Agnostizismus & Atheismus
high Mrs. Rigg,
Die bekennenden Atheisten scheinen oftmals ehemalige
Angehörige einer Glaubensgemeinschaft zu sein…
Da mir sog. Gläubige in Fragen, die den Begriff und die Sache „Religion“ betreffen (d.h. Fragen, die mich - wie bekannt - sehr interessieren), mit wenigen Ausnahmen gar keine erhellenden Gesprächspartner sind, kenn ich mich diesbezüglich mit den „anderen“ besser aus… und da muß ich sagen, daß die „Ehemaligen“ rein statistisch natürlich in der Überzahl sind, denn nach wie vor werden die meisten Menschen in eine Religionsform hineingeboren. Aber generell ist es natürlich interesanter, wenn jemand nicht bei solchem Austausch zugleich persönliche Vergangeheitsbewältigung betreibt. Es genügt, sich in möglichst vielen religiösen Gebräuchen, Denkweisen und - vor allem - Sprechweisen auszukennen.
Was die meisten zu einem Ausstieg oder Abbruch bewegt, sind in der Regel auch genau diese Denk- und Sprechweisen und meist auch der als Mißbrauch empfundene Umgang mit nicht mehr verstandenen Symbolen, Zeremonien, Riten, die aus der Geschichte überliefert sind, aber deren ursprünglicher Gehalt verloren gegangen ist.
Das Problem ist, daß es für viele schwierig ist, zwischen „der Religion“ und „den Religionen“ zu unterscheiden. Religion überhaupt als Begriff und auch als Erscheinungsform der Kulturgeschichte ist außerordentlich spannend - insbesondere im interkulturellen Vergleich. Etwas ganz anderes ist aber die Anhängerschaft in einem einzelnen speziellen Religions bekenntnis. Da scheint es unglaublich schwer zu sein, den anderen in seiner anderen Denkweise überhaupt ernst zu nehmen - das angebliche sog. „Respektieren“ schwafelt leicht über die Lippen, aber hinterher kommt meist die totalitäre, oktroyierende Mission: Dieses typische und unerträgliche „die anderen sind noch nicht soweit wie wir“ findet sich ja zur Zeit auch wieder sehr expressiv in diesem Brett hier.
Der Dialog:
Auf die Frage „Gibt es einen Gott?“
antwortet der Atheist „Nein!“
und der Agnostiker „Ich verstehe die Frage nicht.“
gibt zwar zwei der möglichen (und die Sache auf den Punkt bringenden) Antworten auf die Existenzfrage wieder, aber er benutzt die Begriffe „Agnostiker“ und „Atheist“ nicht in dem gebräuchlichen Sinne. Dazu - wenns recht ist - vielleicht ein kleiner Exkurs?
Der Agnostizismus (die Bezeichnung geht auf T. Huxley 1869 zurück) basiert auf dem sog. Realismus, der Wirklichkeiten als von der Erfahrung und der Erkennbarkeit unabhängig ansetzt. Der Agnostizismus ist somit die Haltung, nichtempirische Wirklichkeiten nicht in ihrer Existenz, wohl aber in ihrer Erkennbarkeit zu leugnen. Er hält also eine sinnvolle Rede von z.B. „Gott“ durchaus für möglich, aber nicht seine Erkennbarkeit.
Beim Atheismus ist es sinnvoll, verschiedene Formen zu unterscheiden:
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allgemein die polemische Bezeichnung derjenigen, die nicht an den (eigenen) Kulten teilnehmen. So wurden die griechischen Komödiendichter und auch Philosophenschulen als „atheoi“ bezeichnet, weil sie sich über die menschengestaltigen Götter lustig machten. Im Mittelalter wurden auch die Mohammedaner und andere „Heiden“ als Atheisten bezeichntet, in Rom übrigens auch die Christen.
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der praktische Atheismus, der schlicht die Annahme von Göttern als unnötig betrachtet für das Erklären und Verstehen von Dingen. Diese Haltung war vorzüglich die der Naturwissenschaften seit Beginn der Neuzeit und ist es nach wie vor für die heutigen Naturwissenschaften (dort auch sogar notwendig). Aber es ist eine rein wissenschafts interne Haltung: denn damit ist nicht notwendig verbunden, eine Rede von „Gott“ in anderen (als wissenschaftlichen) Zusammenhängen ebenfalls für überflüssig zu halten.
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der theoretische Atheismus dagegen lehnt es ab, die Existenz (eines) Gottes zu behaupten. Das ist nicht ganz dasselbe, wie die Existenz (eines) Gottes zu leugnen, daher müßte man hier nochmal genauer unterscheiden. Der eine (A) hält den Gottesbegriff für nicht sinnvoll, der andere (B) muß dagegen, um seine Existenz leugnen zu können, einen wohlbestimmten Begriff von (einem) Gott haben. Deshalb wurden sog. Atheisten teilsweise wegen dieses Widerspruchs verlacht und manche nahmen davon Abstand, sich als Atheisten zu bezeichnen (z.B. Campanella 1631). Die Bezeichnungen Pantheismus und Freidenker gehen auf diese Probleme zurück. Einen aggressiven Atheismus ©, der forderte, die Vokabel „Gott“ aus der Sprache zu verbannen, findet man dann bei den franz. Materialisten (La Mettrie, d’Holbach).
Eine interessante Variante dieses theoretischen Atheismus findet man bei Epikur, der (zumindest nach Laktanz) den Gottesbegriff problematisiert in seiner Beziehung zur Welt (D): „Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will es“. Dieses Problem findet später seine Wiedergeburt in der (von Leibniz so genannten) Theodizee-Frage („Rechtfertigung Gottes“) „Wieso gibt es das Übel in der Welt, wenn Gott gut ist?“ -
dann gibt es aber noch eine Haltung, die von manchen als dogmatischer Atheismus bezeichnt wird. Sie erkennt in der Fragestellung nach Existenz oder Nichtexistenz Gottes einen widersprüchlichen Umgang mit dem Begriff „Gott“. Denn man kann nach der (Nicht-)Existenz nur von einem Ding fragen, das wohlunterschieden von anderen ist (das hängt mit einem präziseren Umgang mit dem Begriff „Existenz“ zusammen), ein solches Ding ist aber - nach Vorgabe auch des Theisten (!) - „Gott“ nicht, denn dabei handelt es sich um ein Absolutes, das nicht relativ zu einem anderen sein kann und zu dem es insbesondere kein „außerhalb“ gibt. Der dogmatische Atheist behauptet also weder die Existenz noch die Nichtexistenz Gottes. Und er wird auch die Rede des Theisten von der Existenz Gottes nicht etwa zu widerlegen versuchen, sondern sie vielmehr für absurd halten - und damit für unverständlich.
Die Frage „existiert Gott?“ würde also genauer so beantwortet:
- der Agnostiker: „why not? aber jedenfalls können wir ihn nicht erkennen“
- der klassische Atheist: „du bist ja ein komische Typ, daß du solche Fragen stellst!“
- der praktische Atheist „die Frage interessiert mich nicht, stell sie anderen, die sich mit soetwas beschäftigen“
- der theoretische Atheist (A) „ich lehne es ab, ‚ja‘ zu sagen, denn ‚Gott‘ ist ein unsinniger Begriff“
- der theoretische Atheist (B) „ich würde ‚nein‘ sagen, aber dann lachst du mich aus, weil ich mir wiederspreche. Daher sage ich ‚nein‘, aber zugleich: ‚ich bin kein Atheist‘“
- der theoretische Atheist © „ich finde, man sollte die Beschäftigung mit solchen Fragen verbieten“
- der theoretische Atheist (D) „eins steht fest, wenn er existiert, dann haben wir ein Problem!“
- der dogmatische Atheist: „die Fragestellung ist unsinnig, denn sowohl ‚nein‘ als auch ‚ja‘ zu antworten ist unsinnig. Und falls du Theist bist, müßtest du das ebenfalls so sehen“
In diesem Zusammenhang ist es interessant, die drei von Anselm v. Canterbury (glaub ich) formulierten Aussagen bezüglich des Zusammenhangs des Begriffs „glauben“ mit dem Begriff „Gott“ zu betrachten:
credere deo - dem Gott glauben (die jüdische und paulinische Variante)
credere deum - glauben, daß Gott ist (die scholastische Variante. „Sein“ ist übrigens etwas anderes als „Existieren“!)
credere in deum - an (genauer in ) Gott glauben (dies ist ein johanneischer Spezialbegriff)
So - das wars für heute - gute Nacht
M.G.