Denkst Du!
Das nachstehende Interview stammt von einer bekannten Anwohnerin:
Die Grünen-Politikerin Antje Kapek wohnt mit Familie seit Jahren am Görlitzer Park. Hier beschreibt sie ihr krassestes Erlebnis.
Berlin. Als sei einmal mit ihrer Tochter vor einem Restaurant an der Görlitzer Straße saß, kam ein Afrikaner angelaufen und setzte sich dazu. Hinter ihm drei andere, die Streit hatten mit dem Mann. Die Mutter redete auf die Verfolger ein, sie sollten sich woanders streiten, hier sei doch ein Kind am Tisch. Zwei gingen weg, aber einer zerschlug eine Bierflasche an der Tischkante, wollte auf den Verfolgten los. Nur mit Mühe gelang es der Mutter, einen blutigen Kampf zu verhindern.
So berichtet Antje Kapek von ihrem krassesten Erlebnis am Görlitzer Park. Die Grünen-Abgeordnete und Ex-Fraktionschefin ist Ur-Kreuzbergerin, lebt seit vielen Jahren mit ihrer Familie an der Görlitzer Straße, schaut aus dem Fenster direkt auf einen der größten Eingänge. Als persönlich betroffene Anwohnerin hatte sie sich lange rausgehalten aus der Debatte um wirksame Instrumente im Kampf gegen Drogenhandel und Gewalt, um Zaun, Mauerabriss und nächtliche Schließung, wie sie der schwarz-rote Senat nun anstrebt. Aber nun redet sie.
Früher gab es im Görlitzer Park vor allem Partydrogen, die Szene war wenig aggressiv
Lange hatte die Nachbarschaft das Treiben im Park kreuzbergerisch-gelassen mit angesehen. „Aber es geht jetzt ans eigene Sicherheitsgefühl. Das ist gekippt“, beschreibt die 47 Jahre alte Mutter zweier Kinder die Stimmung in ihrem Wrangelkiez.
Die Lage im Park habe sich stark verändert. Vor ein paar Jahren hätten dort auch schon viele Geflüchtete abgehangen, soziale Kontakte gepflegt. Damals gab es noch ein Camp am Oranienplatz und eine informelle Unterkunft in einer ehemaligen Schule an der nahen Reichenberger Straße. Es wurden meist Gras und Partydrogen an die Kundschaft aus aller Welt verkauft, die dann in die Clubs weiterzog. Das sei für die meisten Leute im Kiez harmlos gewesen.
Der Corona-Lockdown hat alles verändert. Eine harte Drogenszene hat sich etabliert
„Verändert hat es sich krass, als der erste Corona-Lockdown kam“, erinnert sich Kapek. Die Clubs waren dicht, Easyjet flog nicht mehr, die Brandenburger und Berliner Kids blieben zu Hause. Der Absatz der Dealer brach ein. Die Preise für harte Drogen sanken. Gleichzeitig wurde auf der U1 gebaut, ein Camp von Drogenabhängigen und Obdachlosen am Kottbusser Tor geräumt. „Auf einmal gab es im Park dann auch harte Sachen“, erzählt Kapek. Eine Junkie-Szene etablierte sich.Es geht um Heroin, Crack und Crystal Meth. „Da wurde es brisanter.“ Die Drogenhilfeangebote wie etwa der Konsumraum von Fixpunkt an der Reichenberger Straße reichten nicht mehr aus.
**Der Drogenhandel sei „professionell-aggressiv“ geworden. Dahinter steht eine ausgeklügelte Logistik. Die Händler werden an ihren Standplätzen sogar mit Essen versorgt. **Im Kiez gebe es seitdem viele Kellereinbrüche und Fahrraddiebstähle. Auch sie muss immer wieder morgens ihre Kinder im Treppenhaus an Drogensüchtigen vorbeilotsen, über Drogen-Abfälle und Fäkalien steigen. Das soziale Elend vieler Drogennutzer sei eklatant.
Der Park ist sauberer und grüner als früher, dennoch gehen viele Familien nicht rein
Tagsüber nutzen zwar immer noch viele Familien und andere Anwohner den Park. Es sei grüner und deutlich sauberer als früher. Die BSR reinige, es gebe den Fußballplatz für die Vereine, die Basketball- und Volleyball-Felder für den freien Sport, Tischtennisplatten, den Kinderbauernhof und Parkläufer.
„Aber viele Familien mit Kindern gehen nicht mehr in den Görli“. Der Nachwuchs soll nicht spielen, wo wenige Meter entfernt Erwachsene Crack rauchen. Sie selbst sei „so gut wie nie im Park“. Dabei hatten sich Kreuzbergerinnen und Kreuzberger seit den 1980-er Jahren dafür eingesetzt, das frühere Gelände des Görlitzer Bahnhofs zu einem Naherholungsgebiet im dicht besiedelten SO 36 zu machen.
Viele Dealer sind selber „total drauf“ und deshalb unberechenbar
Die Dealer unterteilt Antje Kapek in zwei Gruppen. Da seien die Profis, gut erkennbar an Markenklamotten und teuren Turnschuhen. Und dann gebe es andere, die selber „komplett drauf“ seien und unberechenbar in ihrem Verhalten.
Anders als manche in ihrer Partei will Kapek die Probleme des Aufenthaltsrechts, das perspektivlose junge Männer ohne Arbeitserlaubnis in die Kriminalität dränge, nicht allein die Schuld an der Verrohung geben: „Teilweise sind das böse Jungs“, sagt die zweifache Mutter. Das Problem, meint sie, sei die organisierte Kriminalität. Sämtliche Mafia-Gruppen der Stadt hätten es auf den lukrativen Markt abgesehen.
Anwohner beobachten Anzeichen von Beschaffungs-Prostitution auf den Hinterhöfen
Trotz der jüngsten Vorfälle von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigung von Frauen gilt der „Görli“ in dieser Hinsicht nicht als übermäßig gefährlich. Kapek geht aber von einer hohen Zahl von sexuellen Übergriffen aus, die nie angezeigt werden. Opfer würden die Kundinnen der Drogenhändler, manche bezahlten Drogen mit Sex. Die Anwohner sehen auch Zeichen von Beschaffungs-Prostitution. „Die prostituieren sich auf dem Hinterhof“, sagt Kapek.
„Ich bin die letzte, die sagt, es gebe hier keine Probleme“, fasst Kapek zusammen. Aber was Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nun planten, Zaun, Schließung, Videoüberwachung, davor hätten viele Leute im Kiez „panische Angst“. „Der Drogenhandel geht nicht weg, sondern er zieht in die Treppenhäuser“, fürchteten sie.
Nachbarn hätten „panische Angst“, dass der Drogenhandel nur verdrängt wird
Aus ihrer Sicht bedarf es einer stärkeren Verfolgung der kriminellen Hintermänner, einer grundsätzlich anderen Drogenpolitik und natürlich mehr Sozialarbeit. Wenn sich der Drogenhandel aber nicht eindämmen lasse, sollte die Stadt eine städtebauliche Lösung erwägen, einen Platz aussuchen, wo die Szene sozial verträglicher sei. Antje Kapek denkt mit Wehmut zurück: „Das war mal ein guter Ort, um mit Kindern hier zu leben“
Ende des zitierten Artikels.
Ohne Kinder sieht die Welt vielleicht noch anders aus.
Die Gefahr sehe ich ja auch. Es gibt aber wohl erstmal keine anderen Möglichkeiten. Es kann da nicht die ganze Nacht eine Hundertschaft berittner Polizei patroullieren.