Hi.
Ich selbst verstehe (im Moment) kaum etwas von Astrologie, wäre aber interessiert zu erfahren, wie die Experten in diesem Brett mit den Argumenten und Thesen umgehen, die im Verlauf einer öffentlichen Debatte im US-Magazin Life im Jahr 1997 zur Sprache kamen, und zwar zwischen dem transpersonalen Psychologen Roger Walsh (kontra) und dem Physiker und Astrologen Will Keepin (pro). Ich entnehme die Darstellung dem Buch „Einfach das“ (Fischer 2002, ab S. 220) des transpersonalen Philosophen Ken Wilber, einem Freund von Roger Walsh.
Walsh beginnt. Er bezieht sich auf die über 100 wissenschaftlichen Untersuchungen, die zum Thema Astrologie (bis 1997) vorliegen (teilweise von Astrologen miterarbeitet), und faßt 5 Argumente zusammen, die sich, so Walsh, als Resultat dieser Untersuchungen gegen die Astrologie anführen lassen.
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Der Grad an Gemeinsamkeit in der Beurteilung von Geburtshoroskopen ist so gering, daß er keinerlei Signifikanz hat: „Die Ergebnisse sind eindeutig: es besteht praktisch keinerlei Übereinstimmung in der Deutung desselben Geburtsbildes durch verschiedene Astrologen“ (Wilber 222). Zu diesem Befund kamen auch die Studien, die von Astrologen durchgeführt wurden.
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Inhaber von Geburtsbildern sind nicht in der Lage, ihr eigenes astrologisches Profil unter anderen, zufällig zusammengestellten Profilen herauszufinden.
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Die Analyse von 3000 astrologischen Vorhersagen zeigte, daß dies nicht besser waren als Zufallstreffer oder reine Vermutungen.
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Drei Dutzend Studien belegen, daß „astrologische Deutungen nicht besser als mit Zufallswahrscheinlichkeit mit gut abgesicherten psychometrischen Persönlichkeitstests korrelierten“ (Wilber 222). Das gilt auch, wenn hochangesehene Astrologen die Deutungen durchführen.
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Die meisten Astrologen behaupten, die Genauigkeit eines Geburtshoroskops als Ganzes sei höher als die einzelner Faktoren. Weder für das eine noch das andere läßt sich aber zuverlässige Genauigkeit nachweisen.
Dann führt Walsh allerdings eine Untersuchung des Franzosen Michel Gauquelin an, der seit den 50er Jahren eine umfassende Auswertung statistischer Daten über die Astrologie vornahm. Das Ergebnis: zwischen Planetenstellung bei der Geburt und herausragenden Leistungen in verschiedenen Berufen besteht eine signifikante Beziehung. Z.B. steht mit überdurchschnittlicher Wahrscheinlichkeit Mars oder Saturn am Horizont oder im Zenit, wenn bedeutende Wissenschaftler, Journalisten und Sportler geboren werden. Dabei beträgt die Abweichung von der Zufallswahrscheinlichkeit aber nur 5 Prozent. D.h. die Wahrscheinlichkeit, daß bei der Geburt z.B. eines bedeutenden Wissenschaftlers der Mars oder Saturn in einer wichtigen Position steht, ist 5 Prozent. Diese Abweichung besteht bei Durchschnittsmenschen seltsamerweise NICHT.
Keepin greift dieses immerhin doch ein wenig für die Astrologie sprechende Argument auf und betont, daß Gauquelins Ergebnisse auch von skeptischen Wissenschaftlern nicht widerlegt werden konnten. Hans Eysenck z.B. gibt zu, daß die 5%ige Abweichung sich nicht wegdiskutieren läßt. Irgendwie müsse es dafür einen Grund geben.
Für Walsh sind diese 5 Prozent zu wenig, um der Astrologie eine wissenschaftlich verwertbare Aussagekraft zuzugestehen. Gauquelins Untersuchung hat für ihn die Astrologie widerlegt.
Keepin beharrt darauf, daß die Abweichung nach einer Erklärung verlangt. Er bringt eine Theorie in Anschlag, deren begriffliches Arsenal er der Holon-Theorie von Ken Wilber (entworfen in „Eros, Kosmos, Logos“) entnimmt.
Das Holon-Konzept (das Wilber von anderen Denkern übernimmt) bezieht sich auf alle Ebenen des Materiellen, Sozialen und Mentalen, so daß das gesamte Universum als eine unendliche Ineinanderverschachtelung von Holons erscheint. „… die Wirklichkeit (ist) aus Ganzen/Teilen zusammengesetzt, den Holons … so ist z.B. ein ganzes Atom Teil eines ganzen Moleküls, das ganze Molekül ist Teil der ganzen Zelle, die ganze Zelle ist Teil eines ganzen Organismus und so weiter. Jede dieser Entitäten ist weder ein Ganzes noch ein Teil, sondern ein Ganzes/Teil, ein Holon … worauf es ankommt, ist, daß ALLES im Grunde ein Holon irgendeiner Art ist“ (Wilber in: Eine kurze Geschichte des Kosmos, 40).
Innerhalb der kosmischen Holoarchie
(hierarchisches System der Holone) ist die Erde ein Holon, das von höheren planetarischen Superholons umfaßt wird. „Die astrologischen Transite korrespondieren mit den Wirkungen dieser himmlischen Superholons, insofern sie die Unbestimmtheit der darunter liegenden Holons begrenzen, d.h. sie greifen in die Wahrscheinlichkeitsstrukturen irdischer Ereignisse ein.“ (Keepin in Wilber 225).
Für Wilber stellt sich die Frage, ob die Kausalbeziehung zwischen den individuellen Menschen-Holons und den planetarischen Superholons abwärts oder aufwärts funktioniert. Keepin behauptet natürlich ersteres, daß also der Einfluß auf die menschlichen Subholons von den Superholons ausgeht. Wilber neigt zur Ansicht, es seien die physischen Planeten, die eine Auswirkung auf den physischen menschlichen Körper haben, so daß unter bestimmten Umständen seelische und geistige Merkmale des Menschen herausgebildet werden, die den astrologisch behaupteten Persönlichkeitscharakteristika entsprechen. Zwei Punkte führt Wilber an, die gegen eine Abwärtskausalität sprechen:
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Menschen, die durch Kaiserschnitt oder eingeleitete Geburt zur Welt kommen, werden von der 5 Prozent-Abweichung nicht betroffen, auch wenn sie zur Gruppe der herausragenden Menschen gehören. Ein Superholon, das sich gegen solche Äußerlichkeiten nicht durchsetzen kann, hält Wilber für keine gute Basis einer astrologischen Theorie.
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Auch daß Superholons ihre Wirkung nur auf herausragende Menschen beschränken, hält Wilber für wenig plausibel.
Er favorisiert also eine Aufwärts-Kausalität: die schwachen Kräfte der physischen Planet-Mensch-Fernwirkung können nur bei mental starken Personen prägenden Effekt ausüben, bei den mental Durchschnittlichen findet die Fernwirkung sozusagen zu wenig Resonanz. (eine Bezugnahme dieses Arguments auf die unter 1) erwähnte Gruppe finde ich bei Wilber nicht.)
Die Wirkung, die durch die Planet-Mensch-Beziehung bei den empfänglichen Personen auftritt, umschreibt Wilber mit den Begriffen „Schwerkraft-/hormonelle Einflüsse, geomagnetische/neuronale Interaktion oder eine Kombination von beidem“ (Wilber 227).
Gruß