Gängige Einteilung der Sprachkenntnisse

Guten Tag!

Ich bin leider (wieder) etwas verwirrt, weil ich nicht weiß, wie ich denn nun meine Sprachkenntnisse deklarieren soll.

Mir geht es um die gängigen Bezeichnungen „Verhandlungssicher“ und „Muttersprache“ und die Tatsache, dass es erstens nichts treffendes für „Quasi-Muttersprachler“ wie mich gibt und zweitens die Muttersprache über Verhandlungssicher eingeordnet wird.

Was gibt man an, wenn die Skills weit über das gängige Verständnis von „fließend“ hinausgehen, aber man weder Muttersprachler (dafür kann man wohl nichts) noch verhandlungssicher ist? Was ist, wenn man von einem Muttersprachler kaum oder gar nicht auseinanderzuhalten ist, aber einfach keine Ahnung vom gängigen Verhandlungsvokabular hat?

Seit wann sind alle Muttersprachler auch gleichzeitig Verhandlungssicher? Da sie es aus eigener Erfahrung mit den meisten Muttersprachlern, die ich kenne, offensichtlich nicht sind, warum werden deren Sprachkenntnisse trotzdem über „Verhandlungssicher“ eingeordnet?

Ich als Beispiel:

Ich bin Muttersprachler (deutsch) und würde mir nicht ohne weiteres zutrauen, eine Verhandlung zu führen, weil mir dafür das Fachvokabular und -verständnis fehlen.

Ich bin Muttersprachler (polnisch, bilingual), würde meine Sprachkenntnisse aber nichtmal als fließend bezeichnen, da ich relativ früh einfach auf Deutsch geantwortet habe, wenn jemand etwas auf Polnisch zu mir gesagt hat. Folglich verstehe ich alles, lesen ist auch noch so im Rahmen, aber Sprechen und Schreiben geht so gut wie gar nicht.

Ich kommuniziere auf Englisch fast genauso gut auf Deutsch. Englisch ist seit meinem 6. Lebensjahr ein fester Bestandteil meines Alltags (Videospiele) und seit meinem 9. Lebensjahr primäre Umgangssprache außerhalb der Schule. Ich denke, monologisiere und träume auf Englisch.

Reicht das, um Englisch einfach als dritte Muttersprache anzugeben (oder in meinem Fall Polnisch wegzulassen, trilingual könnte unglaubwürdig wirken… oder doch Eindruck machen?), obwohl dem ja eigentlich ganz eng gesehen nicht so ist?

Macht es überhaupt Sinn, mir diese Fragen zu stellen, wenn die Flunkerei sowieso nicht auffliegen würde?

Es wird ja wohl niemand kontrollieren, ob ich Englisch wirklich von Kindesbeinen an von der Familie gelernt habe, oder?

Ab wann gilt eine Sprache eigentlich als Muttersprache?

Gruß
HW

Hi,

hatten wir die Diskussion nicht schon mal vor ein paar Monaten oder warst Du das nicht?

Jemand der nur „fliessend“ eine Sprache spricht kann kein „Muttersprachler“ sein - egal wie gut er spricht. Ein Muttersprachler hat die Sprache von kleinauf gelernt. Jemand der zweisprachig aufgewachsen ist kann aber beide Sprachen als Muttersprache benennen.

Fred Pleitgen spricht ein extrem gutes Englisch bei dem aber wohl ein Muttersprachler raushört dass er diese Sprache „nur“ gelernt hat und eben kein Muttersprachler ist: https://www.youtube.com/watch?v=Tb0PdnxUnOM . Oder die Dame hier. Geborene Bulgarin, sehr gutes Englisch, aber trotzdem keine „Muttersprachlerin“: https://www.youtube.com/watch?v=dP18d7IH12c

Und hier kannst Du Dich einordnen: https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinsamer_Europ%C3%A…

Gruss
K

Das heißt ich müsste mich mit meinem Quasi-Muttersprachler Englisch mit einem kümmerlichen „fließend“ zufriedengeben, während ich mit meinem kümmerlichen Polnisch als Muttersprachler durchgehe?

Definiere bitte von kleinauf.

Das CEFR ist ja schön und gut, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Einteilung in fließend, verhandlungssicher und Muttersprache in dieser Reihenfolge immer noch Standard ist (zumindest in Deutschland), obwohl „Muttersprache“ bekanntlich nur wenig über die tatsächlichen Kenntnisse aussagt.

Die eigentliche Begabung der beiden Beispiele liegt viel mehr in ihren rhetorischen Fertigkeiten als in ihren Englischkenntnissen. Das Eine hat mit dem Anderen leider nichts zu tun, oder könntest du trotz perfekter Deutschkenntnisse spontan als Nachrichtensprecher anfangen?

Definiere bitte von kleinauf.

Mit der Sprache aufgewachsen und nicht erst mit 16 angefangen zu lernen.

Die eigentliche Begabung der beiden Beispiele liegt viel mehr in ihren rhetorischen Fertigkeiten als in ihren Englischkenntnissen. Das Eine hat mit dem Anderen leider nichts zu tun,

Bitte? Und wie willst Du denn die rhetorischen Fertigkeiten einer Sprache haben wenn Du nur rudimentäre Kenntnisse selbiger hast?

oder könntest du trotz perfekter Deutschkenntnisse spontan als Nachrichtensprecher anfangen?

Ja klar. Das klingt sicher nicht so elegant wie die in der Tagesschau, aber verstehen würde mich jeder. Zumindest müsste ich nicht ein mal „Ehhh… wie heisst das Wort auf Deutsch?“ sagen - falls Du das meinst.

Definiere bitte von kleinauf.

Mit der Sprache aufgewachsen und nicht erst mit 16 angefangen
zu lernen.

Sind 6 Jahre jung genug?

Die eigentliche Begabung der beiden Beispiele liegt viel mehr in ihren rhetorischen Fertigkeiten als in ihren Englischkenntnissen. Das Eine hat mit dem Anderen leider nichts zu tun,

Bitte? Und wie willst Du denn die rhetorischen Fertigkeiten
einer Sprache haben wenn Du nur rudimentäre Kenntnisse
selbiger hast?

Rhetorische Fähigkeiten und Kenntnisse einer bestimmten Sprache sind nicht direkt voneinander abhängig. Bei konkreten Sprachkenntnissen geht es um das „was“ und in der Rhetorik primär um das „wie“. Rhetorische Kompetenzen bechränken sich außerdem nicht nur auf eine Sprache, sondern sind viel eher eine „Extension“ für alle Sprachen.

Natürlich muss man als Nachrichtensprecher idealerweise in beidem echt gut sein, aber generell setzen diese Dinge sich nicht gegenseitig voraus und schließen sich auch nicht aus.

oder könntest du trotz perfekter Deutschkenntnisse spontan als Nachrichtensprecher anfangen?

Ja klar. Das klingt sicher nicht so elegant wie die in der
Tagesschau, aber verstehen würde mich jeder. Zumindest müsste
ich nicht ein mal „Ehhh… wie heisst das Wort auf Deutsch?“
sagen - falls Du das meinst.

Das müsste ich auch nicht und verstehen würde man mich ebenfalls problemlos, aber das hat nichts mit dem rhetorischen Aspekt der „Vorstellung“ zu tun. Etwas vorbereitetes wirklich überzeugend, unterhaltsam und mit einem gewissen Enthusiasmus rüberzubringen, ohne dabei entweder albern oder lustlos zu wirken, können die Wenigsten.

Glückwunsch, wenn du zu denen gehörst, aber das trifft nur auf einen Bruchteil der Muttersprachler zu.

Verhandlungssicher ist aber auch wieder so ne Sache.
In meiner Lebenswelt sind die dritte (Deutsch) und die sechste Fremdsprache (Japanisch) vorherrschend, in geringerem Maße auch die vierte (Englisch), Muttersprache existiert nicht. Verhandlungssicher bin ich in keiner Sprache, ich kann nur rumlabern, rechtzeitig weggehen, die Unterschrift verweigern oder alles zeitaufwendig schriftlich durchkauen.

Moin,

Ich bin leider (wieder) etwas verwirrt, weil ich nicht weiß,
wie ich denn nun meine Sprachkenntnisse deklarieren soll.

nimm an einem gängigen anerkannten Test teil und gib die dort erreichten Leistungen an.
TOEFL wäre da zu nennen, oder Cambridge English Language Assessment

Dann hast Du was halbwegs quantitatives und musst keine schwammigen Beschreibungen abgeben.

Gandalf

Verstehe ich dich richtig …

Etwas vorbereitetes wirklich
überzeugend, unterhaltsam und mit einem gewissen Enthusiasmus
rüberzubringen, ohne dabei entweder albern oder lustlos zu
wirken

… dass nur diejenigen, die das oben Zitierte können, ihre Fremdsprachenkenntnisse als „verhandlungssicher“ angeben dürften. Oha … dann sind’s aber nicht sehr viele, und ich glaube, wenn man sich genug Bewerbungen anschauen würde, sähe es auf dem Papier ganz anders aus.

Meine Tochter wächst übrigens mit Rumänisch als Mutter- und Deutsch als Vater- und Umgebungssprache auf, aber, so wie du auch, spricht sie die Sprache nicht. Deshalb weiß ich nicht, falls sich ihre Rumänischkenntnisse nicht wesentlich verbessern, ob ich ihr empfehlen werde, im Lebenslauf Rumänisch als Muttersprache anzugeben.

Gruß
Christa

Hi,

Du hast Dir wohl einfach in den Kopf gesetzt „Muttersprachler“ zu sein. Dann mach. Ist ja nicht gesetzlich geschützt der Begriff wie „Steuerberater“ oder „Dr.“ . Ich kann nur sagen, dass wenn sich bei mir jemand als „Englisch: Muttersprache“ vorstellt und nicht liefert (siehe meine beiden Beispiele oben) er/sie sofort raus ist.

Spät. wenn Du also in einem Bewerbungsgespräch mit einem Muttersprachler sitzt wirst Du ja sehen wie gut Du bist. Der wird Dir dann nicht aus lauter Höflichkeit sagen wie gut Du die Sprache sprichst.

Also, freies Land - mach was DU für richtig hälst.

Gruss
K

Wenn du deine Sprachkenntnisse in einer Bewerbung beschreibst, dann würde ich das auf eine Weise zu tun versuchen, die dem Arbeitgeber spätere Enttäuschungen erspart (und dir, dass du evtl. irgendwann unangenehm auffällst). Ohne Nuancen ›Muttersprache‹ angeben würde ich nur bei Sprachen, die du auf eine Weise gelernt hast, die dem typischen Erstspracherwerb gleichkommt. Das wäre in deinem Fall wohl Deutsch. Man muss auch in seiner Muttersprache nicht jeden Fachbegriff kennen, sondern einfach nur dem entsprechen, was man von einem durchschnittlichen Muttersprachler (mit demselben beruflichen Hintergrund) erwarten kann. Bei allen weiteren Sprachen ist es meines Erachtens nicht in erster Linie wichtig, wie und wann du diese Sprachen gelernt hast, sondern, wo du jetzt stehst. Was hätte es für einen Sinn, dein Polnisch als ›muttersprachlich‹ zu beschreiben, obwohl du nicht mal eine einfache geschäftliche Mail hinbekämst? Wenn Polnisch für den Job ohnehin irrelevant ist, kannst du wahrscheinlich auch wenig Eindruck damit schinden; wenn es relevant ist, solltest du wohl ehrlich sein.

Eine relativ gängige Möglichkeit wäre, wie bereits erwähnt, dich auf der Skala des Europäischen Referenzrahmens einzuordnen (obwohl ich den aus verschiedenen Gründen auch nicht der Weisheit letzten Schluss finde). Wenn du das tust, solltest du zwischen Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben (bzw. zumindest zwischen passivem und aktivem Sprachgebrauch) differenzieren. Du könntest zum Beispiel angeben: ›Polnisch (Hören: C2, Lesen: C1, Sprechen: B2, Schreiben: B1)‹ – oder, wenn dir das zu kompliziert ist, ›Polnisch (passiv: fast muttersprachliche Kenntnisse; aktiv: fortgeschrittene Kenntnisse). Auch bei Englisch kannst du dann von ›(fast) muttersprachlichem Niveau‹ sprechen, ohne darauf eingehen zu müssen, wie genau du es gelernt hast. Ich denke, dass solche Angaben sinnvoller sind, als zu versuchen, auf so viele deiner Sprachen wie möglich das Etikett ›Muttersprache‹ zu pappen – was im Polnischen wahr, aber bedeutungslos ist, und im Englischen gelogen, auch wenn du vielleicht nicht schlechter bist (oder zu sein glaubst) als manche Muttersprachler.

Das Wort ›verhandlungssicher‹ würde ich übrigens meiden. Du siehst ja schon an dem Thread hier, dass das zu viel außersprachliche Assoziationen – in Richtung Fachkenntnisse, Verhandlungserfahrung, professionelles Auftreten etc. – hervorruft, denen du vielleicht nicht gerecht wirst. Begriffe wie ›fließend‹ oder ›fortgeschritten‹ sind natürlich auch sehr allgemein, aber beschränken sich zumindest auf den im engeren Sinne linguistischen Aspekt der Kommunikationsfähigkeit. Ohnehin würde ich davon ausgehen, dass der Arbeitgeber bei jedem Job, bei dem Fremdsprachenkenntnisse im Mittelpunkt stehen, dich auf das testet, was gebraucht wird, bevor er dich einstellt, und die Angaben im Lebenslauf nur zur ersten, groben Einordnung verwendet.

Gruß
Christopher

Moin,

schau Dir hier mal die tabellarische Übersicht der erwarteten Fähigkeiten an. Deiner Beschreibung nach, bist Du - zumindest - bei Polnisch weit von „Muttersprachler“ entfernt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinsamer_Europ%C3%A4…

Mit dem Begriff „verhandlungssicher“ wäre ich auch sehr vorsichtig.

Viel Erfolg!

Gruß Volker

Das ist viel eher das, was die beiden Personen in dem Video tun und von Kasi von Muttersprachlern vorausgesetzt wird. Mein Punkt ist gerade der, dass das viel mehr mit Rhetorik als mit Sprachkenntnissen zu tun hat und eine derartige Erwartungshaltung völlig absurd ist.

Mir ist immer noch nicht klar, warum du und wohl auch die meisten Anderen absolut perfekt Sprachkenntnisse und in diesem Fall auch erstklassige Rhetorik von Muttersprachlern voraussetzen. Natürlich fällt es höchst negativ auf, wenn man seine primäre Muttersprache nicht nahezu perfekt beherrscht, aber:

Erstens haben die meisten Muttersprachler, besonders in Deutschland, gewaltige Defizite was Zeichensetzung, Rechtschreibung und Grammatik angeht (und ich meine keine Flüchtigkeitsfehler, die jedem passieren). Alleine schon bei der stets korrekten Anwendung des Konjunktivs und des Genitivs sind wohl schon über die Hälfte der Bundesbürger aus dem Rennen (ich zähle ganz klar ebenfalls dazu).

Zweitens ist es bei bilingual aufgewachsenen Muttersprachlern in den allermeisten Fällen so, dass eine der beiden Sprachen zumindest geringfügig vernachlässigt wird (nicht zwangsläufig durch Selbstverschulden). Wenn es da nicht am Vokabular oder der Grammatik scheitert, scheitert es bei den meisten trotzdem noch an der Aussprache (Stichwort Akzent). Hier also Akzentfreiheit (was gerade im Englischen gar nicht existiert) als Grundvoraussetzung für Muttersprachler anzuführen, ist total absurd.

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