Das ist der entscheidende Satz im Artikel:
Dass sich für Gesamtdeutschland trotz Corona im vergangenen Jahr keine nennenswerte Übersterblichkeit ergab, darf dennoch nicht falsch interpretiert werden – oder gar als Argument zur Verharmlosung von Corona genutzt werden.
Das Problem ist: das wird trotzdem gemacht. Da steht dann die Aussage „es gab keine Übersterblichkeit“ kurz vor „und deswegen gab es nie eine Epidemie und erst recht keinen Grund für die Maßnahmen“.
Dabei wird ignoriert, daß es teilweise dramatische Übersterblichkeiten gab (in Sachsen z.B. um fast 60% und zeitlich sehr passend zum dortigen Infektionsgeschehen). Und dabei wird auch ignoriert, daß wegen der Maßnahmen nicht nur die Zahl der Covid-Fälle gedrückt wurde, sondern viele andere Todesfälle vermieden wurden, was ich vor einigen Monaten schon ausführlich erklärte und belegte. Es wurden z.B. Milliarden weniger Kilometer auf deutschen Straßen zurückgelegt (mit entsprechend weniger Verkehrstoten), es gab weniger Tote durch „auch nach drei Flaschen Wodka kann ich über das Geländer noch locker balancieren“, es gab weniger Arbeits- und Wegeunfälle usw. usf.
Der Teil wird regelmäßig nach dem Satz „es gab keine Übersterblichkeit“ ausgeblendet.
Hinzu kommt noch ein weiterer wichtiger Punkt. Nehmen wir mal an, man will die Sterblichkeit von zwei Jahrgängen vergleichen und wählt die Jahrgänge 1880 und 2015. Man wird unzweifelhaft feststellen, daß die Menschen Jg. 1880 sämtlichst tot sind, während die aus 2015 zu fast 100% noch am leben sind. Sollte man auf der Basis zum Ergebnis kommen, daß der 1880 Jahrgang eine geringere Lebenserwartung hatte als der von 2015?
Natürlich nicht. Komischerweise macht man das bei der Betrachtung des Gesamtjahres 2020 ähnlich: man betrachtet einen Zeitraum bei einer Krankheit, die vor allem sehr alte und sehr kranke Menschen tötet, der mit einem Jahr vor diesem Hintergrund sehr lang ist. Das heißt, die Menschen, die im Frühjahr starben, wären zu einem gewissen Teil im Laufe des Jahres an Altersschwäche oder ihrer Erkrankung gestorben. Dieser Effekt hat dazu geführt, daß es im Februar oder März 2021 mal eine Woche gab, in der es eine Untersterblichkeit verzeichnet wurde, was in den entsprechenden Kreisen auch wieder gefeiert und - so meine ich mich zu entsinnen - auch hier zur Sprache kam. Diese Untersterblichkeit kam aber simpel dadurch zustande, daß die Menschen, die in der Woche weniger starben, zuvor der Winterwelle zum Opfer gefallen waren.
Es kommt also darauf an, welche Frage man beantworten will und letztlich ergibt sich diese Frage aus dem Motiv. Will ich beweisen, daß Covid gar nicht so schlimm ist oder war? Dann fragt man nach der Übersterblichkeit über das Gesamtjahr und ignoriert, daß die Maßnahmen auch die Zahl der Toten bei Verkehrs-, Arbeits-, Sport- und Freizeitunfällen reduzierten.
Wenn man die Frage beantwortet haben möchte, ob die Wellen zu zusätzlichen Todesfällen führten, dann betrachtet man die Entwicklung im Zusammenhang mit den Wellen - also März-April 2020 oder November 2020-Februar 2021. Die Ergebnisse sind dann so eindeutig, daß jede weitere Diskussion unnötig ist.
Und dann gibt es natürlich die Fraktion der ganz Cleveren, die die erste Frage mit dem entsprechenden Motiv stellen wollen und denen, die die zweite Frage stellen und beantworten, entgegenhalten, sie wollten mit der Auswahl der Monate doch nur das Ergebnis beeinflussen, während sie selber genau DAS vorhaben und tun.