Gesellschaftliche 'Urängste'

Hallo Wissende,

folgende Frage ist bei mir eben in einer Diskussion aufgekommen.

Ich habe den Eindruck, dass es gesellschaftliche Urängste gibt, die über Generationen überliefert werden.

Beispiele für mich:
Beulenpest - eine eigentlich hier weitgehend besiegte Krankheit, die mir zumindest alleine bei der Nennung angst macht, zumindest mehr, als eigentlich derzeit bedrohlichere Krankheiten (z.B. Grippe)
Russen - als Bedrohung aus dem WW2
Türken - als Bedrohung aus der Expansion des osmanischen Reichs heraus.

Nicht jedes dieser Beispiele ist gleich wirksam, nur meine ich wahrzunehmen, dass ich irgendwie automatisch eine unterschwellige Information aus der Vegangenheit bekomme und deshalb eben nicht wirklich vorurteilsfrei bin.
Was mich dabei überrascht: Ich habe keine besonderen (ggf. familiäre) Belastungen, die eine gewisse Angstübertragung über Generationen verständlich für mich machen würde.

Nehmen das andere ähnlich wahr? Wenn dies so wäre (eben im Gespräch wurde es mir zumindest signalisiert), gibt es Theorien, wie solche eigentlich recht konkreten Ängste über Generationen transportiert werden?

Grüße
Jürgen

wenn ich hierzu ein wenig brainstorming betreibe, fällt mir so einiges ein, das man kulturell-gesellschaftlich unter angst-vorzeichen sehen könnte… wenn man wollte…

bitte jedoch folgende aufzählung nicht ganz ‚tierisch ernst‘ sehen. ist nur ein sich immermal wieder aufdrängender gedanke.

z.b. glaube ich, dass in unserer kultur -zumindest traditionell- eine wirkliche angst vor zu starkem gebrauch von GEWÜRZEN herrscht. in verbindung mit der scheu vor dem, was man nicht kennt (was allerdings eine universelle angelegenheit íst), neigen wir deutschen, so wie ich sie/uns kenne, doch zu einer gewissen ANGSTHAFTIGKEIT, es könne irgendetwas dominant und schädlich eine art vorgestellt ‚natürlichen wohlgeschmack‘ der speisen verändern -ganz im gegensatz z.b. zur indischen küche, bei der z.b. allein mit über 40 voneinander unterschiedenen CURRY-würzungen gerichte bis zu einer art individuellen kunst einzelner meister angereichert werden.

auch das westliche erhöhte SCHLAFEN auf betten, ENTFERNT VOM BODEN, hat vielleicht ein wenig mit einem VERZAGTEN bedürfnis nach sicherheit
-einer art podest, auf dem man sich bettet- zu tun. UNTEN auf dem boden schlafen hier nur arme leute, bei denen es zur matratze und nicht zum standesgemäßen lattenrost reichte, oder eine ‚erhöhte‘ schicht, die schon wieder ein wenig über der kulturgebundenheit steht und futons kauft.

die angst, BEOBACHTET zu werden verleitet noch heute viele deutsche zum gardinenkauf als pflichtübung (fernab eigentlichen schmückens), denke ich. auch bereits während des hausbaus führt dies z.b. im vergleich mit unserem nachbarn NIEDERLANDE zur erstellung durchschnittlich KLEINERER fenster in deutschland (!im ernst! schon mal drauf geachtet?)

eine angst ZU VERSAGEN ist auch sehr verbreitet, im allgemeinen leistungsdruck. schüler begehen selbstmord nach zeugnissen. müsste eigentlich ja nicht sein, das denken, ohne verdammtes immer-weiter-immer-höher-kommen wäre kein persönlicher weg aus dem moment heraus möglich.
ebenso der ANPASSUNGSDRUCK, in alltäglichen dingen alles ‚RICHTIG‘ zu machen, überhaupt ‚RICHTIG‘ auszusehen und zu sein, z.b. beim sex alles ‚RICHTIG‘ zu machen und eine art leistung zu erbringen.

und und und
(mal so als GANZ ALLTÄGLICHE beispiele, fernab der schlimmen vorgestellten krankheiten und der ach so bösen fremden leute).

hoffe, zum interessanten thema etwas beigetragen zu haben

  • lieben gruß
    i.i.a./christian

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Hallo i.i.a/Christian,

Du hast recht, es gibt eine Menge Dinge, die irgendwo Brauchtum sind, aber, wenn man sie ändert, ersteinmal für ein seltsam ängstliches Gefühl sorgen.

Derzeit frage ich mich einfach, warum mir und anderen die eigentlich objektiv betrachtet weitgehend ungefährliche Pest einen größeren Schauer über den Rücken laufen läßt als die Grippe, die in den letzten hundert Jahren deutlich gefährlicher war und auch gefährlich bleibt.

Gibt es so etwas wie kulturelle Vererbung von Ängsten vor existentiellen Bedrohungen? Oder reichen die eigentlich kaum beachteten Pestaltäre in den Kirchen, die selten gehörten Geschichten über die Pestepedemien des Mittelalters etc. aus, um auch heute noch für Angstgefühle zu sorgen?

Hmh…
Grüße+Dank
Jürgen

hallo jürgen,

ohne, dass ich in dieser richtung WIRKLICH sonderlich informiert wäre… …denke ich, dass es in bezug auf die PEST
sicherlich etwas mit dem AUSSEHEN der kranken zu tun hat,
die immer weiter mit ‚schlimmen‘ farbigen beulen verunstaltet werden
(hieß es nicht auch „der schwarze tod“ oder „der rote tod“?)
zusätzlich sollen diese sehr stark übel riechen.
daher sicher auch die redewendung, etwas stinke wie die pest.

ausserdem war’s zu jener zeit eine völlig NEUE, anfangs UNBEKANNTE seuche, der man gar ZUNÄCHST GAR NICHT HERR wurde, die PLÖTZLICH kam und aus FERNEN LÄNDERN (die später z.b. immer nochmal in INDIEN aufflackerte) und bei der man vieles befürchtete, auch, sie wäre von gott gesandt als strafe, und es heißt, daß die bevölkerung um einiges dezimiert würde (gedacht sei an eine gewisse anfängliche hysterie auch zu AIDS-zeiten).

irgendwas muss ferner überhaupt besonders sein an dieser krankheit,
sodass ihre bezeichnung insgesamt zum ausdruck für SEUCHEN wurde. so wurde „-PEST“ an alles-mögliche als endung hintendran gehängt, und es gibt literarische schauergeschichten, in denen die pest vorkommt (z.b. bei Edgar Allan Poe oder in einer „Nosferatu“-Geschichte in Verbindung mit Vampiren -und: übertragen meist durch RATTEN!!! frage: —sind die geschichten wirklich so selten gehört??)

„objektiv“ ist immer etwas anderes als solches, das schauer über den rücken laufen lässt.

mir kommen bei der PEST sofort bilder in den sinn, z.b. den von unbewusster ansteckung unter maskierten leuten in höfischer fest-dekadenz mit bösestem erwachen (siehe POE: EBEN NOCH AMÜSIERT —JETZT SCHON ANGESTECKT, vgl. Aids, und alle „sünder“ bald schon tot).
auch die bilder der bekämpfung sind gruselig: ich denke an ausgehobene gruben, in die die an-der-pest-gestorbenen von vermummten-verhüllten personen geworfen wurden, im schutze der nacht. und dann das ganze angezündet, wie es hieß, um weitere ausbreitung zu verhindern…

brrr…

dann lieber 'n schnupfen kriegen, mit fieber im bett liegen, das wird immer schlimmer -immer schlimmer -immer schlimmer, glieder- und kopfschmerzen und man hält’s nicht mehr aus und plötzlich liegt man auch tot da.
halb so wild :wink:

oder?

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Eure ‚Urängste‘
Hi J. + i.i.A.,
Vielleicht solltet ihr beiden Euren Austausch im Psychologie-Brett unter dem Titel „Ängste und Phobien“ weiterführen.
Gruß,
Anja

Anja passt auf…
…immer und ueberall!!

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Ich Denke das ein großteil ,der hier so genannten, Urängste
sich durch Naivität und Halbwissen am Leben halten.

Die größte Angst haben daher meist die Menschen dehren wissen sich nicht auf Fackten stützt , sondern zum großteil auf Mündliche weitergabe.

Die direkte Konfrontation mit Fackten , löst daher meist eine Desensibilisierung aus.

mit freundlichen Grüßen
Thomas