Moin,
ich gehe angesichts gewisser Reizwörter ebenso wie du davon aus, dass man es ständig klarstellen muss: Wir reden hier nicht von einer Politik, die irgendwelche Anlehnungen an den landläufig bekannten Nationalsozialismus hat. Vielmehr geht es um fundamentale Fragen, wie sich die Linke in ihrer derzeitigen Krise und Richtungslosigkeit aufzustellen hat.
Interessanter Artikel aktuell dazu in der Zeit. Auszug:
Was hätten wir dann? Eine nationalbornierte Linke, so wie es derzeit aussieht. Mario Neumann, ein junger Aktivist und Theoretiker aus Berlin, beschreibt sie so: „Ihr geografischer und politischer Horizont ist der nationale Wohlfahrtsstaat.“ Ein Raum, in dessen klar definierten Grenzen ein klar definiertes Staatsvolk die „soziale Frage“ stellt. Wer nicht dazugehört, dem werde bestenfalls Asyl gewährt: Das aber sei „keine linke Antwort auf den globalisierten Kapitalismus, sondern eine Bankrotterklärung“, denn sie gebe jeden universalistischen Anspruch auf.
Gewiss, die Vertreter des Lafontaineschen Kurses haben sich bislang nur in seltenen Momenten der Offenheit dafür ausgesprochen, Deutschland abzuschotten. Vielmehr fordern sie, die Kosten der Migration nicht auf die Einkommensschwachen abzuwälzen. Aber sie werden wissen, wie die Basis ihre Signale versteht: Grenzen dicht. Nur wir sind das Volk.
„Wir geben unsere Traditionen nicht auf, unseren Nationalcharakter, um uns durch andere Völker oder Roboter ersetzen zu lassen“ – so spricht Marion Le Pen, die Nichte (und eines Tages vielleicht Nachfolgerin) von Marine Le Pen. Kein Zutritt für Roboter und andere Fremde also. Wir bunkern uns ein und blicken auf die Welt durch die Schießscharte. Die Nationallinke darf sich währenddessen um die sozialstaatliche Ausgestaltung des Innenraums kümmern.
Den skeptischen, warnenden Unterton in dem Artikel kann ich nicht folgen. Vielmehr ist es vollkommen richtig: Kein Sozialstaat ohne Grenzen und Abschottung.
Wir haben in Deutschland durchaus von der „Sozialdemokratisierung“ profitiert. Wir haben kein Hire-and-Fire-System. Stattdessen haben wir Kündigungsschutz, Betriebsräte usw. Bis zu einem gewissen Grad, an dem Überversorgung erreicht ist, ist das nützlich, denn es stärkt die Bindung der Arbeitnehmer an die Unternehmen und es stärkt die innerbetrieblichen Strukturen. Auch habe wir bei uns - ebenso im Gegensatz zu den USA - einen recht bedeutsamen Sozialstaat, der in vielen Lebenslagen (Krankheit, Alter, Pflege) einen Standard garantiert, welcher durch Einzahlungen in die gemeinschaftliche Sozialversicherung funktioniert.
Durch Migration sind diese Systeme erheblich gefährdet. Lässt man Migranten an diesen Errungenschaften teilhaben, dann geraten die Verhältnisse aus den Fugen. Man leistet Beiträge für Leute, die nicht selbst eingezahlt haben. Man kämpft nicht mehr für die Rechte derjenigen, mit denen man sich kulturell identifizieren kann (das ist der linksseitig im Open Border-Wahn sträflich vernachlässigte Aspekte der Identität), sondern schaffte die homogene, solidarische Gesellschaft zugunsten einer heterogenen Gesellschaft ab, in der jeder nur nach dem Maximum an Entgegennahme vonseiten der Gemeinschaftskassen strebt.
Das ist keine Bankrotterklärung und keine Aufgabe des universalistischen Anspruchs. Das ist die bittere Abkehr von einer Träumerei und von einem sturen, wissenschaftsfeindlichen Denken: Wir wissen etwa durch Robert Putnam … dass das gegenseitige Vertrauen innerhalb einer Gesellschaft tendentiell sinkt, wenn die Verschiedenheit durch Einwanderung zunimmt. Für die modernen und reichen Gesellschaften ist das deshalb von Bedeutung, weil wir unzählige, sehr komplexe Institutionen haben, die auf gegenseitigem Vertrauen und Kooperation aufbauen, etwa in unseren Sozialsystemen. Wenn eine Gesellschaft zu verschieden zusammengesetzt ist, wird es schwieriger, die Kooperation in solchen Systemen zu organisieren. Das ist in der Forschung nicht kontrovers, sondern Standard.