Hallo Chili,
ok, man muss also zwischen Betreuung und Beaufsichtigen differenzieren, richtig?
Ja. Ich persönlich kenne keine Ganztagsschule, an der mehr als eine Beaufsichtigung stattfinden würde (was aber nicht heißen muss, dass es die nicht gibt). Allerdings wird nach meiner Erfahrung in den Werbungen für die Ganztagsschulen gerade diesbezüglich deutlich mehr versprochen, als gehalten wird.
Gerne wird damit geworben, dass Lehrer die Hausaufgaben beaufsichtigen. Man impliziert, dass damit die Qualität der Betreuung besser wäre, als wenn das durch Erzieher/-innen geschähe, was aber so nicht stimmt. Wenn eine (maximal zwei) Aufsichtspersonen für 1-5(!) Klassen zuständig sind, ist Betreuung schlicht und ergreifend nicht möglich. Hier gibt es bestenfalls eine gewisse Kontrolle in der Hinsicht, dass die Schüler sich still verhalten. Es ist noch nicht mal zwingend garantiert, dass alle Schüler tatsächlich Hausaufgaben machen.
Ganztagsschule in Deutschland bedeutet nach meiner Erfahrung für die Kinder, dass die Kinder den ganzen Tag nicht aus dem Schulgebäude kommen. In gebundenen Ganztagsschulen werden oft Hauptfächer auf den Nachmittag verlegt, was angeblich der Entlastung dienen soll, aber in aller Regel das Gegenteil bewirkt. Von den Kindern wird verlangt, dass sie sich, nachdem sie sich am Vormittag schon zwei Stunden im Sport verausgabt haben, zu einer Zeit, wo Lernen jedem Biorhythmus zuwider läuft, auf Mathe oder Deutsch konzentrieren müssen.
Freizeitgestaltung findet im 45-Minuten-Takt statt. Die Qualität der Angebot differiert stark von Schule zu Schule. Unterm Strich haben die Kinder aber bis auf die Pausen keinerlei selbst bestimmbare Zeit. Sie haben einen 8-10-Stundentag, der ihnen keine Zeit zur Erholung lässt.
Lernstoff muss zudem trotzdem noch zuhause erledigt werden. Zum einen, weil die Zeit meist nicht reicht, zum anderen, weil es die meisten Kinder überfordert, in Gegenwart von zig weiteren Schülern zu lernen. Kinder, die beim Lernen reden müssen, haben gar keine Chance, weil das natürlich nicht geht. Von Kindern mit AD(H)S-Problematiken gar nicht zu reden.
Heißt: Nach dem Vollzeit-Arbeitstag geht es zu Hause weiter. Nach draußen kommen die Kinder kaum noch, Freunde treffen oder in einen Verein gehen können sie knicken. Vor allem im Herbst und Winter sind dann nur noch Indoor-Tätigkeiten möglich.
In guten Horten ist die Hausaufgabenzeit begrenzt, und die Kinder haben Zeit, nach der Arbeit ihren Interessen nachzugehen. Sie können an Angeboten teilnehmen oder sich selbst organisieren. Die Mischung der Kinder ist eine andere als in der Schule und die Erzieher sind auch zum Reden da. Auch die Räumlichkeiten sind andere, was den Charakter von Freizeit deutlich von dem Aufenthalt im Schulgebäude unterscheidet.
Die Hausaufgabengruppen sind deutlich kleiner, und die Erzieher erklären auch, wenn ein Kind nicht weiter weiß. Ein Ort für Nachhilfe ist auch ein Hort nicht, aber die Betreuung ist eine deutlich bessere.
Nachteil: Horte kosten Geld, das die Eltern bezahlen müssen. Das Angebot Ganztagsschule ist kostenlos.
Ich kriege bei der Betreuung unserer angehenden Erzieher/-innen hautnah die Unterschiede zwischen Ganztagsschule und Hortbetreuung mit. Die Unterschiede in der Qualität der Betreuung sind enorm. Interessanterweise haben viele Eltern mehr Vertrauen in die schulische Betreuung - warum auch immer. Es scheint, dass sie dem schulischen Rahmen und den Lehrern das bessere pädagogische Knowhow zutrauen. Diese Kombination scheint Ordnung und Qualität zu garantieren. Ein Versprechen, das nicht gehalten wird.
Das größte Chaos sind allerdings die offenen Ganztagsschulen. Hier kann man nach meiner Beobachtung in vielen Fällen kaum noch von Beaufsichtigung, geschweige denn Betreuung reden.
Du beschreibst einen Worst-Case von einem Lehrer, der 30 Kinder beaufsichitgen soll. Wie würdest Du das beurteilen, wenn ein Lehrer gleichzeitig drei Klassen beaufsichtigen soll
Das ist normal. Und man braucht nicht viel Phantasie, sich auszumalen, wie das in der Realität abläuft, wenn man sich denn gestattet, das Ganze mal zu durchdenken.
Mein Post ist nun wohl ein Plädoyer für den Hort geworden, bitte entschuldige, wenn das für dich ein Stück am Thema vorbei geht. Ich betrachte halt die zunehmende Menge schlechter Ganztagsbetreuung mit Sorge.
Schöne Grüße
Jule