Homöopathie: pro und contra

Hi!

Habe gerade einen tollen Link gefunden angeregt durch die untere Diskussion, den ich euch nicht vorenthalten möchte. Der Text ist sehr lang, läßt aber IMHO kaum einen (Streit-)Punkt aus!

Ein hervorragender Text, sowohl mit Pro als auch Contra. Da er jedoch sehr lang ist, hab ich ihn sinngemäß gekürzt (oder zumindest versucht).
Quelle:
http://www.handrick-net.de/homoeopathie/homoeopathie…

P.S. wäre toll, wenn man das in die FAQ aufnehmen könnte :wink:

Gruß,
Sharon

Im Kreuzfeuer der Meinungen

Die Homöopathie ist eine umstrittene alternativmedizinische Methode. Vor etwa 200 Jahren von dem Arzt Samuel Hahnemann entwickelt, widersprechen ihre Vorstellungen weitgehend den Erkenntnissen, die die wissenschaftliche Medizin seither über Entstehung und Verlauf von Krankheiten gesammelt hat. Die Medizinische Fakultät der Universität Marburg erklärte im Ärzteblatt vom 3. März 1993 die Homöopathie zur Irrlehre: Ihr Wirkprinzip sei (unabsichtlich durchgeführte) Täuschung des Patienten, verstärkt durch die Selbsttäuschung des Behandlers". Zahlreiche Verbände und ärztliche Gesellschaften dagegen haben die die Homöopathie auf ihr Banner geschrieben. Befürworter und Gegner der Homöopathie stehen einander meist verständnislos, ja feindlich gegenüber (12,20,25,34,39,43,55,49). „Das Fragezeichen hinter dem Titel muß weg!“, sagen die Gegner. Und Hardliner fügen hinzu, Homöopathie sei nichts als Betrug und Scharlatanerie. Befürworter halten dagegen: Die gut dokumentierten Heilerfolge in Fällen, bei denen die sogenannte „Schulmedizin versagt“ habe, seien Legion, und wer heilt, der habe doch Recht. 1975 setzte jeder sechste in Deutschland niedergelassene Arzt regelmäßig homöopathische Mittel ein und bestätigte in einer schriftlichen Umfrage, daß sie spezifisch wirksam seien. Heute verschreiben 75% der niedergelassenen Ärzte in Deutschland zumindest gelegentlich homöopathische Mittel.

Und die Patienten? 90% der Bundesbürger seien, laut Umfragen, erklärte Fans der Außenseitermedizin - so der der „Nürnberger Anzeiger“ vom 17.7.1996. Zwei Drittel der Patienten seien mit der Behandlung zufrieden, bei der wissenschaftichen Medizin nur ein Fünftel.

Hahnemann entdeckte das Simile-Prinzip zufällig, nachdem er im mutigen Selbstversuch Chinarinde eingenommen hatte und davon „Fieber“ bekam - diagnostiziert allerdings nicht an der Körpertemperatur, sondern an erhöhter Pulsrate. Diese höchst ungewöhnliche Wirkung beruhte vermutlich auf einem Nocebo-Effekt (s.u.). Hahnemann stieß also auf sein Simile-Prinzip nur, weil er sich irrte. Bei den ersten homöopathischen Behandlungen, mit wenig verdünnten Wirkstoffen, kam es angeblich oft zu einer „Erstverschlimmerung“: Die Krankheitssymptome verstärkten sich - nach der „Simile-Regel“ verständlich, denn das Arzneimittel soll sich ja gleichartig auswirken. So begann Hahnemann, seine Heilmittel zu verdünnen, zu
„Potenzieren“: Die Arznei wird auf genau festgelegte Weise in jeder Verdünnungsstufe durchgeschüttelt. Dabei soll sich etwas vom „geistigen Wesen“ der Ursubstanz auf das Lösungsmittel (Wasser oder Alkohol) übertragen, Schritt für Schritt Stoffliches in Unstoffliches umwandeln, etwa in „heilsame Schwingungen“. Das Potenzieren erfolgt in Dezimal- oder Centesimalschritten, bei festen Präparaten durch Verreibung mit Milchzucker. Die Potenz D3 enthält meist etwa 1g Wirkstoff pro Liter. D20 entspricht bereits einer Verdünnung von 1:10 hoch 20, ungefähr sviel wie eine Tablette Aspirin, gelöst und gleichmäßig verteilt im gesamten Atlantik. Denn, so Hahnemann: Je mehr verdünnt, desto stärker die Heilkraft.

Wo Aussagen der Homöopathie zutreffen

Zur Zeit Hahnemanns verschrieb die wissenschaftliche Medizin oft unwirksame, ja sogar giftige Substanzen, sogenannte Drastika. Paracelsus verwendete z.B. Bleiacetat oder Quecksilberchlorid, und viele Patienten starben daran. Demgegenüber hatte Hahnemann durchaus gewisse, wenn auch keineswegs überwältigende Erfolge. Durch den Verzicht auf schädliche Drastika war die Homöopathie damals wohl die bessere Alternative.

Hat Hahnemann also recht? Oberflächlich betrachtet laßen sich Analogien zur Simile-Regel finden (27). Man kann die körpereigenen Abwehrsysteme, von denen Hahnemann nichts ahnte, manchmal durch daßelbe Mittel, das eine Krankheit auslöst, dazu anregen, diese zu besiegen. Diese wenigen Fälle aber sind seltene Ausnahmen. Genau betrachtet hat nämlich z.B. das Prinzip der Impfung mit Homöopathie nichts zu tun, denn man kann damit eine Krankheit nicht behandeln: Impfen muß man, bevor sie ausbricht. Auch die „gleichsinnige“ Behandlung eines Durchfalls mit Rhizinusöl, die den Organismus beim Ausscheiden von Schadstoffen unterstützen soll, entspricht formal der Simile-Regel, ohne diese damit zu einem Naturgesetz („Ähnliches heilt Ähnliches“) zu erheben.
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Gelegentlich wirken also niedrige Dosen besser als hohe. Das heißt aber nichts anderes, als daß Medikamente, die man in der richtigen Dosis einsetzt, besser helfen als wenn man zu viel davon nimmt.

Und wie wirken die etwa 12000 handelsüblichen Homöopathika, die in Deutschland ohne jegliche Kontrolle vertrieben werden? Sind sie konzentiert genug, gibt es immer Wirkungen. Alle Fremdstrukturen in Konzentrationen, die das körpereigene Abwehrsystem als unphysiologisch erkennt, führen zu einer zunächst unspezifischen Aktivierung zellulärer Komponenten des Immunsystems (4,22,27,28), im Einklang mit der Lehre Hahnemanns, die sich als Reiztherapie versteht. Aber: Auch die Injektion einer harmlosen Kochsalzlösung führt zu einer unspezifischen Aktivierung des Immunsystems (4)!
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Was ist der Placebo-Effekt, und was ist er nicht?

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Sollte der Erfolg der Außenseitermedizin nur auf dem Placebo-Effekt beruhen? Hier gibt es sofort lautstarken Protest: „Wir foppen doch die Patienten nicht mit Placebos!“
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Obwohl der Placebo-Effekt prinzipiell mit einer Selbsttäuschung verbunden ist, ist er keine Einbildung, und es ist keine Selbsttäuschung, wenn er hilft. Er bietet vielmehr eine wunderbare Chance, die körpereigenen Selbstheilungssysteme zu mobilisieren. Davon profitiert auch die wissenschaftliche Medizin in hohem Maß, aber nur, solange der Patient ihr im Grunde seines Herzens vertraut.
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Jede medizinische Behandlung enthält grundsätzlich zwei Komponenten: einer psychosoziale und eine physikalisch-chemische Botschaft, die sich direkt physiologisch auswirkt. Bei der Behandlung einer psychosomatischen Erkrankung ist der psychosoziale Anteil maximal, bei chirurgischer Entfernung einer Krebsgeschwulst ist er klein, aber dennoch vorhanden.
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Die meisten Erfolge hat die Homöopathie bei Erkrankungen, bei denen Placebos bei rund 50% der Patienten helfen können: bei Magengeschwüren, Schlaflosigkeit, Verstopfung, Angina pectoris, Migräne. Bei Patienten mit Migräne oder Tinnitus, denen wissenschaftliche Medizin nicht helfen konnte, gab es z.B. Heilerfolge nach „klassischer“ Akupunkturbehandlung. Die Erfolgsrate lag aber ebenso hoch, wenn, ohne Wissen des Patienten, „falsche“ Placebo-Akupunkturpunkte gereizt wurden (2,17). Bei Infektionskrankheiten und Leukämie dagegen, für die man wirksame wissenschaftsmedizinische Arzneien kennt, scheint Alternativmedizin kaum zu wirken.

Placebos wirken auch bei Kleinkindern und Tieren

Bei Kleinkindern und Tieren gebe es keinen Placebo-Effekt geben, also sei in diesen Fällen der Behandlungserfolg direkt abzulesen? Weit gefehlt! Selbstverständlich gibt es Placebo-Effekte in Form von Suggestion auch bei Kindern. Jeder Kinderarzt weiß, daß man die Mutter in die Behandlung einbeziehen muß: Sie ist Hauptempfänger der psychosozialen Botschaft und gibt sie als ihre Erwartungshaltung unbewußt an das Kind weiter.

Placebo-Effekte wies man in Doppelblindversuchen auch bei Haustieren nach. Diese können die Körpersprache vertrauter Bezugspersonen lesen. Erleben sie deren Vertrauensverhältnis zu dem ihnen unbekannten Therapeuten, so reagieren sie konditioniert im Sinn einer Placebowirkung. Wird das Placebo-Präparat auch noch mit liebevoller Hinwendung verabreicht, hat die Heilung gute Chancen. (26,27). Zusätzlich führt die Erwartungshaltung des behandelnden Arztes bei diesem selbst zu „selektiver Wahrnehmung“: Er neigt dazu, Heilerfolge zu diagnostizieren, die er unbewußt zu finden erwartet.

Wie stark wirken Placebos?

Krebspatienten, die unter Schmerzen litten, bekamen entweder das bewährte Schmerzmittel Naproxen oder ein Placebo. Wußten sie nicht, daß sie das echte Schmerzmittel geschluckt hatten, so wirkte dieses schwächer als ein Placebo, das sie als vermeintliches Schmerzmittel eingenommen hatten (3,5)! Von 40-60% von 3848 Patienten, bei denen keine eindeutige Diagnose möglich war, erhielten 43%, zufällig ausgewählt, Placebos. 82% von ihnen fühlten sich dadurch nach eigenen Angaben gebessert (43).
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Die Wunderdroge der außenseiter-Medizin ist also gar nicht das Placebo-Medikament selbst. Es steht allein in der Macht des Therapeuten, seine Patienten sich besser fühlen zu lassen. Es genügt ein Arztbesuch ohne jede Behandlung. Der „Wirkstoff“ des Placebos ist also der Heiler selbst!

Leider glauben die meisten Ärzte, daß über 80% ihrer Patienten die Verschreibung eines Medikaments erwarten. In Wirklichkeit sind es nur knapp die Hälfte sind (43-52%). Nur wenige Ärzte wissen, daß Patienten oft keine Behandlung brauchen außer dem Kontakt mit ihnen. Und so nutzen sie Placebos zu wenig aus, weil sie sie irrtümlich mit Scharlatanerie assoziieren. Dabei sind die objektiv meßbaren Behandlungserfolge erstaunlich: bei Kopfschmerzen 62%, bei Seekrankheit 58%, bei rheumatischen Erkrankungen 49%, bei Erkältungskrankheiten 45% (16,29).
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Das Argument, Homöopathie sei „ein Gebiet, wo man mit streng wissenschaftlicher Methodik nicht vorgehen könne“, ist falsch. Der Erfolg jeder Therapie läßt sich objektiv statistisch prüfen, aber nur in Doppelblind-Experimenten, bei denen der Placebo-Effekt quasi „herausgekürzt“ wird.
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Solche objektiven Tests, bei der wissenschaftlichen Medizin Standard, verliefen bisher negativ (27,28,32-34). Von Außenseitermedizinern werden sie meist als unangemessen abgelehnt. Stattdessen verweist man auf eindrucksvolle Fallbeispiele von geheilten Patienten. Diese anekdotischen Belege sind zwar emotional überzeugend, aber ohne jede Beweiskraft: Positive Einzelfälle - Patienten mit längerer Überlebenszeit - kommen in allen Kollektiven vor (1), es bleibt völlig unklar, welchen Anteil der Placebo-Effekt hatte, und es wird verschwiegen, bei wieviel Patienten die Behandlung erfolglos war.
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Wir halten es für unethisch, eine Behandlung zu propagieren, bei der nicht geprüft wurde, ob sie besser hilft als ein Placebo. Aussagekräftig wäre nur ein Test, den man möglichst ganz hinter dem Rücken der Hauptbeteiligten durchführt. Individuell verschriebene homöopathische Präparate müssten bei der Hälfte der Patienten, ohne deren Wissen und ohne Wissen der behandelnden Homöopathen, mit gleich aussehenden, anerkannt unwirksamen Placebos vertauscht werden. Ist die Behandlung damit unvermindert erfolgreich, entlarvt sich das Grundkonzept der Homöopathie als reines Phantasieprodukt, dessen praktische Wirksamkeit allein auf dem Placebo-Effekt beruht.
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Einer Gefahr sind alle Therapeuten ausgesetzt: der „therapeutischen Illusion“: Bei zweifelhafter Diagnose verordnen Ärzte häufig Behandlungen, von der sie wissen, daß sie nur als Placebo wirken. Gesundet der Patient, verführt der scheinbare Erfolg dazu, Diagnose und Behandlung irrtümlich für richtig zu halten. Ein Beispiel ist die sinnlose Verschreibung von Antibiotika bei viralen Infektionen. Vielen Ärzten wird nämlich in ihrer Ausbildung nicht beigebracht, daß Patienten oft keine Behandlung brauchen außer ermutigende Worte eines Arzt, der sich ihnen menschlich zuwendet.
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Homöopathie hat einen großen Vorteil: Im Gegensatz zur Wissenschaftsmedizin, wo der Patient oft auf besserwisserische Arroganz der „Götter in Weiß“ trifft, geht der Homöopath intensiv auf die psychische Befindlichkeit seiner Patienten ein. So fühlt sich der Patient verstanden, was den Placebo-Effekt ungemein steigert.

Wer heilt, hat Recht? Der Nocebo-Effekt

Was spricht eigentlich dagegen, medizinische Außenseiterverfahren in der Praxis einzusetzen, solange sich ihr Placebo-Effekt segensreich auswirkt? Wer hier nach dem Motto urteilt „wer heilt, hat recht“, der irrt. Denn der Placebo-Effekt der paramedizinischen Behandlung ist untrennbar gekoppelt mit seinem negativen Gegenspieler, dem „Nocebo-Effekt“, und der geht zu Lasten der konventionellen Wissenschaftsmedizin! Er bewirkt, daß objektiv anerkannte, bestens erprobte Arzneien weniger gut wirken, wenn der Patient Angst hat vor der „schädlichen Chemie“, die darin enthalten sei, oder wenn er dem Arzt, bewußt oder unbewußt, mißtraut.

Der Nocebo-Effekt läßt sich leicht messen. Bei jeder Neuzulassung eines Medikaments müssen ja Placebo-kontrollierte Doppelblind-Test vorgewiesen werden. Natürlich werden dabei alle Patienten über evtl. zu erwartende Nebenwirkungen des echten Medikaments informiert, unabhängig davon, ob sie dieses erhalten oder das Placebo. Ahnen Sie, unter welchen Nebenwirkungen die Placebo-Empfänger litten? In einer Chemotherapie-Studie fielen einigen der Beteiligten, die Placebos erhalten hatten, die Haare aus, weil sie glaubten, daß Chemotherapie immer zu Haarausfall führt (5).
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Kritisches zur Homöopathie

Wie sieht die Erfolgsbilanz der Homöopathie aus, wenn wir den Placebo-Effekt berücksichtigen? Keine signifikant bessere Wirksamkeit im Vergleich mit Placebos beschreiben z.B. Hill & Doyon (18,37). Homöopathisch erfahrene Ärzte haben über 100 kontrollierte Studien durchgeführt. Sie hatten z.T. positive, z.T. - meist bei Wiederholung einer positiven Studie! - negative Ergebnisse. Fast alle sind methodisch fehlerhaft. Sie sind in der, allerdings umstrittenen, Arbeit von Kleijnen et al.(27) zusammengefaßt. Brauchbare Doppelblindstudien sind selten:

Statistisch signifikante Ergebnisse von Doppelblindstudien bei homöopathischer Behandlung:

  • Rheumatoide Arthritis (14): positives Ergebnis, aber die Untersuchung wurde nicht reproduziert, und die Behandlung erfolgte nicht randomisiert
  • Migräne (6): positives Ergebnis, aber nicht reproduziert. Wiederholungsversuche schlugen fehl: Bei einer Studie am Charing Cross Hospital/London wirkte das Placebo signifikant besser als das Homöopathikum(!), eine Studie in einer erfahrenen deutschen homöopathischen Fachpraxis ergab keine signifikanten Unterschiede, aber Trends zugunsten des Placebos (44)
  • Durchfallerkrankungen bei Kindern (21): positives Ergebnis, bisher nicht reproduziert
  • Wiederholte Infekte bei Kindern (7): kein signifikantes Ergebnis
  • Schwellung und Schmerzen nach Operationen (28,29): Kein Unterschied zwischen Placebo und homöopathischer Behandlung

Daß „potenzierte“ Arzneimittel im Vergleich zu nur im selben Grad verdünnten Mitteln im Doppelblindversuch besser abschneiden, wurde bisher noch nie glaubhaft bewiesen. 1988 aber schien der Durchbruch gelungen. Jaques Benveniste behauptete in der internationalen Wissenschaftszeitschrift Nature, daß hochpotenzierte (anti-IgE-) Lösungen, die keine Wirkstoffmoleküle mehr enthielten, wirksam waren: der erste Beweis der homöopathischen Theorie! Die Publikation führte aber zu einem Wissenschaftsskandal (35). Eine neutrale Untersuchungskommission deckte auf, daß die Ergebnisse entgegen den Aussagen von Benveniste nicht doppelblind gewesen waren, und daß man gefälschte, nämlich selektierte Daten verwendet hatte. 1993 wiederholte ein britisches Forscherteam die Versuche, unterstützt von homöopathischen Arzneifirmen und Homöopathie-Forschungseinrichtungen. Ergebnis: negativ.

Woher aber kommt dann der gute Ruf, den die Homöopathie genießt? Viele chronische Krankheiten, beispielsweise Arthritis und multiple Sklerose, haben einen variablen Symptomverlauf. Alternativmedizinische Behandlung sucht man natürlich besonders in schlechten Phasen. Daher sind die Chancen gut, daß man sich in den Tagen danach besser fühlen wird, auch wenn das mit der Behandlung nichts zu tun hat. In solchen Fällen können Paramediziner jeglicher Couleur, aber auch Ärzte, leicht „Erfolge“ vorweisen. Zudem können selbst schwere Erkrankungen spontan ausheilen: Es gibt 170 gut dokumentierte Fälle von Spontanheilungen bei Krebs (10).
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Liest der Patient auf dem Beipackzettel seines Homöopathikums, Nebenwirkungen seien unbekannt, fühlt er sich sicher. Dabei hat meist keiner nach ihnen geforscht! Der Slogan „Heilen ohne Nebenwirkungen“, der quasi eine Steigerung des Heilungsanspruchs verspricht, ist falsch. Entgegen der Volksmeinung enthalten Homöopathika nicht selten gefährliche Stoffe wie Arsen, Antimon, Anilin, Blei, Cyanid, Phosphor, Quecksilber, Eiter, Extrakte von Mutterkorn, Osterluzei und Knollenblätterpilzen sowie andere Gifte in pharmakologisch relevanter Menge! Da erscheint es paradox, dem Laien Unbedenklichkeit vorzugaukeln.
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Zur Skepsis mahnt nicht zuletzt auch die gleichartige Behandlung unterschiedlichster „Krankheiten“. Ischias wird ebenso behandelt wie Eifersucht bei Mädchen: mit Pulsatilla D6. Bei Keuchhusten und Ehesorgen hilft Ambra D3. Brechnuß hilft gegen Verdauungsbeschwerden, Streitsucht, Hämorrhoiden, Kater, Migräne, verklebte Augenlider, Erkältungen, Darmverschluß, Prostatabeschwerden, Nierenkolik, Impotenz, Hexenschuß, Harnträufeln und Akne.

Kritik der Homöopathie:

Die Simile-Regel führt zur Gleichbehandlung unterschiedlicher Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik, und
zur Behandlung von Krankheitssymptomen ohne Ansehen ihrer Ursachen.
Bestehende Krankheitssymptome werden bei Anwendung wenig verdünnter Homöopathika oft verstärkt („Erstverschlimmerung“), und
gibt es Fehldiagnosen bei Krankheiten, die im Frühstadium symptomfrei sind.
Eine „Bilanz der Mißerfolge“ listet Wolter (49) auf. Könnten homöopathische Mittel positive Effekte vorweisen, sie wären längst von der Wissenschaftsmedizin übernommen worden. In ihrer langen Geschichte hat die Homöopathie aber in keinem einzigen Fall durch ihr Verfahren der Arzneimittelprüfung an Gesunden eine Therapie entdeckt, die Eingang in die Wissenschaftsmedizin gefunden hätte.

Auch bei den Versuchen, ihre Theorie rational zu erklären, ist die Homöopathie bisher gescheitert. Ist es nicht merkwürdig, daß andere Verfahren wie Bach-Blüten-Therapie und selbst Geist-Heilung, die auf ganz unterschiedlichen Theorien beruhen, von ähnlichen Erfolgsraten berichten?

Was Homöopathen glauben müssen:

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Homöopathie ist aus der Sicht der heutigen Wissenschaft inhärent unplausibel. Ein Haupthindernis ist die Idee des „Potenzierens“. Schon die Bezeichnung ist irreführend, denn dieser Prozeß hat weder etwas zu tun mit dem mathematischen Potenzieren, noch mit dem positiv belegten Begriff der sexuellen Potenz. Nicht nachvollziehbar ist vor allem, daß eine Lösung durch Schütteln wirksamer werde, ja daß das Lösungsmittel allein noch wirksam sei, selbst wenn kein einziges Wirkstoffmolekül mehr darin enthalten ist.
(…)
Der Gesetzgeber hat Hochpotenzen generell erlaubt, nach dem Motto: „So starke Verdünnungen können nicht schaden“. Sie müssen lediglich unter der Rubrik „besondere Therapierichtungen“ registriert werden. Als Vorbedingung dafür genügt ein Bericht über „positive ärztlich-therapeutische Erfahrung“. Das ist so ähnlich wie wenn es zwei Sorten von TÜVs gäbe: einen für fahrende und einen für nichtfahrende Autos. Der Vorteil der letzteren ist zweifellos, daß es weniger Unfälle gibt. Entsprechend selten kommt es bei der Verschreibung von Hochpotenzen zu negativen Nebenwirkungen. Eine große Gefahr ist aber, daß bei ernsten Erkrankungen die Therapie oft fahrlässig verzögert wird. Immer wieder mußten Patienten sterben, weil sie eine lebensrettende konventionelle Behandlung versäumten (31-33).
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Was haben Kritiker eigentlich gegen eine sanfte Medizin? Nichts! Allerdings sollen Wörter wie „sanft“, „ganzheitlich“ oder „natürlich“ oftmals nur verschleiern, daß Wirkungen der angepriesenen Therapie über den Placebo-Effekt hinaus nicht nachgewiesen sind. Für „sanfte“ Medizin reichen „sanfte“ Beweise eben nicht aus. Hier gilt es also, genau hinzusehen. Im übrigen hat sich gezeigt, daß einiges, das sich als „sanfte Medizin“ ausgibt, in Wirklichkeit aggressiv, ja lebensbedrohend ist.

Die „Theorien“ der Parawissenschaften sind äußerst bildhaft und erscheinen deshalb dem Laien so glaubwürdig. Wie eingängig ist doch der Slogan der Außenseitermedizin, daß wir „der ganzheitlichen Natur mehr vertrauen sollten als der bruchstückhaften Wissenschaft“! Aber „Erfahrungsheilkunde“ ist kein Merkmal der Außenseitermedizin; auf ihr beruht die gesamte wissenschaftliche Medizin. Und wie steht es mit „Ganzheitlichkeit“? Die wissenschaftliche Medizin ist mit ihrem Bemühen, den ganzen Menschen zu sehen, viel weiter. Wenn bei Ohr-Akupunktur, Akupunktur nach Voll, Handlinien-Lesen, Irisdiagnostik und Fuß-Reflexzonenmassage anhand eng begrenzter Körperteile diagnostiziert und therapiert wird, dann wird die Ganzheit zur leeren Phrase. Denn die Behauptung, man könne damit kranke Organe spezifisch beinflussen, ist wissenschaftlich schwer nachvollziehbar und nicht belegt. Die Vorstellung, durch Drücken eines speziellen Punktes am Fuß Darm oder Magen beeinflussen zu können, zeugt von mechanistischer Schalttafel-Mentalität, was grotesk ist angesichts der Kritik an der angeblich mechanistischen Wissenschaft (45).

Die Bilanz: Heilen selten, bessern oft, trösten immer

Wie andere alternativmedizinische Heilmethoden ist auch die Homöopathie keine Wissenschaft, sondern Weltanschauung, ja existentielle Glaubenssache: das zeigen die heftigen, oft unsachlichen Auseinandersetzungen darüber.
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Kranke homöopathisch zu behandeln, scheint also in jeder Hinsicht der klugen wissenschaftsmedizinischen Strategie zu entsprechen, nichts zu tun, abzuwarten, bis sich der Organismus selbst hilft, und dabei den Placebo-Effekt optimal einzusetzen. „Die Kunst der Medizin besteht darin, den Patienten zu unterhalten, während die Natur seine Krankheit heilt“, sagte Voltaire.

Einen richtigen Aspekt der Paramedizin kann man darin sehen, daß diese, wie die Erfolge zeigen, den Placebo-Effekt besser einzusetzen scheinen als der Wissenschaftsmediziner. Dieser Pluspunkt ist natürlich nicht Homöopathie-spezifisch. Hier muß die Wissenschaftsmedizin Konsequenzen ziehen und sich ihren Patienten ähnlich intensiv zuwenden wie das Homöopathen tun.
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„Entweder ist alles eitel Schwindel, oder … das medizinisch-naturwissenschaftliche Weltbild bedarf einer Korrektur“ sagte der Homöopathie-Befürworter Reuß (36). Diese Polarisierung ist falsch. Homöopathen und andere Außenseiter-Mediziner sind in aller Regel keine Scharlatane, auch wenn die Zukunft weiterhin bestätigen sollte, daß ihre Erfolge ausschließlich auf dem Placebo-Effekt beruhen. Denn die meisten von ihnen sind „shut-eyes“: Menschen, die von der Wirksamkeit ihrer Behandlungsmethode fest überzeugt sind.

Es geht nicht darum, irgendwelche Phänomene zu ignorieren, die, wären sie real, von der heutigen Wissenschaft nicht erklärt werden könnten. Und auch nicht darum, Kranken, denen die Wissenschaftsmedizin nicht helfen kann, den Placebo-Effekt paramedizinischer Behandlungen vorzuenthalten. Er sollte genutzt werden, aber nicht von Scharlatanen und shut-eyes, sondern von Wissenschaftsmedizinern, die das Vertrauen ihrer Patienten genießen und denen es mit psychosomatischen Methoden gelingt, natürliche Selbstheilungsmechanismen optimal zu aktivieren. Praktiziert ein Wissenschaftsmediziner alternative Medizin, besteht allerdings die Gefahr, daß die Patienten manipuliert werden: Sie verwechseln beides miteinander und halten alles gleichermassen für seriös. Es gibt Ärzte, die, dem Wunsch ihrer Patienten folgend, homöopathische Mittel verschreiben, aber sozusagen zur Sicherheit und ohne Wissen der Patienten zusätzlich noch ein Antibiotikum notieren. Was Wunder, daß die Besserung dann auf Homöopathie zurückgeführt wird!
(…)

Gute Gründe, sich homöopathisch behandeln zu lassen:

Erfahrungsgemäss können homöopathische Mittel helfen bei chronischen und bei akuten Gesundheitsstörungen, auch bei Kleinkindern und Tieren
Die Homöopathie sucht den ganzen Menschen zu heilen. Sie will nicht die Krankheit unterdrücken, sondern zielt auf Stärkung der Selbstheilungsmechanismen
Therapeuten lassen sich für ihre Patienten viel Zeit, und sie nehmen ihn ganz ernst, sowohl in der Anamnese, als auch während der Behandlung (psychosoziale Botschaft): Der Patient wird psychisch in die Heilung eingebunden (13)
Homöopathische Behandlung dauert meist lang und läßt dem Organismus Zeit, die er zur Selbstheilung nutzen kann
Der Placeboeffekt bedeutet für viele Patienten effektive Hilfe
Homöopathische Medikamente sind kostengünstig
Die Medikamente haben, da oft hochverdünnt („potenziert“) in der Regel keine schädlichen Nebenwirkungen

Gute Gründe, sich NICHT homöopathisch behandeln zu lassen:

Homöopathie geht per definitionem von den Symptomen der Krankheit aus und lehnt kausales Ursachendenken ab
In reinstem Wasser und Alkohol, die man beim „Potenzieren“ zum Verdünnen nimmt, kommen in Spuren fast alle wichtigen, natürlichen Elemente vor, die es gibt. Diese Verschmutzungen sind viel höherer konzentriert als der angestrebten Verdünnung entspricht. Woher „weiß“ das zu verdünnende Heilmittel, daß allein nur es potenziert werden soll?
Die Theorie, daß Gleiches mit Gleichem kuriert werde und daß beim „Potenzieren“ sich „feinstoffliche Information“ vom Wesen der Ursubstanz auf den Verdünnungsstoff übertrage, wobei „Stoffliches sich schrittweise in Unstoffliches verwandle“, ist wissenschaftlich unbelegt
Unterschiedlichste Homöopathieschulen melden ähnliche Heilerfolge wie andere paramedizinische Methoden, die vermutlich alle auf Placebo-Effekten beruhen
Homöopathie ist eine irrationale, dogmatische, autoritäre, in sich geschlossene Heilslehre, die keinen Widerspruch zuläßt
Wer an die Homöopathie glaubt, ist, bewußt oder unbewußt skeptisch gegenüber der Wissenschaftlichen Medizin: Mit der Angst vor der „schädlichen Chemie“ ist ein „Nocebo-Effekt“ verbunden, der die Wirkung von gut bewährten konventionellen Verfahren beeinträchtigt
Es entstehen Kosten ohne belegten Nutzen
Bei ernsten Erkrankungen wird die Therapie oft fahrlässig verzögert, was bei vielen Patienten zum Tod geführt hat

Die Schlussfolgerungen

Solange keine wissenschaftlich begründete Therapie bekannt ist, mögen Methoden mit günstigem unspezifischen Effekt bei geringem Risiko, wie etwa die Homöopathie, als Lückenbüsser für mangelndes Wissen akzeptabel sein. Denn Hahnemanns Bestreben, „sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen“ (Organon, Einleitung, Ausgabe 6B, 1978), wird jeder Wissenschaftsmediziner zustimmen.Verzichten sollte man auf Methoden, die weder nützlich noch gefährlich, aber finanziell aufwendig sind, und auf Methoden mit ungünstiger Nutzen/Risiko-Relation. Ist der Nutzen unbelegt oder gar widerlegt, sind auch geringe Risiken nicht zu tolerieren.

Die These, Außenseitermedizin sei nichts als Placebo-Therapie, ist eigentlich eher ein Lob als ein Vorwurf. Denn der Mensch heilt sich in einem hohem Maß selber, Hauptsache, er wird auf irgendeine Weise behandelt und glaubt daran (5). Also: Placebos einsetzen, sofern keine wissenschaftsmedizinisch bewährte Therapie bekannt ist: uneingeschränkt ja. Aber, damit verbunden, pseudowissenschaftlichen Unsinn verbreiten: nein. Was die Wissenschaftsmedizin den Außenseitermedizinern vorwirft, sind nicht die Placebos, die sie verordnen, sondern das missionarische Besserwissen und das gläubige Festhalten an wissenschaftlich unhaltbaren Vorstellungen. Nur deshalb sollte es Außenseitermedizinern verwehrt werden, an den Universitäten zu lehren. Natürlich macht die Wissenschaftsmedizin auch Fehler, aber sie hat einen unschätzbaren Vorteil: einen Fehlerbeseitigungsalgorithmus, der falsche Theorien im Lauf der Jahre ausmerzt.

Es ist zu fürchten, daß die Zahl an Wissenschafts-Analphabeten erschreckend zugenommen hat. Die mangelnde Bildung betrifft weniger das Tatsachenwissen, sondern etwas ganz Fundamentales: nämlich die Art und Weise, wie wissenschaftliche Erkenntnis zustandekommt. Ein verbreitetes Vorurteil lautet: „Ein Wissenschaftler glaubt dies, der andere jenes. Verschiedene Theorien, die einander widersprechen, stehen also gleichwertig nebeneinander, die Wahrheit ist relativ!“ Nein, man kann zwar prinzipiell nicht beweisen, daß eine Theorie wahr ist, aber man kann falsche Theorien objektiv als falsch erkennen und ausmerzen. Wenn eine Heilmethode im Doppelblindexperiment keine signifikant besseren Resultate hervorbringt als eine adäquate Placebo-Behandlung, dann ist die Wirksamkeit dieser Methode damit objektiv widerlegt. Außerhalb dieser Logik gibt es keinen anderen Weg zu objektiver Erkenntnis. Antirationales Denken hat noch nie in der Geschichte der Menschheit bleibende Fortschritte gebracht.

Daß sich die oft verfemte Homöopathie überhaupt halten konnte, verdankt sie dem Multiplikationsfaktor Patient, der es honorierte, daß hier der Mensch, und nicht die Krankheit behandelt wird. Schließen wir mit einem Wort von Elliot Emanuel (9): „Hoffnung ist ein wesentliches Grundelement der Medizin. Sie hilft über alle möglichen therapeutischen Irrtümer hinweg, und vertreten wird sie am besten durch einen optimistischen Arzt. Hoffnung ist der Zauberstab des Scharlatans, aber auch zugleich unser eigener“. Seien wir froh, daß es ihn gibt: den Placebo-Effekt.