Giscard D. und sein letzter Vorstoß

Was haltet ihr vom letzten Vorschlag von Giscard D. dem Konventspräsidenten?

Die Eckpunkte:
Ein von den Regierungschefs gewählter Präsident der EU, der 6 Personen an seiner Seite hat (!); ein einzelner für die gemeinsame Außenpolitik zuständiger Außenbeauftragte, der in Rat und Kommission (wo er auch gleich den Vizekommissar abgibt), Veränderung der länderspezifischen Verteilung der Sitzplätze im europäischen Parlarment nach der Bevölkerungszahl (heißt: zu gunsten der großen Staaten).

(Nicht nur) Meiner Meinung nach bedeuteten diese Vorschläge folgendes:

  1. Der Rat (sprich die Regierungschefs)gewinnt deutlich an Macht. Zum Einen weil mit dem Präsidenten, nun die mächtigste Person der EU vom Rat abhängig wäre und ihm unterstünde. Zum Anderen weil der wichtige Posten des Außenbeauftragten zu einem großen Teil im Rat angesiedelt wäre. Wenn jener Posten dann auch noch von einem loyalen Politiker besetzt würde, könnte der Rat über ihn auch noch die Kommission in einer äußerst bedenklichen Art beeinflussen.

  2. Die Kommission verliert deutlich an Macht. Einerseits gesellt sich an ihre Seite plötzlich eine paralell laufende Institution (die 6 neben dem Präsidenten). Außerdem würde der Posten des Kommissionspräsidentens deutlich abgewertet durch den neu entstanden Präsidentposten.

  3. Das europäische Parlarment erhält keinerlei Machterweiterung. Außerdem werden die großen Staaten im Parlarment mächtiger und die kleinen unwichtiger.

Das sind die offensichtlichen Veränderungen die daraus resultieren. Aber was bedeuten sie?
Meiner Meinung nach folgendes:

Das Ziel der Demokratisierung und der transparenteren Gestaltung würde nich einmal Ansatzweise erfüllt. Einerseits weil das Parlarment als einzig demokratisch legitimierte Institution keine neuen Zuständigkeiten bekommt. Andererseits, und das ist demokratiepolitisch äußerst kritisch, wird die Macht des Rates (sowohl der Ministerrat als auch der Europäische Rat) drastisch vergrößert und die Kommission könnte unter zumindest teilweise Kontrolle des Rates gelangen. Dann löst sich die sowieso ungenügende Gewaltentrennung in der EU komplett in Luft auf.

Aber es würde nicht nur die Bürokratie und die Macht der (meiner Meinung nach) falschen Institutionen erhöht sondern etwas ganz anderes wird zerstört (was realpolitisch wahrscheinlich deutlich mehr Widerstand in der EU hervorrufen wird): Die Reformpläne von Giscard sind ja schon fast eine Einteignung und Entmachtung der kleinen Mitgliedsstaaten. Von Kompromiss ist da nicht einmal nichts zu finden. Wehren sich die kleinen Staaten schon wegen der Abschaffung der rotierenden Präsidentschaft, weil das auf ihre Kosten geht. Nein, das ist noch lange nicht alles. Aus der Kommission fliegen auch noch viele Kommissare der kleinen Staaten raus (sind dann teilweise „Berater“). Und als wenn das noch nicht genug für die kleinen Staaten zu verdauen wäre, werden ihnen gleich im Parlarment auch noch Sitze gestrichen.
Bitte,solch eine Reform KANN ein kleiner Mitgliedschaft ja gar nicht unterstützen. Da wird richtiggehend über Demokratie und Ausgewogenheit in der EU „drübergefahren“.

Ich glaube eine unveränderte Annahme dieser Vorschläge durch alle EU-Mitgliedsstaaten ist ungefähr so wahrscheinlich wie die Ausrufung der Bundesrepublik Europa.

Was war die Reaktion der Komission und des EU-Parlarments? Vorstellbarerweise vernichtend. Aber was noch viel intessanter ist: Der Konvent, dessen Präsident Giscard ja ist, kritisierte das alles am Meisten (wenns nicht so traurig wäre, wäre es zum Lachen). Denn diese Vorschläge von Giscard gehen glatt an den Anliegen und Entscheidungen des Konvents so weit vorbei als ob es diese gar nicht gäbe.

Was will dieser so große Staatsmann (der schon viel in seinem Leben zu stande brachte) mit diesen Vorschlägen erreichen. Will er den Konvent lähmen oder gar „vernichten“, damit die Regierungschefs nicht gar einer unangehmen neuen Verfassung (die ihre Macht beschneiden würde) zustimmen müssen, nur weil sie vielleicht nicht angreifbar ist? Will er vielleicht auch nur jetzt einmal provozieren, damit er ,dann wenn er von den Vorschlägen nur den Präsidentenposten durchsetzt, sagen kann, dass er ja eh einen Kompromiss gemacht hat? Ein ganz interessanter Aspekt den ich dem STANDARD entnommen habe könnte aber unter Umständen auf den gefinkelten Giscard D. zutreffen. Vielleicht will er mit dem Allem gar in Wirklichkeit, die in letzter Zeit geschwächen, Integrationisten im Konvent unterstützen. Und zwar dadurch, dass er sie wach rüttelt und die EU, die über diese Vorschläge sich zutiefst empörte (zumindest die EU abseits der Regierungschefs) dadurch wieder auf den Pfad der Demokratisierung und der weiteren Integration zurückführt.
wie Blair, Chirac, Aznar und Berlusconi)

Ich weiß es nicht was er will. Falls diese Vorschläge aber so in die EU-Verfassung kommen, werde ich bei einer allfälligen Volksabstimmung über sie mir schwer tun sie zu unterstützen.

Was denkt ihr darüber so darüber?

Grüße
Chris

Zum Thema Parlament
Hallo Christoph

(…)

Und als wenn das noch nicht
genug für die kleinen Staaten zu verdauen wäre, werden ihnen
gleich im Parlarment auch noch Sitze gestrichen.

Das will ich doch wohl hoffen.
Mit welchem Recht hat Luxemburg 6 Abgeordnete für ca. 400.000 Einwohner und Deutschland 99 für 82.000.000 ?
Das bedeutet das in Luxemburg 67 Tausend Wähler einen Vertreter entsenden, in Deutschland sind es dagegen 828 TWähler.
Das ist alles andere als demokratisch.
Klar, in manchen Staaten ist die zweite Kammer des Parlamentes ebenso undemokratisch besetzt (BR: NRW=6, Bremen=3), aber ich muss das ja wohl nicht gut heißen.

Ich glaube eine unveränderte Annahme dieser Vorschläge durch
alle EU-Mitgliedsstaaten ist ungefähr so wahrscheinlich wie
die Ausrufung der Bundesrepublik Europa.

Das will ich ebenfalls hoffen. Dieser Konvent sollte sich noch ein paar Jahre weiter mit Reformen beschäftigen. Und am Ende sollte er sich auflösen.

Ich weiß es nicht was er will. Falls diese Vorschläge aber so
in die EU-Verfassung kommen, werde ich bei einer allfälligen
Volksabstimmung über sie mir schwer tun sie zu unterstützen.

Was denkt ihr darüber so darüber?

Du glaubst an eine Volksabstimmung?
Ich nicht, denn die Bürokraten haben viel zu große Angst vor einer Ablehnung.
Vielleicht müssen wir auch so oft abstimmen, bis das Ergebnis den Politikern passt (siehe Irland bei EU Erweiterung).

Verstehe mich bitte nicht falsch, ich will auch eine europäische Zusammenarbeit, aber die Strukturen sind so verkrustet und sollen jetzt von Politiker die in den 80ern aktiv waren modernisiert werden.

Gott bewahre uns vor einem Europa das sich über die größe der Warnhinweise auf Zigarettenpackungen monatelang beschäftigen kann.

Viele Grüße,
Joe

Hallo Jörg

Und als wenn das noch nicht
genug für die kleinen Staaten zu verdauen wäre, werden ihnen
gleich im Parlarment auch noch Sitze gestrichen.

Das will ich doch wohl hoffen.
Mit welchem Recht hat Luxemburg 6 Abgeordnete für ca. 400.000
Einwohner und Deutschland 99 für 82.000.000 ?
Das bedeutet das in Luxemburg 67 Tausend Wähler einen
Vertreter entsenden, in Deutschland sind es dagegen 828
TWähler.

Auf den ersten Blick ist es meiner Meinung nach demokratisch, doch muss man folgendes beachten:

  1. Einmal ganz allgemein gesehen würden Länder wie zB Luxemburg dann so wenig Stimmgewicht haben, dass sie auf die letzten verbliebenen Abgeordneten auch verzichten könnten, weil diese in 0% der Abstimmung einen entscheidenten Anteil haben könnten. Aber um was es ja in Wirklichkeit geht ist, dass es im Parlarment nicht möglich sein sollte, dass ein paar wenige große Staaten über die kleinen hinwegentscheiden können (und zwar über alle kleinen zusammen gleichzeitig). Nur so ist gewährleistet das auch den kleinen Ländern zumindest die Chance gegeben wird mitzuwirken. Ist es demokratisch wenn die Bevölkerung der kleinen Mitgliedsstaaten durch ihre Abgeordneten nicht angemessen vertreten können, sodass die „Großen“ einfach alles über deren Köpfe hinweg entscheiden können. (Es geht mir hier darum, dass die Summe der kleinen Staaten nicht von ein paar wenigen großen Staaten einfach überstimmt werden können; Da setze ich eh schon voraus, dass sich die vielen kleinen überhaupt einmal untereinander einig sind. Das wird hauptsächlich dann der Fall sein, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht)
  2. Der EU-Rat ist traditionell eine Institution, die von den großen Staatden dominiert wird und zu großen Teilen der Interessen vertritt. Die Kommission hat sich verpflichtet einen „europäischen“ sachbezogenen Standpunkt einzunehmen (was meiner bisherigen Erkenntnis besser zu funktionieren scheint als man vielleicht annehmen könnte) Sie ist meiner Meinung nach ein eher ausgeglichenes Organ, das eher auf der Seite der EU und nicht der „Großen“ und der "Kleinen steht. Im Eu-Parlarment hingegen haben die kleineren Staaten eine wichtige Rolle. Somit ist das EP auch ein wichtiger Ausgleich zum Rat. Es hat eh weniger Rechte als der Rat (leider), aber im Sinne einer stabilen EU ist es sehr zu empfehlen, dass auch die kleinen Staaten einen gewissen Einfluss haben.
    Doch wenn sie bei allen drei wichtigen Institutionen gleichzeitig „rausgeschmissen werden“ und das auf einmal und plötzlich ist das nicht nur kurzfristig gesehen ein Hammer. Und wird langfristig zu einer Destablisierung der EU führen, weil sich die kleinen Staaten übergangen fühlen, weil sie nirgends mehr Einfluss nehmen können.)

Grüße
Chris