Gesprächskultur

Servus, ich war heute bei einem Treffen einiger Entscheidungsträger eines Unternehmens, man hatte jemand eingeladen, der gebeten wurde, die Auswirkungen einer organisatorischen Entscheidung von vor 2 Jahren zu beschreiben und Anpassungen vorzuschlagen.
Derjenige ist betroffen von der Entscheidung und war gut vorbereitet, der Vortrag ging vielleicht 5 Minuten

Unmöglich, dass 12 Leute mal 5 Minuten zuhören, ich habe mal mitgeschrieben:

„Das stimmt so aber nicht!“
„Das ist aber nicht sinnvoll.“
„So habe ich das nicht verstanden“
„Das ist aber nicht unser Problem!“
„Wo kein Kläger, da kein Richter!“
„Das lässt das System nicht zu!“
„Wer soll das freigeben?“
„Die Frist kann man nicht einhalten“
„Wo kommt denn diese Zahl her?“
„Dafür fehlt uns das Geld!“
„Was heißt denn ‚GR‘?“
„Da sehe ich jetzt schon Problem!“
„Das war eben im Diagramm anders dargestellt“
„Und wer soll das kontrollieren?“
Der jeweilige Einwand wurde dann natürlich innerhalb der Runde auch gerne direkt mal durch jemand anders kommentiert.

Ist das normal? Erlebt Ihr das auch so? Wie geht man damit um, dass ein Großteil der Menschen nicht gewillt ist, mal jemand in Ruhe 5 Minuten vortragen zu lassen, sich die eigenen Fragen oder Einwände zu notieren und bis zum Ende zu warten?

Hinzu kommt, dass z.B. A eine Frage an B stellt, B antwortet, C kommentiert, B und C tauschen sich aus, allerdings an der Frage vorbei.
Entweder A fällt B oder C ins Wort oder aber wartet, bis der Austausch vorbei ist um nochmal an seine Frage zu erinnern.

Die Gesprächskultur war einfach gruselig.

VG

M.

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Hallo,

In guten Sitzungen hat jemand die Funktion des Moderators inne und man erarbeitet vorher(!) eine Agenda, nach der gearbeitet wird.

Ja, das kann dann auch bedeuten, dass der Moderator Einwürfe abwendet und immer wieder darauf hinweist „Fragen werden am Ende gestellt und diskutiert“.

Das deutet für mich darauf hin, dass die Leitung des Meetings miserabel war und das Geschehen nicht im Griff hatte.

Grüße
Pierre

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Das klingt nach dem Forum hier.:joy:

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Ich bin selten in solchen Meetings, von daher würde ich diese Hinweise gerne korrekt einordnen:

Diejenigen, die anderen ständig ins Wort fallen, sind dafür nicht verantwortlich, sondern derjenige, der eingeladen hat, weil er selbst nicht gut moderiert, bzw. niemanden dazu geholt hat, der es besser kann?

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Wir reden hier von Menschen. Von Individuen. Die haben alle ihre persönlichen Probleme, Vorurteile, Wünsche und Bedenken. In der Gruppe kann sich eine fast unvorhersehbare Dynamik ergeben.

Jaein. Natürlich sind die für ihr eigenes Verhalten verantwortlich.

Derjenige, der ein solches Treffen festlegt, muss wissen, dass er es mit oben genannten Individuen zu hat und dass aus denen eine Gruppe wird.

Das bedeutet, dass diese Person sich überlegen muss, wer die Führung im Meeting übernimmt. Das kann sie selbst sein. Oder ein Moderator. Muss aber nicht zwingend die Person sein, die der Hauptredner ist.

So kann es sein, dass der Chef zum Meeting einberuft, sein Assistent aber die Moderation übernimmt, während der Leiter der Finanzen Rede und Antwort steht. (Dann muss natürlich auch dem Chef klar sein, dass er womöglich vom Moderator, eigentlich ihm unterstellt, zur Ordnung gerufen wird.)

Ich gebe aber zu, dass eine solche Gesprächskultur viel Vertrauen, Arbeit und regelmäßige Kommunikation erfordert.

:rofl: Du hast noch vergessen:

" Kannst Du das belegen?"
"Du hast doch sicher F.a.k.t.e.n. "

Jaein? Und dann viele Hinweise, zu dem was andere falsch gemacht haben.

Ich hätte ja nicht gedacht, dass so wenig Verantwortung bei denen liegt, die andere ständig unterbrechen aber ich wollte ja wissen, wie das die sehen, die mit so etwas mehr Erfahrung haben als ich, von daher auf jeden Fall mal Danke für Ihre Hinweise.

Nein, das wurde nicht gesagt, aber es hätte natürlich gut rein gepasst!

Anekdote: ich schaute früher gerne das „Philosophische Quartett“. Vier Geisteswissenschaftler saßen beieinander und unterhielten sich über die verschiedensten Themen. Warum sah ich das gern? Die brauchten keinen Moderator. Die pflegten eine hervorragende Gesprächskultur. Sie unterbrachen sich nicht einfach. Sie wiederholten gern mal den Standpunkt des anderen, um daran eine Frage anzuschließen, oder ihren eigenen Standpunkt kund zu tun. Nicht selten tauschten sie einfach nur ihre unterschiedlichen Ansichten aus. Sie akzeptierten, dass die anderen das anders sahen und achteten sich.

Diametral dazu erscheinen mir viele aktuelle „Talks“. Hier scheint es eine Art Kampf zu geben - es siegt, wer lauter ist, mehr Redezeit erkämpft und den anderen tief genug runter macht.

Leider ist diese Art der Diskussionskultur in Deutschland inzwischen weit verbreitet.

Wie Christa schon schrieb, auch hier:

Eine gute Leitung (Team, Abteilung, Bereich, Firma) zeichnet sich nach meiner Ansicht dadurch aus, dass denen das bewusst ist. Und dass die wissen, wie man damit umgeht.

Das bedeutet, dass natürlich die „Kämpfer“ in der Diskussion für ihre Taten verantwortlich sind. Im Sinne der Gruppe und deren gemeinsamer Ziele muss aber die moderierende Person die „Kämpfer“ einhegen.

Unter Umständen muss auch die Leitung im Anschluss an eine solche entgleisende Diskussion mit den „Kämpfern“ deren Verhalten besprechen und deutlich machen, dass andere Umgangsformen von ihnen erwartet werden. Zur Not muss man auch mal mit Disziplinarmaßnahmen arbeiten.

Es ging mir halt nicht um die schlechte Moderationskultur, sondern um die schlechte Gesprächskultur.
Warum geht heut nicht, was früher funktioniert hat?

Jetzt weiß ich, was die Moderation besser machen kann, aber noch immer nicht, warum einige den anderen ständig ins Wort fallen oder die gemeinsame Zeit für abweichende Diskussionen nutzen, über Probleme, die man an der Stelle eh nicht klären wird.

Ich habe die Vermutung, dass die Stimmung insgesamt schlechter geworden ist. Ich kannte mal einen echten, linken SPD-Funktionär, der bedauerte Anfang der 1990er den Untergang der DDR. Er sah das heutige Verhalten schon voraus. Dank des Vorbildes der DDR war die damalige BRD sozialer. Er sagte einen Manchester-Kapitalismus voraus. Und wir befinden uns auf dem besten Weg: etwa 16.000 Hartz4-Empfängern wird vorgeworfen, für alles Übel in diesem Land die Verantwortung zu tragen. Und natürlich Habeck. Und Merkel. Danke, Merkel.

Ich kann natürlich nur Deine Floskeln deuten, indem ich sie auf ähnliche Situationen projiziere, die ich selbst erlebte.

Bei ganz vielen Aussagen in der Eingangsfrage lässt sich die Ursache auf Verlustängste zurückführen. (Das, glaube ich, ist ohnehin eines der größten Probleme zumindest der Deutschen.) In diesem Fall sind es die Angst vor Verlust des Gesichtes, der Deutungshoheit, des Einflusses. Aber auch die Angst davor, Verantwortung zu übernehmen. Und bei manchen Dingen auch einfach nur der Wunsch nach klaren Strukturen, an denen man sich orientieren und messen kann.

Und warum hat man sich nicht unter Kontrolle? Man kann Verlustängste doch auch haben, ohne anderen ins Wort zu fallen, oder während einer Besprechung, die ein anderes Thema haben sollte, sein eigenes Klein-Klein endlos auszudiskutieren.

Gewinnt man an Gesicht, Deutungshoheit oder Einfluss, wenn man andere unterbricht?

Die Frage ist für mich eher, woran der Kontrollverlust liegt. Ich bin auch mit vielem, das ich mir in Besprechungen anhöre, nicht einverstanden und trotzdem unterbreche ich niemand.

Weil man im Kampf-Modus ist. Es geht um die Sicherung des eigenen Standpunktes und des Standings in der Gruppe. Es gibt einfach Menschen, die wollen immer blenden, oder müssen zu allem ihren Senf dazu geben, selbst wenn es sie überhaupt gar nicht, nicht das kleinste Bisschen, betrifft. Beide Arten von Kollegen habe auch ich. Und das einzige, was hilft: hart unterbrechen, freundlich zurechtweisen und weiter in der Agenda.

Weil jemand, der die Zügel in der Hand halten müsste, diese abgibt. Vielleicht ist diese Person grundsätzlich nicht zum Führen geeignet, vielleicht fühlt sie sich in diesem Augenblick eingeschüchtert. Vielleicht hat sie aber auch nur keine Ahnung davon, wie man Diskussionen führt.

Warum im Kampfmodus? Es waren zu dem Thema gar keine Standpunkte ausgetauscht worden.

Vielleicht kommen wir der Sache jetzt näher: Woran liegt das? Ich frage mich, ob da eine Unsicherheit hinter steckt.

Warum ist das bei manchen Kollegen denn überhaupt nötig?

Er kam sicher nicht auf die Idee, dass man während einer Präsentation das Benehmen der Zuhörer überwachen muss.

Es war niemand da, der sich hier verantwortlich gefühlt hätte. Jemand war gebeten worden, einen vorgegebenen Personenkreis zu informieren und hatte dazu noch jemand anders eingeladen, der seine Erfahrung anhand einer Präsi teilen und danach eben auch für Fragen zur Verfügung stehen sollte.

Fangen wir doch bitte mal eine oder zwei Nummern kleiner an:

Wer war von wem eingeladen?

scheint einigen Zündstoff zu haben.
Welcher Personenkreis ist betroffen/war eingeladen?
Wie wurden die Leute im Vorfeld informiert? Wer kennt seine Aufgaben, wer nicht?
Wie gut kennt sich

aus? fachlich und auch firmenintern?
War mit Konfliktsituationen zu rechnen?
Wer hat letztendlich die Verantwortung für die Veranstaltung gehabt?
usw.

Ohne es gross gesellschaftspolitisch zu betrachten - was ist da firmenintern los?

Ich denke nicht, dass wir so, die Natur einiger Teilnehmer ergründen werden.

Ich glaube nicht, dass ich so detailliert darstellen möchte. Es hat der eingeladen, der aufgefordert wurde, den Termin zu veranstalten.

Die Details entziehen sich meiner Kenntnis, mir ist auch nicht klar, warum das Verhalten Einiger hiervon abhängt.

Das Konfliktpotential ist offensichtlich unterschätzt worden, die Verantwortung für den Termin war nicht klar geregelt

Mein Ansatz war aber gerade die gesellschaftliche Betrachtung. Was in dem Unternehmen sonst so los ist, ist mir egal.

Das philosophische Quartett kann es sich leisten, wenn 4 unterschiedliche Meinungen aufeinander treffen, und am Ende dieselben 4 unterschiedlichen Meinungen auch wieder auseinander gehen.

Gremien (Politik, Wirtschaft, Verein,…), die eine Lösung finden müssen können sich das nicht leisten. Natürlich ist auch dazu eine gepflegte, respektvolle, und vor allem ergebnisoffene („Ich gehe mit meinem in meinen Augen gut begründeten Lösungsvorschlag in das Meeting, aber ich lasse mich gerne von noch besseren Lösungsansätzen überzeugen“) Diskussionskultur mehr als wünschenswert. Das von @Mikesch_0b28f6 beobachtete Verhalten ist nicht nur unschön, sondern im Sinne einer Lösungsfindung sogar destruktiv.

Ich will nur sagen, dass der 1:1 Vergleich „Warum kann man nicht überall so diskutieren wie im Philosophischen Quartett?“ ein wenig hinkt.

Dann eben nicht.

In diesem Fall schlage ich Hanlons Rasiermesser vor.
„Geh nicht von Böswilligkeit aus, wenn Dummheit genügt“

Grundsätzlich ist es schwer, aus einem Einzelfall eine allgemeinen Zusammenhang herzuleiten.

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Zumal es wahrscheinlich ziemlich aussichtslos ist, sich mit Reich-Ranitzky auf eine Dabattte einzulassen. Ich wünsche viel Spaß

Seit über 11 Jahren ist es mit absoluter Sicherheit vollkommen aussichtslos, sich mit Reich-Ranitzky auf eine Debatte einlassen zu wollen.