Gliedweise Integrieren?

Hallo,

versuche zu beweisen das Integral x/x^2 dasselbe ist wie Integral 1/x.

Was mache ich falsch?

Danke!
Daniel

Hallo,
Wenn du x/x^2 durch das x aus dem zähler teilst, kommst du auf 1/x. Du kürzst quasi um ein x…
Ähnlich wie 2/4=2/2^2=1/2 sind…

(x/x^2)/x= 1/x

Hallo,
es ist doch gleich. Integrale sind immer bis auf Konstanten gleich, also 1/2 + X = 5 + X = X fuer irgendwelche Integralausdruecke X.

Steht in deiner Hausaufgabe nicht: „Versuche zu beweisen, dass das Integral x/x^2 dasselbe ist wie das Integral von 1/x?“
Wenn du den Bruch: x/x^2 durch x kürzt, kommt 1/x heraus, also: x/x^2 = 1/x .
Falls das stimmt, werden die Integrale von x/x^2 und 1/x auch gleich sein.

Ja aber ich soll es halt durch Integrieren beweisen, sonst wär es ja einfach…

Hallo,

beim Bestimmen von Stammfunktionen mit verschiedenen Integrationsmethoden (z. B. partielle Integration, Integration durch Substitution, Vereinfachen oder Umformen des Integranden etc.) kann man durchaus unterschiedliche Ergebnisse erhalten (die sich jedoch niemals um mehr unterscheiden als um eine additive Konstante). Nur die Auswertung bestimmter Integrale führt garantiert immer zum selben Ergebnis.

Ich würde einfach

ab x/x² dx = ∫ab 1/x dx

zeigen. Weil auf beiden Seiten dieser Gleichung wohldefinierte Zahlen stehen, ist das ohne Schwierigkeiten möglich. Das linksseitige Integral natürlich durch PI auswerten, nicht durch Wegkürzen eines „x“ (sonst wär die Aufgabe ja völlig banal).

Der Begriff des sogenannten „unbestimmten Integrals“ ist grundsätzlich sehr problematisch. Für was genau steht der Ausdruck „∫ f(x) dx“? Bezeichnet er die Menge aller Stammfunktionen der Funktion f? Das wäre eine saubere Definition, denn diese Menge ist wohlbestimmt (wenn auch immer unendlich groß). Nun möchte man sich aber in diesem Kontext nicht mit Mengen herumschlagen, sondern nur mit Funktionen. Deshalb versteht man unter dem unbestimmten Integral lieber irgendeine Stammfunktion, also irgendein Element der oben angesprochenen Menge. Welche Stammfunktion der unendlich vielen mit „∫ f(x) dx“ gemeint ist, bleibt dabei offen – „es kann jede sein“. Damit ist letztlich die Bedeutung von ∫ f(x) dx aber nicht vollständig festgelegt (wie es eine einwandfreie Definition eigentlich verlangt) und dieser Umstand kann in gewissen Fällen zu merkwürdigen Effekten führen, wie Du gerade gesehen hast. Aus demselben Grund ist es auch schon prinzipiell unsinnig, den Beweis der Gleichheit zweier unbestimmter Integrale zu verlangen.

Gruß
Martin

Mit der Klasse aller Stammfunktionen kann man durchaus, auch bei unbestimmten Integralen, Gleichheit zeigen. Zwei Integrale gehören genau dann zur gleichen Klasse (und wir definieren sie als gleich), wenn sie sich nur um eine Konstante unterscheiden.

Ich bin mir sicher, daß lernt man schon in der Schule so, nur leider vergessen viele diesen Umstand oft.

Gleichheit über bestimme Integrale zu folgern ist falsch. Gegenbeispiel: f(x) = |x| und f(x) = x, mit a = 1, b = 2. Die bestimmten Integrale sind gleich, die Stammfunktionen mitnichten.

Nachtrag: Ich glaube, Du wolltest aus der Gleichheit für alle a,b auf die Gleichheit der Stammfunktionen schließen, richtig? Na gut, das ginge im Lebesgue’schen Sinne (sprich bis auf Nullmengen), aber das führt jetzt zu weit, deswegen ziehe ich mein Gegenbeispiel zurück.

Hallo,

Ich glaube, Du wolltest aus der Gleichheit für alle a,b auf die Gleichheit der Stammfunktionen schließen, richtig?

nein. (Wie kommst Du denn darauf?)

Ich versuchte zu erklären, warum die Aufgabe in der ursprünglichen Form Humbug ist, und wie man sie „retten“, d. h. zu einer logisch sinnvollen Aufgabe abändern kann. Die entsprechende Modifikation ist das simple Hinzufügen von Integralgrenzen (a, b), um die unbestimmten Integrale (deren Unbestimmtheit sich in Rechnungen problematisch auswirken kann) zu bestimmten Integralen (die stets wohldefinierte Größen sind) zu machen.

Gruß
Martin

Naja, dann siehe mein Gegenbeispiel. Es ist dann einfach schlichtweg falsch.

Ich sehe kein Problem über Integrale als Klassen oder Operatoren zu reden. Zumal ja „nur“ die Gleichheit gebraucht wird, und die ist wohldefiniert, siehe meine Definition (die ja auch die gängige Schuldefinition bzw. die der Riemann’schen Analysis ist).

gängige Schuldefinition

Erfreulicherweise ist das unbestimmte Integral aus den Lehrplänen der gymnasialen Oberstufe mittlerweile praktisch vollständig verschwunden. Bleibt zu hoffen, dass es irgendwann ganz seinen Weg in die Müllverbrennungsanlage der Geschichte gefunden hat. Weil das unselige Konstrukt des unbestimmten Integrals komplett überflüssig ist und nur Verwirrung stiftet. Gut und notwendig sind allein die Begriffe Stammfunktion und Integral, wobei mit „Integral“ dann stets das mit Grenzen versehene gemeint ist. Damit lässt sich alles, was es zu sagen gibt, problemlos ausdrücken.

Heuser (Lehrbuch der Analysis , Teil 1) meint zum unbestimmten Integral:

Das Symbol ∫ f dx darf eben irgendeine (und damit auch jede) Stammfunktion von f auf einem gewissen Intervall bedeuten. […] Hat man auf dem Intervall I die Beziehungen ∫ f dx = F und ∫ f dx = G gefunden, so darf man keinesfalls schließen, es sei F = G; man kann vielmehr nur sicher sein, dass F = G + C mit einer gewissen Konstanten C ist.
(Zitat Ende)

Eine Definition über Klassen habe ich zumindest da nicht gefunden.

Martin

Das ist die Klassendefinition: Wir definieren eine Äquivalenzrelation ~ mit F ~ G genau dann, wenn es gibt ein C mit F = G + C. Das = ist gleich aus dem C^\infty (C-unendlich). Dann ist ~ so etwas wie = im C^-1 (Raum der Stammfunktionen) und man macht einfach keinen syntaktischen Unterschied mehr, wenn klar ist, was gemeint ist.

Ich verstehe ehrlich gesagt Deinen Haß nicht. Das ist doch so eine simple Konstruktion, die versteht jeder Abiturient. Ich finde eher andersherum, die Gleichheit durch Gleichheit auf jedem kompakten Intervall zu definieren, sehr anspruchsvoll. Wenn man das sauber definieren möchte (möchte man z.B. in Ana I), dann ist dafür schon ein gewisser Begriffsapparat notwendig (Kompaktheit, Unterschiede zw. Cauchy- und Riemann-Integral, etc.). Fairerweise dazu gesagt: Dem Schüler mag es egal sein, der frißt ohnehin alles ohne Beweis.

Einverstanden. Wie ich schon ganz am Anfang sagte: Die Definition von ∫ f(x) dx als Menge aller Stammfunktionen von f ist einwandfrei und (auch für mich) völlig in Ordnung. Dann soll man es aber konsequenterweise bitteschön bleiben lassen, mit ∫ f(x) dx herumzurechnen als würde es sich um eine Funktion handeln, denn die Operationen „+“ und „–“ sind für Mengen nicht definiert. Wenn ∫ f(x) dx die Stammfunktionenmenge bzw. -äquivalenzklasse bezeichnet, ist das eine saubere Sache, aber dann klebt der Schmutz an all den schönen Notationen wie zum Beispiel
 ∫ (f + g) dx = ∫ f dx + ∫ g dx
oder
 ∫ (f – g) dx = ∫ f dx – ∫ g dx
oder
 α ∫ f dx = ∫ α f dx
oder
 ∫ u’ v dx = [u v] – ∫ u v’ dx

Kleiner Beweis von 0 = ½ gefällig? Gerne:

0 = 0 ∙ ∫ 1 dx
 = ∫ 0 ∙ 1 dx
 = ∫ (1/x – 1/x) ∙ 1 dx
 = ∫ (1/x – 1/x) dx
 = ∫ 1/x dx – ∫ 1/x dx
 = ∫ 1/x² x dx – ∫ 1/x dx   (Minuend wird durch PI ausgerechnet)
 = 1/x² ∙ ½ x² – ∫ (–2/x³ ∙ ½ x²) dx – ∫ 1/x dx
 = ½ + ∫ 1/x dx – ∫ 1/x dx
 = ½ + ∫ (1/x – 1/x) dx
 = ½ + ∫ (1/x – 1/x) ∙ 1 dx
 = ½ + ∫ 0 ∙ 1 dx
 = ½ + 0 ∙ ∫ 1 dx
 = ½ + 0
 = ½

Und jetzt fragt Dich ein Oberstufenschüler nach dem Fehler in dieser Rechnung. Was würdest Du ihm antworten?

Martin

Ich würde ihm sagen, er hat alles richtig gemacht und nun gezeigt, daß 0 und 1/2 in der gleichen Äquivalenzklasse im „Raum der Stammfunktionen“ sind, man könnte auch von Gleichheit oder Kongruenz sprechen (ähnlich wie 7 und 14 das gleiche sind im Ring der Restklassen modulo 7).

Egal jetzt. Ich finde, diesen Level an Abstraktheit ist durchaus jedem Schüler zuzumuten, das war eigentlich mein ganzes Anliegen.

OK, ich erkenne Deinen Standpunkt an. Wenn man ∫ f(x) dx strikt als Menge bzw. Äquivalenzklasse auffasst, sich über die Bedeutung des „=“ in diesem Kontext im Klaren ist, und versteht, dass dadurch Ergebnisse wie „0 = 1/2“ tatsächlich korrekt sind, dann ist wahrhaftig alles gut mit dem unbestimmten Integral (mögen tu ich’s trotzdem nicht…). Ich denke auch, dass ein Hörer der einschlägigen Vorlesungen an einer Uni die mathematische Zweckmäßigkeit dieser Betrachtungsweise sofort erkennt. Ob ein Schüler dafür schon soweit ist, würde ich aber doch mit einem Fragezeichen versehen.

Schönes WE
Martin