Soziale Konventionen sind eben Konventionen, die nicht fest vorgegeben sind, sondern sich entwickeln und verändern. Deswegen verändern sich auch die Höflichkeitsformen, man grüßt heute in einer E-Mail mit „Hallo“ statt mit „Sehr geehrte…“ und „Mit freundlichen Grüßen“ statt „Hochachtungsvoll“, aber trotzdem grüßt man üblicherweise.
Ich hatte zuletzt häufig mit einer englischen Tochterfirma eines amerikanischen Unternehmens zu tun, die verzichteten auf die Höflichkeitsformen (kein „Dear…“, sondern einfach der Vorname als Anrede, und zwar egal ob man sich vorher das Du angeboten hatte oder nicht), als Schlussfloskel einfach nur „regards“, nichts mit Yours sincerly oder ähnliches). Amerikanisch nüchtern und zweckorientiert, sollte man denken. Dafür aber war der Fließtext mit dem Konjunktiv ("would, could, might, if, be so kind, …) dermaßen höflich, wie es nur Engländer und Schweizer schaffen. Ich bin sicher, die Engländer fanden unsere E-Mails, die zwar (wir können halt nicht anders!) mit „Dear“ begannen, aber nüchtern-direkt und ohne jeglichen Konjunktiv quasi imperativ formuliert waren irgendwie schräg.
Andere Länder, andere Sitten, aber auch Irritationen.