Seele - religionsgeschichtlich
Hi Jump
Wie sehen das die verschiedenen Religionen ?
Die anderen beiden Unterfragen erledigen sich wohl von selbst mit dieser ersten, da sowohl ein Seele-Begriff wie auch ein Gottesbegriff immer nur innerhalb eines bestimmten religionssprachlichen Raumes betrachtet werden können.
Die Frage selbst „Haben Tiere eine Seele…“ würde ich, um mißverständliche Diskussionen zu umgehen, vielleicht so formulieren:
„Welche ‚Seele‘-Begriffe gibt es in verschiedenen religiösen oder philosophischen Konzeptionen und beziehen sich diese nur auf den Menschen oder auch auf andere Lebenwesen?“
Dabei ist es, wie bei allen religiösen (und auch philosophischen) Begriffen, immer das Problem, den Begriff „Seele“ zunächst in anderen Sprachen bzw. Denksystemen überhaupt zu identifizieren. Denn schnell wird etwas mit „Seele“ übersetzt, das aber gar nicht dem Begriff entspricht, wie er im deutschsprachigen Raum verwendet wird - abgesehen davon, daß selbst dieser keineswegs eindeutig ist.
Allgemein kann man sagen, daß Seelenbegriffe in der Geschichte aller bekannten Kulturen häufig etwas mit Dämonologie (also im weiteren Sinne etwas mit archaischer „Psychologie“) zu tun haben, auch mit Krankheits- bzw. Heilungstheorien (im sibirischen Schamanismus z.B.) und mit Todesvorstellungen (die ka’ in Ägypten), mit Gefühlen im weiteren Sinne ebenfalls (germanische Vorstellung vom Austausch der Seelen zweier Liebender), mit Theorien des Träumens und der Phantasie (Tibet, Sibirien, Australien…), und mit der Formulierung höchster Lebensziele (Integration des individuellen atman mit dem universellen brahman im frühen Hinduismus). Darüberhinaus aber auch mit physischem, sinnlichen Leben überhaupt: und damit kommt tatsächlich auch die Pflanzen- und Tierwelt in die Seelenvorstellungen mit hinein.
Die Schwierigkeit eines Vergleichs der Vorstellungen liegt - neben den Übersetzungsproblemen der Bezeichnungen - auch in deren ungeheuerer Vielfalt und Komplexität. So gibt es im antiken chinesischen Kuan-Jin-Zi fünf verschiedene Begriffe für Seelenartiges ‚hun‘, ‚poh‘, ‚shen‘ (= ungefähr ‚spiritus‘), ‚guei‘ (= ungefähr ‚dämon‘) und ‚zing‘ (= ungefähr ‚äther‘). In einigen Stämmen Sibiriens wird unterschieden zwischen einer „Seele“, die sich - wie man es in der Phantasie tut - an einen anderen Ort begeben kann (wenn die von einem Dämon gefangen wird, wird man krank), einer, die im Traum den Körper verläßt und beim Erwachen zurückkommt, und einer, die den Körper beim Tod verläßt. Die griechische ‚psyche‘, die dem lebenden Menschen prä- und postexistent ist, und von der sich die wesentlichen Züge christlicher Seelenbegriffe herleiten, steht also nicht allein in der Weltgeschichte.
Die ‚seola‘ (von der ‚Seele‘ kommt) im germanischen Raum ist mit der gotischen ‚saivala‘ identisch, die manche Autoren von ‚saivs‘ (= die See) ableiten. Andere sehen die Wortverwandtschaft mit griech. ‚aiólos‘ (= leicht beweglich). Diese seola ist etwas, das „im“ Menschen ist, und das ihn auch verlassen kann, insbesondere wenn er stirbt. Dann kann sie auch in andere Lebenwesen überspringen: Pflanzen (Blume, Baum) oder Tiere (Schlange, Maus und besonders Schmetterling und Vogel, in welcher Gestalt die seola wohl meistens eh gedacht wurde).
Sie hat aber auch eine enge Verwandtschaft mit anderen dämonologischen Wesen: So kann sie z.B. als ‚irwisch‘ (Irrlicht) auf dunklen Pfaden und im Moor ihr Unwesen treiben und Wanderer auf Irrwege locken (wie der ‚butz‘).
Von dieser seola (femininum), die nur dem Menschen zukommt, ist das ‚ferah‘ (neutrum, altnordisch ‚fiör‘) zu unterscheiden, das im Sinne von Leben, Lebenskraft allen Lebewesen zukommt, sogar in dem gotischen ‚fairhvus‘ die Bedeutung „Welt aller Lebewesen“ annimmt. ‚ferah‘ ist sprachlich verwandt mit altpersisch ‚ferver‘ („Geister“, „Seelen“).
Auch der ‚ahma‘ (masculinum, verw. mit ‚anima‘, noch vorhanden im nach-‚ahmen‘) und der ‚atum‘ (davon ‚Atem‘, verw. mit sanskr. ‚atman‘) hat eher die Bedeutung „Lebenskraft“: Er ist das, was aus dem Körper entweicht, wenn dieser stirbt.
Das ‚getwas‘ (‚geist‘, Gespenst), wird erst relativ spät als „Geist“ zu einer Vokabel, die das lat. ‚spiritus‘ und ‚mens‘ (Vernunft) und das griech. ‚nous‘ (Vernunft, Denkvermögen) und ‚pneuma‘ (Wind, ‚Geist‘) übersetzt, und das dann im Deutschen Idealismus zum philosophischen Terminus wird.
Lat. ‚spiritus‘ (zu ‚spiro‘ hauchen), ‚anima‘, ‚animus‘ (verw. mit griech ‚anemos‘ Wind, aber Stammwort zu ‚animal‘ Lebewesen), griech. ‚psyche‘ (von ‚psycho‘ hauchen), ‚pneuma‘ (zu ‚pneo‘ wehen), ‚nous‘, altindisch ‚atman‘, auch die unten schon schon zitierte hebräische ‚neshamah chajjim‘ (Odem des Lebens): alles das sind Wörter im Bedeutungsraum „Atmen, Luft, Wind“. Insofern beziehen sie sich alle auf lebende Wesen.
Aristoteles hat dies Definition für ‚psyche‘ auf den Punkt gebracht: „Die erste Wirklichkeit (entelécheia) physischer Körper, die der Möglichkeit nach Leben haben“.
„Lebendes Wesen“ ist dementsprechend auch das unten erwähnte hebräische ‚näphäsh chajah‘ eher als „lebende Seele“. Aber bereits die Septuaginta übersetzt dieses Wort mit ‚psyche zosa‘, lebende Psyche. Wichtig für die Interpretation von 1. Mos. 2.7 ist, wenn man hier schon ‚näphäsh‘ unnötigerweise mit „Seele“ übersetzen will, daß dann der Mensch hier ‚näphäsh‘ IST, und nicht eine ‚näphäsh‘ HAT. ‚näphäsh‘ hat eine noch nicht geklärte Etymologie. Ursprünglich ist wohl „Kehle“ damit gemeint (siehe Ps. 69.2 "…das Wasser geht mir schon ‚al-näphäsh‘ bis zur Kehle). Aber ‚näphäsh‘ in 1. Mos. 9.4 deutet an, daß es, d.h. das Leben, nach israelitischer Auffassung seinen Sitz im Blut hat.
Womit wir bei einem ganz anderen Ausdruck von „Seele“ wären: nämlich dem des (schlagenden) Herzens griech. ‚kardia‘, lat. ‚cor‘. Das Herz - obgleich der am deutlichsten physische, biologische Ausdruck für Seelisches - steht, wo immer er benutzt wird, für „psychologisches“ im eigentlichen Sinne, für Emotionales, für das Gefühlsleben, die Selbstreflexion, die subjektive Befindlichkeit. Die (meiner ganz subjektiven Einschätzung nach) literaturgeschichtlich wichtigste Äußerung mit diesem Ausdruck „Herz“ findet sich in 1. Joh. 3.19 (mit einer etwas komplizierten Satzkonstruktion) „Und daran werden wir erkennen, daß wir ‚aus der Wahrheit‘ sind, und bringen vor ihm (in seiner Gegenwart) unserer Herz zur Ruhe, daß, wenn uns unser Herz auch verdammt, der Gott größer ist als unser Herz und er alles weiß“.
Interessant aber, daß Wörter, die mit „Leben“ im eigentlichen Sinne zu übersetzen wären, in vielen Sprachen ganz andere sind: lat. ‚vita‘, griech. ‚zoe‘ und ‚bios‘, hebr. ‚chajim‘.
Zusammenfassend kann man sagen, daß in den meisten Kulturen diejenige „Seele“, die ein Wesen zu einem „lebenden Wesen“ macht (ob Pflanze oder Tier), auch dem Menschen zukommt. Daß dem Menschen aber noch (mindestens) eine andere Art von „Seele“ zukommt, die ihn zum Menschen macht (und daher zu etwas anderem als ein Tier - womit aber meist nur eine andere Betrachtungsweise gemeint ist, nicht unbedingt ein „höherer“ Rang). Ferner, daß diese menschliche „Seele“ eher Verwandschaft mit „Dämonen“ hat, also mit Wesen, die ausschließlich immateriell sind, die sich aber anderer Lebewesen bedienen können, bzw. sich in sie hineinbegeben - und sie wieder verlassen - können.
Die europäische Philosophiegeschichte der Seelenbegriffe hab ich hier mal ausgelassen. Sie läuft einen komplizierten Entwicklungsweg über Augustinus, Plotin, die scholastischen Theorien, die deutsche Mystik (incl. später J. Böhme), Descartes und der Beginn des sog. Leib-Seele-Problems, Leibniz, die Materialisten (d’Holbach, Lamettrie) bis hin zu Wundt’s Aktualitätstheorie, nach der die Seele nur in ihren Abläufen, Funktionen besteht und nicht außerhalb seelischer Vorgänge eine selbständige Existenz besitzt. Ja und dann noch die Geschichte der Psychologie bis heute, in der ein „Ding“ wie „Seele“ oder „Psyche“ eigentlich überhaupt nicht vorkommt.
Gruß
Metapher