Gehen mit ausgreifender Armbewegung oder umgekehrt

Hallo,

gestern sah ich in der Glotze kurz einen dokumentarischen Film aus Schwarzafrika. Da berichtete eine alte Frau, dass sie als Witwe bestimmte „Bräuche“ beachten musste wie niederknien, wenn sie auf der Straße gegrüßt wurde oder beim Gehen weder Schultern noch Arme bewegen.
Das Niederknien ist ja eindeutig eine Unterwerfungsgeste, aber was bedeutet der Gang mit starrem Oberkörper bzw. wie ist das Gegenteil, das Gehen mit starken Armbewegungen zu deuten?
Kennt sich jemand aus?

Gruß,
Paran

Hi,
Ohne jetzt den genauen Hintergrund zu kennen, ist das vermutlich auch ein Erkennungszeichen das der sozialen Entwertung dienen soll.
Ähnlich das hier:


Gibts den film noch in der Mediathek?
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Hallo,

der Film lief vor 3 Tagen, sollte also noch zu haben sein. Titel war, glaub ich: überall riecht es nach Schießpulver.

Gruß,
Paran

Hallo,

nach den letzten Angaben von @paranSelbst nachts riecht es nach Schießpulver auf arte.
(Die oben beschriebene Szene ab 00:16:58)

Gruß
Kreszenz

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Hallo Spürnase,

Danke Dir - wenn man die Gestik der Frau anschaut, braucht man nichts mehr zu deuten: Es geht schlicht darum, dass die Witwe öffentlich möglichst unsichtbar sein soll.

Interessanter fand ich nicht selbsterklärende Einzelheiten wie die, dass eine Witwe beim Essen nichts für andere übrig lassen darf.

Schöne Grüße

MM

Hallo,

das hieße also, geringere Armbewegung führt zu geringerer Aufmerksamkeit? Und starke Bewegungen entsprechend zu erhöhter Aufmerksamkeit bzw. entspringt dem Wunsch danach?
Allerdings passt das Niederknien nicht so recht zur Unsichtbarkeit - es fällt doch stark auf, wenn Menschen auf der Straße niederknien.

Gruß,
Paran

Sie kniet nieder, wenn sie angesprochen wurde. Also ist sie doch schon aus der Unsichtbarkeit heraus.

indigene Totenkulte

Im Fundus der Riten und Mytheme indigener Völker - nicht nur afrikanischer - finden sich unter anderem immer auch Bestimmungen a) über den kultischen Umgang mit Toten und b) über die Bedeutung und die kultische Funktion der Ehe.
Dieser Fundus zerfiel und zerfällt aber im Laufe der Geschichte: Einerseits durch systematische Zerstörung durch radikale christliche Misionierung (römisch-katholische jahrhundertelang und in neuerer Zeit vor allem durch Evangelikale) und (vor allem im nördlichen Teil Afrikas) durch islamischen Einfluss. Anderseits durch die Auflösung der Dorf- bzw. Stammesgemeinschaften durch Abwanderungen, woduch dann mit dem Aussterben der jeweiligen Stammes-Ältesten auch die Weitergabe des kultischen Wissen über die Bedeutung der Riten und Kulthandlungen ausstirbt und dadurch auch die Konsistenz der Riten zerbröselt.

Zu dem Umgang mit den Toten zählt (als sozusagen weltweiter Standard), daß die Geister der Toten einerseits verehrt werden, anderseits eine Gefahr für die Lebenden darstellen. Es muss daher verhindert werden, daß die Toten aus dem Totenreich wiederkehren.

Einen Rest solcher rituellen, aber offenbar nicht mehr verstandnenen Bestimmungen gibt es auch in dem (leider nicht näher bezeichneten) Stamm in diesem Film: Der Teller des toten Ehemannes wird zerschlagen. Und „alle seine Gegenstände sind mit ihm gegangen . die Toten nahmen ihre Habe mit“. Eine charakteristische Symbolhandlung, wodurch verhindert wird, daß der Tote „an seinen Platz“ im Haus der Familie zurückkehrt.

Bezüglich des Umgangs mit der Ehe eines gestorbenen Ehemannes gib es zwei sich überlagernde Mytheme: Da der Geist des Toten keine Macht über die lebende Dorfgemenschaft haben darf, darf auch die Ehefrau nicht mehr am Leben der Gemenschaft teilnehmen, denn durch sie wäre der „Kanal“ in die reale Lebenswelt ja offen. Und weiterhin muss das Treueverhöltnis zwischen den Ehepartnern (und damit überhaupt die Ehe) erhalten bleiben. Da die Witwe aber nun „die Frau des Toten“ ist, muss auch sie den (zumindest sozialen) Tod sterben: Eine extreme Form davon ist die Sati, die Witweenverbrennung, die auch heute noch in zahlreichen hinduistischen Volksstämmen Indiens praktiziert wurd.

Beide Komponenten einer solchen „Ehe mit einem Toten Ehemann“ scheinen nun auch in der Erzählung der alten Frau in dem Film zur Sprache zu kommen. Sie stirbt „wie es früher Brauch war“ einen sozialen, also quasi symbolischen Tod. Die erzwungene unnatürliche Weise, wie sie sich bewegen muss, daß sie am Gemeinschaftsleben nicht mehr teilnehmen darf. Das mit dem „Hinknieen bei Begrüßung“ - ich zweifle, ob das eine korrekte (sowieso im Film oft skurrile) Übersetzung der Worte der Alten ist (Ihre Sprache ist nicht Swaheli, sondern eine von unzähligen lokalen Sprachen und Dialekten in Südost-Afrika). Es dürfte sich um eine jedenfalls nicht sozialkompatible Körperhaltung bei überhaupt einer physischen Begegnung mit einem Dorfbewohner gehandelt haben (die Frau deutet eine Neigung ihres Kopfes bei diesen Worten an).

Die Bedeutung des Ganzen ist jedenfalls in den genannten zwei totenkultischen Mythemen zu finden. Charakterisch, daß die Alte selbst die Bedeutung bzw. Begründung nicht weiß:

„Wozu diente dieser Brauch?“
„Unsere Vorfahren machten das eben so … es gab eben Bräuche, die befolgt werden mussten“

Gruß
Metapher

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Danke Dir für die Erläuterung des Zusammenhangs - damit wird auch klar, weshalb die Witwe kein Essen für andere übrig lassen darf: Der verstorbene Gatte könnte sich für dieses Essen als Erster interessieren…

Schöne Grüße

MM

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Schon möglich. Aber auch hier zweifle ich, ob der deutsche Untertitel den Satz der Alten sinnvoll wiedergibt. Deutsche Übersetzung des frz. Untertitels - und der wiederum eine Übersetzung aus einer von zig Bantu-Sprachen, die die Alte spricht (da das Dorf in der Umgebung von Manhiça liegt, also weit im Süden Mosambiks, wird es Xitsonga sein). Und selbst wenn der Enkel die Sprache offenbar noch versteht: Die ausgestorbenen Riten versteh er nicht mehr. Sonst würde er nicht so naiv fragen „Du hast es zugelassen, daß der Teller deines Mannes zerschlagen wurde?“ Als ob es bei diesen indigenen Riten für ein einzelnes Stammesmitglied Handlungsalternativen gäbe …

Ich vermute eher, gemeint war, daß andere von der Witwe keine Speisen annehmen durften und sie sie daher auch nicht anbieten durfte.