Induktion, Abduktion, Statistik und Genderklischee
Hallo Thomas,
„Dabei fanden sie unter anderem, dass Söhne aus traditionell
organisierten Elternhäusern, in denen die Mutter die
Familienarbeiten erledigt, auch später die Hausarbeit meist
ihrer Frau überlassen.“
Das ist eine empirische Behauptung, die sich wohl aus den Daten
(die ich nicht kenne) ergibt. Diese Aussage ist – wenn das
zutrifft – jedenfalls für die geprüften Daten stimmig. Sie
besagt, dass eine Korrelation besteht zwischen dem Aufwachsen
in Traditionen und späterem Handeln.
Für Söhne! Welche bei ihren Vätern gesehen haben, wie es sich als Mann auch jenseits von Hausarbeit so leben lässt.
"Bei Töchtern sind dagegen weniger das Elternhaus entscheidend
für ihre späteren Ansichten zu ihrer Rolle als Frau.
Zugunsten dieses Satzes will ich annehmen, dass von den Töchtern ebenfalls eine Beobachtung gemacht wurde, und auch eine von der gleichen Seriosität, wie der, die dem Satz von den Söhnen zugrunde liegt. Nur wird die entsprechende Beobachtung bei den Töchtern sich nicht-korrelativ dargestellt haben, so dass ein Motiv vorlag, nach einer anderen Vergleichsgröße zu suchen, um doch schließlich eine Korrelation identifizieren zu können.
Es zählen vielmehr Erfahrungen, die sie als Erwachsene während
der Ausbildung und in der Arbeitswelt machen."
Und man ward’, oh Wunder, fündig in adulten Lernwelten. Streng genommen, hat dieses erst einmal jemand als Hypothese aufstellen müssen und dann empirisch verifiziert, wobei dieser jemand natürlich schon sehr viel von dem „wusste“ wonach er da „suchte“. (Von einer „Erlernung“ wird die ganze Zeit ja wohl als dem „zu findendem“ ausgegangen worden sein; und damit kann man sich im Suchraum ja kaum noch verlaufen.)
Also gilt für nichttraditionell rollenstrukturierte Frauen, dass sie ihre Nichttraditionalität nach ihrer Kinderstube erlernt haben müssen, soweit ihre Kinderstube sie noch traditionell heimgesucht hat. Was der Fall sein muss, sonst gäbe es entweder keine Differenz zu den Männern und deren Kinderstubenkorrelation (und damit keinen Grund eine Studie zu machen) bzw. sonst wären die progressiven Veränderung von Rollenaufteilungen auch überhaupt nicht vorstellbar. Und Veränderung, zumal reale, muss vorstellbar bleiben, sonst stimmt was nicht am Modell.
Frauen können ihre Kinderstube politisch „nachbessern wollen“, weil es für sie was zu gewinnen gibt, während Männer früh an Trägheit gewöhnt oder mit Hausarbeit versöhnt werden können und sich weniger stark zu politischen Nachbesserungen „hingezogen fühlen können“.
Die „Willensfreiheit“ von Männern und Frauen fußt auf unterschiedlichen Chancenbedarfen. Der Mann bedarf der Veränderungschance weniger als die Frau - soweit ihm, und jetzt kommt es: Trägheit von Wert ist. Sie ist offener für Veränderungschancen, soweit sie „nur Hausarbeit“ zu öde für sich findet.
Das ist soweit alles im Prinzip nur banal und tautologisch.
Geradezu klischeehaft irreführend wird es, wo anstelle von Möglichkeiten, von Unmöglichkeiten gesprochen wird:
„Einem erwachsenen Mann ist die Gleichberechtigung der
Geschlechter in der Regel nicht mehr beizubringen. Dies schon
gar nicht, wenn sie sich in der traditionellen Rolle als
Brötchenverdiener für die Familie befinden.“
Wo es tatsächlich um Lernfähigkeitsdifferenzen verschiedener
Altersphasen und um unterschiedliche Umlern- und
Veränderungsmotive geht, da wird dem Publikum statt dessen eine
populär klingende Geschlechterdifferenz untergejubelt.
Und eine tatsächliche statistische Differenz in der biografischen Erlernungsphase von moderner Rollenaufteilung wird als regelmäßiges Gesetz einer Lernhemmung bei erwachsenen Männern hingestellt.
Du hattest beanstandet:
Hier
"Bei Töchtern sind dagegen weniger das Elternhaus entscheidend
für ihre späteren Ansichten zu ihrer Rolle als Frau.
aber schleicht sich in das scheinbar unantastbare empirische
Material schon eine Interpretation ein. Hier wird nicht mehr
davon gesprochen, dass die Daten dieses oder jenes Ergebnis
belegen könnten, sondern es wird – das liegt natürlich auch am
sprachlichen Stil von solchen Mitteilungen (was aber dennoch
rügen muss, weil es sonst niemandem auffällt) – eine Grund-
Folge-Relation zwar nicht direkt ausgesprochen, aber schon
implizit behauptet.
Ich sehe in diesem sprachlichen Vorpreschen sicher eine gewisse formale „Überrumpelung“, weil man ja doch geneigt ist, eine Korrelationsbeobachtung zu erwarten. Aber ich kann mir die Augen reiben und mir zur Entschuldigung dieses Gangartwechsels vorstellen, das etwas geschehen sein muss, die Kinderstube als Maßstab zu verwerfen. Dieses Vorstellen scheint mir das zu sein, was ein abduktiver Schluss sein soll und ich kann davon sagen, dass mir ein solches Vorstellen öfter passiert und ich an Gangartwechseln von Korrelationen zu Kausalitäten nicht sooo sehr Anstoß nehme, weil ich schon bei den Korrelationen nicht viel Schlaues erwarte und mich daher von den „Kausalitäten“ nicht mehr so sehr enttäuschen lasse.
Es zählen vielmehr Erfahrungen, die sie als Erwachsene während
der Ausbildung und in der Arbeitswelt machen."
Das unscheinbare Wort „zählen“ soll andeuten, dass das eine aus
dem anderen KAUSAL ableitbar ist.
Die Absicht, eine „harte Kausalität“ aufzufinden, wabert ja nun durch jede Befassung mit Korrelationen. Da würde ich jetzt nicht den Sündenfall lokalisieren wollen. Ein neuer Maßstab ist gewählt worden, ohne das gesagt wurde, warum ein neuer Maßstab gesucht wurde. Das muss man sich halt denken. Das der neue Maßstab mit dem Verb „zählen“ gleich recht ruppig daherkommt und keinerlei korrelationsangemessene Bescheidenheit mehr walten lässt, fällt gleichwohl als Ungebührlichkeit auf.
„Einem erwachsenen Mann ist die Gleichberechtigung der
Geschlechter in der Regel nicht mehr beizubringen. Dies schon
gar nicht, wenn sie sich in der traditionellen Rolle als
Brötchenverdiener für die Familie befinden.“
Hier wird die Ableitung nun (unberechtigt) noch weiter
zurückgeführt. Daraus, dass ein TATSÄCHLICHER Zusammenhang
besteht zwischen frühen und späten Reaktionen, wird nicht nur
geschlossen, dass dieser KAUSAL ist, sondern auch noch, dass
diese Mechanismen UNUMKEHRBAR seien.
Nach meinem Empfinden passiert noch mehr: Es wird auf eine zukünftige Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit geschlossen. Ich sehe oft noch Differenzen zwischen Kausalitäten von beobachtbaren Phänomenen und den Bedingungen der Möglichkeit zukünftiger und erstrebenswerterer Phänomene.
Vielleicht entdecken „traditionell geprägte“ Männer nichttraditionelle Frauen als die erotisch interessanteren, vielleicht ist das ganze „Erlernparadigma“ sowieso zu eng und viel mehr Musik spielt auf den Feldern neuer Anreize, jenseits von Trägheit und Bequemlichkeit. Vielleicht stimmen viele Korrelationen sogar ganz untadelig als Kausalitäten; doch nur zu dem Preis unter dem Niveau ihrer Möglichkeiten zu bleiben, zumal wenn es um Menschen geht. Ab dort beginnt für mich, Musik zu spielen.
Wenn man davon ausgeht, dass es erstrebenswert ist,
eine „eigene Arbeit“ zu machen, und damit gleichzeitig
festlegt, dass es nicht erstrebenswert ist, die traditionelle
Mutterrolle zu übernehmen, dann könnte man – selbstverständlich
nur auf boshafte Weise g – auch auf die Idee kommen, dass es
ganz natürlich ist, Erstrebenswertes zu erstreben und Nicht-:Erstrebenswertes nicht zu erstreben. Aber dazu bedarf es
natürlich keiner Studie – und die beiden Herren hätten nichts
zu tun …
Für mich hat es sich hier von der Größe „Trägheit“ her erschlossen: Die Erfahrung einer traditionellen Rollenaufteilung lässt eher Frauen als Männer danach streben, sie zu überwinden, weil sie Frauen eher Einengung und Männern eher Bequemlichkeit beschert. Allerdings habe ich auch schon oft und gerne mit dem Begriff „Erstrebenswertes“ bzw. „Bestrebung“ gearbeitet.
Die Schlagzeile
„Männer (sind) unbelehrbar in Sachen Gleichberechtigung.“
gehört m.E. folgendermassen aufgedröselt:
Männer sind (erlernungstechnisch) in Sachen Gleichberechtigung am besten frühzeitig belehrbar. Später sind sie dann eher „anreiztechnisch“ in Sachen Gleichberechtigung durch neue Motive belehrbar. So müsste man das auswalzen, damit es taugt, finde ich.
Machst du solche „Zerpflückungen“ auch so gern?
Herzliche Grüße
Thomas H.
PS
Soziologen – jedenfalls diese beiden – sind anscheinend
unbelehrbar in Sachen Schlussfolgerung.
Von Politikern habe ich analog gehört:
„Weist du das Ergebnis schon, dann gründe eine Kommission“.