Hallo
In letzter Zeit kann man beobachten, dass Grammatik und korrekte Aussprache in der Alltagssprache zunehmend an Bedeutung verlieren.
Nicht erst in letzter Zeit. Das geht schon ziemlich lange so. Und ich gebe zu, nicht einmal ich (!) beherrsche die korrekten deutschen Formen, wie sie noch um das Jahr 900 jedermann kannte. Da sind schon unsere Vorfahren im frühen und hohen Mittelalter unglaublich schlampig gewesen.
Schauen wir einmal schönes, korrektes Deutsch an:
Ik gihorta dat seggen, ðat sih urhettun ænon muotin, Hiltibrant enti Haðubrant untar heriun tuem.
Welch Wohlklang von Nachsilben, welch Formenreichtum.
Wie hässlich dagegen schon 300 Jahre später:
Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von heleden lobebæren, von grozer arebeit.
Wo sind die schönen Vokale der Nachsilben geblieben?
Wobei das immer noch geht, wenn man es mit diesem Sprachpanscher vergleicht:
Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch; die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde ruhest du auch.
Da ist ja nun fast gar nichts mehr übrig von den Nachsilben. Man weiss nicht einmal, ob das schlampige Aussprache ist oder fehlende Kenntnis der Grammatik…
Aber nicht nur bei uns spricht man nicht mehr richtig: Die Franzosen z. B. haben das schöne Latein so verhunzt, man kann es kaum noch wiedererkennen. Statt „ego“ sagen sie „je“, statt „hodie“ heisst es erst völlig unnötig aufgebauscht „ad illum diurnum de hodie“, was dann aber als „aujourd’hui“ genuschelt wird; statt „aqua“ sagen sie einfach „o“ und schreiben es dabei „eau“, als ob’s das besser machen würde…
Wobei die Römer nicht besser sind. Hör dich heute mal in Rom um – ist das noch die Sprache von Cicero? Und das war sie schon vor über 1000 Jahren nicht mehr…
Ganz zu schweigen von der Überschwemmung des Türkischen und des Lateinischen in Spanien durch das Arabische und die Entstellung des Arabischen in Malta durch das Italienische (also durch ein seinerseits verhunztes Lateinisch). Und und und …
Viele Sprachwissenschaftler streiten darum, ob man diesen Sprachwandel aufhalten muss/soll/kann, oder ob dieser zur Sprachentwicklung gehört, ähnlich verhält es sich bei Anglizismen.
Also mal im Ernst: Man kann, wenn man will, schon die natürliche Sprachentwicklung zumindest teilweise kanalisieren, und hat das auch mitunter mit Erfolg getan: Beispiele sind das Ungarische oder das Isländische, wo man den Wortschatz von Lehnwörtern „gereinigt“ hat, indem man sie durch Lehnübersetzungen oder Neubildungen ersetzt hat. Wobei das wiederum selbst ein Sprachwandel ist, und so hat man nichts „bewahrt“, sondern etwas ganz Neues „erhalten“…
Grundsätzlich entspricht das dem Versuch, einen Strom wie den Amazonas umzuleiten.
Aber vor allem ist es nicht im mindesten die Aufgabe von Sprachwissenschaftlern. Ästhetik hat da nichts verloren, höchstens als Forschungsgegenstand.
Wobei ich persönlich natürlich auch einen Geschmack habe, der unter anderem viele Anglizismen widerlich findet („Den Termin können wir mal penciln.“), der auch diese Managersprache dämlich findet („Das haben wir nicht gut kommuniziert.“), der sich aber wissenschaftlich nicht fundieren lässt und den ich dennoch vertrete. Aber wie gesagt, das hat nichts mit dem Linguisten in mir zu tun, nur mit dem Ästheten…
Komplexes Thema.
Gute Nacht
dodeka