Hallo,
Glaube erfordert keinerlei Beweise. Nehme ich mal an.
Nehme ich auch mal an, wenn wir von „Beweis“ im wissenschaftlichen Sinne sprechen.
Was bringt also ansonsten rational denkende Menschen an
solcherlei Zeuch bzw. überhaupt an so etwas wie Gott oder
„übergeordnete“ - sie beeinflussende, steuernde - Wesen zu
glauben?
Rationales Denken und Gottglaube sind doch wohl unvereinbar.
Nein, gar nicht. Rationales Denken hilft mir in allen Dingen, die tatsächlich auch (heute, hier und für mich) rational lückenlos und zumindest schlüssig erklärbar sind.
Es gibt jedoch immer Fragen, auf die es (heute, hier und für mich) keine rationale Antwort gibt. Nun habe ich mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen:
a) Ich denke darüber nach und nehme die wahrscheinlichste Möglichkeit, die ich finden kann, als „Arbeitshypothese“ an.
b) Ich nehme es hin, daß man nicht immer auf alles eine Antwort bekommt.
c) Ich nehme eine Antwort an, die in einem dicken Buch steht und sich vordergründig glaubhaft anhört. Andere machen das auch und leben mehr oder weniger gut damit, immerhin leben sie.
Nächste Situation:
Ich befinde mich in einer wie auch immer gearteten Krisensituation. Nachvollziehbare Gefühle in einer solchen Situation sind Angst, Einsamkeit, Hilflosigkeit, Traurigkeit, Unverständnis etc. Nun habe ich mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen:
a) Ich akzeptiere diese Gefühle als Teil von mir und arbeite daran, die Situation zu ändern.
b) Ich lasse mich von diesen Gefühlen vereinnahmen und lähmen.
c) Ich suche und finde Halt und Stütze in Gedankengängen, die mir ein dickes Buch liefert. Andere machen das auch und leben mehr oder weniger gut damit, immerhin leben sie.
Nächste Situation:
Zusammenleben in einer Gesellschaft funktioniert nur dann, wenn es gewisse Verhaltensregeln gibt. Diese müssen irgendwoher kommen und irgendwie vereinbart werden. Nun habe ich mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen:
a) Ich analysiere die Situationen, in die ich komme, fasse die generell möglichen Verhaltensweisen zusammen und entscheide mich aufgrund für mich nachvollzihbarer Argumentationsketten für die logischste Möglichkeit.
b) Ich mach das, was mir als erstes in den Sinn kommt und lebe mit den Konsequenzen.
c) Ich nehme die Regeln, die in einem dicken Buch stehen und verhalte mich danach. Andere machen das auch und leben mehr oder weniger gut damit, immerhin leben sie.
Zusammengefasst:
Möglichkeit a) erfordert in allen drei Fällen den grössten Aufwand an eigener Energie und Denkleistung, da man im Prinzip allein jeden Punkt seines Weltbildes selbst erarbeiten oder zumindest prüfen und abwägen muß, oft unter der Kritik anderer.
Möglichkeit b) erfordert in allen drei Fällen keinen Aufwand, führt aber schnell dazu, daß die eigene Lebensfähigkeit herabgesetzt wird.
Möglichkeit c) erfordert in allen drei Fällen nur einen minimalen Aufwand an eigenen Gedanken, bietet im Falle von Kritik aufgrund der Nichtbeweisbarkeit der Richtigkeit oder Falschheit der Dogmen einen einfachen Fluchtweg und liefert durch ihre Verbreitung stets genügend Mitstreiter, die ein Leben damit möglich machen.
Das bedeutet, daß Möglichkeit c) eigentlich die effizienteste ist, wenn man Kosten und Nutzen (vordergründig) betrachtet. Damit ist es logisch und rational, sie in allen drei Fällen zu wählen. Welchem Glauben man dann letztlich anhängt, halte ich im wesentlichen für ein Produkt des Zufalls (Geburtsort, Eltern, Umfeld).
Weiters bin ich der Meinung, daß es nicht möglich ist, nicht zu glauben, denn auch die Überzeugung „Es gibt nichts außer der Wissenschaft und der Rationalität und alles, wirklich alles kann rational erklärt werden“ ist nur ein Glaube. Die Frage ist lediglich, welchen Stellenwert man dem Glauben zugesteht (letztlich also das Maß an Gleichgültigkeit ) und welches dicke Buch man sich aussucht bzw. wie man sich sein eigenes „dickes Buch“ zusammenbastelt.
Gruß,
Malte.