Ibn Ruschd alias Averroes

Hallo,

in dem Roman das Buch Saladin von Tariq Ali wird mit einem Satz der mittelalterliche Philosoph Ibn Ruschd erwähnt:
„Darin (in einer seiner Schriften) tadelt er das Versagen unserer Staaten, welche nicht die Fähigkeiten der Frauen zu erkennen vermögen, geschweige denn verstehen, sie sich zunutze zu machen.“
Das hört sich recht fortschrittlich an für das 12.Jahrhundert.
Weiss jemand, ob Ibn Ruschd wirklich solche Thesen vertreten hat, und ob sie irgendeinen Einfluss auf die moderne Frauenbewegung haben, bzw. in ihr bekannt sind?

Vielen Dank für Antwort.

Grüsse

Jörg

Hallo Jörg,

hört sich für mich erstmal nicht zwingend fortschrittlich an, da nicht ausgeführt wird, welche Fähigkeiten (Kinderkriegen?Am Herd stehen?) Ibn Ruschd meint, die sich ein Staat seiner Meinung nach zunutze machen solle.

Als begeisterter Anhänger von Aristoteles, der ja seinerseits die Auffassung vertrat, die Frau sei aufgrung mangelnder Urteilskraft dem Manne unterlegen, wäre Ibn Ruschd imho nicht wirklich dem feministischen Lager zuzurechnen.

Aber vielleicht finden sich hier noch ein paar Kenner der orientalischen Mystik des Mittelalters, die dir eher weiterhelfen können.

Gruß Awful Annie

Lieber Jörg Walter!

in dem Roman das Buch Saladin von Tariq Ali wird mit einem
Satz der mittelalterliche Philosoph Ibn Ruschd erwähnt:
„Darin (in einer seiner Schriften) tadelt er das Versagen
unserer Staaten, welche nicht die Fähigkeiten der Frauen zu
erkennen vermögen, geschweige denn verstehen, sie sich zunutze
zu machen.“
Das hört sich recht fortschrittlich an für das 12.Jahrhundert.
Weiss jemand, ob Ibn Ruschd wirklich solche Thesen vertreten
hat, und ob sie irgendeinen Einfluss auf die moderne
Frauenbewegung haben, bzw. in ihr bekannt sind?

Der Reihe nach:

Erstens: Ja, diese These von Averroes gibt es:

Der Wortlaut in seinen "Anmerkungen zu Platons’ Politeia ist folgender:

„Wir wissen, dass die Frau, insoweit sie dem Mann gleicht, selbstverständlich der letzten Bestimmung des Menschen teilhaftig sein muss, auch wenn es die einen oder anderen Unterschiede gibt (…). Wenn die Natur von Mann und Frau gleich ist und jede Konstitution
der gleichen Art auf eine bestimmte Tätigkeit in der Gesellschaft gerichtet sein muss, erscheint es offensichtlich, dass in besagter (Muster-)Gesellschaft die Frau die gleichen Arbeiten verrichten sollte wie der Mann (…). Würden manche Frauen sehr gut geschult und
besäßen überragende Anlagen, schiene es nicht unmöglich, dass sie es zum Philosophen oder Herrscher brächten (…). Doch weiß man in unseren Gesellschaften nichts über die Fähigkeiten der Frauen, da sie in ihnen nur für die Fortpflanzung gebraucht werden und damit zum Dienst am Ehemann bestimmt sind und ihnen die Betreuung des Nachwuchses, die Erziehung und das Aufziehen übertragen ist. Da sich die Frauen in besagten Gemeinschaften für keine der
menschlichen Tugenden vorbereiten, kommt es vor, dass sie in diesen Gesellschaften oftmals Pflanzen gleichen, eine Last für die Männer darstellend, was einer der Gründe für die Armut dieser Gemeinschaften ist, in welchen sie zahlenmäßig bis doppelt soviel wie die Männer
ausmachen. Gleichzeitig, da ihnen die Ausbildung fehlt, beteiligen sie sich an keiner der anderen erforderlichen Tätigkeiten, mit wenigen Ausnahmen wie Spinnen und Weben, denen sie sich meist dann widmen, wenn sie Mittel für den Unterhalt benötigen.“
Aus: Anmerkungen zu Platon, Staat I

http://www.pensis.net/documente/21mitschriften_Rel/S…

Zweitens: Ja, diese These/Textstelle ist eine bereits gut bekannte und auch unter dem Aspekt „Geschlechterungleichheit“ rezipierte, wie man an diesem obigen Link bereits erkennen kann, oder auch an diesem (leider ist er auf italienisch):
http://bfp.sp.unipi.it/bibliofdd/blueston.htm

Drittens: Es gibt insgesamt Fachliteratur en masse zu Averroes’ Platon-Kommentar.

Durch diese eine Textstelle ist diese seine Schrift für die philologische Gender-Forschung, die sich ohnehin immer schon sehr breit mit Platon und Aristoteles (als quasi Grundtexte der europäischen Zivilisation und damit der Vorherrschaft der Männer über die Frauen) befasste, interessant geworden, weil er eben zeigt, dass in Bezug auf die bei Platon und Aristoteles uns bekannte krasse Unterordung der Frau unter den Mann eine andere Lesart möglich wäre.

Viel mehr zu diesem Punkt kann ich allerdings nicht liefern, da müsste ein Kenner der griechischen Philosophie her, wofür es ja auch ein Forum hier gibt.

Viertens: Diese „andere Lesart Platons“ ist die eine Bedeutung Averroes’, eine andere hat er dadurch, als eine Variante der spezifisch islamischen Form der Aufklärung zu gelten, und ein Zeugnis einer Form früher genuin islamischer Liberalität darzustellen.

Man darf ihn sich aber übrigens nicht involler Gänze als einen frühen Kämpfer gegen die Unterdrückung der Frau vorstellen, sondern eben als einen Denker, der wie Platon eine vollkommen Ordnung des Staates denken möchte, und dabei den Frauen eben eine andere Rolle geben möchte als nur die der untätigen „Pflanze“, die man ernähren muss nur aus Fortpflanzungszwecken, und dabei ineffizienterweise ihre Arbeitskraft nicht gleich mit ausbeutet.

Er kritisiert also nicht die Frauenunterdrückung als solche, sondern die (ökonomische) Ineffizienz dieser Form der Unterdrückung, damit die „Unvollkommenheit“ der bestehenden Staaten in Bezug auf den vollkommen Musterstaat, den Platon entworfen hat.

_ ℂ Λ ℕ Ð I Ð €

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„Die Philosophie ist gegenüber der Religion die höhere und reinere Wahrheit. In der Religion erscheinen diese Wahrheiten in bildlicher Einkleidung, die dem schwachen Verständnis der Menge angepasst sei.“
(Averroes oder Hegel?)