Hallo! Eure Debatte ist zwar schon etwas länger her, ich möchte aber dennoch einen Kommentar dazusetzen. Wie richtig gesagt wurde, wandte sich Marx gegen Hegels fortschrittsoptimistische Geschichtsphilosophie, wonach sich die Menschheit dialektisch auf ein höheres Ziel hinbewege, getrieben von einem „Weltgeist“, der sich in einzelnen historischen Personen manifestiere, die die geistige Weiterentwicklung ihrer Zeit besonders vorantrieben.
Auch Marx glaubte, dass sich Geschichte dialektisch vollziehe, dass sie also von Gegensätzen vorangetrieben werde: Einem bestimmten geschichtlichen Zustand bzw. einer politischen Auffassung (These) stellen sich Widersprüche (Antithese) gegenüber, woraus sich dann eine Lösung bzw. eine historische Weiterentwicklung (Synthese) ergebe.
Nur glaubte Marx - im Gegensatz zu Hegel - , dass sich hinter dieser Dialektik kein metaphysisches System verbarg. Für Marx sind es also alleine die materiellen Bedingungen und die gesellschaftlichen Widersprüche, die die Geschichte teleologisch fortschreiten lassen. Deshalb wird auch immer wieder behauptet, Marx habe Hegel „auf den Kopf“ gestellt. Trotz aller Unterschiede gibt es aber eine wichtige Parallele: Sowohl Marx als auch Hegel halten an einer teleologischen Geschichtsauffassung fest. Sie meinen beide, Geschichte entwickele sich nach objektiven Gesetzmäßigkeiten. Für Marx bestanden diese Gesetzmäßigkeiten in der Abfolge verschiedener historischer Etappen, die nach der Überwindung des Kapitalismus zu einer sozialistischen Übergangsgesellschaft führen sollten, die später im Kommunismus, dem „Paradies auf Erden“ enden sollte.
Nach 1989 kam ein amerikanischer Politologe auf die Idee, das Scheitern der marxistischen Geschichtsphilosophie mit einem Rekurs auf Hegel belegen zu wollen: Francis Fukuyama glaubte in der Tatsache, dass sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts überall parlamentarische Demokratien durchzusetzen begannen, das „Ende der Geschichte“ im Sinne Hegels zu erblicken. Das war sicherlich genauso naiv, wie das Beharren der Marxisten an ihrer Teleologie.
Ein Blick in Poppers Schriften (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde/das Elend des Historizismus) hätte vielleicht davor bewahrt, dieser doch so fragwürdigen Geschichtsteleologie nachzuhängen.
Viele Grüße, Dr. A. Muschik (der sich gerade auf seinen Philosophieunterricht vorbereitet)
Da ich direkt angeschrieben wurde, möchte ich auch antworten. Allerdings nur in kurzen Anmerkungen, da mir im Moment die Zeit für tiefergehende Auseinandersetzungen fehlt.
Marx wird sehr oft-meist in der bürgerlichen Literatur-ein mechanisches Geschichtsverständnis- unterstellt. Oder gar eine teleologische Auffassung dahinter steckt, wie von Dr. A. Muschik vermutet
Beides ist nicht richtig. Das dialektische Geschichtsverständnis von Marx besteht ja gerade in der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen der objektiven und der subjektiven Seite.
Als objektive Seite sind Gesetzmäßigkeiten zu verstehen, die relativ unabhängig vom bewussten Handeln sind (Vor allem die Entwicklung der Produktivkräfte)
Mit subjektiver Seite ist bewusstes Handeln gemeint. Ein Kernproblem besteht in einem „falschen“ Verständnis bezüglich des Charakters der jeweiligen Gesellschaftsform. Z.b wenn sich objektive Klassenwidersprüche in rein religiösen Auseinandersetzungen ausdrücken. Oder wenn uns der real existierende Imperialismus als freie Marktwirtschaft verkauft wird.
Marx und Engels wollten das die Unterdrückten nicht Getriebene , sondern Antreiber der Geschichte sind. Einen Großteil seines theoretischen und praktischen Handelns war deshalb die Organisationsfrage. Das „richtige“ Bewusstsein ist entscheidend, nicht das blinde Abwarten auf geschichtliche Gesetzmäßigkeiten.
Die Marxsche Theorie mag in Einzelpunkten nicht mehr zeitgemäß sein, in ihren Grundaussagen ist sie aber hochaktuell.
Weshalb der Pragmatiker und Lieblings Philosoph der Neoliberalen Karl Popper als Beweis für das angeblich teleologische Verständnis von Marx angeführt wird, erschließt sich mir allerdings nicht.
Popper findet das Bestehende zweckmäßig weil es halt besteht. Teleologischer geht’s wohl kaum.
Mit lieben Grüßen
Dietmar Kupfer
Lieber Herr Kupfer,
vielen Dank für Ihre rasche und interessante Antwort.
Sie haben sicher Recht, dass Marx in vielen Aspekten falsch verstanden wurde und immer noch wird. Auch ich teile Ihre Ansicht, dass Marx in vielerlei Hinsicht hochaktuell ist.
Vielleicht habe ich mich zu sehr von der Sekundärliteratur beeinflussen lassen. Dennoch fällt es mir schwer, Marx nicht als Anhänger einer teleologischen Geschichtsauffassung zu sehen. Dafür finden sich ja auch Belege in seinen SChriften. Ich denke hier z. B. an das berühmte Zitat aus „Das Kapital“: „Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist (…) kann sie natürgemäße Entwickilungesphasen weder überspringen noch wegdekretieren“.
Ich teile ebenfalls IHre Kritik am kapitalistischen System, die ich in Ihren Ausführungen deutlich herausgehört zu haben glaube. Popper ist aber doch kein Verfechter eines turbokapitalistischen LIberalismus’. Im Gegenteil, er sagt doch auch ganz deutlich, dass man den kapitalistischen Kräften in der Marktwirtschaft (durch tarflich-gesetzliche Arbeitnehmerrechte, sozialstaatliche Transferleistungen, Grundrechte usw.) entgegenwirken müsse, um das Grundprinzip des LIberalismus - nämlich die Freiheit des Einzelnen - durch ökonomische Abhängigkeiten nicht zu gefährden. Im Moment passiert in unserer globalisierten Welt allerdings genau das, wovor Popper gewarnt hat.
Viele Grüße,
Alexander Muschik