Hallo,
auch wenn wir nicht wissen, wann Kalidasa gelebt hat (und wieviele es davon gab), so mußte er die Vorlage für sein Schauspiel im Mahabharata nicht erst „entdecken“ (wie es dein Wikilink anmutet): Die Textsammlungen des Mahabharata waren zu Kalidasas Zeiten (irgendwas zwischen 1. Jhdt v. Chr und 5, Jhdt nach Chr.) zwischen 500 oder 1000 Jahre alt und in Indien an jeder Straßenecke und jedem Dorfplatz bekannt.
So auch die berühmte und rührende Affäre zwischen der schönen (und wie der Verlauf des Originals zeigt auch klugen und gebildeten) Shakuntala, Tochter einer Apsara, und dem König Dushyanta: Sie findet sich im Einleitungsbuch (skr. „apiparva“), also dem 1. Buch des Mahabharata in dessen Kap. 69 bis 74. Diese Episode wurde in zahlreichen Varianten erzählt, die so oder so ebenso vom Original abwichen, wie die Version Kalidasas.
Was sich im Original nämlich gerade nicht findet, ist das Drumunddran mit dem verlorenen und wiedergefundenen Ring. Vielmehr bekommt der König dort von der Lady bei ihrem Überraschungsbesuch (sie steht plötzlich mit dem 6jährigen Sohn bei ihm vor der Tür vor dem Thron) eine ebenso clevere wie tiefgründige theologische Gardinenpredigt verpaßt über Sinn und Inhalt des Dharma und darüber, was man aus dieser Perspektive, die für einen Kshatriya wie Dushyanta essentiell ist, von einem Mann zu halten hat, der Ehefrau und gemeinsamen Sohn zu verleugnen versucht. Kurz und gut: Die Rede der Lady hat Erfolg, der Mann ist - ein Wunder, denn es ist ca 5. Jhdt v. Chr. - einsichtig! Dann folgt Happy End and all that.
Dem gegenüber ist das Beiwerk mit dem verlorenen Verlobungsring, der in einem Fisch wiedergefunden wurde, und an dem der König erkennt, dass die Frau, die da mit einem Kind vor ihm steht, tatsächlich die seinige ist, pointen-verpatzte Trivialliteratur. Aber als Schauspiel und für die antike Boulevardpresse ist die Version. natürlich einfacher zu handhaben gewesen.
Da nun am anderen damaligen Ende der Welt, in Griechenland und überhaupt im Mittelmeerraum, Herodot ebenso bekannt war, und mit ihm gewiß auch die Episode mit Polykrates und seinem Lieblingsring, den er nicht loswird, war soetwas, als Erzählung zumindest, mutmaßlich selbstverständliches Beiwrk im Gepäck von Kaufleuten und anderen Reisenden, denn die waren damals die Propagatoren für literarische Publikationen und ideologische Sensationen. Die antike Form der Fernleihe sozusagen. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass Kalidasa vom Hörensagen („Goldring von Fischer in Fisch gefunden“) inspiriert wurde. Vom Lesen der (damals noch zahlreich vorhandenen) Bücher Herodots gewiß eher nicht (Kalidasa soll nach Meinung einiger Historiker nicht sehr gebildet gewesen sein).
Gruß
Metapher