Ich werde 66 und habe den Eindruck, dass die „Zeit“ quasi rast.
Obwohl ich jeden Tag ziemlich bewußt viel mehr Kleinigkeiten wahrnehme und auch genieße als in Berufstätigkeit, kommen mir meine Tage, Monate, Jahre irgendwie kürzer vor.
Irgendwelche " natürlichen" Erklärungen wie mir fällt Alles schwerer oder ich bin langsamer geworden schließe ich 90% aus. Allerdings bin ich sehr viel gelassener geworden als vor 20 Jahren.
Ich bin auch nicht uhrzentriert. Schlafe, bis ich wach werde und gehe ins Bett, wenn ich müde bin. Mache dann tagsüber aber ständig irgendwas, sitze also selten dumm rum.
Ist das normal? Wenn nicht oder doch, würde mich das nicht stören, ich wüsste nur gerne den Grund.
Merci.
Amokoma1
Ich glaube, das ist ganz einfach zu erklären. Wenn Du Dich erinnerst: als Kind war das doch „ewig“ von Weihnachten bis endlich wieder Weihnachten war. Und das hat vermutlich zwei Gründe:
- wenn Du 4, 5, 6 Jahre alt bist, dann ist ein Jahr 1/4, 1/5, 1/6 Deines gesamten Lebens (und wenn wir dann noch die 2 Jahre abziehen, an die man üblicherweise keine Erinnerungen mehr hat wird’s noch weniger…)
- wenn Du 60 bist, ist das bloss noch 1/60 Deines Lebens, also nur ein recht kleiner Bruchteil
Zweitens ist das wohl so, dass Wege, die man zum ersten Mal zurücklegt einem länger vorkommen als wenn man das schon 1000mal gemacht hat. Erinnere Dich, das erste mal der Weg zur neuen Arbeit - der Weg vom Hotel zum Strand. Das erste Mal zieht sich das eewig, weil so viele Eindrücke sind - später ist’s dann Routine und Du weisst schon, was Dich erwartet. Ähnlich ist’s mit der Zeit: Du weisst schon, dass Weihnachten Onklel Rudi wieder besoffen unterm Sofa liegt und Tante Susi am Gänsebraten rummäkeln wird
Danke. Das hilft mir zu einer neuen Frage weiter. Solche Fragen erörter ich eigentlich nur mit meinem Cousin. Du bist hier ein seltener Vogel. Ist der Mensch sich dann von Anfang an seiner eigenen Endlichkeit unbewusst klar? Wäre evolutionstechnisch ja prinzipiell supergut. Ein individuell eingebautes Wissen über das Verfallsdatum.
Ich habe das dann wohl. Okay.
Wenn ich mir dann aber Politik anschaue, muss das aus den Fugen geraten sein.
Irgendwie sind dann lauter Zombies obendrauf.
Treff ich ich Dich in Konstanz?
LG
Rebekka
Hallo,
ich würde behaupten, dass die Erkenntnis der eigentlichen Endlichkeit bei den meisten Menschen erst in der Mitte des Lebens Einstritt - bei manchen auch gar nicht.
Noch immer ist es so, das Teens das 20. Lebensjahr gerade so für erstrebenswert halten. Das 30. Jahr ist aus ihrer Sicht schon kurz vor Tod. Danach wird man einfach nur noch älter und faltiger. Wenn man dann selbst 30 ist, verschiebt sich das auf 50. Viele Menschen fühlen sich ab dem 50. angeblich auch deutlich älter. Und so setzt sich das Fort. Das eigene Vergehen, dass man eigentlich ab der Geburt auf den Tod hinarbeitet, das verdrängen oder leugnen die Menschen aus meiner Sicht sogar. Der Tod wird, wenn ich mir meine Mitmenschen ansehe, regelrecht zum Tabu. Wenn die Oma oder die alte mal wieder Tante sagt, „wenn ich das man noch erlebe“, gehen die jungen Menschen oft dazwischen mit Sätzen wie „Du wirst doch 100!“ oder „was soll Dir passieren, Du bist doch gesund!“
Ich habe mir das Sterbealter meiner Vorfahren angesehen und bin mir bewusst, dass ich vermutlich schon die Hälfte meiner Lebenserwartung hinter mir habe. Diese Zeit kommt mir aber noch gar nicht so lang vor, sie verflog. Entsprechend versuche ich, die mir noch bleibende Zeit etwas sinnvoller zu nutzen.
(Wobei mir das sehr schwer fällt, schließlich „vergeude“ ich zwei Drittel der Lebenszeit mit arbeiten gehen.)
Aber ich bin auch ein wenig froh, dass die Leute sich immer deutlicher Jünger fühlen als sie eigentlich sind. Was störte es mich früher, dass sich „die Alten“ spätestens ab dem Kaffee nur noch über ihre Krankheiten unterhielten.
Grüße
Pierre
Meine damals 92jährige Oma sagte, dass „ständig Weihnachten“ wäre .
Offenbar legt das Zeitempfinden im Alter noch eine Schippe rauf.
Wenn du die Langsamkeit des Seins genießen willst, setze dich in Wartezimmer von Ärzten und Behörden. Noch ein Tipp: Gib deine Rente gegen Anfang des Monats aus und genieße das schier endlose Warten auf die nächste Rentenzahlung .
Gruß
rakete
Hi,
Das ist vollkommen normal. Es setzt auch nicht plötzlich mit 66 ein, sondern entwickelt sich langsam.
Wenn wir Säuglinge sind, wissen wir nichts von der Welt. Wir haben keine Vorstellung von Zukunft und Vergangenheit, wir wissen nicht, dass Dinge sich wiederholen und Vorgänge nicht einfach existieren, sondern einen Anfang und ein Ende haben. Alles ist neu. Und dadurch sind Schrecken (Hunger, Mama nicht zu sehen) und Freude (Futter, Mama da) ewig - weil die Vorstellung der Endlichkeit und Wiederholbarkeit des Ereignisses fehlt.
Je mehr wir aber erfahren und wissen, umso weniger Leben wie im Moment. Wir beschäftigen uns mit dem abend essen, planen den wochenendeinkauf und buchen den Sommerurlaub. Und wir wissen, dass es nächstes Jahr wieder schneit, viele Tage davor uns singende Vögel und schöne Sonnenaufgänge bescheren, sich aber auch der Stress mit Nachbarn und Arbeitskollegen wiederholen wird. Diese Voraussicht und die Erfahrungen verkürzen die zeitwahrnehmung - wir haben das selbst erfahren, womit und die Eltern zu trösten versuchten und es nicht so recht schafften: morgen ist ein neuer Tag, dann hast du das alles vergessen.
Viel später in deinem Leben, wenn du merkst, dass du nicht mehr viel Zeit hast (Wie viel auch immer das dann ist), wird sich das wieder ändern, und die Zeit wird für dich gleichzeitig langsamer und noch viel schneller verlaufen.
Die Franzi
Ich habe mal die (durchaus passende, wie ich finde) Beschreibung gehört:
Das Leben ist wie eine Klopapierrolle, sie rollt sich immer schneller ab
LG Beatrix
Moin,
je älter der Mensch wird, desto mehr hat er gesehen, anders gesagt, desto weniger kann ihn überraschen. Früher war alles Neue ein Ereignis, ein Meilenstein, ein Leuchtturm. Zum Ende hin wird’s wohl alles ein wenig flacher, und schon ist wieder eine Woche rum, in der nix passiert ist…
Gruß
Ralf
Hallo Rebekka,
Ich glaube, dass das Empfinden von „Zeit“ eine (fast) perfekte „Illusion“ ist, die unser Gehirn für uns „konstruiert“. Eigentlich gibt es nur das hier und jetzt. Keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur ein ständiger Übergang von der Ordnung zum Chaos und Zerfall, alles ist im Fluss…
Es gibt einen Pool von „gespeicherten“ Erlebnissen, auf den wir mehr oder weniger Zugriff haben, ohne dabei genau zu wissen, ob es wirklich so gewesen ist; oder ob uns unsere Erinnerung vielleicht was „vorgaukelt“. Und diese Erinnerungen sind auch irgendwie nur statisch. Was bleibt, ist nur das Gefühl, dass die Zeit damals langsamer verging als heute. Wahrscheinlich eine Täuschung, aber trotzdem geht es mir genau wie Dir.
Interessanterweise vergeht die Zeit auch schneller, wenn man ausgeruht ist; „meine“ zumindest.
Das hatte Jeremy Clarkson, in der englischen Show „Top Gear“, genauso abgeleitet. Die Wirklichkeit dürfte ungleich komplexer sein.
Ein Liedchen zum Thema:
Bis demnächst.
Dank an Alle, die hier durchaus ernsthaft an meine Frage rangegangen sind. Mein Empfinden ist dann wie vermutet wohl ein ganz Normales, das mit Leben allgmein verbunden ist. Schade aber, dass es offensichtlich vielen auch jüngeren Menschen so ähnlich geht wie mir, weil die Frage auch mit dem Bewußtsein über die eigene Endlichkeit - also dem tabuisierten Tod - zusammenhängt. Ja, das Thema Tod wird leider in der in der Regel ganz schrecklich tabuisiert.
Putzigerweise sind es vor Allem Menschen in etwa meinem Alter, die so tun, als sei eigener Tod undenkbar. Ich habe vor 4 Jahren einen Bestattungsvorsorgevertrag abgeschlossen- schlicht und einfach, um meinen Kindern unangenehme und auch schwierige Entscheidungen abzunehmen. Es bleibt genug übrig, das sie dann entscheiden können. Aktuell kümmer ich mich a peu um eine Wohnmöglichkeit, in der ich ggf. notwendige Versorgungs- oder Pflegeleistungen nach Bedarf dazu bekomme.
Einfach weil ich das lieber selber in fittem Zustand entscheiden will, als von einer Notsituation überrannt zu werden.
Vor Allem die etwa Gleichaltrigen sind mit Fragen in der Richtung irgendwie überfordert, sie kucken mich an, als sei ich ein Eichhörnchen und behaupten fast regelmäßig „Aber das hat doch noch Zeit, Du doch nicht“.
Also wieder das Stichwort „Zeit“.
Dann gibt es regelmäßig leichten Knatsch, weil ich finde, dass die irgendwann eintretenden Ereignisse wie höhere Hilfsbedürftigkeit bzw. Tod wenig mit Zeit zu tun haben. Sondern einfach eintreten werden.
Damit keiner auf falsche gutmeinende Streichelideen kommt:
Ich habe keine Todesangst, bin nicht betüddelungsbedürftig, Anzeichen von Demenz gibt es nicht, Beratungsstellen sind mir bekannt.
Mir ging es eher um gedanklichen Austausch.
Dafür nochmals vielen Dank.
LG
Amokoma1
Ich denke, Ralf hat recht, und da haben wir auch schon die Lösung des Problems: Achtsamkeit und bewusst leben.
Mir geht es auch so, dass „Weihnachten immer schneller kommt“. Kürzlich habe ich damit begonnen, mir sehr bewusst zu machen: Jetzt ist April, alles wird grün, ich mache Spaziergänge… und ich habe mir vorgenommen, so oft wie möglich sehr bewusst wahrzunehmen, was ich tue und welche Jahreszeit gerade ist. Vielleicht sage ich an Weihnachten dann: Das war ein langes, intensives Jahr.
Das Gefühl kenne ich.
Ich denke, es hängt durchaus mit dem höheren Alter zusammen, dass man das Gefühl hat, die Zeit vergeht schneller. Man hat die jahreszeitlichen Feste schon so oft erlebt, man wird in sich ruhiger und gefestigter, es gibt nicht mehr so viele Überraschungen. Die Kinder sind in der Regel erwachsen, das heißt, der Kinderrhythmus mit Schulferien, etc. fällt ebenfalls weg.
Das Leben verläuft in ruhigeren Bahnen.
Aber es wird einem ja auch bewusst, dass das Leben endlich ist und man quasi im „letzten“ Drittel angekommen ist. Manch einer möchte das vielleicht gar nicht so klar wissen. Also versucht man irgendwie, die Zeit „festzuhalten“.
Mein Papa hat mir mal gesagt: Je älter du wirst, desto schneller vergehen die Jahre. Wenn du dann noch siehst, wie schnell deine Kinder groß und erwachsen werden, bekommt man erst richtig mit, dass man älter wird.
Dir geht es also nicht alleine so.