Hallo Esra,
zu erst. Ich kenn mich nicht wirklich gut mit Radbruch aus. Er kam bei mir nur mehr am Rande vor (Rechtsethik ist nicht unbedingt mein Spezialgebiet.)
- Naturrecht und Rechtspositivismus
So wie ich Radebruch verstehe vertritt er eine naturrechtliche Position. Diese Position ist schon sehr alt im Mittelalter (etwa Thomas von Aquin) war diese Position ziemlich bestimmend. Es geht davon aus, dass es ein natürlichen Grund gibt von dem alles abzuleiten ist. Auf das Recht bezogen bedeutet Naturrecht. Ich kann nur verstehen, was Recht und Unrecht ist, wenn ich es von der Gerechtigkeit ableite.
Die entgegengesetzte Position ist der Rechtspositivismus, der besegt, dass Recht von uns Menschen gesetzt wird, in dem wir uns darauf verständigen, was wir für Recht und Unrecht halten.
Diese Frontstellung ist ebenso alt wie schematisch. In Wirklichkeit vertritt niemand komplett die eine oder die andere Position. Aber es hilft um sie die Herangehensweise des Denkers, oder der Denkerin klar zu machen.
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Die historische Position und das Anliegen von Radbruch
Man muss sich seine historische Lage klar machen um ihn zu verstehen.
Er versucht im Nachkriegsdeutschland einen Weg zu finden, dass offensichtliche Unrecht in der Nazizeit, als Unrecht zu identifizieren. Was relativ einfach klingt ist es letztlich nicht. Denn rechtlich, war die Herrschaft der Nazis und deren Justiz (von einigen Ausnahmefällen abgesehen) einwandfrei. Also müssten die Nazis - nicht mit ihrer Ideologie - aber mit ihrem Handeln im Recht geblieben sein. (Wenn ich ein Gesetz legal verabschiede und mich daran halte, wo ist das Unrecht?)
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Radebruchs Rechtsphilosophie
Um dieses Problem zu lösen begibt er sich auf eine Naturrechtliche Position und sagt: Recht ist nicht, dass worauf wir uns geeinigt haben, sondern das was Gerecht ist.
Nun hat er aber ein anderes Problem. Gesetze ergeben nur einen Sinn, wenn sie Gültigkeit haben. Wenn ich jedes Gesetz vorher auf seine Gerechtigkeitsgehalt prüfen muss, dann bringt es relativ wenig. Also muss das Positiverecht, das von Menschen gemachte und aktzeptierte Recht, ungeachtet aller kleinen Ungerechtigkeiten immer eine Gültigkeit haben.
So und das ist der Punkt, an dem wohl die meisten Ethiken ihn einfach zitieren. Denn er gibt zu, dass es keinen exakten Punkt gibt, an dem man gegen das Recht rebelieren muss um die Gerechtigkeit zu erhalten.
Eine scharfe Trennung zieht er aber dann doch. Wenn das Recht, also die Gesetze, nicht mehr die Gerechtigkeit, d. h. die Gleichheit anstrebt, da verlieren sie vollkommen ihren rechtlichen Charakter. Die Gesetze sind schlicht und einfach kein Recht mehr, auch wenn sie legal erlassen und wortgetreu durchgeführt werden.
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Zu deinen Punkten:
a) Richtig! Nur muss nicht nur jeder Mensch nach dem gleichen Maß gerichtet werden, sondern auch die Taten müssen verglichen werden. Ich kann nicht alle Menschen für unterschiedlich schwere Taten (etwa Diebstahl und Mord) gleich richten lassen.
b) Ich vermute, dass diese Folgerung richtig ist, aber ich habe es so noch nicht gelesen. (Und wie gesagt ich habe noch nicht so viel darüber gelesen. Also kann es gut sein, dass es irgendwo steht.) Aber zumindest ergibt es sich logisch daraus. Denn wenn ein Gesetz nicht mehr Recht ist, dann müssten die Richter, die Recht sprechen sollen, zwangsweise dagegen verstossen. Wichtig ist nur, dass Menschenrecht bei Radbruch nicht die aufgeschriebenen Menschenrechtscharta meint. Für ihn sind Menschenrechte eine vorstaatliche und stehen ausserhalb von dem von Menschen gemachten Recht.
c)Vermutlich, habe ich auch noch nicht gelesen.
d)Richtig.
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Und wie geht es weiter?
Was meinst du mit der Frage?
Wie geht es weiter bei Radbruch? Kein Ahnung, vermutlich ist er irgendwann gestorben und dann ging gar nichts mehr weiter. 
Oder wie geht es weiter mit diesem Ansatz?
Der wird hin und her diskutiert. Wie alles in den Geisteswissenschaften.
Oder wie geht es praktisch weiter?
Praktisch muss jeder selber festlegen, wann er in der Spannung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit in den Widerstand gegen das Gesetz tritt. Wir haben in der BRD das Recht auf Widerstand, wenn wir meinen, dass ein Gesetz Ungerecht ist. (Was meiner Meinung nach nur symbolisch zu verstehen ist, denn wenn ich Wiederstand leisten will, kann mich keiner davon abhalten, denn selbst mit Gefanennahme, Folter oder Tod, kann man nur meinen Willen brechen, aber mich nicht zwingen mein Willen zu ändern. Aber das ist ein ganz anderes Problem.) Aber wir müssen mit den Konsequenzen unserer Handlungen leben, das kann auch eine Verurteilung durch ein Gericht beinhalten.
So das war jetzt sehr viel und sehr lang. Ich hoffe ich konnte dir ein wenig helfen, wenn noch was unklar ist, dann frag nach. Am besten gezielt mit Zitaten (von mir oder Radbruch), dann kann ich gezielt darauf antworten.
Meine Informationen habe ich überings aus: Johannes Fischer, Theologische Ethik, 2002 erschienen bei Kohlhammer.
Da findest du in dem Kapitel Recht und Ethik ein Unterkapitel zum Thema Positivismus und Essentialismus. (Essentialismus meint etwas ähnliches wie Naturrecht.) Und dort geht er auch gezielt auf Radbruch ein (Seiten 263-267).
Wenn du also mal in eine theologische Fachbibliothek kommen solltest findest du dort das Buch ziemlich sicher und kannst es nachlesen. Rechtsethik ist in diesem Buch nur ein Randthema, also würde ich es dir zumindest zu diesem Thema nicht empfehlen zu kaufen. (Zum Thema der theologischen Ethik ist es interessant, aber momentan noch eine ziemliche Einzelposition. Also für den Einsteiger auch nicht wirklich zu empfehlen.)
Grüße
To