Hyperfokus oder Manie?

Hallo liebe Fachleute,

trotz aller Recherchen bin ich bei meiner Frage nicht weiter gekommen:

Wie erkennt man in der Praxis den Unterschied zwischen einer hypomanen Phase (bipolare Störung) und einem Hyperfokus (ADS)?

Die Frage bezieht sich in erster Linie auch Erwachsene.

Kann mir da jemand helfen?

Hi

Wie erkennt man in der Praxis den Unterschied zwischen einer
hypomanen Phase (bipolare Störung) und einem Hyperfokus (ADS)?

So spontan würde ich sagen: Die hypomane Phase ist ja meistens durch eine Art (inadäquater) Hochstimmung gekennzeichnet, bei der der Betroffene „gut drauf“ ist, und dadurch inhaltlich oft beeindruckender für den Beobachter, während ADS einfach eine nervöse Hibbeligkeit umreißt.
Gruß,
BRanden

Hi,

…während ADS einfach eine nervöse Hibbeligkeit umreißt.

Es ging mir nicht um AD(H)S im Allgemeinen, sondern nur um den Hyper-Fokus. Während dieser Phase verfügt ein ADSler über stark erhöhte Ausdauer, Konzentration und Motivation bei einer bestimmten Arbeit, oder einem bestimmten Thema.

btw: Etwas mehr steckt hinter ADS schon… :wink:

Hi,
aus Freundeskreiserfahrung würde ich sagen:

Ein ADSler kann sich zeitweise nicht „zurücknehmen“ (also den Fokus wieder mehr auf sich selbst statt auf eine bestimmte Tätigkeit legen), weil er sich selbst wenig spürt (hohe Reizschwelle in der propriozeptiven Wahrnehmung) und nicht gut gelernt hat, sich selbst zu steuern. Die selektive Aufmerksamkeit (Figur-Grund-Wahrnehmung) ist nicht gut, da er dies nicht gelernt hat- die Grundlage dafür ist eine gute sensorische Integration. Wahrscheinlich hat er auch wenig Struktur (Handlungs- /Verhaltensrichtlinien) mitbekommen. Die auch durch fehlende Grenzen bedingte Impulsivität zeigt sich darin, dass er sich entweder vielen Dingen garnicht (Träumerle) oder allen bzw. einzelnen Dingen sehr stark zuwendet (und nicht „bei sich“ bleibt).

Die Hochstimmung hilft bei Beiden, bei der Sache (bzw. „bei vielen Sachen“) zu bleiben. Der ADSler würde sich sonst langweilen und hätte eine schlechtere Stimmung. Der Hypomane will auch eine schlechtere Stimmung vermeiden. Die Hochstimmung und das manische Tun dient (vermute ich) einer Vermeidung des „Zu-sich-kommens“, aber aus psychischen Gründen- mir kommt es vor wie ein „kleiner“(hypo-) Größenwahn, der das „Sich-klein-fühlen“ verhindern soll.

Da kein Psychologe geantwortet hat, eine laienpsychologische Antwort, aber mit anderweitigem therapeutischen Wissen etwas hinterfüttert. Vielleicht antwortet ja noch ein Fachmann. Mich würde die Abgrenzung zur Hysterie interessieren, ein Hysteriker legt ja auch einen Hyperfokus auf bestimmte Dinge und setzt Emotionen ein, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Die Aufmerksamkeit der Anderen, die Bestätigung von außen spielt ja auch beim Maniker eine Rolle.

Warum möchtest Du das eigentlich wissen? Würde mich mal interessieren.

VG
Anwärter

Hyperfokus oder Hypomanie
Hallo,

Wie erkennt man in der Praxis den Unterschied zwischen einer hypomanen Phase (bipolare Störung) und einem Hyperfokus (ADS)?

In der therapeutischen Praxis wird niemand aus der Beobachtung einer einzelnen Verhaltensepisode entscheiden, ob ihr eine bipolare Störung oder eine ADD unterliegt. Soll heißen: Gewöhnlich wissen wir das vorher oder warten den Verlauf ab. Die Verlaufsdauer ist ja sowieso eines der Kriterien in den Diagnosestandards der ICD und des DSM.

Der Unterschied der Charakteristik der Episode ist in Kurzform gesagt folgender:

Die hypomanische Episode einer Bipolaren Störung ist eine generelle Stimmungsanhebung, die aber, wie der Name sagt, nicht die Intensität einer manischen Episode erreicht. Aktivitätssteigerung gehört dazu, aber diese ist mehr diffus, selten konzentriert und auch dann nicht erkennbar zielgerichtet.

Eine hyperfokussierende Episode in einer vorliegenden ADD ist, wie ebenso der Name sagt, äußerst konzentriert und zielgerichtet. Sie wird nicht durch den Phasenverlauf ausgelöst, sondern immer durch eine aktuelle, situative Herausforderung. Das kann das plötzliche Ereignis eines schwierigen scenarios sein, in dem andere ratlos sind, oder eine Aufgabenstellung, dann meist eine, die von anderen nicht bewältigt wird, weil sie zu kompliziert ist. Die Motivation kommt aber immer aus einem schon vorhandenen Vorrat an Interessen, der bei einem ADDler gewöhnlich sowieso sehr umfangreich ist.

Der Hyperfokus ist in der Lage, Herausforderungen mit einer komplexen Struktur zu bewältigen, durch die er meist auch ausgelöst wird. Das liegt daran, dass er imstande ist, sehr viele Randsignale, nicht fokale Nebeninformationen wahrzunehmen und synchron zu verarbeiten. Und genau das kann die Hypomanie von Bipolar I oder II gerade nicht.

Ich hoffe, dass dir das reicht. Sonst wird es zu kompliziert :smile:

Schönen Gruß

Ani

1 Like

Hi,

Ein ADSler kann sich zeitweise nicht „zurücknehmen“ (also den
Fokus wieder mehr auf sich selbst statt auf eine bestimmte
Tätigkeit legen), weil er sich selbst wenig spürt (hohe
Reizschwelle in der propriozeptiven Wahrnehmung) und nicht gut
gelernt hat, sich selbst zu steuern.

Das ist interessant. Meinst du, daraus können auch Probleme bei Tätigkeiten wie Fahrradfahren oder oder Schwimmen entstehen?

Oder könnte es einen Zusammenhang zwischen autoaggressivem Verhalten und ADS geben? Ausgelöst dadurch, dass sich jemand „mehr spüren“ will…

Mich würde die Abgrenzung zur Hysterie interessieren, ein
Hysteriker legt ja auch einen Hyperfokus auf bestimmte Dinge
und setzt Emotionen ein, um Aufmerksamkeit zu erhalten.

Dazu weiß ich leider auch nur, was im Wiki steht:

„Sie suchen ständig nach Neuem und nach Stimulation. Dadurch können sie sich leicht in gefährliche Situationen begeben. Sie können schnell enthusiastisch Interesse an etwas gewinnen und es ebenso schnell wieder verlieren“

Warum möchtest Du das eigentlich wissen? Würde mich mal
interessieren.

Es geht darum, dass bei mir eine bipolare Störung diagnostiziert wurde. Allerdings erklärt das lange nicht alle Symptome. ADS (Hypoaktiv) würde genau passen.

Diese Phasen der gesteigerten Aktivität treten bei mir immer dann auf, wenn mich etwas interessantes voll in seinen Bann schlägt. Das kann eine bestimmte Arbeit sein, oder ein Thema auf das ich stoße und dann die ganze Nacht recherchiere.

Das deckt sich nicht mit dem, was ich über eine hypomanische oder gar manische Phase weiß. Deshalb wollte ich wissen, wie man es genau abgrenzt.

Hallo Ani,

jap, das ist genau was ich wissen wollte. Danke!

Viele Grüße,
cypher

Moin

Es geht darum, dass bei mir eine bipolare Störung
diagnostiziert wurde. Allerdings erklärt das lange nicht alle
Symptome. ADS (Hypoaktiv) würde genau passen.

Kann es sein, dass dir ADS als Diagnose sympathischer ist als die Diagnose bipolare Störung?
Gruß,
Branden

fakten fakten fakten
hi,

differenzierungen:

  1. ADS ist streng genommen ein ADHS ohne das „H“, also ohne hyperaktivität. auch bezeichnet als vielträumerei und konzentrationsschwäche ohne nervosität, fällt kaum auf, daher als störung der hypomanischen phase überhaupt nicht ähnlich, eher antagonistisch vom klinischen bild her. zum verwechseln bieten sich da eher phasen der agiterten depression oder angstzustände oder die impulskontrollstörung bei borderline oder eine beginnende psychose ohne halluzinationen an.

  2. die hyperfocussierung beim ADHS hat nichts hypomanisches, die ist eine überstarke beschäftigung mit einer aktivität, die man aber de facto unterbrechen kann, wenn man in einer, im übrigen in der regel kurzen, hyperfocussierungsphase den leuten die hand auf die schulter legt und sagt: „hey, schau mal!“ -dadurch ist der bezug zum hier und jetzt wieder herstellbar.

3.auch hat die ADHS-typische hyperfocussierung nichts von der überschätzung und aggressivität und reizbarkeit der hypomanischen phase.

  1. manie kann man nicht durch argumente wie „hey, hör doch mal auf, was du tust ist unvernünftig und verrückt…“ unterbrechen, eine ADHS-verhaltensweise dagegen immer, die emotionale und kognitive einsichtsfähigkeit ist noch erhalten, auch wenn sie durch nervosität beunruhigt ist.

  2. hyperfocussierung bei ADHS ist nicht so häufig.

2 Like

Hi,

Kann es sein, dass dir ADS als Diagnose sympathischer ist als
die Diagnose bipolare Störung?

Gegenfrage:
Kann es sein, dass ich seit frühester Kindheit eine bipolare Störung habe und bis jetzt keine einzige manische Episode aufgetreten ist?

Wenn ich einer Diagnose nicht vertraue, dann informiere ich mich erst, dann hol ich mir eine zweite Meinung. Ich denke das ist ganz normal und hat nichts damit zu tun, welche Krankheit mir nun „sympathischer“ ist… -.-

Hi

Gegenfrage:
Kann es sein, dass ich seit frühester Kindheit eine bipolare
Störung habe und bis jetzt keine einzige manische Episode
aufgetreten ist?

Auch wenn das mit den Gegenfragen immer so ne Sache ist (vor allem, wenn man die Frage nicht beantwortet), ist deine Gegenfrage -zugegeben- eine gute Frage.
Man ist versucht, schnell mit „nein“ zu antworten - aber, bedenke, dass du als Betroffener schwer manische Phasen von hypomanischen etc. unterscheiden kannst, wenn du selbst drin steckst. Wenn du ein paar hypomanische Phasen hattest, dann könnte das ausreichen.
Gruß,
BRanden

Hi,

bedenke, dass du als Betroffener schwer manische Phasen von
hypomanischen etc. unterscheiden kannst, wenn du selbst drin
steckst. Wenn du ein paar hypomanische Phasen hattest, dann
könnte das ausreichen.

Da hast du sicher Recht. Meine Absicht ist es ja auch nicht, mich selbst zu diagnostizieren. Würde ja auch nichts bringen. Ich versuche nur abzuschätzen, ob es besser wäre gleich die Depression behandeln zu lassen, oder erst eine zweite Meinung einzuholen.

Das ist interessant. Meinst du, daraus können auch Probleme
bei Tätigkeiten wie Fahrradfahren oder oder Schwimmen
entstehen?

Kinder mit einer hohen Reizschwelle in der propriozeptiven Wahrnehmung haben meist Probleme beim motorischen Lernen, später auch (wenn eine Entwicklungsverzögerung besteht) auch in der Feinmotorik, Koordination, Konzentration u.a., ist unterschiedlich. Schwimmen wird meist zum Lernen empfohlen, da die Bewegungen leichter sind (durch Verminderung der Schwerkraftwirkung), über beides bekommt man viele Infos fürs vestibuläre System, das das seine zur Sensorischen Integration beiträgt. Fahrradfahren kann erstmal schwierig sein (ist aber eher abhängig von Gleichgewichtssystem), Bewegung und Sport (Koordination, Kraftdosierung) im Allgemeinen.

Oder könnte es einen Zusammenhang zwischen autoaggressivem
Verhalten und ADS geben? Ausgelöst dadurch, dass sich jemand
„mehr spüren“ will…

Würde mal vermuten, dass psychische Probleme hinzukommen müssen, „damit“ man sich selbst Schmerzen zufügt. Angenehme Infos holt man sich eher durchs „Toben“, Zähneknirschen, Füße scharren, rempeln etc.
Aber diese Kinder spüren Schmerzen oft später.

Diese Phasen der gesteigerten Aktivität treten bei mir immer
dann auf, wenn mich etwas interessantes voll in seinen Bann
schlägt. Das kann eine bestimmte Arbeit sein, oder ein Thema
auf das ich stoße und dann die ganze Nacht recherchiere.

Ich habe eine bipolare Freundin. Da die hypomanischen Phasen für sie normal sind und sich angenehmer anfühlen als die „anderen“, die depressiven (Ausgewogenheit ist ja selten, also kein "Normalzustand), nimmt sie diese nicht als hypomanisch wahr. Ich sehe das, Nichteingeweihte nicht. Das kann man ihr dann auch ständig sagen, sie will garnicht von ihrem „Trip“ runterkommen. Aus den Gründen, die Du in oberem Zitat nennst. Irgendwann ist sie ziemlich fertig, weil sie total über ihre Grenzen gegangen ist / und war dabei überhaupt nicht bei sich, zu sich kommt sie erst in der Depression. Sie akzeptiert die Diagnose für sich, nimmt die hypomanischen Phasen aber auch im Nachhinein nicht als hypomanisch wahr. Sie „schafft“ halt dann auch sehr viel, kann aber wegen der Grenzüberschreitung kein Maß mehr finden und auch nicht einschätzen, wieviel sie wirklich schaffen will und muss. Es ist, als hätte sie dann auch ein sehr gutes Bild von sich, sie leistet halt sehr viel (die gesellschaftliche Anerkennung der Leistung ist ihr wohl sehr wichtig).

Sie schlagen dann auch Dinge „in den Bann“ und kann eben nicht mehr aufhören, was im „Fakten, Fakten“-Beitrag beispielsweise beschrieben wurde.

VG
Anwärter