Geistheilerin Dagmar Kuhnert aus Meersburg

Stanislawski > Grotowski > Moreno > Satir

Das ist wirklich so, dass mit solchen Aufstellungen ziemlich intensive Emotionen aufkommen können.

Jeder Schauspieler weiß das. Und jeder Regisseur benutzt das in der Choreographie.

Die Grundlagen dafür hat Konstantin Stanislawski vor einem Jahrhundert in seiner für die Schauspielkunst und -schule revolutionären Arbeit entwickelt („psychophysische Handlung“. Später beschrieben in seinen Werken: „Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst“ und „Die Arbeit des Schauspielers an seiner Rolle“).

Jerzy Grotowski („Das arme Theater“) und Antonin Artaud („Théâtre de la cruauté“) haben es weiter für die Bühne entwickelt und Lee Strasberg in seiner Schulmethode („Method acting“).

Habs selbst als „Selbsterfahrung“ im Psychodrama erlebt, was ja ähnlich ist.

Das ist nicht nur ähnlich, sondern Jakob Moreno hat es in den 40ern als erster aus dem Stegreiftheater aus den o.g. genannten Voraussetzungen als psychotherapeutische Methode entwickelt, woraus dann das „Psychodrama“ wurde. Ihm folgte dann Virginia Satir mit ihrer „Familienskulptur“. Und dann baute es die Systemische Therapie in ihre Verfahren ein.

Gruß
Metapher

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Warum das funktioniert…
Der jüngst verstorbene US-Philosoph Prof. Richard Rorty glaubt auch zu wissen, warum das nach Stanislawski und den sich daraus abgeleiteten Psychotherapiemethoden wie Gruppentherapien, Psychodramen, Familientherapien und Aufstellungen sowie Systemische Therapien etc. funktioniert:

„Der Vorteil, den belesene, reflektierte Menschen mit Muße haben, wenn es um Entscheidungen… geht, besteht nicht darin, dass sie vernünftiger sind, sondern darin, dass sie mehr FANTASIE haben. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie sich nicht nur über EINE…, sondern über VIELE mögliche praktische Identitäten im klaren sind. Solche Menschen sind dazu in der Lage, sich in VIELE, ganz verschiedene Personen hineinzuversetzen.“ (Heraushebung = CJW).

Moreno, Satir und Hellinger & Co. haben die ursprüngliche Methode für „gesunde“ Menschen zu einer multiplen Identifikation in weiterführende Methoden für „gestörte“ Menschen umgewandelt. Wobei Hellinger als ehemaliger Theologe vielleicht der schwächste Propagandist ist/war zur Selbstentwicklung.

CJW

Hi,

aber es bedeutet, dass der Kranke selbst Schuld ist. Er muss
sich doch nur für das Gesundwerden entscheiden.

Was auch nicht ganz unerheblich ist. Aber ich sehe deinen Punkt, dass man es nicht nur daran festmachen kann. Vor allem wenn es so rüberkommt, dass die Heilerin zwar Kohle kassiert aber keinesfalls irgendeine Verantwortung übernimmt.

Grüße,
JPL

Hallo!

Aber gerade diese Passage finde ich ganz ok.

Hi,
aber es bedeutet, dass der Kranke selbst Schuld ist. Er muss
sich doch nur für das Gesundwerden entscheiden. Das werfen wir
dem Kranken dann einfach vor, wenn es nicht klappt - oder
vielleicht dass es noch eine alte Rechnung aus dem früheren
Leben ist?

Schon klar, dass man das dann auch „missbrauchen“ kann.
Dennoch halte ich es generell für richtig, dem Patienten von vorne herein klar zu machen, dass er es ist, der ‚sich gesund machen‘ muss, und dass der Therapeut nur ein Anstoßgeber sein kann.

All die Psychotherapierichtungen, die sich als „wachstumsorientiert“ bezeichnen (das sind die Gesprächstherapie, das Psychodrama, die Systemische Therapie, z.T. auch die psychodynamischen Verfahren) würden den Satz unterschreiben.

Grusz
Tyll

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Hallo!

… (und hat auch nicht per se mit Hellinger zu tun).

Wobei diese von dir verlinkte Seite
http://www.familienaufstellung.org/aufstellungsarbeit
genau das sogar im ersten Satz behauptet.

Der Link war ja auch auf den Hauptsatz bezogen, nicht auf die Parenthese.

Es ist natürlich Unsinn. Hellinger hat das aus der
Systemischen Therapie sozusagen geklaut, es dann als
selbsterfundenes Verfahren propagiert und eine
unverantwortliche Prozedur daraus gemacht.

Das ist jetzt aber auch sehr vereinfacht gesagt.
Die Forschungsarbeit Hellinger erfährt durchaus einige Wertschätzung.
Zum Beispiel seine Einbeziehung des Loyalitäten-Ansatzes Böszörményi-Nagys in die Aufstellungsarbeit.

Aus diesem Grund
hat die Systemische Therapie ihn auch rausgeschmissen und sich
explizit von ihm distanziert.

Hier die Stellungnahme der DGFS für Interessierte zum Nachlesen:
http://www.dgsf.org/themen/berufspolitik/hellinger.htm

Gruzs
Tyll

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Hallo!

Habs selbst als „Selbsterfahrung“ im Psychodrama erlebt, was ja ähnlich ist.

Das ist nicht nur ähnlich, sondern Jakob Moreno hat es in den
40ern als erster aus dem Stegreiftheater aus den o.g.
genannten Voraussetzungen als psychotherapeutische Methode
entwickelt, woraus dann das „Psychodrama“ wurde. Ihm folgte
dann Virginia Satir mit ihrer „Familienskulptur“. Und dann
baute es die Systemische Therapie in ihre Verfahren ein.

Die Systemische Aufstellungsarbeit ist aber nur teilweise von Satir beeinflusst (wie wiederum Satir nur teilweise von Moreno beeinflusst ist; und Moreno nur teilweise vom Stegreiftheater), mindestens genauso von dem was Stierlin in Heidelberg gemacht hat, oder eben -ich sagte es oben bereits- von den Arbeiten Böszörményi-Nagys. Dazu kommen noch Leute wie Minuchin oder wie Selvini Palazzoli und die anderen Mailänder.

So linear wie von dir dargestellt ist diese Entwicklungslinie sicher nicht zu verstehen.

Von daher bestehe ich mit Nachdruck auf meine Formulierung „es ist ähnlich“ :wink:

Grusz
Tyll

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Grazie
Hi ihr zwei,

danke für euer erhellendes Fachgesimpel. :smile:
Eine Frage hätte ich noch:
wie erklärt sich denn die Fachwelt diese
Phänomene? Dynamiken des kollektiven Unbewussten?
Wobei meine Überlegungen noch bei diesem „ähnlich“
verweilen! Ist es derselbe Automatismus, der
einerseits ein fiktives Drehbuch emotional
umsetzt oder andererseits eine im Gedächtnis
gespeichterte und gegebene, emotional-belastende
Situation wiedergibt?
Und besteht zwischen fiktiv und faktisch kein Unterschied?

Gruß
Paul

Heilserwartung??
Beispielsweise eine Krebserkrankung im letzten Stadium? Heilung von Kindheitsproblemen, Traumata, Burnout, Platz-, Flug- oder Höhenängsten, Wasch-, Putz- oder Kratzzwängen, Stottern, Bettnässen, Sexualproblemen oder von geistigen Problemen, wie z. B. vom Teufel oder von bösen Geistern besessen, Heilung übermäßiger Aggressionen, Rassismus, Fremdenhass etc.? Was genau ist dein spezielles Problem der Heilserwartung??

Oder willst evtl. selber im weiter wachsenden Esoterik-Markt mitmischen als Geistheiler(in)???

CJW

Hi :smile:

So linear wie von dir dargestellt ist diese Entwicklungslinie sicher nicht zu verstehen.

So linear war es ja auch nicht gemeint. Eher ein paar Stationen in der Landschaft. Ideengeschichte ist eh not at all linear, sondern immer ein komplexes Gewebe, da sowohl die Kontexte als auch die Deutungshorizonte sehr unterschiedlich sein können.

Von daher bestehe ich mit Nachdruck auf meine Formulierung „es ist ähnlich“ :wink:

Es sei dir belassen :smile: Bei mir liegt der Fokus bei diesem Thema halt mehr bei dem, was in allen angetippten Kontexten gleich ist. Und dazu gehören die psychischen Auswirkungen auf jeweilige Probanden, Mitspieler und Zuschauer.

Gruß
Metapher

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Hallo!

Wobei meine Überlegungen noch bei diesem „ähnlich“
verweilen! Ist es derselbe Automatismus, der
einerseits ein fiktives Drehbuch emotional
umsetzt oder andererseits eine im Gedächtnis
gespeichterte und gegebene, emotional-belastende
Situation wiedergibt?

Ich würde schon unterscheiden wollen zwischen -als zwei Pole zu verstehen- einerseits der freien ‚Externalisierung psychischer (unbewusster und vorbewusster) Vorgänge‘ und andererseits einem ‚Sich-Einfühlen in eine Rolle‘, bei dem man zwar auch an eigenes psychisches Material anknüpft, dieses aber nicht eigenständig zur Darstellung bringen kann, sondern nur in Kombination mit dem vorgegebenen Rollenspiel.

Intensive Emotionen freisetzen kann freilich beides gleichermaßen.

Und besteht zwischen fiktiv und faktisch kein Unterschied?

Doch, sonst wäre das ja eine sehr psychotische Angelegenheit.

Grusz
Tyll

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Theater und Katharsis
Hi Paul,

wie erklärt sich denn die Fachwelt diese Phänomene?

das kommt auf die Fachwelt an. Der ideengeschichtliche Ausgangspunkt liegt in der Erfindung der griechischen Tragödie, speziell bei Sophokles, Aischylos und Euripides, in der der Proband ohne Möglichkeit der freien Wahl von den Göttern in einen ausweglosen Konflikt (aporia) versetzt wird, den er nicht lösen kann, ohne auf die eine oder andere Weise schuldig zu werden („unschuldig schuldig“, Sophokles: Antigone). Dabei werden die Versuche, sich aus der Verstrickung zu lösen, von einem Chor kommentiert und aus verschiedenen Gesichtpunkten beurteilt. Die Frage von Schuld und Vergebung wird dann oft als Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Göttern (z.B. Athena und Apoll) abgehandelt.

Dem Chor kommt dabei eine sehr entscheidende Rolle zu. Er rahmt das Geschehen nicht nur rein choreographisch ein, sondern stellt zu dem Geschehen zugleich verschiedene Außenperspektiven dar. Ähnlich wie bei Brechts Verfremdungseffekt steigt er oft aus dem Geschehen aus und schaut es sich von außen an.

Aristoteles interpretiert dann in seiner Poetike (Buch VI) dieses Bühnengeschehen mit Hilfe seiner Katharsis-Theorie (katharsis = Reinigung, Befreiung) in hauptsächlich zwei Momenten: Die Transposition des affektschwangeren Geschehens und Handelns auf die Bühne (als Reflexionsebene) einerseits, und die Teilhabe (methexis) des Zuschauers durch Identifikation mit dem Probanden, in den er metaphorisch eigenes Affektgeschehen projizieren kann.

Durch diese doppelte Funktion (auch wenn das SO deutlich bei Aristoteles noch nicht zur Sprache kommt) der Tragödie:

  1. die Bühne, die aus der geografischen Landschaft transzendiert wird in ein Nirgendwo (outopia)
  2. das Bühnengeschehen, das aus der Historie transzendiert wird in eine universelle (also metaphorisch für jeden Zuschauer gültige) Zeitebene
    wird das Theater zu einem Ritual in einem therapeutischen „Hier und Jetzt“, in dem Befreiung von belastenden Affekten stattfinden kann. Insofern hat das Theater dieselbe Funktion wie in religiösen Kontexten die Rituale.

Diese Theorie macht dann in der gesamten Geistesgeschichte Karriere. Wikipedia gibt in den Artikeln „Katharsis (Literatur)“ und „Katharsis (Psychologie)“ recht gute Überblicke. Jedenfalls bleibt die aristotelische Interpretation dabei im Großen und Ganzen eine Konstante. Hierzu ganz wichtiges Beispiel: Die Theateraufführung des Hamlet mit seinen Freunden innerhalb des Dramas „Hamlet“. Dort macht Shakespeare diese wahrheitsfindende und therapeutische Valenz des Schauspiels deutlich.

Erst Stanislawski bringt mit seiner Schule der Schauspielkunst neue Momente herein (für den Schauspieler und auch für den Zuschauer), indem er aus der bloßen formellen mimischen Nachahmung emotionaler Konturen zur aktuellen Identifizierung übergeht: Der Spieler HAT in actu der Aufführung die entsprechenden Emotionen. Er ahmt sie nicht nur mimisch und gestisch nach.

Mit der Umkehrung dieser Struktur ist der Weg frei für die psychotherapeutische Variante: Tatsächlich vorhandene Affekte können als Theaterstück inszeniert werden und öffnen sowohl dem Probanden als auch, auf demselben Wege, den Mitspielern durch die Transposition auf die „Bühne“ und in das „Hier & Jetzt“ des aktuellen Spielens einen Weg zur Befreiung.

Soweit mal aus meiner Sicht das story board.

Gruß
Metapher

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Erst Stanislawski bringt mit seiner Schule der Schauspielkunst
neue Momente herein (für den Schauspieler und auch für den
Zuschauer), indem er aus der bloßen formellen mimischen
Nachahmung emotionaler Konturen zur aktuellen Identifizierung
übergeht: Der Spieler HAT in actu der Aufführung die
entsprechenden Emotionen. Er ahmt sie nicht nur mimisch und
gestisch nach.

Dadurch sollen sich sowohl Produzierende (Schauspieler) als auch Rezeptierende (Zuschauer) die durch die Kunst enstehenden emotionalen Strukturen, die zuvor nur „objektiv“ waren, in das eigene (Selbst-) Bewusstsein integrieren. Darüber hat vor allem als postmoderner(!) deutscher Philosoph schon vor über 100 Jahren Friedrich Nietzsche lebenslang nachgedacht, bei seiner Orientierung immer wieder an der griechischen Kultur (vgl. hierzu sein Werk „Die Geburt der Tragödie“) wonach erst dann danach allesamt die modernen Psychotherapiemethoden evolvierten.

In der heutigen Mediengesellschaft scheint mir aber die Katharsis viel zu einseitig reduziert nur auf negativen Emotionsabbau zu sein (für „Gestörte“). Statt dessen plädieren postmoderne(!) Philosophen über die psychologische Wirkung der Katharis hinaus für eine positive Emotionenstrukturierung mit Hilfe einer global vernetzten (Medien-) Kultur.

(Siehe hierzu auch zum Beispiel „Mensch und Struktur“ des tschechischen Philosophen Kvétoslav Chvatík, der an der Universität Konstanz Ästhetik lehrt).

CJW

etwas ot
Hi.

Und dazu gehören die psychischen Auswirkungen auf
jeweilige Probanden, Mitspieler und Zuschauer.

Ich ziehe hier immer noch analoge Vergleiche
aus meinem täglichen Umfeld, wo sich mit bestimmten
Leuten eben immer wieder mit unterschiedlichen
anderen Leuten, die selben Dynamiken quasi
selbstständig installieren.

Wie wird man Herr solcher teils recht destruktiver
und kontraproduktiver Automatismen, wenn man eben
die Dinge nicht ansprechen kann, weil man diplomatisch
sein muss oder nur Ausflüchte kommen.

Ich suche da so eine „Metaebene“, aus der man
aus dieser Involvierung „austreten“ kann.
Daher mein Interesse.

Aber das ist jetzt wohl nicht der geeignete Ort.

Danke nochmals für eure große Mühe!

Gruß
Paul

Guten Tag, habe selbst Erfahrungen gemacht. Als ich kritisch wurde und selber eine Theorie vertreten habe, hat sie die „Behandlung“ abgebrochen.