Ich sehe ja die Notwendigkeit ein, bestimmte Informationen
geheim zu halten, z.B. für den Verteidigungsfall oder zur
Terroristenabwehr. Andererseits leben wir in einer Demokratie
und haben als Souverän das Recht, umfassend imformiert zu
werden.
Kleine Korrektur: Wir leben in einer repräsentativen Demokratie, in der die Staatsgewalt vom Volk unmittelbar (nur) durch Wahlen und im übrigen mittelbar durch besondere Organe, insbesondere das Parlament, ausgeübt wird. Ein Recht, umfassend informiert zu sein, hat daher nicht „das Volk an sich“, sondern vor allem das Parlament. Und das Parlament hat dazu auch passende Werkzeuge, darunter den Untersuchungsausschuß, der zu diesem Zweck zum Teil mit den Ermittlungsbefugnissen einer Strafverfolgungsbehörde ausgestattet ist.
Das abzuwägen ist schwierig und bedarf sicherlich
einer rechtlichen Regelung. Wie und wo ist also gesetzlich
geregelt, was zum Geheimnis erklärt werden darf und wie das zu
geschehen hat?
Soweit es um den Zugang zu Informationen geht, die bei staatlichen Stellen vorhanden sind, z.B. in den Gesetzen, die den Zugang der Bürger zu diesen Informationen regeln. Für Informationen auf Bundesebene siehe z.B. § 3 Informationsfreiheitsgesetz, speziell für umweltbezogene Informationen z.B. auch § 8 Umweltinformationsgesetz. Auf Länderebene wird es Vergleichbares geben.
Prinzipiell ist es natürlich auch möglich, dass eine Regierung
eine Regelung trifft, die für den Souverän (das Volk)
unvorteilhaft ist (als Beispiel: eine Regierung handelt mit
der Pharmaindustrie aus, dass keine Positiv- oder
Negativlisten erstellt werden) und deshalb flugs als geheim
eingestuft wird.
Wenn Regierungen etwas „regeln“, dann tun sie das meistens in Gesetzesform. Und Gesetze sind niemals geheim.
Gibt es gesetzliche Regelungen, um ein
solches Verhalten zu unterbinden?
Welches Verhalten? Das Treffen von Absprachen als solches oder das Geheimhalten von Absprachen, die man getroffen hat?
- Wie beurteilt Ihr den aktuellen Fall (Wickileaks)?
Was Wikileaks da gemacht hat - sorry, aber das muß ich so deutlich sagen - kotzt mich an:
Es ist völlig klar, dass eine Demokratie, die diesen Namen verdient hat, auch eine freie, unabhängige und kritische Presse braucht, die sich nicht scheut, Mißstände, die sie aufspürt, mit der nötigen Deutlichkeit - womöglich auch mit drastischen Mitteln - anzusprechen und öffentlich zu machen. Wie das aussehen kann, zeigt die langsam einsetzende Sekundärberichterstattung über dieses Thema. Im Spiegel zum Beispiel. Da werden die Dokumente gesichtet und ausgewertet, da wird wichtiges von unwichtigem getrennt und da werden die Ergebnisse journalistisch aufbereitet, kommentiert und in einen Kontext gestellt. Soweit das sinnvoll oder nötig ist, werden auch einzelne Originalfundstellen öffentlich gemacht. Und schließlich hat demokratische Pressearbeit auch etwas mit Verantwortung zu tun. Wenn die journalistische Bewertung im Einzelfall ergibt, dass die Veröffentlichung mehr Schaden anrichtet, als sie nützt, dann sollte sie unterbleiben.
Davon ist Wikileaks aber Lichtjahre entfernt. Wikileaks hat den ganzen Mist komplett und völlig unreflektiert ins Netz gestellt, ganz gleich, ob das einzelne Dokument über Kühe und spielende Kinder an der nordkoreanischen Grenze oder über Menschenrechtsverletzungen berichtet. Ich kann nicht den leisesten Ansatz irgendeiner substantiellen inhaltlichen Beschäftigung oder gar Strukturierung oder Analyse der Dokumente erkennen. Ich würde sogar wetten, dass niemand bei Wikileaks auch nur einen nennenswerten Bruchteil der Dokumente überhaupt gelesen hat. Man hat offenbar einfach veröffentlich, weil es geheim war und weil es auf den ersten Blick geeignet war, den einen oder anderen zu kompromittieren - was (leider) vielen schon Nachricht genug ist.
Das, was Wikileaks da gemacht hat, kann man am besten vergleichen mit jemandem, der in ein Rathaus stürmt, sich wahllos an Akten greift, was er kriegen und tragen kann, und die Akten anschließend und sogleich im vierten Stock aus dem Fenster wirft, ohne sich darum zu scheren, was in den Akten steht, wer was mit dem Akteninhalt macht und welche Folgen das haben könnte. Das ist keine demokratische (Presse-)Arbeit, das ist ebenso hirn- wie verantwortungsloser Vandalismus.
- Wie sieht es in Fällen aus, in denen Industrie und
Regierung ein kaum zu durchschauendes Konglomerat bilden?
Das gleiche, was gilt, wenn Industrie und Regierung kein kaum zu durchschauendes Konglomerat bilden:
Soweit es um Informationen und Unterlagen geht, die bei Behörden vorhanden sind, regeln die diversen Gesetze über den Informationszugang (IFG, UIG, u.a.), wer unter welchen Voraussetzungen was sehen bzw. erfahren darf. Allen Regelungen ist aber gemeinsam, dass Informationszugang auf diesem Level keine Bringschuld der staatlichen Stellen ist; wer Informationen will, muß sie sich vielmehr aktiv holen.
Soweit es um Informationen bei Rechtssubjekten des Privatrechts, also auch bei Unternehmen, geht, ist - das ist diesen Rechtssubjekten durch die Verfassung gewährleistet - nicht die Öffentlichkeit, sondern die Verschlossenheit ihrer Informationen und Unterlagen der Normalfall. Will man Informationen aus diesem Bereich an die Öffentlichkeit zwingen, braucht es dazu erstens eine gesetzliche Grundlage und zweitens eine vernünftige verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Und zum Teil gibt es das auch; beispielsweise sind nach dem UIG unter bestimmten Voraussetzungen auch Rechtssubjekte des Privatrechts auskunftspflichtig. Wo es das aber nicht gibt, gilt: Ohne rechtliche Grundlage kein Anspruch auf Informationszugang.
Das relativiert sich aber - gerade bei großen Infrastukturvorhaben - dadurch, dass derartigen Vorhaben immer Genehmigungs- bzw. Planfeststellungsverfahren mit umfassender Öffentlichkeitsbeteiligung vorausgehen. Da werden die Planungen im Detail transparent gemacht und alle Betroffenen haben Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen und ggf. auch Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
Die Verfahren werden allerdings in der Regel nicht im bundesweiten Fernsehen oder in der Bild-Zeitung annonciert, sondern meist nur im regionalen oder lokalen Umfeld - d.h. dort, wo die Betroffenen sind - bekannt gemacht. Wer also nicht ein gewisses Grundinteresse für die Geschehnisse in seinem Umfeld mitbringt, kann daher Gefahr laufen, dass ihm ein solches Verfahren entgeht. Dann kann es sein, dass dieser jemand - wenn endlich auch er mitbekommen hat, dass es das Vorhaben gibt (z.B. weil der erste Baum umgelegt wird) - feststellen muß, dass er mit seinen Einwänden nicht zum Zuge gekommen ist. Das ist dann aber aus meiner Sicht absolut in Ordnung.