Hallo Schwarzgrauweiss,
Konkrete Pädagogische Tipps kann ich Ihnen kaum geben, da ich von Pädagogik keine Ahnung habe. Aber von Sozialpsychologie habe ich Ahnung und kann (je nachdem wie das Kind sonst so aufwächst)ein paar Gute und ein paar schlechte Nachrichten überbringen - sowie zumindest kleine Tipps und Hinweise.
Wenn ich im Text zwischen den Begriffen „Menschen mit Migrationshintergrund“, „Ausländer“ oder „Türken“ (als konkretes Beispiel) wechsel, hat das nichts mit meiner Meinung zu tun, sondern nur mit meiner eher impulsiven Art zu schreiben. Ich hoffe es fühlt sich niemand angegriffen.
Wie gefährdet ist das Kind, „rechts“ zu werden?
Das Kernproblem, mit dem wir es hier zu tun haben, sind Stereotype und Vorurteile gegenüber eine sozialen Minorität (i.d.F. Bürger mit Migrationshintergrund, pauschalisiert als „Ausländer“).
Machen Sie sich bewusst, dass persönliche Abneigungen gegen irgendwelche ethnischen Gruppen zwar nicht schön, aber Realität sind. Zu heftiges Vorgehen im Sinne der „political Correctness“ ruft Spott, Abneigung und Renitenz hervor (Wie oft man sich darüber lustig macht, ob es nun „schwarz“, „farbig“ oder „maximalpigmentiert“ heißen soll…). Wenn also nur eine leichte „rechte“ Tendenz besteht, die keine gefährlichen Aussagen enthält („Man sollte alle Ausländer töten!“), dann ist die weitere Entwicklung des Kindes wichtiger, als seine aktuelle Einstellung. Und die weitere Entwicklung lässt sich durch zu gut gemeintes Eingreifen schnell ins negative verschieben.
Zur Beurteilung der Gefährdung des Kindes ist u.a. der soziale Status und deren Bildungsniveau der Familie ausschlaggeben. Sollte das Kind in einer Familie in einer solchen Familie aufwachsen (was ich nicht einfach annehmen will!)ist die Tendenz der Familie dazu, andere ethnische oder soziale Gruppen abzuwerten, generell höher.
Außerdem ist sein eigener Umgang mit „Ausländern“ wichtig. Wenn es in der Schule/ in seiner direkten Umgebung ausschließlich von solchem Umgeben ist, die den Stereotypen entsprechen, die es in seinem familiäten Umfeld ja offenbar vermittelt bekommt, dann wird es in seinen Annahmen zusehens gefestigt. Das erscheint logisch, allerdings ist es nun wichtig zu Wissen, dass nicht nur das eigene Erleben von solchen Verhaltensweisen dazu führt, dass sich der Stereotyp verfestigt - auch wenn andere Menschen, die eher der „sozialen Gruppe“ des Kindes angehören (sprich: „Nicht- Ausländer“) so etwas erleben oder auch nur erfinden und erzählen, hat das einen enormen Einfluss. (Das lässt sich sehr gut bei rechtsradikalen Subkulturen aufzeigen: Wenn man diese fragt, wie viel konkreten Kontakt, wie viele konkrete Negative Erfahrungen sie mit „Ausländern“ gemacht haben, können viele oft keine nennen - nur das was sie vom Freund eines Freundes gehört haben. Das reicht aber schon, um einen Stereotyp zu bestätigen.)
Weiterhin ist es wichtig, festzustellen, ob die Eltern das Kind für solcherlei Äußerungen oder Verhaltens- Tendenzen in eine eher rechtspolitische Ecke Belohnen bzw für das Gegenteil Bestrafen. Ein Gespräch mit den Eltern, wie sie z.B. reagieren würden, wenn das Kind Kontakt zu einem „Ausländer“ pflegt, könnte eine Möglichkeit sein. Ebenso könnte man aber auch das Kind fragen, ob es schon mal eine Freund mit Migrationshintergrund nach Zuhause eingeladen hat - und wie die Eltern darauf reagierten. Sollte man so etwas fragen, muss man darauf achten welche „Schwelle“ das Erfragte Verhalten hat. Um es zu verdeutlichen: In der Klasse neben einem Kind mit Migrationshintergrund zu sitzen ist eine sehr niedrige Schwelle. Es mit nach Hause zu bringen (z.B. zum Essen) ist eine höhere Schwelle. Das Kind bei sich übernachten zu lassen eine noch höhere. Kontakt mit der Familie des Kindes zu Pflegen eine enorm hohe.
Behutsames Fragen, auch der Eltern, vielleicht mit Hinweis auf die Äußerungen, wird wohl kaum zu einer empörten Reaktion a’la „Das geht sie nichts an!“ führen (==> damit gibt man ja fast zu, dass die Vorwürfe eine Berechtigung haben).
Ein Hinweis darauf, dass die Eltern (um den Schein zu wahren) ihre Aussagen modifizieren, um sich nicht als rechtspopulistisch zu outen, wäre, wenn sie auf der einen Seite zu einer Aussage mit hohem Schwellenwert zustimmen, aber eine Aussage mit niedrigem Schwellenwert ablehnen. Umgekehrt (leicht: Zustimmen; schwer: Ablehnen) lässt dagegen eher auf einen wahrheitsgetreue Aussage der Eltern / des Kindes schließen, was dann auch nicht weiter tragisch wäre. Ein gewisses Maß an Stereotypen und Vorurteilen, solange es nicht ins Extreme abgeleitet, wird das Kind selbst irgendwann reflektieren und bewerten können.
Sollte das Kind bei diesen Fragen durchscheinen lassen, dass die Mutter ablehnend oder spöttisch reagiert, wenn es von seinem neuen, türkischen Freund erzählt, dann kann es sein, dass das Kind seine Verhaltensweisen derart offensiv gestaltet, um von den Eltern mehr Bestätigung zu erhalten. Für eine 11- jährige Person ist dieser Weg der Bestätigung wesentlich einfacher zu beschreiten als z.B. gute Noten zu erreichen.
Zuletzt sollten sie in Erfahrung bringen ob und wie das Kind bereits Kenntnisse über das 3te Reich erhalten hat. Natürlich muss man einem Menschen in diesem Alter nichts über Vernichtungslager und Zwangssterilisierung erzählen - aber es darf schon wissen, dass es mal eine Zeit gab, in der ein deutscher Diktator bestimmte Menschen deklassifiziert und zu „Untermenschen“ gemacht hat. Also: „Da war mal Jemand, der hat die Juden ganz, ganz böse behandelt.“
Familien mit EINDEUTIG rechten Tendenzen neigen dazu, diese Zeit zumindest verharmlos. Familien, die „nur“ Stereotype pflegen um mit ihnen ihre eigene, soziale Stellung zu verbessern, haben keinerlei Tendenzen in Richtung „Neonazismus“ und schildern diese Zeit als entsprechend unschön. Aber erinnern sie sich daran, dass sich auch Neonazis der Normen unserer Gesellschaft bewusst sind und dementsprechend schon Extremfälle sein müssten um zu riskieren, dass ihr Kind in der Schule solche Äußerungen von sich gibt.
Das sind die ersten Dinge, die mir eingefallen sind, um vielleicht die Gefährdung des Kindes zu konkretisieren. Allerdings bin ich keine Therapeutin und habe nun keine direkten Hinweise, wie genau sie diese Gespräche führen könnten oder sollten. Außer einem Hinweis:
Achten Sie darauf das Kind nicht unbedingt direkt zu fragen: „Was findest du an Ausländern denn so schlimm?“ oder „Wenn du mal weg ziehst, willst du dann auch gezwungen werden NIE wieder Deutsch zu sprechen?“. Das könnte das Kind blamieren, es könnte sich schämen - das wird aber unter Umständen nur dazu führen, dass es demnächst darauf achtet, solche Äußerungen nur noch dann von sich zu geben, wenn es keine negativen sozialen Konsequenzen hat. Sprich: Es wird sich ein entsprechendes, rechtstendierendes Umfeld SUCHEN um seine Meinungen frei äußern zu können.
Und wie greife ich korrigierend ein, ohne das Kind negativ zu beeinflussen?
Was die Möglichkeiten angeht, wie sie das Kind von seinen eventuell schädlichen Tendenzen abbringen, so gibt es drei Faktoren/Wege:
a) Bringen Sie das Kind mit vielen Bürgern mit Migrationshintergrund zusammen. Zeigen sie ihm, dass es auch gute und gebildete Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die durchaus Deutsch beherrschen und dem Stereotyp nicht widersprechen. Das nennt man „Kontakthypothese“. Kurz und bündig: Ein Stereotyp ist einfach zu bestätigen und schwer zu widerlegen. Je mehr Kontakt zur sozialen Gruppe besteht, die Opfer des Stereotyps ist, desto eher bauen sich einzelne Komponenten des Stereotyps ab (z.B.- als Überspitzes Beispiel - „Ein Türke stinkt und ist dumm“ wird nach und nach zu „Ein Türke ist dumm“ und dann zu „Die Meisten Türken sind dümmer als ich“ und so weiter und so fort…).
b) Kinder sind enorm empfänglich für implizite Signale. Sie können noch so oft sagen „Jemand der Ali heißt ist kein schlechter Mensch.“, wenn Sie sich im Bus nicht neben so Jemanden setzen, verschleierte Frauen offen anstarren oder während einer Konversation eine ablehnende Haltung annehmen. Achten Sie in solchen Situationen darauf offensiv den Blickkontakt zu diesen Menschen zu wahren, nehmen sie eine einladende Haltung an, verschränken Sie nicht die Arme. Das mag albern klingen, aber unsere Haltung ist meistens sehr unbewusst und muss gar nicht zwingend mit unserem Gesprächspartner zusammenhängen (sondern, z.B. mit dem Wetter oder dem Streit mit dem Partner am Morgen). Trotzdem merken bereits 3-Jährige Kinder, wenn eine Kontaktperson, der sie sich zuordnen, eine andere Person implizit ablehnt (bzw. abzulehnen scheint) - und reagieren entsprechend.
c) Lassen sie die Zeit wirken. Mit 11 ist man in einer schwierigen Phase, sucht seine soziale Identität. Manche werden Punk, andere beginnen sich stark für Pop, Hip Hop o.ä. zu interessieren, wieder die nächsten werden schon bald anfangen sich schwarz zu schminken und düstere Musik zu hören. Solange es nicht in den Sog einer radikalen, populistischen und indroktinierenden Gruppierung gelangt (egal, ob links- oder rechtspolitisch), ist anzunehmen, dass es früher oder später einen Gesinnungswechsel durchlebt. Und besonders in der beginnenden Pubertät, wenn man Renitenz gegenüber den Eltern entwickelt, könnte es sogar hilfreich sein, wenn diese mit rechtspopulistischen Stammtischparolen um sich schmeißen.
Um eine persönliche Erfahrung einfließen zu lassen:
Mit 12 wollte ich mit dem Fahhrad an Pfingsten zu Bibliothek im Pfarrhaus. Leider war mein Schlosss defekt. Daraufhin ließen zuerst meine Mutter, daraufhin mein Vater Sätze fallen, die ich in einer so Vorurteilsbehafteten, naiven und unreflektieren Art und Weise nie wieder von ihnen hörte. Trotzdem prägten sie mich bis heute, denn beide Standpunkte lehne ich gleichermaßen ab:
Meine Mutter sagte: „Es ist Pfingsten - da klaut niemand!“
Mein Vater sagte: „Türken haben heut kein Pfingsten. Die klauen genau so wie immer.“
Da wäre zum einen die naiv-gutgläubige Meinung meiner Mutter ihrer eigenen sozialen Gruppe gegenüber (Katholische, deutsche Christen) und mein unterschwellig mit Stereotypen behafteter Vater, der eine übertrieben negative Meinung gegenüber einer ethnischen Minorität zum Ausdruck brachte.
Das hat in diesem Alter in mir eine solche Renitenz hervorgerufen, dass ich mich ab da niemals mehr einem türkischen Mitbewohner mit Argwohn - sondern eher mit Neugierde - genähert habe.
Ich hoffe meine abstrakten Ausführungen können Ihnen irgendwie helfen - Sie vielleicht beruhigen oder darin bestätigen, dass Handlungsbedarf besteht. Sie haben, ebenso wie jedes anderes Mitglied unseres Staates, eine gewisse Verantwortung gegenüber diesem Kind und dass sie versuchen bedacht zu handeln, halte ich für lobenswert.
Ihnen Panik vorzuwerfen halte ich für unberechtigt - immerhin fragen sie nach und rennen nicht gleich mit viel Trara beim Jugendamt die Türen ein.