Moin,
für mich gibt es dazu 2 Dinge zu bedenken:
Die eine ist, dass du wahrscheinlich die Bedeutung des Ereignisses noch nicht erkannt hast. Hier geht es nicht um eine Überflutung, ein Erdbeben oder einen Tsunami in Pakistan, Bangladesh, dem Iran oder irgendeinem Entwicklungsland (weit weg, fremde Kultur, politisch instabil, Infrastruktur vorsintflutlich…). Hier sind in einem stabilen, westlich orientierten Industriestaat 3 Katastrophen kumuliert. 3 Ereignisse, die man so nicht erwartet hat und von denen man dachte, man sei vorbereitet und das könne so nicht passieren.
Fakt ist, dass zehntausende Menschen tot sind, hunderttausende obdachlos, die Industrie des Landes ist zusammengebrochen, diverse Landbevölkerung und mehrere Millionen Menschen in urbanen Ballungsräumen sind von Verstrahlung und Vertreibung bedroht. Wir erleben wie eines der fortschrittlichsten Länder der Erde sich nicht mehr anders zu helfen weiß als mehrere nicht mehr zu beherrschende Atomreaktoren mit albernen Wasserwerfern und Feuerwehrspritzen zu kühlen.
Neben der Katastrophe für Japan macht das Geschehen auch deutlich wie fragil selbst hoch entwickelte Gesellschaften wie die unsere - denn von Japan unterscheiden wir uns im Gegensatz zu entfernten Entwicklungsländern nicht so sehr - sind. Wir haben mit all unserem Wissen und der Technik eben soch nicht alles so im Griff wie wir denken. Irgendein nie erwartetes Ereignis - und schon klappt unsere Gesellschaft zusammen und wirft uns zurück auf das Niveau der Neandertaler.
Ich glaube, dass die Ereignisse in Japan uns mehr verändern werden als 9/11, der Terroranschlag in New York. Das Geschehen damals war weit weg und solange man auf dem Land wohnte und nicht im Flugzeug oder Zug verreiste fühlte sich jeder sicher. Jetzt aber wird den Leuten klar, dass sie auch auf dem Land in 30 Minuten tödlich verstrahlt werden können wenn das AKW in 30km Entfernung hoch geht.
Und den Leuten wird klar, wie unerwartet und schnell selbst ein hochmodernes Land, das glaubt alles im Griff zu haben, in eine unbeherrschbare Apokalypse geraten kann, wie instabil und verletzlich alles ist.
Was bedeutet es wenn der Wind früher oder später dreht und die strahlenden Partikel Richtung Tokio wehen? Was ist wenn eine hunderte Kilometer große Zone unbewohnbar wird? Unvorstellbar - und doch könnte es Realität werden, im schlimmsten Fall.
Dass über ein solches Ereignis Medien berichten liegt auf der Hand. Wär’s „nur“ ein starkes Erdbeben oder ein unerwartet großer Tsunami wäre es nach einer Weile wieder aus den Medien verschwunden. Aufgrund der Grundsatzfrage auch für unsere Energieversorgung und weil Millionen Japaner in Gefahr sind, eine Katastrophe dieser Größenordnung hat es in einer westlichen Zivilisation seit Menschengedenken nicht mnehr gegeben. Und alles, was man dagegen setzen kann sind ein paar alberne Wasserwerfer…
Das andere Thema ist: unsere Medienlandschaft hat sich stark verändert. Themen werden nach vorne geschoben wenn sie spektakulär sind, oder fallen gelassen wenn sie ausgelutscht sind. Auflage und Relevanz für Werbekunden bestimmen darüber, was gezeigt wird. Es wird nicht mehr neutral berichtet, was passiert ist. Es wird gezeigt was spektakulär ist. Kritischer Journalismus ist selten geworden, häufiger und lauter ist Krawall und spektakuläre Darstellung.
Im aktuellen Fall beispielsweise zeigten ALLE Medien - darunter auch „seriöse“ Sendungen wie die Tagesschau, „heute“ oder „gute“ Zeitungen tagelang Schlagzeilen wie „Japan vor dem Super-GAU“. Es wurde immer so dargestellt als stünde der eigentliche große Knall unmittelbar bevor. Tatsächlich passierte aber nichts richtig Wesentliches / Großes, sondern nur das, was man aus Katastrophen generell kennt: die Lage ist nach dem auslösenden Ereignis nicht statisch, sondern naturgemäß noch in der Entwicklung. Dass da Nachbeben stattfinden, Radioaktivität ausbricht, Knallgas entsteht und das Gebäude sprengt, Menschen in Gefahrensituationen Absetzbewegungen zeigen etc. - alles keine unerwarteten Zusatzkatastrophen, sondern folgerichtige Bestandteile jeder Großschadenslage. In den Medien wird das aber nicht so dargestellt obwohl jeder Katastrophenhelfer um diese Entwicklungen weiß. In den Medien, auch den seriösen, steht tagelang „ein noch größerer, apokalyptischer Knall unmittelbar bevor“, so nach dem Motto „bitte dran bleiben, in 5 Minuten wird es passieren!“.
Gruß,
MecFleih