Gehörloses Kind. Wie gehe ich damit um?

Wir haben ein Kind bekommen und es hat eine vollständige Innenohrschwerhörigkeit. Wir beide haben sowas noch nie in unserer Familie oder im Bekanntenkreis gehabt und sind nun etwas überfordert. Wir belegen jetzt natürlich sofort Zeichensprach-Kurse, doch wie schaffen wir es unser Kind einigermaßen normal zu erziehen? Es wird wohl auf eine Sonderschule, bzw Kindergarten müssen, doch wie fördert ihr euer kind gut in den Alltag einzubinden? Also auch mit nicht-tauben Menschen? Oder kommt das von ganz allein? Wir sind einfach überfordert und würden gerne etwas planen, um uns selbst zu beruhigen…

Ihr habt ein Kind bekommen - meinst du, ihr als Familie habe ein Baby bekommen, oder ihr als Gruppe habt ein neues Gruppenkind dazu bekommen?
Wenn ihr die Eltern seid, werdet ihr doch von Arzen und Fachleuten Stellen genannt bekommen, an die ihr euch wenden könnt?
Wahrscheinlich wird für das Kind eine Frühförderumg empohlen werden - dort bekommt auch ihr als Eltern qualifizierten Rat, wie ihr das Kind am besten fördert. Ihr könnt auch googeln nach Selbsthilfegruppen für Eltern gehörloser Kinder - eine unschätzbare Quelle von Informationen.
Insgesamt werdet ihr als Eltern schnell da reinwachsen. Gehörlosigkeit ist keine Katastrophe, das Kind kann sich bei entsprechender Förderung normal entwickeln. Und da es zunehmend Inklusionsschulen gibt, ist auch nicht gesagt, dass es auf eine Sonderschule gehen muss.

Ich arbeite an einer Schule, die Erzieherinnen ausbildet und habe häufigen Kontakt mit sonderpädagogischen Einrichtungen - so auch mit Einrichtungen für Menschen mit Hörbehinderung.

Wenn der Hörnerv intakt ist, besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Versorgung mit einem Cochlea-Implantat. Ein solches ermöglicht dem Kind ein weitgehend normales Hineinwachsen in die Welt der Hörenden. Aber das wird sicherlich der Arzt bereits mit euch besprochen haben.

Ist das nicht möglich, ist das Erlernen der Gebärdensprache ein ganz wesentlicher Faktor für die Kommunikation. Sie macht auch zusätzlich zu einer Versorgung mit einem CI großen Sinn, da sie - wie das Beherrschen einer Fremdsprache - die Entwicklungs- und Teilhabemöglichkeiten des Kindes deutlich erhöht.

In jedem Fall rate ich dazu, das Kind möglichst frühzeitig in einer sonderpädagogischen Einrichtung für Menschen mit Hörbehinderung anzumelden - egal ob mit oder ohne CI.

Die Gründe:

  • Ihr als Eltern erhaltet wertvolle Anregungen und Hilfestellungen für den bestmöglichen Umgang mit der Hörberhinderung.
  • Die Kindertageseinrichtungen haben kleine Gruppen und eine Menge Möglichkeiten zur Einzelförderung und Therapie. Zudem verfügen sie über besonders geschultes Personal. In aller Regel sind auch Schulen angeschlossen, so dass die Kinder die Chance auf eine optimale schulische Förderung haben.

Die Schulen haben kleine Klassen und neben der Lehrkraft meist zusätzliche pädagogische Fachkräfte für die Differenzierung. Zudem sind sie mit technischen Hilfsmitteln ausgestattet, die die Kinder im Alltag unterstützen können.

All das können Regelschulen - auch mit Inklusions-/ Integrationsanspruch - niemals bieten. Die personelle und materielle Ausstattung der Sonderschulen ist in aller Regel um Klassen besser als die jeder Regelschule.

Ich weiß, dass es für Eltern, deren Kind mit einem Handicap geboren wurde, immer ein mühsamer und oft schmerzhafter Prozess ist, dieses anzunehmen (nicht das Kind, sondern die Tatsache, dass es in gewisser Weise anders sein wird, als andere Kinder). Daraus folgt fast immer das Bemühen, das Kind bestmöglich ins „normale“ Leben integrieren zu wollen.

Das ist nicht grundsätzlich schlecht - im Gegenteil: Die Teilnahme am normalen gesellschaftlichen Leben ist enorm wichtig. Aber: Gerade in KiTa und Schule wird Kindern oftmals einiges an Entwicklungsmöglichkeiten genommen, wenn man die Regeleinrichtung der sonderpädagogischen vorzieht.

Gerade Kinder mit Hörbehinderungen und normaler oder sogar hoher Intelligenz erleben sich in Regeleinrichtungen schnell als „minderbemittelt“ . Sie sind immer irgendwie anders als die anderen und können an deren Kommunikation nicht auf die gleiche Weise teilnehmen. Das führt häufig dazu, dass das Selbstwertgefühl immer mehr in den Keller rutscht. Nicht selten bleiben hörgeschädigte Kinder, die in Regeleinrichtungen gehen, weit hinter ihrem eigentlichen Leistungsvermögen zurück.

Besonders bei völlig tauben Kindern erlebe ich die Gebärdensprache als etwas Existenzielles und sehr Bereicherndes. Für euch wird sie die Brücke in die Welt eures Kindes werden, welches die Welt auf völlig andere Weise wahrnimmt, als ihr es tut. Der Besuch einer sonderpädagogischen Einrichtung ermöglicht dem Kind zudem, sich „normal“ zu fühlen. Das nimmt besonders in Sachen Schule viel an Druck.

Für den Ausgleich und die Gesellschaft hörender Kinder könnt ihr gut in der Freizeit sorgen.

Da Kinder ihre Freunde häufig über Kita und Schule finden, wird auch euer Kind seinen Freundeskreis entwickeln - und der wird mit zunehmendem Alter mit hoher Wahrscheinlichkeit aus mehr hörenden als aus gehörlosen Menschen bestehen.

Auch wichtig: Eltern von Kindern mit Handicaps haben oft die Neigung, in Sachen Erziehung sehr nachgiebig zu sein. Irgendwie scheint in ihren Köpfen die Idee zu spuken, dass das Kind wegen seiner Behinderung ja schon genug zu tragen hat und deshalb nicht auch noch negative Sanktionen erleben muss.

Das ist in den Auswirkungen fatal, denn darin unterscheidet sich ein Kind mit Behinderung nicht von einem ohne: Wenn die Grenzen fehlen und die negativen Konsequenzen auf unerwünschte Verhaltensweisen ausbleiben, entwickelt sich das Kind zu einem sozial unverträglichen, zickigen und tyrannischen Zeitgenossen. Die Eltern empfinden das dann oft so, als würde das Kind aufgrund seiner Behinderung ausgegrenzt, in Wahrheit lehnt die Umwelt aber nur das schlechte Benehmen ab.

Das wichtigste Stück Normalität, das ihr eurem Kind also mitgeben könnt ist, es ebenso liebevoll-konsequent zu erziehen, wie ihr das auch bei einem hörenden Kind tun würdet.

Habt Vertrauen in euch, eure Liebe und euer Kind. Alles andere wird sich finden.

Jule

In letzterer wäre es wesentlich besser aufgehoben. Inklusion, so wie sie in unserem Land betrieben wird, funktioniert nicht einmal ansatzweise.

Es fehlt an qualifiziertem Personal, an technischer Ausstattung und an flexiblen Lehrplänen. Im Ergebnis sehen wir eine überforderte Lehrkraft in einer Klasse mit 25-30 Kindern, unter denen die „Inklusionskinder“ zusehen müssen, dass sie überleben.

Jule

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