Gibt es aktuelle 'verschnörkelte' Architektur?

Ein Gruß am Anfang :smile:

Ich kenne leider (Architekturlaie) keine Fachbegriffe bzgl. der Stilrichtungen. Mir fällt aber auf, dass viele Leute(und mir geht es auch so) historische Bauten (z.B. alte Museen) mit Säulen, stufigen Gibeln und Verzierungen ansprechender finden, als schlichte oder futuristische.

Meine Frage: Warum werden diese Bauten nicht mehr gebaut, liegt das „nur“ an den Kosten oder ist es verpönt, alte Stile aufleben zu lassen? Oder gibt es Beispiele für neue Bauprojekte, die im „alten Stil“ gebaut werden?

Würde mich über Infos freuen, Gruß Jörg

Hi!

Ich bin auch kein „Architekturprofi“ :wink: aber spontan einfallen würde mir zum einen die Stadt Pounbury, eine Planstadt in England, aufgebaut durch Prinz Charles im klassizistischen und traditionellen Stil und aus der näheren Geschichte auch viele von 1933-45 gebauten Gebäude, wie z.B. das Staatstheater Ssaarbrücken, die italienische Botschaft in Berlin… ( ).Grüße,ZombieChe

Hallo Jörg,

Deine Beobachtung ist insofern richtig, weil an den TU nur das Bauhaus als stilbildend zugelassen wird. Andere Richtungen gelten als reaktionär. Dass man damit seinerseits reaktionär ist, kommt den Professoren und Studenten allerdings nicht in den Sinn.

Hauptzweck des Tu-Architekturstudiums ist das Erlernen einer knackig-schwülstigen Präsentation.

Mit polemischen (polemisch ist nicht gelogen!) Grüßen
Andreas

Mich beschäftigt die Frage seit Jahren, seit mich Musikstudentin ein Architekturstudent in der Mensa fragte, warum heute niemand wie Mozart komponiert, wo Mozart-Stil doch von mehr Leuten gehört und geliebt wird als die sogenannte Neue Musik.
So ganz in Formeln pressen kann man das wohl nicht, aber es muss einen Grund geben, warum z.b. alles vor Bauhaus an der Uni als reaktionär gilt (wenn dem denn so ist), und warum Komponisten bei ihrer Aufnahmeprüfung an der Hochschule nur mit atonalen Stücken überhaupt eine Chance haben.
Man kann eben nicht einfach so alte Stile wiederaufleben lassen, nur weil die für viele Betrachter „schöner“ (heißt auch „angenehmer“ für Auge oder Ohr) waren. Ich trage auch nicht viktorianische Kleider, obwohl ich die schöner finde als Jeans. Auch - aber nicht nur - aus praktischen Gründen. Kreative denken nach vorne, alles andere ist historisierend und eine Art Kostüm. Es ist sozusagen „Schöpfung leicht gemacht“ - indem ich was nehme, was früher schon Erfolg hatte, geh ich heute kein Risiko ein. Das will kein Kreativer so wirklich. Man kann allenfalls kleine historische Details aufleben lassen, aber insgesamt passt man sich der Mode an und versucht, mit anderen Details innovativ zu sein.
Ich hab von Architektur nicht wirklich ne Ahnung, aber vielleicht passt Stuck und anderer Schnörkelkram auch - aber nicht nur - aus praktischen Gründen nicht zur heutigen Bauweise, man muss heute schneller fertig sein, die Häuser haben andere Anforderungen, man verwendet andere Materialien etc.
Genauso wie man heute andere Instrumente und Musikherstellungs-Zeugs benutzt und man beim Komponieren nicht einfach so tun kann, als gäbe es keine Entwicklung im Musikbereich und schreibt einfach weiter á la Mozart.

gruß

Hi,

interessante Parallele zur Musik, stimmt.

Ich sehe zwei Differenzen.

  1. Beim Bauen geht es ja nach meiner Frageintention eher um das Vervielfältigen von (subjektiv) Schönem. Man müsste das also eher mit den Pressungen vom Mozart-CD´s und den Verkaufzzahlen vergleichen. Und ich glaube der Aufschrei wäre groß, wenn man diese „alte Musik“ nicht mehr (re-)produzieren würde. Beim Bauen gilt nach meiner Meinung „wer früher schöne Bauten versäumt hat, hat Pech“.

  2. Ich kenne die aktuelle „Klassik-Szene“ nicht und Stockhausen ist schwer konsumierbar :wink:. Aber bei der Musikkultur verschiedener Stilrichtung habe ich viel eher das Gefühl, das der Geschmack der Bevölkerung den Markt beeinflusst, als bei der Architektur, wo für mich nicht durchschaubare Mechanismen herrschen.

Danke für Deine Antwort, Gruß Jörg

Danke für die Infos! Gruß J.
Merci.

Hallo nochmal,

ich sehe da keine Differenzen. Genauso wie es schon „genug“ Mozart-CDs gibt, gibt es schon genug Häuser im alten Stil. Hin und wieder wird mal ein Straßenzug so wiederaufgebaut, wie er früher war, nach alten Vorlagen. Da hat aber kein Architekt was von. Und da, wo tatsächlich nach „Publikumsgeschmack“ gebaut wird, also bei privaten Häusern, kommen oft gräuslich kitschige Dinge heraus, grade so Häuser mit bisschen mehr Säulen, Schnörkeln etc. Ich traue dem Architekten schon mehr (und vor allem: nachhaltigeren) Geschmack zu als dem Durchschnittsbürger, und im Übrigen geht es mir da ähnlich: ich fand früher auch immer verziertere Dinge toll, aber je mehr ich mich damit beschäftigte, desto dankbarer war ich irgendwann für eine entschlacktere Bauweise. Stuck u.ä. finde ich dann toll, wenn und WEIL er alt ist. Neuen Stuck kann ich mir nicht schön vorstellen. Er passt einfach gerade nicht in den Zeitgeist. Es wirkt kostümiert.
Mag aber sein, dass sich das auch wieder ändert. Irgendwann hat man vielleicht wieder genug von der schmucklosen Ästhetik und macht wieder bisschen mehr Spielereien. Aber bitte gaaanz langsam, in kleinen Schritten.
Alles, was sich nur darum dreht, „schön“ im Sinne von „angenehm“ zu sein, ist bei Kreativen nicht so gut angesehen. Und wenn man sich ne Weile mit den Dingen beschäftigt, weiß man auch, warum. Schöne Kunstwerke, die dem Betrachter nicht weh tun, halten nicht lange, sie sind nur hübsch, schlimmstenfalls kitschig, aber selten wegweisend. Und Architekten sind eitel, sie wollen wegweisend sein.

Warum wir alte Gebäude schöner finden, ist eher interessant. Ich bezweifle, dass die Leute die Gründerzeithäuser, die wir heute so verehren, damals toll fanden. Man sprach damals ebenso von unerträglichen Mietskasernen, wie man das heute tut. Ich glaube, der Geschmack hat sich einfach an das besser gewöhnt, was schon eine Zeitlang mit uns mitgelaufen und mit uns gealtert ist. Ich glaube nicht, dass man alles mit der Zeit toll finden wird, aber es wird sich mit der Zeit einfach durchsetzen, was schon und was weniger schön ist. Und da sich das heute noch nicht durchgesetzt hat und viele neuere Häuser vielleicht wirklich daneben aussehen, haben wir das Gefühl, der alte Stil war besser.

  1. Ich kenne die aktuelle „Klassik-Szene“ nicht und
    Stockhausen ist schwer konsumierbar :wink:. Aber bei der
    Musikkultur verschiedener Stilrichtung habe ich viel eher das
    Gefühl, das der Geschmack der Bevölkerung den Markt
    beeinflusst, als bei der Architektur, wo für mich nicht
    durchschaubare Mechanismen herrschen.

Bei der aktuellen deutschen E-Musik bestimmt der Massengeschmack garantiert nicht die Musik, aber gut, das ist ein anderes Feld und etwas spezifisch hier.

Gruß

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Bei der aktuellen deutschen E-Musik bestimmt der Massengeschmack garantiert nicht die Musik,

–> 100% agree bei der Entstehung, aber die Verkauszahlen bestimmen die (eher geringe) Verbreitung, als eine Art „Barometer“. Ich kann genau mir aussuchen, was auf meinem MP3-Player läuft, aber nur bedingt wie meine Wohngegend aussieht.

–> 100% agree bei der Entstehung, aber die Verkauszahlen
bestimmen die (eher geringe) Verbreitung, als eine Art
„Barometer“.

Bei E-Musik nicht. Die wird subventioniert. Ok, ich bin da kein Profi, aber ich glaube nicht, dass Verkaufszahlen da einen Einfluss haben. Der Großteil wird dort gar nicht verkauft, es gibt Konzerte, ja, aber auch da besucht sich immer nur die kleine Szene gegenseitig. Das hat mit Konsum von Musik überhaupt nichts mehr zu tun. Da geht es nur noch um Ideelles. Die Musik für den Konsumenten gibt es in der E-Musik-Sparte nicht mehr. Das ist mittlerweile strikt getrennt.

Ich kann genau mir aussuchen, was auf meinem
MP3-Player läuft, aber nur bedingt wie meine Wohngegend
aussieht.

Ich schätze, die Architektur unterliegt bedeutend mehr der Nachfrage als die heutige E-Musik. Architekten müssen sich der Nachfrage weitaus mehr anpassen. Und ich weiß nicht, zu wieviel Prozent die Stadt der eigentliche Kunde des Architekten ist, also bestimmt, wie ein Wohngebiet auszusehen hat.
Wenn Du privat bauen lässt, ist der Architekt nur noch Dienstleister.

Gruß

auch E-Musik hat ihr Publikum
Hallo Punch’n’Judy und Jörg

Bei E-Musik nicht. Die wird subventioniert.

Auch zeitgenössische E-Musik hat ihr Publikum – wenn auch kein grosses.
Ich bin manchmal in Konzertreihen abonniert, wo das Schwergewicht auf der neuen Musik liegt … und da ist der grosse Musiksaal mit 1700 Plätzen oft rappelvoll.
Auch die Konzerte der IGNM (Internationale Gesellschaft für neue Musik) oder sogar ein spezialisiertes Sommerfestival in einem abgelegenen Dorf finden ihren Zulauf.

Neue Kompositionen entstehen oft auf Auftrag von spezialisierten Ensembles hin. Auch der Mäzen Paul Sacher hat viele Aufträge vergeben.
An der Musikakademie Basel gibt es ein Studio für elektronische Musik …

… nur was mir grad so einfällt, um die Lebendigkeit einer Szene zu illustrieren.

Andere Musikszenen sind ja auch nicht massentauglich und könnten bei oberflächlicher Betrachtung kaum wahrgenommen werden:

Wer hört denn hierzulande Cajun und Zydeco-Musik
Wer kann dir sagen, was Rai oder Son ist, ein Kwela, ein Joik oder ein Calypso?

Wer weiss bei uns überhaupt, was Bluegrass ist?
Und dennoch gibt es auch bei uns Bluegrass-Festivals – klein aber fein.
(In den USA hingegen ein Massenphänomen mit Radiosendern, die nichts anderes auf dem Programm haben.)

Grüße
scalpello

Hallo

Auch zeitgenössische E-Musik hat ihr Publikum – wenn auch kein
grosses.

Genau das habe ich doch auch gesagt. Ich habe auch gesagt, dass es bei der Neuen Musik eher ein Konzertpublikum gibt als ein Tonträgerkäuferpublikum. Das bestätigst du ja auch, indem du von Konzerten sprichst. Und es ging ja darum, wie die Nachfrage das Angebot reguliert, das ist durch Tonträgerkäufer aber besser zu regulieren als durch Konzertbesucher. Die meisten Konzerte werden doch mit Werken verschiedener Komponisten „bestückt“. Hier ist vielleicht ein Komponist etwas erfolgreicher als der andere und ihm werden öfter Aufträge erteilt, insofern, okay, da regelt auch die Nachfrage das Angebot, aber in einem sehr, sehr kleinen Rahmen und oft von einzelnen Leuten bestimmt.

Ich bin manchmal in Konzertreihen abonniert, wo das
Schwergewicht auf der neuen Musik liegt … und da ist der
grosse Musiksaal mit 1700 Plätzen oft rappelvoll.

Das kann sein, dann trifft sich entweder die Szene wie in Donaueschingen, oder die meisten Leute kommen doch eher wegen der anderen Musik, die auch im Konzert gespielt wird. Ich mache jedenfalls überall die Erfahrung, dass die Abo-Kunden stets ein bisschen stöhnen, wenn im ersten Konzertteil eine neue Komposition gespielt wird, die sie über sich ergehen lassen, weil sie halt den Brahms im zweiten Teil hören wollen. Es passiert natürlich schon, dass ihnen so ein Stück doch auch gefällt, aber meist nur im Vergleich zu anderer Neuer Musik. Im Vergleich zu ihrem Brahms schneidet eine neue Komposition nie besser ab. Und eine CD von dem Stück würden sich die meisten auch nicht kaufen.
Die Veranstalter versuchen bewusst, die neuen Kompositionen „an den Mann“ zu bringen, indem sie sie mit einem Restprogramm kombinieren, das das Publikum wirklich anzieht. Das ist einfach so.

Ich bin ziemlich überzeugt davon, dass es die Neue-Musik-Szene ohne Subventionen, also wenn sie sich allein (oder immerhin großteiliger) durch reinen Verkauf finanzieren würde, auf diese Art nicht geben würde. Genaugenommen trifft das allerdings auch auf den Rest der Klassikszene zu. Nur ist es bei der Neuen Musik am extremsten.

An der Musikakademie Basel gibt es ein Studio für
elektronische Musik …

Das gibt es an vielen Musikhochschulen, weil Komponieren natürlich zum musikalischen Bildungskonzept gehört. Aber selbst an der Hochschule waren die Konzerte der Komponisten immer nur von ihren Komponistenkollegen besucht, da hat sich höchst selten mal ein Student der anderen klassischen Studienrichtungen hin verirrt. Und die Instrumentalisten, die dort hin und wieder eine neue Komposition aufgeführt haben, haben es auch in seltenen Fällen aus wirklicher Begeisterung getan, eher aus Interesse und Neugier.

Andere Musikszenen sind ja auch nicht massentauglich und
könnten bei oberflächlicher Betrachtung kaum wahrgenommen
werden:

Wer hört denn hierzulande Cajun und Zydeco-Musik
Wer kann dir sagen, was Rai oder Son ist, ein Kwela, ein Joik
oder ein Calypso?

Wer weiss bei uns überhaupt, was Bluegrass ist?

Ja, aber diese Richtungen haben ja ein Publikum, nur eben nicht hier. Sie können hier relativ unsubventioniert eine kleine Szene ansprechen, weil sie in anderen Ländern schon eine Nachfrage gedeckt haben. Ich finde, das kann man nicht vergleichen.

Gruß