Für die historisch-kritisch orientierte Theologie seit dem 19. Jhdt gibt es kaum noch Zweifel, daß die gesamte Geburtsgeschichte Jesu auf Einfällen (incl. einiger Geschichtsklitterungen) des (oder der) Autoren des Matthäus- Evangeliums beruht, die dann weiter von Lukas in seinem Evangelientext noch weiter (u.a. auch mit Hymnen-Texten) ausgestaltet wurde.
Der Grund dürfte sein, daß - neben den zahlreichen recht unterschiedlichen Arten von Messias-Erwartungen des nachexilischen Judentums - eine sich auf den kurzen Absatz in Micha 5.1 (nach anderer Zählung Micha 5.2) bezog, nach der ein neuer Herrscher (moschēl) aus Bethlehem kommen werde. Micha war ein Prophet des Südreiches Juda im 8. Jhdt v. u. Z., in dem Bethlehem als „Stadt Davids“ galt. Und die in Juda unter dem dortigen damaligen aaronitischen Priestertum verbreitete Erwartung eines Messias fasste diesen auf als einen Menschen aus dem Geschlecht Davids, der das Königreich Davids wieder errichten werde (Maschiach = „Gesabter“, Periphrase für einen König).
Da diese Form der Messiaserwartung gerade zur Zeit der römischen Besatzung besonders brisant war, vorrangig in der Provinz Judäa mit Hauptstadt Jerusalem, also der Repräsentanz des alten Südreiches Juda, mußte ein Maschiach mindestens aus Bethlehem stammen, um als solcher glaubwürdig zu sein. Anders als in Samaria und Galiläa, den „Nachfahren“ des alten Nordreiches Israel.
Bei dem ältesten der synoptischen Evangelien, Markus, gibt es keine Geburtsgeschichte, und Jesus ist „Jesus aus Nazareth“. Dasselbe im Johannes-Ev.: Joh. 1.45 „… Jesus, Sohn des Joseph aus Nazaret“ und 1.46: „Aus Nazaret kann etwas Gutes kommen?“. Und eben dort im Joh.-Ev. wird auch sehr deutlich, daß der Zweifel der „Juden“ (damit ist in diesem Text vornehmlich die Herrscherschicht der Phariäser gemeint), daß es sich keineswegs um den erwarteten Moschiach handeln kann, sich genau daran festmacht, daß der von einer sehr großen Menge des Volkes verehrte Jesus eben nicht aus Bethlehem, sondern aus Galiläa kommt: Sehr deutlich in Joh.-Ev. 7.40-52, wo die seit dem Ende des Exils grassierende Polemik der jüdischen Herschaftsschicht gegen Galiläa und deren Einwohner sehr deutlich wird. „Bist etwa auch du aus Galiläa? Forsche nach und sieh, daß der Prophet nicht aus Galiläa kommt!“
Und um diesen brisanten Makel des als Maschiach (= griech. Christos) verehrten Jesus aus Nazareth, daß er nämlich Galiläer war und nicht Judäer, zu „korrigieren“, dürfte die Gemeinde, aus der der Autor des Matthöus-Ev, kam, die mit allerlei Ungereimtheiten gespickte Geburtsgeschichte „erfunden“ haben (incl. der Episode der Magier „aus dem Osten“). Und der literarisch hochgebildete Lukas setze noch ein paar poetische Details hinzu. Zusötzlich übrigens zu einer (bei beiden Autoren unterschiedlichen) patrilinearen Genealogie des Jesus, die ausgerechnet auf Joseph führt, der ja bei beiden Autoren explizit nicht der leibliche Vater Jesu ist. Der aber als in Bethlehem gebürtig konstruiert wird, so daß die storyline hintenrum wieder stimmig erscheint.
Die Gemeinde um Matthäus verortet man im sog. Judenchristentum, die in Jerusalem beheimatet war. Deshalb durfte es keinen Zweifel geben, daß Jesus „eigentlich“ Judäer war. Daß die Mutter Maria aus Nazaret, ebenso wie die ersten treuen Schüler, und auch die zweite weibliche Hauptfigur: Maria aus Magdala, allesamt Galiläer waren, dessen ganz ungeachtet.
Lukas setzte zu der Jerusalem-Connection noch einen drauf, indem er die Eltern Jesu überhaupt erst nach dessen Geburt in Bethlehem per englischer Traumanweisung an „Josef in Ägypten“ (den gab es ja schon mal 1800 Jahre vorher in der jüdischen Geschichte) völlig unmotiviert ausgerechnet nach Nazareth schickt. Und sogar den Jesus-Täufer Johannes beschreibt er als Verwandten Jesu: Und zwar als Sohn eines im Tempel (also in Jerusalem) tätigen Priesters, dessen Frau wiederum eine Cousine der Maria aus Nazareth war. Auch das kann man lesen als umständliche, aber verständlich erscheinen sollende Konstruktion, um Jesu primären Ausgangspunkt in Jerusalem zu verorten. Hier ist endgültig nichts mehr zu erkennen von dem Hauptgrund der Pharisäer (die zu der Zeit auch den Tempeldienst hatten), den Moschiach nicht anzuerkennen: Weil er kein Jerusalemer, sondern Galiläer war.
Gruß
Metapher
[auf Wunsch des Verfassers wurde eine Jahreszahl vom www Team korrigiert]