Gravitative Zeitdilatation und Geschwindigkeit

Hallo,
wir haben hier gerade einen kleinen Disput, wobei wir eure Hilfe bräuchten.

Also:
Stellen wir uns ein weit entferntes Raumschiff vor, das sich von uns aus betrachtet mit 100km/h konstant bewegt. Nun fliegt das Raumschiff durch ein Gravitationsfeld, wodurch von uns aus betrachtet die Uhren an Bord des Raumschiffes langsamer laufen.

Die Frage ist nun: Bleibt es bei den 100km/h oder wird das Raumschiff aufgrund der lokalen Zeitverlangsamung vor Ort auch langsamer - immer von uns aus betrachtet.

Beobachten wir also, wie das Raumschiff mit 100km/h zunächst in das Gravitationsfeld fliegt, dann dieses aufgrund der Zeitdilatation im Kriechgang durchquert und anschließend wieder mit 100km/h weiterfliegt?

Gruß von Eva

Hi Eva,

Das dürfte selbst interplanetar um einen Faktor in der Größenordnung 1000 zu langsam sein. Und interstellar erst recht :slight_smile: Aber darum geht es ja jetzt nicht. Und wohl auch nicht um die gravitative (positive und negative) Beschleunigung des Raumschiffs beim Vorbeiflug.

Ja, natürlich ist mit der gravitativen Zeitdilatation auch eine Geschwindigkeitsveränderung gegeben, die der externe (ruhende) Beobachter feststellt. Sie hängt ab vom Abstand des Objektes (bzw, seiner Uhr) von der Gravitationsquelle und von deren Schwarzschildradius.

Btw.: Das ist ja auch der Grund, weshalb für einen externen Beobachter ein Objekt, das in ein Schwarzes Loch fällt, am Ereignishorizont „einfreirt“, d.h. es überquert ihn niemals: Bei ihm ist die Zeitdilatation ∞ (entsprechend seiner Rotverschiebung z = ∞), seine Geschwindigkeit ist Null.

Gruß
Metapher

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Hi Metapher - schön, daß es dich hier noch gibt :wink:

das heißt also (alles immer von mir aus betrachtet), das Raumschiff wird plötzlich langsamer ohne zu bremsen und danach wieder schneller ohne zu beschleunigen?
Und auch ein Lichtstrahl würde langsamer und dann wieder schneller?

Bei der RT haben wir es ja immer mit Zeitdilatation und Längenkontraktion zu tun - ich dachte nun eigentlich immer, daß bei Berücksichtigung beider Effekte sich das stets ausgleicht.

Und am Ereignishorizont kommt Licht zum Stillstand. Stillstehendes Licht? Ich verfüge ja in der Tat nur über gefährliches Halbwissen (genug, um mitzureden - zu wenig, um wirklich durchzusteigen :grin:), aber Licht kommt sicher nie zum Stillstand!

Zeitdilatation ∞ am Ereignishorizont

Man findet hier im Forum etliche Beiträge, die das verneinen - die sagen, daß die Zeitdilatation erst in der Singularität gegen ∞ geht (ich glaube, DrStupid war da ein „Wortführer“ von) - ich ging eigentlich auch immer davon aus.
Die Aussage lautet: Man darf nicht von Rotverschiebung z = ∞ auf Zeitdilatation = ∞ schließen. Bei diesem vermeintlichen „Einfrieren“ handelt es sich um eine Art „optische Täuschung“. In Wirklichkeit (<-auweia) läuft die Zeit am Ereignishorizont weiter, zwar langsam, aber nicht 0. Wir „sehen“ nur, daß da scheinbar alles zum Stillstand kommt.

Also: wenn am Ereignishorizont die Zeit stillstünde (und immer von uns aus betrachtet, lasst uns heute extrem egozentrisch sein -> was der Raumfahrer da oben erlebt, ist uns mal völlig schnuppe), dann wäre das mit dem Schwarzen Loch ein ziemlich unkomplizierter Vorgang:

Kollabiert ein supermassereicher Stern, drückt die Gravitation seine Masse immer mehr zusammen bis sein Durchmesser den Schwarzschildradius * 2 erreicht. Nun käme alles zum Stillstand, da ja die Zeit stillsteht. Kein weiteres Kollabieren, keine Singularität, nichts von all dem ganzen ART-Voodoo :slightly_smiling_face:
Ein Schwarzes Loch wäre dann ein supermassives festes Gebilde, eingefroren in der Zeit, mit dem Durchmesser Schwarzschildradius * 2. Objekte würden dann nicht „hineinfallen“, sondern vielmehr auf seiner Oberfläche „aufschlagen“ (sehr sehr langsam natürlich), mit ihm verschmelzen, wodurch sich der Schwarzschildradius ausdehnt.

All die Fragen wie: kann etwas den Gravitationskollaps vielleicht doch aufhalten, gibt es Singularitäten überhaupt, wie spielt die Quantenmechanik da mit, was geschieht im Innern, etc. wären hinfällig.

Oder sehe ich das falsch?

Gruß Eva

Hi Eva

ich war ja nie weg :slight_smile: Aber du warst lange (ca 5 Jahre) nicht hier im Brett :sunglasses:

Ja, für den (in unendlicher Ferne) ruhenden externen Beobachter.

Ja, aber nur alternativ: Wenn das μ-Meson, entstehend in 30 km Höhe, trotz seiner Lebensdauer von nur 10-8 s (die gerade für 3 m reichen würde) den Erdboden erreicht, dann für den Beobachter wegen der Zeitdilatation. Im Ruhesystem des Mesons dagegen kontrahiert sich die Strecke auf ca 3 m. Anderes Beispiel (mit eigentlich unerlaubter Abstraktion): Ein Photon braucht auf dem Weg zur Androemda-Galaxie keine Zeit, weil die Uhr stillsteht. In seinem Eigensystem (ich weiß, gibt es gar nicht) dagegen kontrahiert die Distanz auf Null.

Bei solchen Abstraktionen ist immer Vorsicht geboten. natürlich „steht Licht nicht still“. Ein Photon ist ja auch kein Gegenstand, der Lichtsignale aussendet. Das Photon einer z.B. monochromatischen Welle ist eine δ-Funktion, d.h. ein mathematischer Punkt. aber eine monochromatische Welle ist unendlich lang, hat also weder Anfang noch Ende. Aber es geht ja hier um die Frage, was sieht ein Beobachter von einem Objekt, das auf den Horizont zufällt.

Was da mit den ausgesendeten Informationen, Ort und Geschwindigkeit, passiert, hängt u.a auch von den beschreibenden Koordinatensystemen ab (siehe z,B. hier).

Das ist nicht unkompliziert. In den „äußeren Schwarzschildkoordinaten“ gibt es am Horizont jedenfalls eine Unstetigkeitsstelle. Die Zeitdilatation

Δ t / Δ τ = √ (1 - rS/r)-1

wächst bei r → rS ad infin. Die Rotverschiebung daher ebenfalls. Daher „sieht“ man das Onjekt natürlich eh nicht. Daß das Objekt für den externen Beobachter „einfriert“ ist natürlich nicht sinnvoll gesagt (Unendlichkeiten gibt es ja in der Physik nicht). Etwas präziser sollte man sagen: Das Überschreiten des Horizontes beobachtet der Externe erst nach unendlicher Zeit.

Selbstverständlich gilt das nicht für das Eigensystem des Objektes. Das erreicht die Singularität im BH nach endlicher Zeit (in der abstrahierten Schwarzschild-Metrik des BH: Nicht rotierend, sphärisch und absolutes Vakuum).

Das alles gilt übrigens nicht für z.B. kollabierende Sterne, die das gravitationelle Szenario ja selbst erst im Kollaps erzeugen. Du hast recht mit der Vemutung, daß man sonst ja z.B. 1a-Supernovae gar nicht beobachten könnte :slight_smile:

Die sind ja eh nach wie vor Gegenstand aktueller theoretischer Physik. Und die ist in diesem Kontext weit entfernt von jeglicher Möglichkeit beobachtender Verfizierung bzw. Falsifizierung. Zu den Horizont-Fragen hat vor ein paar Jahren z.B. Leonard Susskind (einer der Super-Heroes in ART, QFT und Stringtheorie) sein „Firewall“-Theorem in die Diskussion gebracht.

Btw.: Auch wenn man nicht alles verstehen sollte: Ein Vergnügen ihm bei seinen Vorlesungen zuzuhören: https://www.youtube.com/watch?v=OBPpRqxY8Uw oder https://www.youtube.com/watch?v=yMRYZMv0jRE

Schöne Grüße
Metapher

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Nur eine Anmerkung:

Ruhend in Bezug auf das Raumschiff, das Gravitationsfeld oder das Universum?

Natürlich ist hier „ruhend in Bezug auf das Gravitationsfeld“ gemeint. Aber man sollte nicht vergessen, dass es im Universum keine Möglichkeit gibt, eine Ruheposition in Bezug auf das Universum festzustellen oder einzunehmen. ALLE Geschwindigkeiten sind relativ zu anderen Objekten, eine absolute Geschwindigkeit existiert nicht - auch keine Geschwindigkeit Null.

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Hallo,

Aber du warst lange (ca 5 Jahre) nicht hier im Brett

Ja genau, daher ist es immer wieder interessant zu schauen, wer noch alles da ist :wink:

Das Problem mit diesen Debatten über Schwarze Löcher ist doch immer wieder, daß das Thema schlicht so komplex ist, daß ein kurzes „erklär mal schnell was da los ist“ abends bei einer Flasche Wein halt einfach nicht funzt :slightly_smiling_face:
Man müßte sich halt schon extrem tief in die Materie hineinarbeiten - doch dafür bin ich wahrlich zu alt :grinning: :grinning: :grinning:

Die angeführten Vorlesungen von Leonard Susskind schau ich mir aber auf jeden Fall an


Nun will ich aber doch nochmal nachhaken:

Das Überschreiten des Horizontes beobachtet der Externe erst nach unendlicher Zeit.

Also geht in der Tat die Zeitdilatation am Ereignishorizont gegen ∞

Selbstverständlich gilt das nicht für das Eigensystem des Objektes. Das erreicht die Singularität im BH nach endlicher Zeit.

Das ist klar. Doch was würde der hineinstürzende Raumfahrer ermitteln, machte er sich Gedanken über die Welt außerhalb?
Die gravitative Zeitdilatation ist ja nicht relativ, sondern übereinstimmend - also rast für ihn die Zeit für das restliche Universum zunehmend. Erreicht er den Ereignishorizont in endlicher Eigenzeit, wäre im Rest des Universums unendlich viel Zeit vergangen.

Und da irgendwann einmal alles endet (alte Weisheit von MrSpock persönlich) -auch das Universum (sei es nun im BigCrunch, BigRip oder im BigIrgendwas)-, hieße das doch, daß auch vom Raumfahrer aus betrachtet in seiner Eigenzeit er den Ereignishorizont nie ereicht, weil bis dahin das gesamte Universum samt ihm höchstselbst und seinem Schwarzen Loch nicht mehr existierte?

Also: wenn in der Tat am Ereignishorizont die Zeitdilatation gegen ∞ geht, dann ist genau dieser Ereignishorizont nicht erreichbar, egal für wen - auch für den, der da mit Karacho hineinstürzt. Weil dann von seinem Bezugssystem aus gesehen für das gesamte restliche Universum unendlich viel Zeit vergangen wäre - wodurch alles, auch er samt seinem Schwarzen Loch, schlicht nicht mehr existierte.


Nun noch eine andere Rechnung, die besagt, daß die Zeitdilatation am EH nicht gegen ∞ geht (habe ich hier im Forum gefunden, ist von DrStupid):

Für die Zeitdilatation im Gravitationsfeld gilt
Δt’ = Δt·(1-Φ/c²)
Jetzt braucht man also „nur noch“ das Gravitationspotential Φ. Mit dem Newtonschen Gravitationspotential
Φ = -G·M/r
komme ich am Schwarzschildradius
RS = 2·G·M/c²
auf
ΦS = -c²/2
und somit auf eine gravitative Zeitdilatation von
Δt’S = 1,5·Δt

Das Problem ist leider, dass ich nicht weiß, ob man das Newtonsche Gravitationspotential in der Schwarzschildmetrik verwenden darf.

Also ist diese Rechnung fehlerhaft?

Gruß Eva

Ja, selstverstödlich.

Und das Ganze ist ja eine Abstraktion. Gedankenexperiment. Dazu werden ja, wie üblich, alle Parameter, die nicht zum Wesentlichen gehören, abstrahiert, bzw. so gesetzt, daß es berechenbar wird. In diesem Fall einen relativ zum Feld unbewegten Beobachter außerhalb des Feldes (= in „unendlicher Entfernung“). Würde man das realisitsch argumentieren wollen, müßte man ja noch Effekte relativistischer Kinematik dazunehmen.

Gruß
Metapher

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Das ist leider wahr :slight_smile: Und dabei ist das Ganze sogar bloß klassische Feldtheorie.

Die Situation ist allerdings nicht symmetrisch. Der fallende Beobachter muß die reltivistische Kinematik mit einbeziehen. Hier (am Ende des Abschnitts) ist es angedeutet, auf welche Weise.

Er durchquert den Horizont (btw. unbemerkbar) in seiner ungestörten Reisegeschwindigkeit. Und auch die Singularität (in der Schwarzschildmetrik im Zentrum des BH) erreicht er in endlicher Zeit (in der er, wie manche Modelle nahelegen, auch weiterhin Informationen aus dem Universum erhält), und innerhalb derer ändert sich unterdessen im Universum nicht sehr viel.

Neinnein, für den Fallenden ändert sich nichts, wie gesagt. Während der Externe ihn noch am Horizont schweben sieht, ist er längst dahinter verschwunden und sogar in der Singularität angekommen.

Wo hast du diese Form her? Du meinst sicher die Näherungsform für schwache Gravitationsfelder. Sie steht z.B. hier. Für die GPS-Korrekturen reicht das.

Man darf bei diesen Gedankenspielen ja auch nicht vergessen: bereits im Abstand des mehrtausendfachen Schwarzschildradius ist die Abweichung von der euklidischen Geometrie erheblich. Dann hängen alle Überlegungen sehr von den verwendeten Metriken ab. Z.B. stellt sich in Kruskal-Szekeres-Koordinaten vieles deutlicher dar, ist aber recht tricky, damit zu rechnen (ich trau mir das nicht zu, es ist zu lange her :frowning: ).

Gruß
Metapher

Hi, jetzt hab ich’s geschnallt!

Ich Trottel ging von einem feststehenden Raumschiff da oben am EH aus - aber so etwas gibt es ja gar nicht! Am EH ist ja alles im freien Fall!
Und im freien Fall gleicht sich die gravitative und die kinetische Zeitdilatation aus (vom Raumfahrer aus betrachtet).

Also ergibt sich folgendes Bild:
Von uns aus betrachtet bewegt sich das Raumschiff immer langsamer werdend auf den EH zu und erreicht diesen nie.
Von unserem Raumfahrer aus betrachtet rast er jedoch mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch den EH in die Singularität im Bruchteil einer Sekunde - auch nach unserer Uhr, nicht nur nach seiner!!!

WOW! Das ist toll! Die philosophischen Konsequenzen daraus muß ich mir erst noch überlegen.
Es gibt dann zwei Realitäten: unser Raumfahrer verharrt am EH und erreicht diesen nie - rast aber auch in die Singularität.

Auweia - das wird Einstein aber überhaupt nicht gefallen haben :smile:

Jetzt muß ich mich aber auch noch einmal für all die Mühe bedanken, die notwendig war, damit ich das endlich auch mal kapiere :slightly_smiling_face:

Viele Grüße
Eva