Geburtsort Jesu

Hallo,

eigentlich müsste es hier doch ein Brett „Religion“ geben. Ich finde es aber nicht, man kann meine Frage gerne dahin verschieben, falls sie dort besser hinpasst.

In einer „Prophezeiung“ des „Alten Testaments“ heißt es, dass der „Messias“ aus Bethlehem, der Geburtsstadt Davids, kommen soll. Jesus’ Eltern waren aber aus Nazareth und Jesus wird selbst im Neuen Testament mehrfach als „aus Nazareth“ oder „Nazarener“ genannt. Auch die Kreuzesinschrift „INRI“ bedeutet: „Jesus aus Nazareth, König der Juden“.

Um aber die „Prophezeiung“ zu erfüllen, berichten Matthäus und Lukas, dass der König Herodes eine Volkzählung angeordet habe, nach der jeder Jude an den Stammsitz seiner Familie reisen müsse, im Falle von Joseph also nach Bethlehem.

Nach gesicherten römischen Quellen hat es tatsächlich eine Volkszählung in Israel gegeben, aber erst im Jahre 6 NC, zwei Jahre nach dem Tod von Herodes.

Mussten die Menschen dazu aber tatsächlich an den Stammsitz ihrer Familie reisen? Konnte man nicht einfach am gegenwärtigen Wohnort bleiben?

Fragt sich und euch
Carsten

MOD Selina: von Kultur nach Religionwissenschaft verschoben.

Für die historisch-kritisch orientierte Theologie seit dem 19. Jhdt gibt es kaum noch Zweifel, daß die gesamte Geburtsgeschichte Jesu auf Einfällen (incl. einiger Geschichtsklitterungen) des (oder der) Autoren des Matthäus- Evangeliums beruht, die dann weiter von Lukas in seinem Evangelientext noch weiter (u.a. auch mit Hymnen-Texten) ausgestaltet wurde.

Der Grund dürfte sein, daß - neben den zahlreichen recht unterschiedlichen Arten von Messias-Erwartungen des nachexilischen Judentums - eine sich auf den kurzen Absatz in Micha 5.1 (nach anderer Zählung Micha 5.2) bezog, nach der ein neuer Herrscher (moschēl) aus Bethlehem kommen werde. Micha war ein Prophet des Südreiches Juda im 8. Jhdt v. u. Z., in dem Bethlehem als „Stadt Davids“ galt. Und die in Juda unter dem dortigen damaligen aaronitischen Priestertum verbreitete Erwartung eines Messias fasste diesen auf als einen Menschen aus dem Geschlecht Davids, der das Königreich Davids wieder errichten werde (Maschiach = „Gesabter“, Periphrase für einen König).

Da diese Form der Messiaserwartung gerade zur Zeit der römischen Besatzung besonders brisant war, vorrangig in der Provinz Judäa mit Hauptstadt Jerusalem, also der Repräsentanz des alten Südreiches Juda, mußte ein Maschiach mindestens aus Bethlehem stammen, um als solcher glaubwürdig zu sein. Anders als in Samaria und Galiläa, den „Nachfahren“ des alten Nordreiches Israel.

Bei dem ältesten der synoptischen Evangelien, Markus, gibt es keine Geburtsgeschichte, und Jesus ist „Jesus aus Nazareth“. Dasselbe im Johannes-Ev.: Joh. 1.45 „… Jesus, Sohn des Joseph aus Nazaret“ und 1.46: „Aus Nazaret kann etwas Gutes kommen?“. Und eben dort im Joh.-Ev. wird auch sehr deutlich, daß der Zweifel der „Juden“ (damit ist in diesem Text vornehmlich die Herrscherschicht der Phariäser gemeint), daß es sich keineswegs um den erwarteten Moschiach handeln kann, sich genau daran festmacht, daß der von einer sehr großen Menge des Volkes verehrte Jesus eben nicht aus Bethlehem, sondern aus Galiläa kommt: Sehr deutlich in Joh.-Ev. 7.40-52, wo die seit dem Ende des Exils grassierende Polemik der jüdischen Herschaftsschicht gegen Galiläa und deren Einwohner sehr deutlich wird. „Bist etwa auch du aus Galiläa? Forsche nach und sieh, daß der Prophet nicht aus Galiläa kommt!“

Und um diesen brisanten Makel des als Maschiach (= griech. Christos) verehrten Jesus aus Nazareth, daß er nämlich Galiläer war und nicht Judäer, zu „korrigieren“, dürfte die Gemeinde, aus der der Autor des Matthöus-Ev, kam, die mit allerlei Ungereimtheiten gespickte Geburtsgeschichte „erfunden“ haben (incl. der Episode der Magier „aus dem Osten“). Und der literarisch hochgebildete Lukas setze noch ein paar poetische Details hinzu. Zusötzlich übrigens zu einer (bei beiden Autoren unterschiedlichen) patrilinearen Genealogie des Jesus, die ausgerechnet auf Joseph führt, der ja bei beiden Autoren explizit nicht der leibliche Vater Jesu ist. Der aber als in Bethlehem gebürtig konstruiert wird, so daß die storyline hintenrum wieder stimmig erscheint.

Die Gemeinde um Matthäus verortet man im sog. Judenchristentum, die in Jerusalem beheimatet war. Deshalb durfte es keinen Zweifel geben, daß Jesus „eigentlich“ Judäer war. Daß die Mutter Maria aus Nazaret, ebenso wie die ersten treuen Schüler, und auch die zweite weibliche Hauptfigur: Maria aus Magdala, allesamt Galiläer waren, dessen ganz ungeachtet.

Lukas setzte zu der Jerusalem-Connection noch einen drauf, indem er die Eltern Jesu überhaupt erst nach dessen Geburt in Bethlehem per englischer Traumanweisung an „Josef in Ägypten“ (den gab es ja schon mal 1800 Jahre vorher in der jüdischen Geschichte) völlig unmotiviert ausgerechnet nach Nazareth schickt. Und sogar den Jesus-Täufer Johannes beschreibt er als Verwandten Jesu: Und zwar als Sohn eines im Tempel (also in Jerusalem) tätigen Priesters, dessen Frau wiederum eine Cousine der Maria aus Nazareth war. Auch das kann man lesen als umständliche, aber verständlich erscheinen sollende Konstruktion, um Jesu primären Ausgangspunkt in Jerusalem zu verorten. Hier ist endgültig nichts mehr zu erkennen von dem Hauptgrund der Pharisäer (die zu der Zeit auch den Tempeldienst hatten), den Moschiach nicht anzuerkennen: Weil er kein Jerusalemer, sondern Galiläer war.

Gruß
Metapher

[auf Wunsch des Verfassers wurde eine Jahreszahl vom www Team korrigiert]

11 Like

„Nach gesicherten römischen Quellen“

Was hast Du für Quellen?

nanana - wer hat die Volkszählung angeordnet?

1 Like

Ergänzend zu @Metapher 's Ausführungen noch zu dem, was die historischen Quellen hergeben - dazu zitiere ich mal 2 Beiträge von mir vom Mai 2009:

Diese Geschichte ist eine der unplausibelsten (böswillig könnte man sagen: am ungeschicktesten gefälschten) Stellen im Lukasevangelium.

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.“

Aus den res gestae des Augustus wissen wir, dass er mehrfach einen Zensus (lustrum) veranlasste, bei dem die wehrfähigen römischen Bürger und ihr Besitz erfasst wurden. Das ist nicht „alle Welt“ und mit Sicherheit nicht ein galiläischer Zimmermann Josef - der hatte nämlich kein römisches Bürgerrecht. Die ‚Volkszählung‘ war also doch etliche Nummern kleiner - nämlich ein Provinzialzensus. Genauer: die descriptio prima, also die unter Augustus in jeder neuen Provinz durchgeführte Ersterfassung zur Veranschlagung des Steueraufkommens. Eine descriptio prima Judäas wurde notwendig, nachdem Augustus im Jahre 6(!) König (Ethnarch) Archelaos abgesetzt und Judäa der Provinz Syrien zugeschlagen hatte. Verantwortlich für die Durchführung des Zensus war der Statthalter der betreffenden Provinz, Lukas nennt richtig den syrischen Statthalter Publius Sulpicius Quirinius (gräzisiert ‚Kyrenios‘).

Jedenfalls sind wir damit im Jahre 6, eher 7. Wenn Lukas also davon spricht, die Geburt des Johannes sei „zu der Zeit des Herodes, des Königs von Judäa“ seinem Vater Zacharias verkündet worden, die Ankündigung von Jesu Geburt hingegen im 6. Schwangerschaftsmonat der Elisabeth, so kann mit diesem ‚Herodes‘ (falls Lukas da nicht ein grober Schnitzer unterlaufen ist) allenfalls (Herodes) Archelaos gemeint sein - keinesfalls Herodes I., in dessen Regierungszeit Matthäus die Geburt Jesu datiert. Matthäus kann nicht Archelaos gemeint haben, da er Josef und seine Familie nach Herodes Tod aus Ägypten zurückkehren lässt - der (abgesetzte) Archelaos starb jedoch erst 18 n.Chr. Herodes I. hingegen starb 4 v.Chr. - zwischen den Datierungen von Lukas und Matthäus klafft eine Lücke von mindestens 10 Jahren.

Diese Ungereimtheiten sind offensichtlich - schon Tertullian (ca. 150 - 230) versuchte sie auszuräumen, indem er eine Verwechslung von Quirinius mit Sentius Saturninus (syrischer Statthalter 8 - 4 v.Chr.) behauptete und neuerdings versucht man anhand einer in Tibur Tivoli aufgefundenen Inschrift (die sich allerdings auch auf Quinctilius Varus beziehen könnte) nachzuweisen, dass Quirinius schon zu Zeiten Herodes I. einmal Statthalter Syriens gewesen sei. Was allerdings in beiden Fällen nicht erklärt, wieso die Römer in einem Klientelfürstentum (damals eben noch keine Provinz) eine Steuerschätzung hätten durchführen sollen - ein Vorgang, der nirgendwo belegt ist und auch kaum der Aufmerksamkeit des Josephus Flavius entgangen wäre, unserer zuverlässigsten Quelle.

Zurück zum judäischen Provinzialzensus. Mit ihm wurden die Wehrfähigen für die militärische Aushebung erfasst, außerdem für die Veranlagung zur Grund- und Kopfsteuer Angaben über Grundbesitz und sonstiges Eigentum erhoben. Nun war Josef jedoch aus Nazareth - mithin Untertan von Herodes Antipas, nicht römischer Provinziale. Der einzige denkbare Grund, warum ein Gäliläer sich freiwillig danach hätte drängen sollen, Rom Steuern zu zahlen, wäre Grundbesitz in Betlehem gewesen. Ohne entrichtete Grundsteuer wäre dieser Besitz eingezogen worden. Kopfsteuer kam jedoch grundsätzlich nicht in Betracht - ein Erscheinen der hochschwangeren Maria zur Eintragung in die Steuerlisten wäre (da keine Veranlagung zur Kopfsteuer) völlig überflüssig gewesen.

Von Grundbesitz (der dann wohl verpachtet gewesen sein musss, da ihn Josef offensichtlich nicht selbst bewirtschaftete) weiss Lukas darüber hinaus allerdings nichts - er nennt als Grund für die Reise lediglich „denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids“. Warum Josef dann mit seiner hochschwangeren Frau nicht bei seiner angeblichen betlehemitischen Verwandtschaft oder aber bei dem Pächter seines Grundbesitzes unterkommen konnte, verschweigt uns Lukas. Er schildert uns vielmehr ein offensichtlich materiell sehr armes Paar, bei dem man kaum nennenswerten Grundbesitz vermuten würde.

Mit dem „denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids“ macht Lukas dafür deutlich, was diese ganze Geschichte überhaupt soll: der Messias muss gemäß den Prophezeiungen (vgl. Micha 5,1) aus Betlehem stammen und Nachkomme Davids sein; vgl. dazu auch die beiden - allerdings einander widersprechenden - Stammbäume bei Lukas und Matthäus. Der Verdacht liegt nahe, dass diese ganze Volkszählungsgeschichte nur ein (schlechter) Vorwand ist, um zu begründen, warum Josef mit seiner hochschwangeren Frau eine beschwerliche Reise unternimmt. Vergleiche dazu auch Joh 7,41-52: „Andere sagten: Er ist der Messias. Wieder andere sagten: Kommt denn der Messias aus Galiäa? Sagt nicht die Schrift: Der Messias kommt aus dem Geschlecht Davids und aus dem Dorf Betlehem, wo David lebte?“ usw. - da werden genau diese Erwartungen ausgesprochen. Und interessanterweise wissen diese Leute, die da sprechen, nichts von einer Geburt Jesu in Betlehem. Und, wie ich vermute und der Text nahelegt, wusste auch Johannes nichts davon.

… aber man sollte sich dies nicht unbedingt als gezielte Fälschungsarbeit vorstellen (dies hatte ich als ‚böswillg‘ bezeichnet). Es ist offensichtlich so gewesen, dass über das Leben Jesu vor seiner Taufe durch Johannes außerhalb der Familie nicht viel mehr bekannt war, als dass er aus Nazareth stammte. Seine Familie (sein Bruder Jakobus leitete die Jerusalemer Urgemeinde) scheint wenig auskunftsfreudig gewesen zu sein - wahrscheinlich waren die dürren Fakten auch einfach schlicht uninteressant.

Jedenfalls gab dieses Vakuum Anlass zur Legendenbildung. Da Jeschuas Anhänger (in der Mehrzahl gläubige Juden) überzeugt waren, dieser sei der angekündigte Messias, musste er logischerweise von König David abstammen und in Betlehem geboren sein. Blieb nur noch das Problem, zu erklären, wie er dann nach Galiläa kam.

In den kanonischen Evangelien finden wir zwei völlig verschiedene Erklärungen. Lukas meint, Jesu sei in Betlehem geboren worden, weil seine Familie zwecks Eintragung in die Steuerlisten dort vorstellig werden musste - eine ziemlich löchrige Konstruktion.

Matthäus hingegen erzählt, Josef und Maria seien in Betlehem ansässig gewesen. Während Lukas das Problem hat, zu erklären, wie und warum Josef und Maria nach Betlehem kamen, steht Matthäus vor dem Problem zu erklären, wie und warum Josef und Maria nach Nazareth kamen. Mätthäus lässt Jesus zunächst zu Lebzeiten Herodes I., mindestens 10 Jahre früher zur Welt kommen als Lukas (wenn das von ihm erwähnte astronomische Phänomen die Jupiter-Saturn-Konjunktion 7 v.Chr. war, 13 Jahre früher). Bei ihm gibt es keine bukolische Szene, keinen Stall, keine Krippe, keine Hirten, sondern ein paar Astrologen als Besucher. Nun lässt Matthäus die Familie von Betlehem nach Ägypten fliehen, um einem durch Herodes I. befohlenen Massaker an Neugeborenen zu entkommen (was ganz nebenbei eine weitere Prophezeiung erfüllt). Dieses angebliche Massaker ist natürlich nirgendwo historisch belegt - und das nicht, weil man nicht eifrig nach Belegen gesucht hätte. Nach dem Tod Herodes I. zieht die Familie nicht nach Betlehem zurück, sondern nun nach Nazareth in Galiläa, um etwaigen Nachstellungen von Herodes’ Sohn Archelaos zu entgehen. Was als Begründung allerdings den Schönheitsfehler hat, dass in Galiläa mit Herodes Antipas ja ebenfalls ein Sohn Herodes I. herrscht.

Freundliche Grüße,
Ralf

8 Like

Spannend finde ich jetzt noch, wie die Antwort ohne Rückgriff auf die historisch-kritische Methode lauten müsste, und ob diese Methode überhaupt legitim ist. Der Theologe Klaus Berger plädiert ja in expliziter Abgrenzung zur historisch-kritischen Theologie dafür, der Bibel zu vertrauen. Soweit ich das beurteilen kann (das kann ich leider nicht wirklich), kann Berger mit zumindest nicht offenkundig willkürlichen Argumenten alle Glaubwürdigkeitsangriffe der historisch-kritischen Theologie parieren.