Hilfsverben in CH

Hallo Ihr Sprachkundigen,

letztens ist mir wieder mal die Verliebtheit von uns Schweizern zu Hilfsverben aufgefallen, und es würde mich echt interessieren, ob es zu diesen seltsamen Satzkonstrukten so was wie eine sprachhistorische Erklärung gibt?

Z.B sind wir Schweizer so gründlich, dass wir nicht nur einmal einkaufen gehen, nein, wir gehen gleich zweimal.

Auf Hochdeutsch
Ich gehe einkaufen.

Auf Bärndütsch
I gah gah iichaufe.

Woher kommt das? Das einzig vergleichbare, das mir in anderen Sprachen dazu einfällt, wäre das Englische „going to do something“, wobei dieser Ausdruck im Englischen überhaupt nicht zwingend ist, im Schweizerdeutschen ist es zwingend. Hat wer eine Idee?

Liebe Grüsse, Mirea

ga ga
Hallo Mirea,

Z.B sind wir Schweizer so gründlich, dass wir nicht nur einmal
einkaufen gehen, nein, wir gehen gleich zweimal.

Auf Hochdeutsch
Ich gehe einkaufen.

Auf Bärndütsch
I gah gah iichaufe.

Das zweite gah ist aber ein „um zu“.

also:
"Ich gehen um ein zu kaufen.

MfG Peter(TOO)

Hallo Mirea,

keine Antwort auf deine Frage, nur eine Anekdote, die mir beim Stichwort „Hilfsverben in CH“ einfiel:

In einem Zugabteil sitzen ein Schweizer und ein Schwabe. Ein Norddeutscher betritt das Abteil, setzt sich und lässt die Tür offen.
Nach einer Zeit höflichen Wartens meint der Schweizer ein bisschen spitz:
„Isch se net zu gsii?“
Der Norddeutsche guckt blöde. „Gsii…?“ wiederholt er verständnislos.
Darauf der Schwabe, hilfsbereit:
„Er moint: gwäää…“

(…mit der Bitte um Entschuldigung für etwaige Fehler… bin kein alemannischer Muttersprachler und gehöre mehr zu den Türauflassern…)

Dialektalen Gruß
Castafiore

Servus Peter,

Das zweite gah ist aber ein „um zu“.

im Baseldüütsch sicher final?

Nicht eher einen Vorgang bezeichnend, der in naher Zukunft liegt? Im Südschwäbischen „Es wird gôh Naacht“ = „Es wird jetzt bald Nacht“, „I gang gôh ge Haiba“ = „Ich gehe jetzt gleich zum Heumachen“

Schöne Grüße

MM

stimmt!
Hallo Mirea und Peter

Das zweite gah ist aber ein „um zu“.

Das stimmt – die sprachgeschichtliche Herleitung
kenne ich allerdings nicht.
In Basel wird das «gah» zum «go»: «ich gang go
luege» = ich gehe (um zu) schauen.

Daher gibt es in Basel die scherzhafte
Bezeichnung «der Gango» für einen Handlanger
oder Hilfsarbeiter, den man oft und gerne
schickt «um zu …»!
(Ein anderes nettes Wort dafür ist der «Längmer-
hoolmer-gimmer» = «Reichemir-holemir-gibmir».)

Grüsse
Rolf

1 Like

Servus Peter,

Das zweite gah ist aber ein „um zu“.

im Baseldüütsch sicher final?

Nicht eher einen Vorgang bezeichnend, der in naher Zukunft
liegt? Im Südschwäbischen „Es wird gôh Naacht“ = „Es wird
jetzt bald Nacht“, „I gang gôh ge Haiba“ = „Ich gehe jetzt
gleich zum Heumachen“

Die Schwäbische Version kenne ich auch „Wemmr d’Henna henna henn, kemmr au gau gau.“ (Wenn wir die Hühner drinnen haben, können wir auch bald gehen.) Ist dieses „gau“ (= in naher Zukunft), das ja so ähnlich klingt wie „gau“ (Schwäbischer Infinitiv zu „gehen“), irgendwie verwandt mit der Englischen „going-to“-Zukunft?

Englisch: „I’m going to go home.“
Schwäbisch: „I gang gau hoim.“
Hochdeutsch: „Ich werde bald (gleich, sofort) nach Hause gehen.“

Michael

Servus Michael,

wissen weiß ichs nicht, aber mein Vorschlag geht in Richtung des sehr ähnlichen ahd. „gegini“, frühhochdeutschen „gegn“, aus welchem außer dem heutigen „gegen“ auch „gen“ = in eine Richtung gewandt entwickelt ist.

Für zwei verschiedene Stämme spricht, dass südlich von „gau Gau“ differenziert wird zu „gôh Gau“ , bevor dann weiter südöstlich das „gôh“ durc „aheba“ abgelöst wird („As wird aheba wolle Naacht…“).

Schöne Grüße

MM

‚I ga ga‘ ist nicht ‚gaga‘
Hallo, Dialektikerinnen und Dialektiker

„Ich gehe einkaufen.“ heisst auf Berndeutsch nicht ganz so:

I gah gah iichaufe.

Sondern:
„I ga ga Kommyssyone mache.“ (‚Ychouffe‘ ist eine Übersetzung aus dem
Deutschen.)

Obwohl auch viele Betagte gerne ‚Kommyssyone mache‘ oder ‚kömerle‘,
hat ‚ga ga‘ nichts mit Gaga zu tun, auch nichts mit dem erwähnten
‚going to do something‘, welches ausdrückt, dass etwas unmittelbar in
Angriff genommen wird.

Zwingend ist das zweite ‚ga‘ im Dialekt, weil es, wie ebenfalls
bereits erwähnt, ‚um zu‘ bedeutet; man muss mit ‚ga ga‘ also nicht
gleich zur Tat schreiten.

„Jitz gani aber ga choche; i bi scho am Namittag ga kömerle gsyy.“
Jetzt gehe ich aber (um zu) kochen; ich bin schon am Nachmittag
einkaufen (um einzukaufen) gewesen.

„E Guete!“ (Mahlzeit!)
Rolf

Bewegungsverb ohne ‚zu‘, nicht Hilfsverb
Hallo, Mira

Auch in der Schweiz ist ‚gehen‘ kein Hilfsverb sondern ein
Bewegungsverb, das im Deutschen in Verbindung mit einem Infinitiv
ohne ‚zu‘ verwendet wird.

„Er geht immer am Nachmittag einkaufen.“

Wie bereits gesagt, im Berndeutschen gilt diese Regel nicht:

„Är geit geng am Namittag ga kömerle.“ (ga = um zu)

‚Mìra‘ ist übrigens auch Berndeutsch; es bedeutet ‚von mir aus‘.

Gruss
Rolf

Hallo Mirea

Für meine Begriffe handelt es sich bei „ga“ oder „go“ (je nach
Dialekt) nicht darum, „um zu“ zu ersetzen.

Wenn ich sage:
„Ich gang go poschte“, heisst das, dass ich demnächst einkaufen gehe,
ist also Futurum.

Wenn ich sage:
„Gib mer öppis zum Aazünde“, heisst das, „Gib mir was um Anzuzünden“.

Gruss
Heinz

Hallo, Heinz,
das sehe ich auch so.
Ich meine bemerkt zu haben, dass der Begriff „Einkaufen gehen“ (oder andere ähnliche Verbindungen) zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen sind, sodass man jetzt einfach sagt „Ich gehe jetzt einkaufen-gehen.“
Grüße
Eckard

Hallo Rolf,

Auch in der Schweiz ist ‚gehen‘ kein Hilfsverb sondern ein
Bewegungsverb, das im Deutschen in Verbindung mit einem Infinitiv
ohne ‚zu‘ verwendet wird.

hui, meine Schulzeit ist schon ein Weilchen her, hilfst Du mir auf die Sprünge, was ein „Bewegungsverb“ ist? Ich glaube den Ausdruck habe ich noch nie gehört.

‚Mìra‘ ist übrigens auch Berndeutsch; es bedeutet ‚von mir aus‘.

Stimmt:wink:

Sondern:
„I ga ga Kommyssyone mache.“ (‚Ychouffe‘ ist eine Übersetzung
aus dem
Deutschen.)

Obwohl auch viele Betagte gerne ‚Kommyssyone mache‘ oder
‚kömerle‘,

Ja stimmt, meine Grossmutter machte ausschliesslich Kommissyone oder ist kömerle gegangen, aber niemals einkaufen:wink:.

Liebe Grüsse, Mirea

Hallo Heinz,

Für meine Begriffe handelt es sich bei „ga“ oder „go“ (je nach
Dialekt) nicht darum, „um zu“ zu ersetzen.

ja, dem schliess ich mich auch an, das ga hat nach meinem Gefühl eine andere Bedeutung als um zu, ich würde auch am ehesten auf eine Tätigkeit im Futur tippen. Ein anderes Beispiel mit diesen „Hilfsverben“ wäre das „lah lah“ (wir Schweizer haben schon eine seltsame Sprache*gg*), wie in

I lah mir d’Haar lah schniide. (Ich lass mir die Haare schneiden)

Liebe Grüsse, Mirea

Bewegungsverben in der Duden-Grammatik
Guten Tag, Mira

Du findest die Bewegungsverben ‚gehen‘ und ‚kommen‘ in der Duden-
Grammatik, dort, wo der Infinitiv mit und ohne ‚zu‘ behandelt wird.

Als Hilfsverben können nur ‚sein‘, ‚haben‘ und ‚werden‘ verwendet
werden.

Freundlich grüsst dich
Rolf

Spezialfall Futurum
Hallo Heinz

Wenn ich sage:
„Ich gang go poschte“, heisst das, dass ich demnächst
einkaufen gehe, ist also Futurum.

Ja, da lüpfst du uns auf eine interessante Spur.
DENN: Der Schweizer Dialekt kennt in der Konjugation
der Verben kein Futurum.
Alles Künftige muss zwingend mit dem Präsens
ausgedrückt werden. Die «Zukünftigkeit» muss dann aus
dem Satzzusammenhang (z.B. mit Hilfe von Zeitworten)
oder durch Hilfskonstruktionen (wie eben das «go/ga/
gaa») deutlich werden.

«Moorn räägnets» = morgen regnet es = morgen WIRD es
regnen.
«In zwei Moonet han i Feerie» = In zwei Monaten habe
ich Urlaub = … werde ich Urlaub haben.
«I kumm am halb sächsi» = Ich komme um halb sechs Uhr =
Ich werde um … kommen.

Wer immer so scheussliche Sätze sagt wie «Moorn wiirds
räägne», sündigt gegen den heiligen Geist der Mundart!

Freundliche Grüsse
Rolf

Hallo Rolf,

Du findest die Bewegungsverben ‚gehen‘ und ‚kommen‘ in der
Duden-
Grammatik, dort, wo der Infinitiv mit und ohne ‚zu‘ behandelt
wird.

Dankeschön, wusste ich echt nicht mehr.

Als Hilfsverben können nur ‚sein‘, ‚haben‘ und ‚werden‘
verwendet
werden.

Das wusste ich noch, mir fiel nur kein besserer Ausdruck dafür ein. Vielleicht wäre Hilfskonstrukte besser gewesen.

Liebe Grüsse,
Mirea

Lieber Eckard
Bei der Partikel go handelt es sich nach meinem Luzerner Mundartgefühl etymologisch sicher um das Wort gehen, mit inchoativer Bedeutung (inchoativ, d.h. handlungsauslösend); eine Parallele gäbe es im Katalanischen mit dem Hilsverb „gehen“, doch würde das hier zu weit führen. Das Gegenteil von go ist dann cho; z.B. Aer esch choo cho häufe (Er kam helfen.). Gruss, Fred. (NB Ich ziehe das Wort Lieber dem etwas angelsächsisch klingenden Hallo vor.(

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

und wohl etwas scherzhaft (Quelle unbekannt):

„Die Sonne scheint am Himmelsbogen;
die Magd geht Wasser holen gogen“

Erich