vedische Kosmogonie
Hi Ivy
unter den unzähligen überlieferten kosmogonischen (= Weltentstehungs-)Mythen gehören religionsphilosophisch gesehen vedische (ca. 1200-700 v.Chr.)und ägyptische (?-700 v.Chr.) zu den interessantesten. Denn bei ihnen finden sich raffinierte Überlegungen darüber, wie es überhaupt dazu kam, daß etwas entstehen konnte, wenn vorausgesetzt wurde, daß vorher „nichts“ war, wenn es also, mit anderen Worten, ein „vorher“ gar nicht gab.
Sie beginnen daher auch mit abstrakten Begriffen oder Prinzipien, und nicht mit bereits vorhandenen schöpferisch tätigen göttlichen Gestalten, die dann die Welt „machen“.
Leider sind sie etwas zu kompliziert, um sie hier kurz zu referieren, zumal es keine einzelnen kompakten Texte gibt, in denen diese Vorstellungen komplett abgehandelt sind, so wie wir z.B. zweie davon in den israelitischen Schriften (in der torah, im 1. Buch Mosis) vorfinden. Ich will deshalb nur kurz etwas über vedische Vorstellungen schreiben, da du speziell danach fragtest.
In der vedischen Periode des frühen Hinduismus gibt es unter anderem im Rigveda einige kosmogonische Abhandlungen: Rigveda X 129 ist ein gutes Beispiel: Die erstaunliche sonstige Formulierung des Anfangs „als Sein [sat]und Nichtsein [asat] noch nicht unterschieden war…“ taucht hier in der Form auf
„Nicht war Nichtsein und nicht war Sein
nicht war Raum [akasa] und nicht der Himmel jenseits davon
…
ein tiefer Abgrund“
„Nicht war der Tod und nicht war das Leben
nicht war das Zeichen der Nacht und des Tages
es begann windlos zu atmen aus eigener Kraft, da es einzig war
…“
„Finsternis war verborgen durch Finsternis
…
Der Keim [=Eidotter] kam zum Leben als Einziges
durch die Macht der Bruthitze [tapas]“
„Eine Begierde [tapas] bildete sich im Anfang, die als Keim des Denkens [manas] als erste war
…“
„Wer weiß es gewiß, wer wird es verkünden,
woher zum Leben gekommen, woher dieses Werden ist?
Die Himmlischen [deva, die Götter] sind diesseits der Welt.
Wer also weiß es, woher es gekeimt ist?“
„Woher dieses Werden gekeimt ist,
ob es gemacht worden ist oder ob nicht
wenn ein Wächter [Beobachter] dieser Welt ist im Himmel,
der weiß es gewiß - oder ob er es nicht weiß?“
Man erkennt, wie umsichtig hier mit dem Nicht-Wissbaren umgegangen wird …
Im ebenso bedeutenden Rigveda X 121 ist dann von einer Gestalt die Rede, die wohl auch als Gott aufgefaßt wurde, deren Name prajapati [aus praja-pati] eigentlich „Herr des Erzeugten“ bedeutet.
„Ein goldenes Eidotter bildete sich am Anfang
als Prajapati geboren war, war er allein
Er ist es, der diese Erde und diesen Himmel festhält
Wer ist der Himmlische …?“
„Der den Atem gibt, der die Kraft gibt
dessen Weisungen alle befolgen
dessen Schatten das Leben, dessen Schatten der Tod ist
Wer ist der Himmlische …?“
und so weiter.
Das Interessante ist, daß sowohl die Bruthitze, von der oben die Rede war, als auch die (sexuelle) Begierde, von der oben die Rede war, im Sanskrit (in dieser Sprache sind die Texte geschrieben), dasselbe Wort ist: tapas = „Glut“, und daß genau dieses Wort auch in der yogischen Meditation eine zentrale Bedeutung hat, nämlich die der Askese und der meditativen Konzentration. So wird in anderen vedischen Texten (den Brahmana) gesagt, daß Prajapati sich in der Meditation (tapas) bis zum Äußersten erhitzte (atapyata) und dadurch die Welt hervorbrachte. Und andererseits wird dort gesagt, daß im Anfang (agre) das Nichtsein (asat) den Geist (manas) hervorbrachte, der sich erhitzt und dadurch wiederum Prajapati hervorbrachte.
Dies also nur ein Beispiel aus der großen Menge mythischer Weltentstehungsgeschichten - ein überaus interessantes Gebiet der religionshistorischen Forschung. Ich hoffe, du kannst es als kleinen Beitrag für deinen Vortrag nutzen.
Viel Erfolg und Gruß
Metapher