Im Anfang war das radioaktive Material

Hallo zusammen,

in vielen Geologiebüchern, die ich in letzter Zeit wälzte, steht, dass radioaktiver Zerfall wesentlich mitverantwortlich gewesen sei dafür, dass die (Oberflächen-)Temperatur der Erde früher deutlich höher war als heutzutage.

Ehrlichgesagt, kann ich das noch nicht so ganz glauben. Ich stelle mir vor, dass es Unmengen radioaktiven Materials braucht, um damit einen Körper der Masse 5,974x10^24 kg merklich zu erwärmen.

Meine Idee ist nun, dass man ja z.B. das Alter der Erde auch über diverse Zerfallsreihen radioaktiver Isotope bestimmt hat und daher ja auch wissen müsste, wie viel des jeweiligen Materials zu Beginn der Erdgeschichte auf selbiger vorhanden war1. Dann müsste ich nur noch wissen, wie viel Energie beim (wohl nicht ganz vollständigen) Zerfall der wichtigsten radioaktiven Materialien frei wird und wie viel Energie es braucht, die Erde um - sagen wir mal - ein Kelvin zu erwärmen.

Und dafür brauche ich eure Hilfe. Es hakt nämlich schon beim ersten der drei Werte, die ich brauche: Wie viel radioaktives Material soll es denn zu Beginn auf der Erde gegeben haben? Dazu finde ich nirgends Informationen. Bei den beiden anderen Werten schwant mir Übles.

Vielen Dank schonmal,
ich hoffe, euch mit dieser Frage auch ein wenig zum Detektivspielen gereizt zu haben :wink:
Matthias

1: Woher will man überhaupt wissen, wie viel von dem Blei 208, das man im Boden findet, nicht schon immer 208Pb gewesen ist, sondern z.B. durch den Zerfall von 232Thorium entstanden ist?

Der bei weitem größte Teil der Hitze kam durch den gravitativen Kollaps und durch spätere Impakt-Ereignisse (Stichwort Entstehung des Mondes).

Der Beitrag durch radioaktive Elemente ist gering, aber deutlich vorhanden. Da man die Halbwertszeiten der Elemente kennt, kann man aus den heutigen Gehalten zurückrechnen, wieviel zu Beginn mal da war.

Die Frage, welches Blei durch Thorium entstanden ist, läßt sich auch recht leicht beantworten. Blei und Thorium verhalten sich recht unterschiedlich in Bezug auf die Geochemie. Dass heisst, die beiden Elemente werden in Minerale unterschiedlich gut eingebaut. Wenn wir in einem Thorium-Mineral also Blei auf einer Thorium-Position finden, wissen wir, dass dieses Blei mit hoher Wahrscheinlichkeit mal Thorium war. Das funktioniert mit sehr, sehr vielen Zerfallspaaren.

Wenn ich heut nachmittag mal Zeit habe, such ich mal ein paar alte Paper aus meiner Promotionszeit raus, da waren auch ein oder zwei über den radioaktiven Wärmefluss in Asteroiden dabei. Da kann ich dann auch mal mit ein paar Zahlen aufwarten.

Sooo… zuerst mal mea culpa und ich hoffe mein alter Prof hat mein Statement davor nicht gelesen… denn ich hab was ziemlich wichtiges vergessen.

Es gab in der Vergangenheit einige kurzlebige Nuklide die heute nahezu ausgestorben sind. Wir wissen von ihnen, weil einige sehr alte Proben ein Defizit in den Tochterisotopen zeigen. Diese Proben sind also entstanden noch ehe die entsprechenden Isotope in unser Sonnensystem kamen.

In der Frühphase unseres Sonnensystems existierten in der Nähe sehr viele Sonnen, von denen die meisten sehr schnell zu Supernoven wurden. Dabei werden viele Elemente gebildet und durch den Explosionsdruck im All verteilt. Alle Elemente mit höheren Ordnungszahlen als Eisen sind auf diese Weise entstanden. Lawrence Krauss hat dazu mal gesagt „So, forget Jesus. The stars died so that you could be here today.“

So. Dabei sind eine ganze Menge radioaktiver Isotope entstanden unter anderem große Mengen an 26Al und 60Fe. Da man das Aufschmelzen kleiner Himmelskörper wie vieler Asteroide nicht mit Gravitation erklären kann, hat man errechnet, dass es vor allem der Wärmefluss durch den Zerfall dieser beiden Isotope ist, der massiv zur Erwärmung beigetragen hat. Hier ist ein Artikel der das ein bisserl anreißt:

http://www.nature.com/nature/journal/v422/n6928/abs/…

Es gibt durchaus noch bessere, aber ich finde die grad nicht.

In der heutigen Zeit zerfallen vor allem die langlebigen radioaktiven Isotope noch immer. Aus diesem Grund ist beispielsweise der Wärmefluss in magmatische Gesteinen, wie Graniten, deutlich höher als in sedimentären Gesteinen. So wird beispielsweise bei 232Thorium angenommen, dass es sehr stark beiträgt und bei einer Halbwertszeit von 1,405 · 10^10 Jahren, ist auch klar, warum noch lange nicht alles zerfallen ist :smiley:

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Hi nix!

in vielen Geologiebüchern, die ich in letzter Zeit wälzte,
steht, dass radioaktiver Zerfall wesentlich mitverantwortlich
gewesen sei dafür, dass die (Oberflächen-)Temperatur der Erde
früher deutlich höher war als heutzutage.

Der direkte Einfluss der Zerfallswärme auf die Oberflächentemperatur ist auch sehr gering.

Die wird nämlich sehr stark vom Treibhausefffekt beeinflusst. Und dessen Stärke ist wiederum von der Stärke des Vulkanismus abhängig.

Gruß, Zoelomat

1: Woher will man überhaupt wissen, wie viel von dem Blei 208,
das man im Boden findet, nicht schon immer 208Pb gewesen ist,
sondern z.B. durch den Zerfall von 232Thorium entstanden ist?

Diese Frage wird auch gern von Kreationistenaufgeworfen, als „Beweis“, dass die Erde viel jünger ist als die Wissenschaft sagt.

Nun: Das Blei 208, welches man im Boden findet, braucht ja auch gar nicht ausschließlich durch den Thoriumzerfall entstanden also primordial sein. Ebenso wenig, wie alles Blei 208, welches man in Thorium- Mineralien findet, durch Thoriumzerfall entstanden sein muss. Und das trifft auch für das Blei 207 und das Blei 208 zu, die beide durch Uranzerfall entstehen, aber auch primordial sein können. Aber es gibt ein weiteres „garantiert primordiales“ Bleiisotop (Blei 204), anhand dessen man die Anteile des primordialen Bleis korrigieren kann. Was demnach recht kompliziert ist. Dies ist u.a. bei Wikipedia beschrieben.

Danke. Deine Antwort und zuvor schon die von Zerschmetterling haben meine Nebenfrage zur vollsten Zufriedenheit beantwortet und ehrlich gesagt bin ich auch ein bisschen froh, dass die Naturwissenschaftler da so solide Arbeit geleistet haben, dass die Kreationisten keine Handhabe haben :smile:.

Danke, Zerschmetterling. Deine, und Peters Antwort haben zumindest meine Nebenfrage, wie man sich sicher sein kann, welches Blei zuvor einmal irgendein radioaktiver Stoff war, zur vollsten Zufriedenheit geklärt.
Der Nature-Artikel lässt vermuten, dass ungeheure Mengen Energie bei radioaktivem Zerfall frei werden. Weiß da noch jemand mehr?

Hallo Nix_schlecht,

Der Nature-Artikel lässt vermuten, dass ungeheure Mengen
Energie bei radioaktivem Zerfall frei werden. Weiß da noch
jemand mehr?

hast du dir den Original Artikel aus Nature schon besorgt? Da kannst du sicher über deine Vermutung hinausgehen, die ungeheuren Energiemengen berechnen und ihren Umfang uns hier berichten.
Wir sind gespannt.

Gruß an alle aus Lienz!
Die Überlegung ist eigentlich ganz einfach. Die OBERFLÄCHENtemperatur wird etwa zur Hälfte aus radioativem Zerfall aus dem ERDINNEREN verursacht. Wenn man die Masse des Erdinneren in Relation zur Erdkruste (Oberfläche) setzt, dann ist die aktuelle Erkenntnis auch verständlich, die neulich ein internationales Forscherteam am KamLAND-Neutrinodetektor in Japan durch Messungen ermittelt hat. Die Forscher um Itaru ShimizuTohoku  von der University im japanischen Miyagi haben festgestellt, dass der Zerfall von Uran-238 und Thorium-232 zusammen rund 20 Terawatt zum Wärmefluss der Erde beiträgt. Weitere Erklärungen findet man im Periodensystem, u.a. über den Zerfall von Uran und Thorium. Noch dazu kam und kommt ständig neue Materie aus dem Weltall auf die Erde und beinflusst und sei es auch geringfügig die Energiebilanz.
Wahrscheinlich würde derjenige, der genau festellen kann, wieviel radioakives Material zu Beginn der Erde gegeben haben soll und wieviel Energie es brauchen würde, die Erde um ein Kelvin zu erwärmen, den Nobelpreis erhalten. Solche und andere Hypothesen und Fragen werden im wissenschaftlichen Kreis wahrscheinlich genau so heiß diskuttiert, wie das Erdinnere warm ist.

W.Z. alias Neugierphilo

*hüstel*

Prinzipiell finde ich es gut, dass hier die richtige Spur aufgreifst.

Aber:

Der Mann heisst Itaru Shimizu und arbeitet an der Tohoku Universität. Und er hat auch nichts über die Oberflächentemperatur herausgefunden sondern über die Temperatur der gesamten Erde. Der Rest stimmt so halbwegs wobei der letzte Satz mit dem Nobelpreis Murks ist und der Satz mit dem radioaktiven Material aus dem All mehr oder weniger auch und auf den Satz mit dem Verhältnis von Oberfläche zu Volumen geh ich mal gar nicht ein. Ich kann mir vorstellen, was du gemeint hast, aber so macht der nicht viel Sinn.

Hier ist mal ein Link zu dem Artikel aus dem das kommt:

http://news.sciencemag.org/space/2011/07/earth-still…

SECHS, SETZEN!

Die Überlegung ist eigentlich ganz einfach.

Dann denk weiter, geht auch in der geschlossenen.

Die OBERFLÄCHENtemperatur wird etwa zur Hälfte aus radioativem
Zerfall aus dem ERDINNEREN verursacht.

Da bedrücken dich auch Probleme wie Wärmeleitung nicht. Dafür gibt’s ja auch was von der Rapidofarm.

Ziemlich interessanter Artikel, danke dafür.

Habe ich das richtig verstanden, dass pro Sekunde, durch jeden Quadratcentimenter Erdoberfläche 4,3 Millionen Partikel, die nur aus dem Zerfall von Thorium-232 und Uran-238 entstanden sind, durchschießen?

Wie viel sind 20 Terrawatt ungefähr, ich habe da keinen Vergleich.

Gruß,
Matthias

Wahrscheinlich würde derjenige, der genau festellen kann,
wieviel radioakives Material zu Beginn der Erde gegeben haben
soll und wieviel Energie es brauchen würde, die Erde um ein
Kelvin zu erwärmen, den Nobelpreis erhalten.

Dann frage ich mich, woher man wissen will, dass „eine weitere Wärmequelle, die Im Frühstadium der Erde zu ihrem Aufschmelzen beigetragen hat die Radioaktivität [war]“? (Zitat aus Grotzinger et al., 2008 - Allgemeine Geologie)

Solche und andere
Hypothesen und Fragen werden im wissenschaftlichen Kreis
wahrscheinlich genau so heiß diskuttiert, wie das Erdinnere
warm ist.

Na wenigstens das, aber eigentlich berechtigt das noch nicht, irgendwelche Schlussfolgerungen in Lehrbücher zu schreiben.

Gruß,
Matthias

Wie viel sind 20 Terrawatt ungefähr, ich habe da keinen
Vergleich.

Leider hast du auch keine Lesebrille.

Hallo Matthias,

Wie viel sind 20 Terrawatt ungefähr, ich habe da keinen
Vergleich.

Ein AKW-Block hat eine Leistung um 1GW

Also so was in der Grössenordnung von 10’000 AKW-Blöcken.

MfG Peter(TOO)

Hallo,

Wie viel sind 20 Terrawatt ungefähr, ich habe da keinen Vergleich

Ja, solche Größen sind schwer vorstellbar.
Großkraftwerke habe um 3000 MW = 3 GW = 0,003TW
Man bräuchte also fast 7000 solcher Großkraftwerke.

Aber was bringt so ein Vergleich?

Interessanter sind da Vergleiche mit der Energieeinstrahlung auf der Tagseite
oder der IR-Abstrahlung auf der Nachtseite.
http://de.wikipedia.org/wiki/Strahlungshaushalt_der_…
Da sieht man, das die paar TW offenbar nur sehr geringen Anteil an der Oberflächentemp. auf der Erde haben.
Gruß Uwi

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Vielen Dank für deine Antwort.

Als ich gesehen hab, wie die die 174 PW klein bekommen, hab ich den gleichen Spaß mal für die 20 TW der Radioaktivität gemacht - wenn man es auf das Volumen von ungefähr 1.08*10^12 km³ verteilt, dann bleiben noch ca. 18,5 W/km³.

Da wundert es ja fast wieder, wie das, wenn es wie im Artikel behauptet die Hälfte der Energie ist, die derzeit zum Wärmeerhalt in der Erde aufgewendet wird, ausreicht.

Beste Grüße
Matthias