Gefrorenes Bier zum zwoten

Nachdem Christof nochmal auf die versprochene Antwort gedrängt hat (Original-Artikel s.u.):

Ich habe inzwischen zwei Brauer befragt. Einer hatte überhaupt keine Ahnung (der wirkte auch so *g*, der hat uns in Düsseldorf durch den „Schöüssel“ geführt).

Der Zweite konnte schon mehr zu dem Problem sagen:
Die Tatsache, daß das vorher gefrorene Bier schaler geschmeckt, das heißt beim Öffnen mehr Kohlensäure abgegeben hat, konnte er sich logisch nicht ergründen. Er meinte, das sei Zufall. Normal dürfte in einem gefrorenen Bier nicht weniger CO2 sein als in einem gut gekühlten. Auf Nachfrage haben wir uns darauf geeinigt, daß wohl beim Auftauprozeß eine gewisse Menge CO2 entweicht, so viel, wie zwischen Flüssigkeit und Kronkorken paßt. Diese Menge CO2 entweicht beim Öffnen und macht wohl den Unterschied aus.
Was Eisbier angeht, meinte er, dies sei einfach eine Methode, mehr Alkohol in das Bier zu bringen, als in einem „normalen“ Brauvorgang möglich sei.

Ergo: Ich habe immer noch keine definitive Antwort auf die Frage erhalten, gebe mich aber mit dem erfahrenen zufrieden, da diese Frage wohl eine wirklich schwierige zu sein scheint. Und vielleicht war alles tatsächlich nur Zufall…

Gruß
Oskar van de Kaalstraat

…der Text ist etwas länger :wink:)

Lieber Oskar,

ich habe da eine - zugegeben späte - Idee:
Der offensichtliche Mangel an CO2 kann an der Unterschiedlichen Löslichkeit in flüssigen und festem Bier liegen.
Ich denke da an ähnliche Effekte im Eisen / Stahl : Kohlenstoff löst sich unter bestimmten Bedingungen recht gut im geschmolzenen Eisen, scheider sich aber beim Abkühlen an den Korngrenzen ab = Gußeisen, Grauguß.

Bier besteht fast nur aus Wasser (erschreckend, aber wahr !) und deshalb rede ich im folgenden von Wasser, auch wenn ich Bier meine:
CO2 in Wasser bedeutet eine Lösung in der der Sauerstoff des CO2 mit seiner negativen Teilladung und der Wasserstoff des H2O (positive Teilladung) sich anziehen und eine schwache Bindung eingehen. Die Bindungswinkel erlauben keine andere Kombination, da das CO2 -Molekül gestreckt gebaut ist (180°) : und die freien Elektronenpaare des Sauerstoffs sowohl beim Wasser wie auch beim CO2 eine Bindung C mit O (aus H2O)wegen ihres Platzbedarfs verhindern (sterische Hinderung).
Diese Wasserstoffbrückenbindungen geht aber das Wasser auch mit sich selbst ein, es existieren (temperaturabhängig) im flüssigen Wasser Molekülverbände unterschiedlicher Größe (Aggregate) neben einzelnen Molekülen. Das ist übrigens der Grund, warum der Siedepunkt von Wasser viel höher liegt als er in der Reihe der Chalkogenhydride (H2X, X = O, S, Se, Te) sein dürfte. Es wird ein viel höheres Molekülgewicht vorgetäuscht, was den Sdp. erhöht. Die anderen Elemente in der 6. HG können das nicht, da die Atome zu groß und die Elektronegativität zu klein ist.
Mit fallender Temperatur werden diese Molekülaggregate größer und mehr, ab einem bestimmten Punkt gefriert das Wasser und es entsteht eine starre Struktur (Kristall) in dem die vorher frei beweglichen Moleküle (und Aggregate) einen festen Platz einnehmen. (N.B. Daraus erklärt sich die Dichteanomalie des Wassers: die Dichte steigt zunächst mit fallender Temperatur, durchläuft aber bei 4°C ein Maximum um dann deutlich abzunehmen. Die Dichte von Eis ist geringer als die von Wasser. Ab 4°C nehmen die Aggregate (die bisher Platz sparten und so die Dichte erhöhten) bereits lokal und mikroskopisch Eisstruktur an, diese ist aber recht Raumgreifend und weitmaschig. Glück für die Erde: Wenn dem nicht so wäre, würden Gewässer von unten nach oben durchgefrieren und das mit dem Leben aus dem Wasser wär nix geworden.)
Zurück zum Thema. Solange genug freie Bindungsstellen für das CO2 da sind, ist die Löslichkeit nur durch die Energiesituation definiert: Heißer = höhere Bewegungsenergie = instabilere Bindung = leichtere „Flucht“ durch die Oberfläche in den umgebenden Gasraum. Mit fallender Temperatur steigt also die Löslichkeit des CO2 in Wasser. Gefriert das Wasser, so werden fast alle Sauerstoff- und Wasserstoffatome der Wassermoleküle Brücken untereinander bilden, da ja bei gegebener Temperatur (Gefrierpunkt) der Kristall die energetisch günstigere Anordnung darstellt. Das CO2 hat das Nachsehen, bis auf ein bißchen, das Platz im Kristallgitter findet (Okklusion bzw. Bildung eines physikalischen Käfigs = Klathrat) muß der Rest die - nun gefrorene - Flüssigkeit verlassen. Da das CO2 schlecht durch einen Feststoff durchkommt wird es sich zwischen den Eiskristallen ansammeln. Daher ist auch der Druck im Gasraum nach dem Gefrieren nicht so hoch, wie er sein müßte, wenn dort alles CO2 wäre, das würde auch keine Flasche aushalten.
Beim Auftauen findet sich das CO2 nun neben der Flüssigkeit wieder und nutzt die Gelegenheit in die Atmosphäre zu entweichen (Bedenke, daß das CO2 auch in der Brauerei nur mit Druck ins Bier zu zwingen ist !).
Das Bier ist schal.

Gestatte mir noch einen Sicherheitshinweis: Wenn Wasser in geschlossenen Gefäßen gefriert, so entsteht ein beträchtlicher Druck, Glasflaschen platzen meist bei dem Vorgang.
Ist die Flasche samt gefrorenem Inhalt noch heil, so ist sie äußerst labil und kann bereits beim Anfassen zerknallen. Ich rate Dir dringend: Schütze Dich bei solchen Versuchen zumindest durch eine Schutzbrille und ein paar solide Arbeitshandschuhe, fliegende Glassplitter sind eine teuflische Sache, die sehr schnell Augenlicht oder Sehnen und Pulsadern kosten können.

PROST !
Bernd

Tolle Antwort, gut erklärt.
Auch für Antichemiker geeignet.

Hartmut

P.S. zum Glück hat mein Wodka im Gefrierfach schon von Haus aus keine Kohlensäure :smile:

Hallo Bernd,

da schließe ich mich Hartmut an: Gute Antwort, Danke! Sehr plausibel!

Gruß
Oskar

Hi Bernd,

mir kommt da beim Lesen Deines Textes eine Frage: Taut das Bier in der Flasche auf, und tritt dort während dem Auftauvorgang der von Dir beschriebene Vorgang der CO2-Entweichung ein, dann würde der Druck im Gasraum so weit ansteigen, bis sich ein neues Gleichgewicht einstellt und kein weiteres CO2 mehr entweicht (sofern das die Flasche aushält). Dies wäre schnell geschehen und hätte keinen Einfluß auf den „prickelnden“ Geschmack, denn die überwiegende Gasmenge bliebe gelöst.
Läßt man die Flasche offen auftauen, dann sähe das anders aus. Ich bin leider nicht im Bilde wie der Versuch ursprünglich durchgeführt wurde.
Ich glaube aber grundsätzlich, daß das Eis als „Keim“ für die Ausgasung dient. Genau wie ein Trinkhalm in der Cola die Gasentweichung aufgrund seiner rauhen Oberfläche begünstigt, was sich an den dort bildenden Blasen zeigt. So bilden sich auch an der Eisfläche im schmelzenden Bier bevorzugt CO2-Blasen. Die Kinetik der Entgasung läuft nun einfach schneller, das ist alles.

Übrigens: Mit einer unkaputtbaren PET-Mineralwasserflasche habe ich es nicht geschafft den Inhalt im -18° Gefrierfach zum gefrieren zu bekommen. Erst nachdem man die Flasche herausnimmt und durch Öffnen entspannt gefriert der Inhalt schlagartig durch. Geil!
Beim Auftauen sprudelt es dann deutlich mehr als bei einer „Normalkühlen“ Flasche. Grund ist oben beschriebene Keimwirkung!

Gruß
Tom