Herkunft der Ortsnamen auf -is

Liebe/-r Experte/-in,
im Alpen- und Voralpenraum kommen immer wieder bei Orts- und Personennamen die Endung -is vor, z.B. Rechtis, Wolfis, Ruchis, Mullis usw.
Welche historische Erklärung gibt es dafür?
Ich habe meine Vermutung, möchte aber nicht beeinflussen.

mfg

Hallo Albi567

Ich nehme an, du sprichst vom Schweizer Voralpenraum (über den bayrischen und österreichischen Raum kann ich keine Auskunft geben).

Die -is-Namen können ganz unterschiedlicher Herkunft sein, wie das Lexikon der Schweizerischen Gemeindenamen (LSG; Frauenfeld/Neuchâtel 2005) zeigt:

  • In vielen Fällen ist das -is eine deutsche (alemannische) Genitivform. Z.B. ist Wolfisberg BE eigentlich ‚der Berg einer Person namens Wolfi, Berg von Wolfo‘ o.ä. (LSG: 977).
  • In anderen Fällen ist -is eine Verkürzung einer älteren Silbe. Sumiswald BE heisst in den ältesten Urkunden noch Suomoldeswald o.ä., also ‚Wald des Suomold‘ (Suomold war ein althochdeutscher Personenname; LSG: 860). Ähnlich ist Heimiswil BE, in den ältesten Urkunden Heimoltswiler, die ‚Siedlung von Heimolt‘ (LSG: 435).
  • Für manche Orte ist aber auch anzunehmen, dass ihr Name aus voralemannischer Zeit stammt. Beispielsweise wird Schänis SG gedeutet mit lateinisch scamnum ‚Bank‘ in einer (nicht belegten) Diminutivform *scamnino ‚Bänkchen‘. Daraus entstand alträtoromanisch *scamninas und nach dem Sprachwechsel Skennins und weiter Schänis (LSG: 804-805). Ähnliches ist auch bei anderen Namen im ehemals romanischen Gebiet zu erkennen, z.B. für Mollis GL, das auf alträtoromanisch *mollianus ‚Sumpfgebiete‘ zurückgehen soll (LSG: 603).
    Personennamen auf -is fallen mir gerade keine ein, vielleicht kannst du mir ein Beispiel geben? Ich kenne aber vor allem die Personennamenabkürzungen auf -i, die in der östlichen Deutschschweiz verbreitet sind (Simi für Simon, Dani für Daniel, Röbi für Robert u.ä.).

Lieber Gruss

ich denke an den Raum Göppingen und an den Raum zwischen Kempten und Oberstdorf im Allgäu. In beiden Fällen handlet es sich um den Schwäbisch-allemannischen Sprachraum und Deine Erklärung wird auch hier sicherlich zutreffen. Vielen Dank!
Für einige Zeit stand der nördliche Voralpenraum unter dem Einfluß der Ostgoten und scheint auch letztes Rückzugsgebiet nach 552 gewesen zu sein. Ist keine Verbindung der -is Endungen mit den Ostgoten bekannt? Einer ihrer Könige nach Theoderich hieß Witichis!

Grüße Albi567!

Hallo Albi567

Ja, der alemannisch-schwäbische Raum in Deutschland ist sicher vergleichbar mit der Schweiz, bis hin zu vereinzelten ursprünglich romanischen Namen (wobei ich die genaue lautliche Entwicklung in dieser Gegend nicht kenne; vielleicht wäre hier Sumoldswald auch Sumoldswald geblieben und nicht Sumiswald geworden).

Was die Personennamen angeht: Witichis ist ein typischer zweigliedriger germanischer Name mit den Elementen Widu („Holz, Wald“ oder „Ring“) und Gîs („Spross, Schössling“) (Ernst Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, Band 1: Personennamen, Nachdruck München/Hildesheim 1966, S. 642ff., 1562ff.; Henning Kaufmann, Ergänzungsband zu Förstemanns Altdeutschem Namenbuch, Band 1, München/Hildesheim 1968, S. 147f., 396ff.). Das gleiche Element steht auch in althochdeutschen Personennamen wie Hildigis, Mahtgis, Munigis, Radelgis, Gisbert, Gistrudis, Gisolf, Gismund. Ich sehe da keinen direkten Zusammenhang mit Ortsnamen. Kennst du denn auch moderne Personennamen auf -is?

Ich bin mir aber auch nicht sicher, ob die Ostgoten in Süddeutschland wirklich in Namen Spuren hinterlassen haben; für die (französische) Westschweiz wird diskutiert, ob die dort im Übergang zum Frühmittelalte ansässige burgundische Oberschicht burgundische Ortsnamen hinterlassen hat, doch ist das sehr umstritten. Andernorts wird vermutet, dass durchziehende Gruppen Namen geprägt haben, etwa die Sarazenen in einzelnen Alpentälern, aber von der Wissenschaft wird diese Vermutung abgelehnt, weil die Anwesenheit der Sarazenen viel zu kurz war, um Spuren in Namen zu hinterlassen.

Gruss

Vielen vielen Dank. Aktueller Anlass für meine Nachfrage war die Begegnung mit dem Name Mullis, einem Personenname aus Flums in der Schweiz.

Was die Goten angeht, ich stamme aus dem Allgäu, deshalb war meine Nachfrage verbunden mit der Hoffnung, man müßte dort doch Spuren von Ihnen finden und der Mikrowahrscheinlichkeit gotischen Blutes in den Adern.

Tschüß