Geschichte der magischen Mineralogie
Hallo C.,
Worauf geht der Glaube zurück? Auf das „Wie oben so unten“?
Du meinst mit „Wie oben so unten“ sicherlich den programmatischen Satz aus der Tabula smaragdina, die irgendwann vor dem 9. Jhdt. in der Literatur der arabischen Alchemie auftauchte (zuerst als Anhang im wohl berühmtesten und umfangreichsten Lehrbuch der frühen Alchemie, dem Kitab Sirr al-asrar, alias Secretum secretorum, „Geheimnis der Geheimnisse“, des Al-Razi) und die dann in lateinischen Übersetzungen quasi als Programmschrift der gesamten folgenden hermetischen und alchemistischen Literatur Karriere machte, bis in die Niedergangszeit der Alchemie ca im 17./18. Jhdt.
Dieser Satz am Anfang der Smaragdina lautet:
Quod est inferius, est sicut quod est superius, et quod est superius, est sicut quod est inferius
(„Was unten ist, ist so wie das, was oben ist, und was oben ist, ist so wie das, was unten ist“).
Sicher ist dieses „Gesetz“ nicht weit entfernt von dem Ausgangspunkt der chaldäischen Astrologie, die ja auf der mythisch begründeten Analogie zwischen den Ereignissen am Sternenhimmel und denen auf der Erde beruhte. Aber hier hat der Satz längst eine erweiterte Bedeutung, indem das „oben“ auch die geistig-seelischen Angelegenheiten der Lebenswelt impliziert, im Kontrast zu dem „unten“ der rein materiellen, körperlichen Aspekte 1. der animalischen, 2. der pflanzlichen und 3. der mineralischen Welt. Es geht jetzt nicht mehr nur um Analogien, sondern um die wechselseitige Durchdringung aller Seinsebenen.
Übrigens ist die Astrologiegeschichte selbst das beste Beispiel für diese Bedeutungserweiterung: Die chaldäische Astrologie-Überlieferung wurde ja in der hellenistischen Zeit mit der klassisch griechischen 4-Elementelehre (Empedokles) verschmolzen, die ja gar nichts mit der Himmel-Erde-Analogie zu tun hat, aber dadurch die Durchdringung der Seinsebenen vervollkommnen konnte. Dadurch konnte die Astrologie dann auch auf Individuen angewendet werden.
Der Grundsatz drückt also in kompakter Form den Grundgedanken überhaupt jeglicher mythischen und magischen Weltbilder und Praktiken aus: Die wechselseitige Durchdringung aller Daseins-Ebenen. Daher umfaßt er auch programmatisch alle darin vorzufindenden Unterbegriffe magischer Konzeptionen: Die griech. „sympathia“ und „harmonia“, die Analogmagie ebenso wie die Komplementärmagie, die „Zuordnung“ (sozusagen die „Metaphorik mit ontologischer Valenz“) ebenso wie die schon erwähnte Signaturenlehre, wie sie prototypisch von Paracelsus und della Porta schriftlich niedergelegt wurde.
Letztere bezieht sich allerdings ausschließlich auf die Phytologie und nicht auf die Mineralogie, es sei denn die dorthin gehörige Farbenlehre (die ja ein Teil der alchemistischen Mineralogie ist) möchte man so verstehen.
Eine bloße „Zuordnung“ der Gestirne zu den Steinen und anderen chemischen Substraten gab es dann jedenfalls auch: Siehe dazu die interessante Abhandlung: Julius Ruska: Griechische Planetendarstellungen in a… (Zur pdf-Datei auf das Bild clicken)
Insofern liegt jedenfalls deine Frage natürlich nahe: Hat das auch Einfluß gehabt auf die hermetischen und alchemistischen Deutungen der Petrologie und Mineralogie, und insbesondere auf die Theorien der seelischen und körperlichen Wirkungen im Rahmen der magischen Mineralogie, die ja nur einen Anteil neben der empirischen, aus der direkten Beobachtung stammenden Mineralogie einnahm.
Wenn man sich näher mit den umfangreichen empirischen und magischen Erläuterungen in den bedeutendsten klassischen Lapidarien, die also in diesen Epochen die bedeutendste Auswirkung und Verbreitung hatten umschaut: Also
- im „Secretum secretorum“, urpsrünglich aus dem 9. Jhdt
- im pseudepigraphischen „Steinbuch des Aristoteles“, dito ca 9. Jhdt. das arabisch, hebräisch und lateinisch überliefert wurde
(beide sind ja Anfang des 20. Jhdts von dem schon erwähnten Julius Ruska ins Deutsche übersetzt worden)
dann wird man kaum erkennen können, wie und wo der besagte Grundsatz dort zum Tragen gekommen sein sollte. Zumindest die magischen Kommentare erscheinen willkürlich aus der Luft gegriffen. Dementsprechend sind sie auch bereits in der mittelalterlichen Alchemie nicht selten kritisch beurteilt, für unseriös oder sogar für albern erklärt worden. Die arabische und europäische Alchemie bemühte sich ja damals bereits um Methoden experimenteller Beweisführung.
Daß von der Anwendung des Grundsatzes dort nichts zu finden ist, verwundert indes nicht. Es liegt daran, daß gerade die hermetische und alchemistische Mineralogie und Petrologie (die kabbalistischen Traditionen haben andere Entstehungswege) mit wenigen Ausnahmen aus den früheren griechischen Überlieferungen stammen. Als Exponenten gelten:
Galen,
Dioskurides („Materia media“),
Epiphanios (ca. 390, „Über die 12 Steine …“),
der sog. „Physiologos“,
Xenokrates („Lithognomon“),
Sotakos (ca. 300 v. Chr.).
Und diese haben ihre Ursprünge wiederum aus den ersten Begegnungen im 5. Jhdt v. Chr. mit den Traditionen der persischen Magie. Und von dort sind keine Grundprinzipien wie das von dir in Erwägung gezogene überliefert.
Btw. Aristoteles hat keine Mineralogie bzw Petrologie hinterlassen. Das war, wie man allgemein zu Recht annimt, auch der Anlaß, das o.g. Steinbuch pseudepigraphisch ihm zuzuordnen, gewissermaßen ihm ca. 1200 Jahre später posthum zu widmen.
Gruß
Metapher