Natürlich hatte Nietzsche, dessen Programm ja gerade die Kritik des Nihilismus ist (und der die „Sklavenmoral“ gerade deshalb kritisiert hat, weil sie in Nihilismus münden würde), eminent eigene Moralvorstellungen.
Eine Darstellung in Stichwortsätzen - mit einem abschließenden Nietzsche-Zitat in der Hoffnung, dass sich Stichpunkte und Zitat gegenseitig verstehbarer machen.
- „Jenseits von Gut und Böse“ ist nicht „jenseits von gut und schlecht“, damit nicht „jenseits der Moral“
- „böse“ ungleich „schlecht“
- was das „gut“ ist, hängt daher von seinem Gegenbegriff ab
- die „vornehme Moral“ ist ein großes Ja, sie ist spontan und aus sich selbst heraus entstanden und in sich selbst begründet
- die Sklavenmoral ist ein großes Nein, sie ist reaktiv, die Re-Aktion auf das Bestehende in der Moral
- das konsequente Nein mündet ins Nichts, daher ist die Sklavenmoral in seinem Wesen Nihilismus
- die „vornehme Moral“ sagt Ja zu sich selbst, ist also auf sich selbst bezogen, die „Sklavenmoral“ dagegen sagt Nein zum Anderen, ist also auf den anderen bezogen
- damit ist die Sklavenmoral im Kern Ressentiment und Hass, während die „vornehme Moral“ Selbsterhöhung ist, eine Form der Liebe („Amor fati“ usw.)
- die „vornehme Moral“ will schaffen, und zerstören, um zu schaffen, die „Sklavenmoral“ dagegen will zerstören, und schaffen, um zu zerstören.
- Es geht Nietzsche nicht vorrangig um die einzelnen Wertvorstellungen Liebe, Freundschaft, Solidarität, Treue usw., sondern um den Wert-der-Werte, d.h. die Art und Weise, wie dieses Werte auftreten.
- Keinesfalls will Nietzsche also einfach nur „Werte vernichten“ (auch wenn manche Werte wie v.a. das „Mitleid“, du denkst hier bestimmt gleich an Schopenhauer, sehr eng an die „Sklavenmoral“ gebunden sind, und in einer ja-sagenden, aktiven, selbsterhöhenden Moral keinen Platz finden können.
- Nietzsche ist klar, dass diese Schematisierung komplex ist. Er erkennt sehr wohl, wie auch die Sklavenmoral stellenweise hochgradig „vornehm“ geworden ist: aktiv, schaffend, ja-sagend, selbsterhöhend. Genauso hätte er völlig klar erkannt, wie hochgradig „sklavenhaft“ z.B. der europäische Faschismus, der sich ach so „vornehm“ dünkte und sich auf Nietzsche berief, war.
- der „Vornehme“ ist einsam, der „Sklave“ ist ein Herdentier (-> Faschismus, Kommunismus)
- der „Vornehme“ ist ein Mensch der Tat. Er schlägt seinem Feind ins Gesicht, und damit hat es sich erledigt. Der „Sklave“ dagegen ist tatgehemmt, dafür vergiftet er lebenslang seine eigenes Herz und das seiner Mitmenschen. Er verzeiht seinem Feinde nie.
Eine Passage aus der für mich schönsten Schrift Nietzschens (Genealogie der Moral, Erste Abhandlung):
Wieviel Ehrfurcht vor seinen Feinden hat schon ein vornehmer Mensch! – und eine solche Ehrfurcht ist schon eine Brücke zur Liebe… Er verlangt ja seinen Feind für sich, als seine Auszeichnung, er hält ja keinen andren Feind aus, als einen solchen, an dem nichts zu verachten und sehr viel zu ehren ist! Dagegen stelle man sich »den Feind« vor, wie ihn der Mensch des Ressentiment konzipiert – und hier gerade ist seine Tat, seine Schöpfung: er hat »den bösen Feind« konzipiert, » den Bösen «, und zwar als Grundbegriff, von dem aus er sich als Nachbild und Gegenstück nun auch noch einen »Guten« ausdenkt – sich selbst!.. Gerade umgekehrt also wie bei dem Vornehmen, der den Grundbegriff »gut« voraus und spontan, nämlich von sich aus konzipiert und von da aus erst eine Vorstellung von »schlecht« sich schafft! Dies »schlecht« vornehmen Ursprungs und jenes »böse« aus dem Braukessel des ungesättigten Hasses – das erste eine Nachschöpfung, ein Nebenher, eine Komplementärfarbe, das zweite dagegen das Original, der Anfang, die eigentliche Tat in der Konzeption einer Sklaven-Moral – wie verschieden stehn die beiden scheinbar demselben Begriff »gut« entgegengestellten Worte »schlecht« und »böse« da! Aber es ist nicht derselbe Begriff »gut«
Gruß
F.