Hat die Jesus-Figur einen Vater? Und wenn ja, wie viele?
Das sind, auch wenn es nicht so aussieht, keine Scherzfragen.
Als Diskussionsbasis ist hier meine Antwort:
Jesus hat ´offiziell´ zwei Väter: Joseph und den Christengott. Ersterer ist kein biologischer Vater, sondern erfüllt nur die soziale Funktion eines Vaters. Letzterer ist laut Narrativ der ´echte´ Vater, der Jesus via wundersame Befruchtung der Maria gezeugt hat.
Beide sind allerdings Vaterfiguren, welche die Position eines Vaters des Jesus nur in einer begrenzten Weise besetzen - Joseph als nichtbiologischer Vater zählt praktisch nicht, während ´Gott´ in seiner Unsichtbarkeit die Vaterrolle mehr symbolisch als konkret-anschaulich ausübt, zumindest in den Augen jener Zielgruppen der frühen Christen, die von der Wahrheit der christlichen Botschaft erst einmal überzeugt werden mussten (was ja eine Teilfunktion der Evangelien war).
Beide Vaterfiguren genügten also nicht, um das psychologische Bedürfnis nach einem ´Vater´ des Jesus zu erfüllen. Eine dritte Vaterfigur musste her - und das war Johannes der Täufer. Er erfüllt diese Funktion vor allem durch die Wassertaufe. Dieses Ritual hat zwei Funktionen. Die eine ist, die Getauften von ihren bisherigen Sünden zu reinigen. Die andere, wesentlichere, ist die Taufe als Wieder- bzw. Neugeburt, siehe Joh 3,5: „geboren werden aus Wasser und Geist“.
Durch die Taufe durch Johannes wurde Jesus also neu geboren. Der Täufer erfüllt damit symbolisch eine Vaterfunktion und vereinigt in seiner Person das, was den beiden anderen Vaterfiguren abgeht, nämlich geistige Vaterschaft, die bei Joseph fehlt, und körperliche Präsenz, die bei ´Gott´ fehlt. Er ist der dritte Vater des Jesus und rundet damit die ´Trinität der Vaterschaft´ (meine bescheidene Neufindung) perfekt ab.
Natürlich kann man hier einwenden, dass eine Geburt per Wassertaufe keine Vaterfunktion symbolisieren kann, da ein Vater zeugt, aber nicht gebiert. Das ist wohl richtig, aber es hat hier - sofern der psychologische Ansatz zutrifft - eine unbewusste Verschiebung von mütterlicher zu väterlicher ´Geburt´ stattgefunden, was auch in Gen 1,2 zu sehen ist, wo die ´ruach´ über dem tiefen Wasser ´brütet´, was auch mit ´flatternd´ übersetzt werden kann im Sinne des Flatterns einer Vogelmutter über ihren Eiern. Laut Talmud Chagigah 15a wird an dieser Stelle auf das Flattern einer Taube angespielt.
Die implizite Vogelmutter-Metaphorik in Gen 1,2 lässt sich auf die altorientalische Assoziation von Mutter-, Himmels- und Liebesgöttin mit der Taube zurückführen. Beispiele sind die syrischen Göttinnen Astarte und Aschera und die mesopotamische Ischtar. Das Genesis-Wasser-Motiv verdankt sich der altorientalischen Assoziation von weiblicher Fruchtbarkeit und Wasser infolge der Beobachtung, dass menschliches Leben in Fruchtwasser entsteht. Die Kombination beider Symbolismen verkörpert wohl am deutlichsten die mit Wasser und Taube eng verbundene persische Fruchtbarkeits- und Liebesgöttin Anahita.
Da kann es nicht überraschen, dass der ´Heilige Geist´ in Gestalt einer Taube vom Himmel herabfliegt, als Jesus getauft aus dem Wasser steigt. Sowohl die ´ruach´ (christlich: Heiliger Geist) als auch Wasser und Taube sind weiblich konnotiert: Was die ruach und die Taube betrifft, wird dies durch Gen 1,2 demonstriert; was das Wasser betrifft, siehe oben die altorientalische Assoziation von Wasser und Fruchtwasser.
Es hat also unbewusst eine Verschiebung weiblichen Gebärens auf das männliche ´Gebären´ stattgefunden, sowohl in Gen 1,2 (wo ´Gott´ im Muttermodus über dem Wasser ´flattert´) als auch im Falle des Täufers, der als geistiger Vater des Jesus fungiert und damit die Lücke füllt, welche die anderen Vaterfiguren, Joseph und ´Gott´, nicht vollständig ausfüllen können.
Der Täufer wurde laut Joh 1,6 von ´Gott´ gesandt, um Jesus zu bezeugen, was in 1,34 auch geschieht. Darüber hinaus hat der Täufer die Stimme vom Himmel und die Taufe wahrgenommen, was bei Mk nicht zur Sprache kommt. In theologischer Sprache ist die Taufe eine ´Anabase´ (Hinwendung zu Gott) und die sich anschließende Theophanie (Taube, Stimme) eine ´Katabase´. Der Spruch vom Himmel ist zusammengesetzt aus dem ersten Satz von Psalm 2,7 („du bist mein Sohn“) und Jesaja 42,1 („Siehe, das ist mein Knecht, ich erhalte ihn, und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen.“)
Es ist natürlich wahrscheinlicher, dass das Textamalgam in Mk 1,11 eine Komposition von Mk ist oder aus einer oralen Überlieferung (Quelle Q) stammt als ursprünglich vom Täufer. Dennoch hat der Täufer in dieser Situation eine väterliche Funktion. Als Grund nannte ich die Parallelität von Gen 1,2, wo der ´Geist Gottes´ im Gebärmodus über dem Wasser schwebt, wobei hier eine Verschiebung von weiblicher auf männliches ´Gebären´, also ´Vaterschaft´, stattfindet. Ich kann nun weitere Argumete nennen: In Jesaja 48,1 heißt es:
Höret das, ihr vom Hause Jakob, die ihr heißet mit Namen Israel und aus dem Wasser Juda’s geflossen seid; die ihr schwöret bei dem Namen des HERRN und gedenkt des Gottes in Israel, aber nicht in der Wahrheit noch Gerechtigkeit.
„Aus dem Wasser Judas geflossen“ kann zweifach gedeutet werden: metaphorisch für Fruchtwasser oder metaphorisch für männlichen Samen. Erstere Deutung wäre tiefenpsychologisch, letztere durch positivistisch, da im Hebräischen ´Wasser´ auch ein Euphemismus für ´Sperma´ war. Interessant ist, dass laut Aristoteles ´Wasser und Geist´ die Bestandteile des Sperma sind. In Joh 3,5 heißt es, wie schon oben zitiert, dass laut Jesus jemand, der in das Gottesreich eingeht, aus ´Wasser und Geist´ geboren wird.
Der Theologe Hugo Odeberg („Das vierte Evangelium“) gehört zu jenen, die dieses ´Wasser´ als Metapher für Sperma nehmen und es zum ´Fleisch´ im nächsten Satz 3,6 in eine metonymische Beziehung setzen. Wasser als Metapher für Sperma findet sich auch in der jüdischen Tradition nicht selten (z.B. Niddah 16b).
Das zeigt alles doch deutlich, dass die Wassertaufe durch den Täufer im Falle des Jesus einen väterlichen Zeugungsakt symbolisiert. Dass die dadurch zustande gekommene geistige Sohnschaft (= Geburt als Sohn) des Jesus durch die Stimme vom Himmel bestätigt wird, rundet die Deutung der Szene als eine durch den Täufer durchgeführte ´väterliche Zeugung´ ab.
Und wie seht ihr das?