
Musik: 1
Sport: 2
Summa summarum: 34
wpA heißt „wissenschaftlich-praktische Arbeit“ und ist die gehobene, ingenieurwissenschaftlich orientierte Fortführung des Faches „Polytechnik“ aus der Mittelstufe.
Übrigens existierte in der damaligen Oberstufe kein Kurssystem, es wurde weiter im Klassenverband unterrichtet. Abwählen von Fächern war nicht gestattet; die Stundentafeln waren also kein freundlicher Vorschlag, sondern absolut verbindlich.
Das Prüfungsprozedere zum Abitur war das gleiche wie an der POS zum Abschluß nach der 10. Klasse, d.h. die schriftlichen Pflichtprüfungen Mathematik, Deutsch, eine Naturwissenschaft, Russisch, gefolgt von mündlichen Pflichtprüfungen in mindestens 2 bis höchstens 5 Fächern, die vom Kollegium für jeden Oberschüler festgelegt wurden.
Die Sportprüfung war ebenfalls obligatorisch.
Unmittelbar nach Etablierung der EOS gab es sogar eine Weile lang Versuche im klassischen Abitur, d.h. Prüfung in jedem Fach. Man beurteilte das klassische Abitur als gut, doch wegen des akuten Lehrkräftemangels schob man die allgemeine Einführung auf, bis das Vorhaben schließlich nicht umgesetzt wurde.
Zuletzt greife ich noch den Aspekt der wesentlich besseren Lehrerausbildung auf. In der DDR studierte man Pädagogik auf Diplom, kam also nach 8 Fachsemestern als Diplomlehrer von der Hochschule.
Im Prinzip zerfiel die Stundentafel in die 3 Hauptblöcke allgemeine Lehre, Hauptfach, Nebenfach. In den ersten vier Fachsemestern betrug der Umfang im Schnitt 29 bis 31 Semesterwochenstunden(*) plus abzugebende Hausaufgaben, Aufsätze et cetera. Die Lehrveranstaltungen (Vorlesungen/Seminarübungen) waren dabei gleichmäßig aufgeteilt zu je einem Drittel auf allgemeine Lehre, Hauptfach, Nebenfach.
In den Block Lehre fielen für einen zukünftigen Diplomlehrer bspw. Pflichtvorlesungen wie Pädagogik, Psychologie, Methodiken, 2. Fremdsprache, Studentensport, Sprecherziehung, kulturell-ästhetische Bildung und Erziehung, Technik der Arbeit mit audio-visuellen Unterrichtsmitteln, Marxismus-Leninismus, pädagogische Tätigkeit.
In den Block Hauptfach fielen die Fachvorlesungen für das gewählte Diplomfach, also z. B. für das Mathematiklehrerstudium Dinge wie Analysis, Lineare Algebra, mathematische Fachdidaktik, … .
Im Block Nebenfach wurde Hochschulunterricht im gewählten Nebenfach erteilt, bspw. Physik oder Geographie bei den Mathelehrern, mit dem Plan Mitte der 80er, Informatik als ein neues Regelfach an der POS & EOS einzuführen, später dann auch Informationstechnik/Informatik.
Unterstufenlehrer, also die Lehrerinnen für die Klassenstufen 1 bis 4, absolvierten ein gesondertes, noch mehr auf Didaktik, Pädagogik und Unterrichtspraxis zugeschnittes Fachstudium.
Die Prüfung Marxismus-Leninismus war für jeden angehenden Lehrer unabhängig von der Fachrichtung Pflicht.
Es zeigt sich also, daß die Lehrer nicht nur ein bedeutend schwereres Studium als heutzutage absolvieren mußten, es war den Bedürfnissen von schulischer Bildung wesentlich besser angepaßt.
Ich hoffe, nach dem Beitrag weißt Du jetzt, warum der Westen sich so schwer tut. Er ist einfach bildungspolitische Dritte Welt.
Sachsen und Thüringen hatten ja nach dem Anschluß an die BRD noch Glück; man schmiß nicht alle DDR-Altlasten über Bord, behielt beispielsweise das angeblich ach so unmögliche Abitur nach 12 Jahren und konnte den Niveauverlust auf Grund des gegliederten Schulsystems mehr oder minder erfolgreich eindämmen. Die Altlehrer haben hier auch einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Neulich las ich, daß in Sachsen noch mehr als 70% der Lehrer ihre Unterrichtsvorbereitung nach den alten DDR-Schulbüchern und den sogenannten „Handreichungen für Lehrer“ erledigten. Die Lehrer betonten dabei, daß man das nicht aus eingeschliffener Gewohnheit täte, sondern aus Gründen des besseren fachlichen Inhaltes.
Bis bald