Die Zeiten haben sich geändert
Hallo Carlos,
Dann muss sich das Balg eben alleine durchschlagen. Dann wird
es eben kein Einser-Kandidat. Die Hauptsache ist irgendwann
die Hochschulreife.
Tststs, das „Balg“ war ironisch gemeint, oder
Grundsätzlich stimme ich Dir zu. So SOLLTE es sein.
Ich bin zwar Deutsche, aber meine Eltern sind keine Akademiker. Nicht direkt bildungsfern, aber mehr praxisorientiert. Von mir wurden gute Noten und selbstverständlich das Abi verlangt, und dass ich meine Eltern möglichst wenig belästige . WIE ich meine Angelegenheiten löse, hat keinen interessiert, meine Eltern sind nicht einmal zu den Elternabenden gegangen.
Ich behaupte mal, bei solchen Eltern, wie ich sie hatte, wäre heute für die meisten Kinder ein Abi unerreichbar.
Die Realität - im Vergleich damals und heute (wir sind ungefähr gleich alt), sieht so aus:
Grundschule:
Damals gab es kein endloses Mandalamalen, sondern recht strenge Regeln und Anforderungen. Kopfrechnen von Anfang an, ein Diktat war ein Diktat, basta.
Aber auch Übungsmöglichkeiten in der Schule. Die Lehrer haben im Unterricht Texte diktiert, Rechnungen gemacht usw. Sicher haben auch damals Eltern mit ihren Kindern daheim noch geübt, aber es war nicht zwingend nötig, denn es gab Hausaufgaben - und die wurden von den Lehrern am nächsten Tag kontrolliert !
Heute verbringen Lehrer viel Zeit damit, die Kinder auf die Reihe zu kriegen. Das ist kein Vorwurf an unfähige Lehrer, sondern Fakt. Warum Kinder heute so unruhig, undiszipliniert und schlecht erzogen sind, wäre ein anderer Threat, und ich spreche natürlich nicht für alle Kinder - habe ja drei absolut mustergültige Exemplare .
Dikate werden erst sehr spät geschrieben, dann in verschiedenen Varianten: geübte Diktate, sprich, die Texte sind schon vorher bekannt und müssen daheim geübt werden, Schleichdiktate (mein Lieblingslästerkram *g*), da müssen die Kinder vor die Tür „schleichen“ (das heißt bei uns wirklich so), sich einen Satz merken, an ihren Platz zurückgehen und den Satz schreiben, wieder aufstehen usw.
Hausaufgaben werden je nach Lehrer mal kontrolliert, mal nicht. Ist zu viel Aufwand, sagte mir mal eine junge Grundschullehrerin. Sind ja große Klassen. Hm, bei uns waren damals die Klassen auch 30 Schüler stark, wir sind ja so um den Pillenknick herum geboren.
Grammatik ? Meine Tochter lernt die Fremdwörter für die deutsche Grammatik jetzt in der 5. Klasse Gymnasium, ich bin mir sicher, dass das bei uns Stoff der 3. Klasse war.
Kopfrechnen ? Manchmal… Mir scheint, die Erschließung der Zahlenwelt geht unendlich langsam vorwärts, um dann gegen Ende der Grundschule extrem anzuziehen.
Hier in B-W gilt für eine Schulempfehlung ja der Notenschnitt. Wenn nun Eltern ihren Kinder keinerlei Unterstützung zukommen lassen, dann kann dieses Kind
- die geübten Dikate nicht vorbereiten
- Kopfrechnen nicht wirklich üben
- und hat auch Probleme, all den exotischen Schulzubehör zu organisieren (ich weiß nicht, ob Du Kinder hast - ich bin immer wieder erstaunt über die vielen Heft-, Papier-, Farbvarianten, die es gibt und die jede Lehrkraft GENAU SO und BIS MORGEN wünscht *grmpf*).
Sollte das Kind aber den Übertritt auf das Gymnasium schaffen,lauern (nur aus dem Schulalltag meiner Tochter als Beispiel) folgende Stolperfallen:
- Hausaufgaben sind zunehmend am PC zu erledigen (aber jeder hat doch einen Rechner daheim, oder ?)
- in Englisch muss daheim vorgearbeitet werden, die Kinder gewöhnen sich ohne heimische Korrektur eine falsche Aussprache an
- in Musik wird bei meiner Tochter vorausgesetzt, dass die Kinder Blockflöte spielen können. EIN Kind in der Klasse kann das nicht - überrascht es Dich, dass es das einzige türkische Mädchen der Klasse ist ?
Und glaub ja nicht, dass sich Eltern von Gymnasiasten wehren. Im Gegenteil, jetzt sind wir elitären Eltern endlich unter uns und unterhalten uns darüber, wie es damals bei uns auf dem Gymnasium war. WIE, da hat jemand kein Abi ??? Peinliches Schweigen… Keiner gibt zu, dass daheim erheblich nachgeholfen wird. Nachhilfelehrer und Computerprogramme (alles natürlich heimlich) entlasten die Eltern, Kinder haben Bauchweh, alle stehen unter Stress.
Am Elternabend entstand KEINE Diskussion darüber, dass Flötenkenntnisse vorausgesetzt werden (Hilfe, meine zweite Tochter flötet nicht, weil sie den Flötenton nicht mag… noch zwei Jahre Zeit, dann haben wir ein Problem *sfg* !), sondern eine hitzige Debatte darüber, ob billigere Flöten nun hörbar besser oder schlechter als Luxusmodelle sind und wer welche Griffweise gelernt hat. Der türkische Vater saß verloren da und meinte nur, er habe leider keine Ahnung von Flöten. Und ich bin mir sicher, dass einige der gebildeten Eltern sich fragten, was er denn am Gymnsaium wolle…
Ich weiß, das ist jetzt sehr polemisch geschrieben, meine Tochter hat auch einige sehr affige Klassenkameraden, bzw. deren Eltern sind ausgesprochen arrogant. Es gab diese Klientel auch schon damals, als wir Schüler waren, aber es wurde durch die Lehrer ganz anders aufgefangen. Heute geht jeder, der es irgendwie schafft, auf das Gymnasium (diesen Trend gab es bei uns ja auch schon, aber nicht so extrem), und daher lautet dort die klare Devise, wer es nicht packt, darf sehr gerne gehen.
Viele Grüße,
Inselchen
P.S.: Zur Klarstellung: Ich schreibe insofern nicht aus persönlicher Betroffenheit, als die Schule meinen Kinder sehr leichtfällt *frohbin* - trotzdem sehe ich mit Sorge, wie belastet viele Kinder heute sind