'In Deutschland hat man deutsch zu sprechen!'

Hallo liebe Community,

als ehrenamtliche Talentpatin engagiere ich mich für ein Projekt der Berliner „Bürgerstiftung Neukölln“. Ziel ist es, einen jungen Menschen ein halbes Jahr bei der Entdeckung seiner Talente zu begleiten. So weit die Theorie.

Mein Patenkind ist weiblich, 11 und aus einem - so weit ich abschätzen kann - intakten, deutschen Familienverhältnis. Die letzten Male äußerte es recht emotional o.g. Satz und die Einschätzung, dass Türken und Araber schlagen etc. und erkundigte sich explizit, ob es da, wo ich wohne, auch Ausländer gebe. Oder es äußert sich unbedacht laut über „Ausländer“ etc., während um uns fast ausnahmslos Migranten gehen… Mein Dilemma: Ich bin eher Verfechterin von Multikulti, wenn auch nicht blind, und habe mit Positionen vom rechten Rand ein echtes Problem. Darf man zulassen, dass sich in einem Kind so früh schon Stammtischparolen einnisten? Oder gehört das zu den Entwicklungsphasen von Kindern?

Ich kann aber auch gut verstehen, dass ein Kind, das in seinem Bezirk täglich mit Migranten in der Schule und auf der Straße konfrontiert ist, sich dadurch bedroht fühlt oder einfach nachplappert, was es irgendwo hört. Zumal bei der Familie gern mal RTL2 läuft.

Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich keine Erziehungsberechtigte bin, sondern „nur“ Talentpatin. Aber ich sehe es auch als einen Teil des Ehrenamts, neue Sichtweisen zu erschließen und wüsste gern, wie man das Thema altersgerecht angehen kann? Habt ihr vielleicht ein paar pädagogische Ratschläge für mich?

Heute wird mich mein Patenkind besuchen, und ich wohne in einer beschaulichen Ecke von Pankow, wo es tatsächlich weniger Türkischstämmige gibt. Hier betreiben sie Geschäfte, sind fleißig und stehen nicht gröhlend auf der Straße rum. Kann man das irgendwie verwenden?

Bevor ich mich aber an den Projektleiter (ein türkischstämmiger junger Mann in meinem Alter) wende, würde ich lieber eure Tipss hören, bevor ich etwas aufbausche, was sich vielleicht ohne großes Tohuwabohu lösen lässt.

Herzlichen Dank
sgw

[…] Darf man zulassen, dass sich
in einem Kind so früh schon Stammtischparolen einnisten?

Nun ja, so ganz falsch ist die „Stammtischparole“ gar nicht, denn:

  1. In einigen Lebensbereichen ist Deutsch schlicht gesetzlich vorgeschrieben, insbesondere für den Verkehr mit Gerichten (vgl. § 184 GVG) oder Behörden (für Behörden des Bundes: § 23 Abs. 1 VwVfG). Wer das nicht kann, muß Unterlagen ggf. übersetzen lassen und für das Gespräch auf einen Dolmetscher zurückgreifen. Hier und da gibt es zwar Ansätze, das in der Praxis flexibler zu handhaben - an einigen Gerichten etwa kann auch auf Englisch korrespondiert werden - an der grundsätzlichen gesetzlichen Anordnung ändert das aber erstmal nichts.

  2. Deutsch zu sprechen ist unabhängig davon auch durchaus zweckmäßig, weil es die Sprache ist, die (noch) von der überwältigenden Mehrheit in diesem Land - u.U. mit mehr oder weniger großen Abstrichen im persönlichen Einzelfall - verstanden und gesprochen wird. Mit anderen Worten: Die Chance, hierzulande von einem x-beliebigen Gegenüber ohne weiteres verstanden zu werden, ist mit Deutsch am größten.

  3. Deutsch zu sprechen ist außerdem mit Blick auf Integration keine schlechte Idee. Denn für die Integration in eine Gemeinschaft ist eine gemeinsame sprachliche Basis ein Must. Und da es recht unwahrscheinlich ist, dass sich die Mehrheit der deutschen Ureinwohner um der Integration willen künftig nur noch des Englischen bedienen oder sich gar um den Erwerb sämtlicher Sprachen bemühen wird, die unter den Nicht-Ureinwohnern so vorkommen (vom Türkischen über das Russische und Polnische zum Japanischen und sonstwohin), ist es unter rein praktischen Gesichtspunkten einfacher, wenn sich die Nicht-Ureinwohner stattdessen um den Erwerb und die Verwendung einer einzigen neuen Sprache, des Deutschen nämlich, bemühen.

Nimmt man die genannten Gründe zusammen, ist man also von einem tatsächlichen Zwang, Deutsch zu sprechen, unter dem Strich gar nicht so weit entfernt. Ärgerlich an der „Stammtischparole“ ist daher lediglich der Absolutheitsanspruch, mit dem sie daherkommt, und der sich auch auf Bereiche zu erstrecken scheint, in denen die genannten sachlichen Gründe nicht greifen, insbesondere die nicht-öffentlichen, privaten Lebensbereiche.

Aus meiner Sicht sollte daher die „Parole“ in der Weise bekämpft werden, dass man ihren sachlichen Gehalt von der überschießenden populistischen Absolutheit trennt. Einfach mal ein bisschen differenzieren …

Hallo atn,

wie ich ja schrieb, ich bin nicht blind, was Integrationsfragen angeht, und ich wollte auch keine Diskussion darüber in Gang setzen.

Mir geht es um eine pädagogische Herangehensweise, um eben die Differenzierung altersgerecht zu vermitteln. Wie gesagt, das Kind ist 11, da kann ich schlecht mit wissenschaftlichen Analysen kommen. :frowning:

Viele Grüße
sgw

Hallo,

ich kann dein Empfinden sehr gut nachvollziehen. Und ich finde es wichtig, dass dein Patenkind ein „Gegengewicht“ zu dem erleben kann, was sie in ihrem häuslichen Umfeld erfährt.

Genau darin sehe ich auch die Chance: Quasi beiläufig die Erfahrung ermöglichen, dass es Ausländer gibt, die die negativen Bilder nicht bedienen.

Ich könnte mir vorstellen, dass du du z.B. mir ihr einkaufen gehst, dabei ein freundliches Schwätzchen mit dem einen oder anderen hältst, mit dem du zu tun hast. Ich würde dabei nicht nur Ausländer wählen, sondern auch Deutsche, da das den Zustand der Normalität stärker signalisiert, als wenn du dich allzu augenfällig mit deinen ausländischen Mitmenschen unterhalten würdest. Kinder haben für sowas ein ziemlich gutes Gespür :smile:.

Vielleicht ergibt sich daraus ein Gespräch darüber, dass du den Eindruck hast, dass die Erfahrungen mit ausländischen Menschen dort, wo dein Patenkind lebt, wohl nicht immer angenehm sind.

Und dann würde ich sie erzählen lassen und bestenfalls behutsam nachfragen. Zum einen kannst du dabei eine realistische Vorstellung von dem entwickeln, was dein Patenkind erlebt. Wichtig finde ich, dass du ihr auch ein entsprechendes Verständnis entgegenbringen kannst. Wenn du ihr nicht das Gefühl vermitteln kannst, dass du die Probleme erkennst, wirst du nur Widerstände auslösen.

Lösen wirst du diese Probleme nicht können - und damit auch kaum die damit verbundenen negativen Erlebnisse und Empfindungen. Du kannst aber durch deine eigene Einstellung und deine positiven Erfahrungen zumindest erkennen lassen, dass es nicht nur die eine Seite der Medaille gibt.

Hüte dich vor allzu großem missionarischen Eifer :smile:. Weniger ist manchmal mehr und das Schlimmste was passieren könnte wäre, dass dein Patenkind eine Abwehrhaltung gegen deine Ansichten zu Ausländern entwickelt. Lieber in homöopathischen Dosen immer mal wieder ein wenig.

Für die Teilnahme an einem Projekt würde ich mir Zeit lassen.

Schöne Grüße,
Jule

Hallo Schwarzgrauweiss,

Konkrete Pädagogische Tipps kann ich Ihnen kaum geben, da ich von Pädagogik keine Ahnung habe. Aber von Sozialpsychologie habe ich Ahnung und kann (je nachdem wie das Kind sonst so aufwächst)ein paar Gute und ein paar schlechte Nachrichten überbringen - sowie zumindest kleine Tipps und Hinweise.

Wenn ich im Text zwischen den Begriffen „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Ausländer“ oder „Türken“ (als konkretes Beispiel) wechsel, hat das nichts mit meiner Meinung zu tun, sondern nur mit meiner eher impulsiven Art zu schreiben. Ich hoffe es fühlt sich niemand angegriffen.

Wie gefährdet ist das Kind, „rechts“ zu werden?

Das Kernproblem, mit dem wir es hier zu tun haben, sind Stereotype und Vorurteile gegenüber eine sozialen Minorität (i.d.F. Bürger mit Migrationshintergrund, pauschalisiert als „Ausländer“).
Machen Sie sich bewusst, dass persönliche Abneigungen gegen irgendwelche ethnischen Gruppen zwar nicht schön, aber Realität sind. Zu heftiges Vorgehen im Sinne der „political Correctness“ ruft Spott, Abneigung und Renitenz hervor (Wie oft man sich darüber lustig macht, ob es nun „schwarz“, „farbig“ oder „maximalpigmentiert“ heißen soll…). Wenn also nur eine leichte „rechte“ Tendenz besteht, die keine gefährlichen Aussagen enthält („Man sollte alle Ausländer töten!“), dann ist die weitere Entwicklung des Kindes wichtiger, als seine aktuelle Einstellung. Und die weitere Entwicklung lässt sich durch zu gut gemeintes Eingreifen schnell ins negative verschieben.

Zur Beurteilung der Gefährdung des Kindes ist u.a. der soziale Status und deren Bildungsniveau der Familie ausschlaggeben. Sollte das Kind in einer Familie in einer solchen Familie aufwachsen (was ich nicht einfach annehmen will!)ist die Tendenz der Familie dazu, andere ethnische oder soziale Gruppen abzuwerten, generell höher.

Außerdem ist sein eigener Umgang mit „Ausländern“ wichtig. Wenn es in der Schule/ in seiner direkten Umgebung ausschließlich von solchem Umgeben ist, die den Stereotypen entsprechen, die es in seinem familiäten Umfeld ja offenbar vermittelt bekommt, dann wird es in seinen Annahmen zusehens gefestigt. Das erscheint logisch, allerdings ist es nun wichtig zu Wissen, dass nicht nur das eigene Erleben von solchen Verhaltensweisen dazu führt, dass sich der Stereotyp verfestigt - auch wenn andere Menschen, die eher der „sozialen Gruppe“ des Kindes angehören (sprich: „Nicht- Ausländer“) so etwas erleben oder auch nur erfinden und erzählen, hat das einen enormen Einfluss. (Das lässt sich sehr gut bei rechtsradikalen Subkulturen aufzeigen: Wenn man diese fragt, wie viel konkreten Kontakt, wie viele konkrete Negative Erfahrungen sie mit „Ausländern“ gemacht haben, können viele oft keine nennen - nur das was sie vom Freund eines Freundes gehört haben. Das reicht aber schon, um einen Stereotyp zu bestätigen.)

Weiterhin ist es wichtig, festzustellen, ob die Eltern das Kind für solcherlei Äußerungen oder Verhaltens- Tendenzen in eine eher rechtspolitische Ecke Belohnen bzw für das Gegenteil Bestrafen. Ein Gespräch mit den Eltern, wie sie z.B. reagieren würden, wenn das Kind Kontakt zu einem „Ausländer“ pflegt, könnte eine Möglichkeit sein. Ebenso könnte man aber auch das Kind fragen, ob es schon mal eine Freund mit Migrationshintergrund nach Zuhause eingeladen hat - und wie die Eltern darauf reagierten. Sollte man so etwas fragen, muss man darauf achten welche „Schwelle“ das Erfragte Verhalten hat. Um es zu verdeutlichen: In der Klasse neben einem Kind mit Migrationshintergrund zu sitzen ist eine sehr niedrige Schwelle. Es mit nach Hause zu bringen (z.B. zum Essen) ist eine höhere Schwelle. Das Kind bei sich übernachten zu lassen eine noch höhere. Kontakt mit der Familie des Kindes zu Pflegen eine enorm hohe.

Behutsames Fragen, auch der Eltern, vielleicht mit Hinweis auf die Äußerungen, wird wohl kaum zu einer empörten Reaktion a’la „Das geht sie nichts an!“ führen (==> damit gibt man ja fast zu, dass die Vorwürfe eine Berechtigung haben).
Ein Hinweis darauf, dass die Eltern (um den Schein zu wahren) ihre Aussagen modifizieren, um sich nicht als rechtspopulistisch zu outen, wäre, wenn sie auf der einen Seite zu einer Aussage mit hohem Schwellenwert zustimmen, aber eine Aussage mit niedrigem Schwellenwert ablehnen. Umgekehrt (leicht: Zustimmen; schwer: Ablehnen) lässt dagegen eher auf einen wahrheitsgetreue Aussage der Eltern / des Kindes schließen, was dann auch nicht weiter tragisch wäre. Ein gewisses Maß an Stereotypen und Vorurteilen, solange es nicht ins Extreme abgeleitet, wird das Kind selbst irgendwann reflektieren und bewerten können.

Sollte das Kind bei diesen Fragen durchscheinen lassen, dass die Mutter ablehnend oder spöttisch reagiert, wenn es von seinem neuen, türkischen Freund erzählt, dann kann es sein, dass das Kind seine Verhaltensweisen derart offensiv gestaltet, um von den Eltern mehr Bestätigung zu erhalten. Für eine 11- jährige Person ist dieser Weg der Bestätigung wesentlich einfacher zu beschreiten als z.B. gute Noten zu erreichen.

Zuletzt sollten sie in Erfahrung bringen ob und wie das Kind bereits Kenntnisse über das 3te Reich erhalten hat. Natürlich muss man einem Menschen in diesem Alter nichts über Vernichtungslager und Zwangssterilisierung erzählen - aber es darf schon wissen, dass es mal eine Zeit gab, in der ein deutscher Diktator bestimmte Menschen deklassifiziert und zu „Untermenschen“ gemacht hat. Also: „Da war mal Jemand, der hat die Juden ganz, ganz böse behandelt.“
Familien mit EINDEUTIG rechten Tendenzen neigen dazu, diese Zeit zumindest verharmlos. Familien, die „nur“ Stereotype pflegen um mit ihnen ihre eigene, soziale Stellung zu verbessern, haben keinerlei Tendenzen in Richtung „Neonazismus“ und schildern diese Zeit als entsprechend unschön. Aber erinnern sie sich daran, dass sich auch Neonazis der Normen unserer Gesellschaft bewusst sind und dementsprechend schon Extremfälle sein müssten um zu riskieren, dass ihr Kind in der Schule solche Äußerungen von sich gibt.

Das sind die ersten Dinge, die mir eingefallen sind, um vielleicht die Gefährdung des Kindes zu konkretisieren. Allerdings bin ich keine Therapeutin und habe nun keine direkten Hinweise, wie genau sie diese Gespräche führen könnten oder sollten. Außer einem Hinweis:
Achten Sie darauf das Kind nicht unbedingt direkt zu fragen: „Was findest du an Ausländern denn so schlimm?“ oder „Wenn du mal weg ziehst, willst du dann auch gezwungen werden NIE wieder Deutsch zu sprechen?“. Das könnte das Kind blamieren, es könnte sich schämen - das wird aber unter Umständen nur dazu führen, dass es demnächst darauf achtet, solche Äußerungen nur noch dann von sich zu geben, wenn es keine negativen sozialen Konsequenzen hat. Sprich: Es wird sich ein entsprechendes, rechtstendierendes Umfeld SUCHEN um seine Meinungen frei äußern zu können.

Und wie greife ich korrigierend ein, ohne das Kind negativ zu beeinflussen?

Was die Möglichkeiten angeht, wie sie das Kind von seinen eventuell schädlichen Tendenzen abbringen, so gibt es drei Faktoren/Wege:

a) Bringen Sie das Kind mit vielen Bürgern mit Migrationshintergrund zusammen. Zeigen sie ihm, dass es auch gute und gebildete Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die durchaus Deutsch beherrschen und dem Stereotyp nicht widersprechen. Das nennt man „Kontakthypothese“. Kurz und bündig: Ein Stereotyp ist einfach zu bestätigen und schwer zu widerlegen. Je mehr Kontakt zur sozialen Gruppe besteht, die Opfer des Stereotyps ist, desto eher bauen sich einzelne Komponenten des Stereotyps ab (z.B.- als Überspitzes Beispiel - „Ein Türke stinkt und ist dumm“ wird nach und nach zu „Ein Türke ist dumm“ und dann zu „Die Meisten Türken sind dümmer als ich“ und so weiter und so fort…).

b) Kinder sind enorm empfänglich für implizite Signale. Sie können noch so oft sagen „Jemand der Ali heißt ist kein schlechter Mensch.“, wenn Sie sich im Bus nicht neben so Jemanden setzen, verschleierte Frauen offen anstarren oder während einer Konversation eine ablehnende Haltung annehmen. Achten Sie in solchen Situationen darauf offensiv den Blickkontakt zu diesen Menschen zu wahren, nehmen sie eine einladende Haltung an, verschränken Sie nicht die Arme. Das mag albern klingen, aber unsere Haltung ist meistens sehr unbewusst und muss gar nicht zwingend mit unserem Gesprächspartner zusammenhängen (sondern, z.B. mit dem Wetter oder dem Streit mit dem Partner am Morgen). Trotzdem merken bereits 3-Jährige Kinder, wenn eine Kontaktperson, der sie sich zuordnen, eine andere Person implizit ablehnt (bzw. abzulehnen scheint) - und reagieren entsprechend.

c) Lassen sie die Zeit wirken. Mit 11 ist man in einer schwierigen Phase, sucht seine soziale Identität. Manche werden Punk, andere beginnen sich stark für Pop, Hip Hop o.ä. zu interessieren, wieder die nächsten werden schon bald anfangen sich schwarz zu schminken und düstere Musik zu hören. Solange es nicht in den Sog einer radikalen, populistischen und indroktinierenden Gruppierung gelangt (egal, ob links- oder rechtspolitisch), ist anzunehmen, dass es früher oder später einen Gesinnungswechsel durchlebt. Und besonders in der beginnenden Pubertät, wenn man Renitenz gegenüber den Eltern entwickelt, könnte es sogar hilfreich sein, wenn diese mit rechtspopulistischen Stammtischparolen um sich schmeißen.

Um eine persönliche Erfahrung einfließen zu lassen:
Mit 12 wollte ich mit dem Fahhrad an Pfingsten zu Bibliothek im Pfarrhaus. Leider war mein Schlosss defekt. Daraufhin ließen zuerst meine Mutter, daraufhin mein Vater Sätze fallen, die ich in einer so Vorurteilsbehafteten, naiven und unreflektieren Art und Weise nie wieder von ihnen hörte. Trotzdem prägten sie mich bis heute, denn beide Standpunkte lehne ich gleichermaßen ab:

Meine Mutter sagte: „Es ist Pfingsten - da klaut niemand!“
Mein Vater sagte: „Türken haben heut kein Pfingsten. Die klauen genau so wie immer.“

Da wäre zum einen die naiv-gutgläubige Meinung meiner Mutter ihrer eigenen sozialen Gruppe gegenüber (Katholische, deutsche Christen) und mein unterschwellig mit Stereotypen behafteter Vater, der eine übertrieben negative Meinung gegenüber einer ethnischen Minorität zum Ausdruck brachte.
Das hat in diesem Alter in mir eine solche Renitenz hervorgerufen, dass ich mich ab da niemals mehr einem türkischen Mitbewohner mit Argwohn - sondern eher mit Neugierde - genähert habe.

Ich hoffe meine abstrakten Ausführungen können Ihnen irgendwie helfen - Sie vielleicht beruhigen oder darin bestätigen, dass Handlungsbedarf besteht. Sie haben, ebenso wie jedes anderes Mitglied unseres Staates, eine gewisse Verantwortung gegenüber diesem Kind und dass sie versuchen bedacht zu handeln, halte ich für lobenswert.
Ihnen Panik vorzuwerfen halte ich für unberechtigt - immerhin fragen sie nach und rennen nicht gleich mit viel Trara beim Jugendamt die Türen ein.

erstmal Danke, dass Du Dich engagierst!
(solche Leute brauchen Kinder in bildungsfernen Schichten soooooooooo dringend!)

Wie wäre es mit Sprachspielen, wir suchen ausländische Wörter im Deutschen:Sauna,Döner,Ombudsmann/frau,usw.

natürlich auch die bekannten lat,griech,engl, franz

und dann schlagt mal im Herkunftswörterbuch nach, dann werde noch mehr Wörter „ausländisch“…

dann wird sie sehen, dass nur ganz wenig wirklich „deutsch“ ist…

und vielleicht kann man mal über die tollen Sportler, die Deutschland hat(einige werben zur Zeit mit schwarz-rot-goldener Zunge), sprechen…

und wenn sie wieder so Kolpse fallen läßt, dann würde ich sie schon in eine Diskussion verwickeln! Wie sie darauf kommt und warum sie dies glaubt — auch eine 11j muss lernen, dass man so etwas nicht unbegründet in den Raum stellen darf! und lass dies nicht mit „Mama sagt das auch“ abspeisen. Daraus ergeben sich 2 weitere Fragen: warum wieder holst du es und warum glaubst du, dass Mama so etwas sagt.

(nebenbei trainiert ihr argumentieren, dies ist auch ein Talent, welches es zu fördern gilt)

und wenn ihr italienisches Eis schleckt oder einen türkischen Döner mampft, kannst Du sie ja mal fragen, ob sie ein paar Wörter in den Sprachen kann. Eine Schnupperstunde Italienisch ist vielleicht auch lustig(Material gibt es in den lokalen Bibliotheken), vielleicht ist sie ja sprachlich talentiert und hat lust später an der Schule diese Sprache zu lernen.
Leider kann sie noch nciht genug Englisch, sonst würde ich mal ne Weile alJazeera mit ihr schauen, da sieht sie ein tolles muslimisches Bild(gebildet und liberal)… das ist das Problem in Neuköln, hier sieht man konservatives (häufig wenig gebildetes-sorry für die, die nicht so sind, aber es geht um das was man sieht!)negatives Islambild…

aber auch in Neuköln findet man in den Sportvereine positive Integrationsbeispiele, vielleicht kann man sie anregen, sich dort auszutoben(wenn Du sie zu ein paar verschiedenen Schnupperstunden begleitest)…

Vielleicht halten in der KinderUni auch nicht-deutsche Dozenten tolle Vorträge, mußt Du halt herausfinden, wer was wann macht…

so ein paar Ideen…
vielleicht kannst und willst Du die eine oder andere umsetzen…
lg
bulga_dance

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Alle Achtung!
Hallo,

hohes Lob für die Diskussion auf respektvollen und hohem Niveau. Stand 7.4.

Gruß
„Sterne“ Hans

Hallo Jule,

danke für deine einfühlsame und scharfsinnige Antwort. Ich bin immer wieder begeistert, wie du das schaffst. :smile: Tatsächlich fürchte ich u.a. meinen „missionarischen Eifer“ ein wenig.

Auf dem Heimweg sagte mein Patenkind übrigens ganz überzeugt, dass es froh ist, in Neukölln zu leben, weil es da alles kennt und sich wohl fühlt. Da musste ich grinsen - weil ich weiß, wie sterbenslangweilig ich damals die Außenbezirke fand. :smiley:

Liebe Grüße
sgw

Mein Patenkind ist weiblich, 11 und aus einem - so weit ich
abschätzen kann - intakten, deutschen Familienverhältnis. Die
letzten Male äußerte es recht emotional o.g. Satz und die
Einschätzung, dass Türken und Araber schlagen etc. und
erkundigte sich explizit, ob es da, wo ich wohne, auch
Ausländer gebe.

Nachfragen, nicht belehren!
Will sagen, Du solltest nachhaken, wieso sie denn dieser oder jener Meinung sei - bis es deutlich wird, dass es sich um eine MEINUNG und keine Tatsache handelt. Und Du Ihre Meinung behutsam in Frage stellen kannst (‚Ja, aber ist es nicht so, dass…?‘ oder ‚Wie kommst Du denn da drauf?‘. etc etc.).

Und natürlich, wie auch schon vorgeschlagen, ab und an sie mal ein positives Erlebnis mit einem ‚Ausländer‘ bzw. mit fremder Kultur haben zu lassen.

Ein bisschen kurz gefasst, aber es wurde ja auch schon einiges anderswo gesagt.

gruss, isabel