Inflation, Zinsen und Theorie

Moin,
ich hatte zum Thema Inflation im frühen Jahr schon 7%+ angemeldet
https://www.wer-weiss-was.de/t/inflation-2022/9498049
So wie es sich aktuell darstellt, wird vielleicht bereits im Oktober eine zweistellige Inlationsrate verkündet, was ich ehrlich gesagt so nicht erwartet hatte. Die klassische VWL - ideale Bedingungen stets voraussetzend - lautet wohl, dass durch hohe Zinsen die Geldmenge nicht weiter wächst oder gar reduziert wird, dass knappes Geld zu weniger Nachfrage führt und damit zu einer Preisminderung der Anbieter führt. Nächste Woche am Donnerstag wird die EZB eine Zinserhöhung um 0,5, 0,75 oder (meine Vermutung) gar 1 Pp verkünden.

Mmmhhh, die Frage zur Theorie ist nun, ob eine Zinserhöhung überhaupt erforderlich oder gar wünschenswert ist. Unter der theoretischen Annahme einer konstanten Inflation von 10% (und konstanter Geldmenge) wird sich die Nachfrage reduzieren, bis sich ein neues „stabiles“ Angebot-Nachfrage-Verhältnis und ein neuer Preis einstellt. Eine zusätzliche Reduzierung der Geldmenge durch Zinserhöhung würde den Effekt sinkender Nachfrage nur verstärken und damit auch die (jetzt eh schon nicht mehr vermeidbare) Rezession.

Soweit in einem ersten Step (ohne außenwirtschaftliche Komponenten) einverstanden?

Du kanntest also Putins Pläne - oder hat das blinde Huhn ein Korn gefunden?

Hallo,

Wie kommst Du darauf?Da fehlt doch eine weitere Annahme. Spontan würde ich sagen, die Aussage gilt nicht, wenn die 10% Inflation aus inelastischen Gütern kommt, oder wenn die Geldmenge im gleichen Zeitraum weiter wächst.

Empirisch gesehen ist es das. Aber hinreichend ist es auch nicht (siehe vorheriges Regime zur Anhebung der Inflation). Insofern stellt sich eigentlich nur die Frage, ob jetzt die richtige Zeit für weitere Experimente ist.

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Sehenswerte Wortwolke mal wieder.

Welche Nachfrage denn? Die nach Geld? Die nach Konsumgütern? Die nach Investitionsgütern? Die nach Arbeit? Und weshalb sollte sie sich selbst reduzieren (d.h. von keinerlei anderen Faktoren abhängen)?

Eine klassische VWL gibt es nicht. Was Du hier anscheinend etwas tollpatschig ins Spiel bringen willst, ist der Monetarismus, dessen Theorie und Ansätze eine Zeitlang von den großen Notenbanken nicht nur verstanden, sondern sogar auch sehr erfolgreich (zumindest von denen, die von staatlichen Eingriffen geschützt waren) umgesetzt wurden.

Nein, so funktioniert das nicht. Die Inflation resultiert daraus, dass - vereinfacht gesagt - mehr Liquidität kaufkraftwirksam wird als für das Transaktionsvolumen erforderlich ist, d.h. die Leute mehr Geld für die gleiche Ware bieten können. Verknappt die Notenbank das Geldvolumen, soll damit die Inflationsrate reduziert werden. Die Kunst liegt nun darin, mit Zinserhöhungen die Inflation zu reduzieren und gleichzeitig sowohl Deflation zu vermeiden (d.h. nicht zu stark zu bremsen) und als auch das Wirtschaftswachstum nicht abzuwürgen.

Wenn man etwas mehr dazu lesen will:
Quantitätsgleichung – Wikipedia

Das Problem ist, dass diese völlig richtige Gleichung in den folgenden Jahrzehnten immer weiter verkürzt gelehrt wurde und am Ende Generationen von Studenten die Universitäten verließen, die glaubten, dass a) die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nahezu konstant ist und deswegen ignoriert werden kann und b) auf der rechten Seite der Gleichung nicht das Transaktionsvolumen, sondern das Bruttoinlandsprodukt oder eine ähnliche Größe steht. Einige dieser Studenten scheinen sich mittlerweile in die Präsidien einiger Notenbanken hinaufgearbeitet zu haben. Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, was sich dort in den letzten gut 10 Jahren abgespielt hat.

Eine Folge des fehlenden Verständnisses sowohl der Gleichung als auch des Bankgeschäftes ist, dass geglaubt wird, dass man nur genug Geld bereitstellen muss, damit die Wirtschaft wieder wächst und auch die Inflationsrate zunimmt.

Als Kreditmensch sage ich dazu nur, dass man mit zu viel zu billigem Geld erstens keine Nachfrage nach Geld erzeugt und zweitens massive Fehlsteuerungen herbeiführt. Fehlsteuerungen in dem Sinne, dass Transaktionen durchgeführt werden, die sich nur rechnen, weil Geld nichts kostet. Das haben wir auch im Vorfeld der Finanzkrise erlebt, wo bspw. massenweise sinnlos Einkaufszentren und andere Gewerbeimmobilien in die Landschaft gestellt wurden. Eine sinnvolle Nachfrage nach Geld besteht dann, wenn Unternehmen in einem stabilen Umfeld Wachstumspotential sehen und Investitionen tätigen. Das war aber insbesondere in den ersten fünf Jahren nach dem Höhepunkt Finanzkrise (vorbei war sie ja eigentlich noch nie) nicht der Fall, weil die Auslastung der Produktionsanlagen noch gar nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht hatte. Investitionen waren also gar nicht in erhöhtem Maße erforderlich, d.h. die Nachfrage nach Krediten hielt sich in Grenzen. Hinzu kommt, dass sich nicht zu jedem sinnlosen Projekt auch jemand finden lässt, der es denn finanziert. Kurz: viel billiges Geld führt nicht zwangsläufig zu mehr Krediten, mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätzen.

Vor dem, was dann mit dem vielen billigen Geld passierte, habe ich bereits 2009 oder 2010 gewarnt. Es floss nämlich in die Geldanlage. In Aktien, Rohstoffe und vor allem Anleihen und Immobilien. Diese Vorgänge sind im BIP nicht messbar, auch wenn sie Teil des Transaktionsvolumens sind. Das Geldmengenwachstum und die - damit in den Köpfen von vielen Volkswirtschaftlern eigentlich verbundene - ganze schöne Inflation wurde also quasi in den genannten Vermögenswerten gespeichert. Und wie ich auch schon 2009 oder 2010 schrieb, ist es zwangsläufig so, dass diese liquiditätsgetriebenen Preisübertreibungen (=Blasen) irgendwann platzen werden und das spätestens dann, wenn ein externer Schock dazu führt, dass Marktteilnehmer Geld aus den Vermögenswerten abziehen, die Preise verfallen und eine Spirale in Gang kommt.

Nun, in einem Punkt habe ich mir geirrt: es sieht derzeit nicht nach einem einzelnen Schock aus, sondern nach einem ganzen Bündel:

  • Es begann 2020 mit Corona und den daraus resultierenden Veränderungen im beruflichen und damit auch im privaten Alltag: weniger Präsenz in den gewerblichen Immobilien, weniger Bedarf an Büro- und ähnlichen Flächen --> Ende des Immobilienbooms, Preisverfall.
  • 2021 stiegen die Energiepreise aus mehreren Gründen stark an (Aufschwung nach Corona-Jahr 2020, CO2-Steuer)
  • zunehmende Preissteigerung
  • Anstieg der Zinssätze
  • Ukraine-Krieg

Ob das ganze zu einem perfekten Sturm kulminiert, der über platzende Blasen bei Anlagen wie Immobilien und Anleihen, eine parallel schrumpfende Wirtschaft und gesellschaftliche Unruhen zu erneuten Schuldenkrisen bei Staaten und zu einem erneut drohenden Zusammenbruch des Finanzsystems oder ob es wieder zu massiven Eingriffen der Staaten in kollabierende Märkte führt oder ob sich das ganze doch irgendwie ganz anders auflöst, weiß ich nicht und das ist auch ganz grundsätzlich nicht absehbar, weil die Regierungen keiner vorgegebenen Linie folgen, sondern teilweise auf die eigenartigsten Ideen kommen.

Wie aber schon vor gut zehn Jahren ein Kommentator schrieb, der an vielen Stellen recht behielt: ein Sturz, den man immer länger aufhält, wird am Ende umso höher ausfallen.

Das funktioniert nicht, weil die Arbeitnehmer eine Anpassung ihrer Gehälter erwarten und durchsetzen werden. Dadurch steigen die Preise erneut und es kommt über kurz oder lang zu einer Stagflation - also einer stagnierenden Wirtschaft bei steigenden Preisen.

Eine Wirtschaft kann bei dauerhaft steigenden Preisen nicht (preisbereinigt) wachsen, weil einerseits die Planungssicherheit fehlt (d.h. Investitionen werden reduziert, was auch den technischen Fortschritt bremst und zu nachlassender Wettbewerbsfähigkeit führt) und andererseits die normalen Wirtschaftsprozesse an ihre Grenzen kommen.

Was wir brauchen sind endlich wieder risikoadäquate Zinssätze. Bei Geldanlagen, bei Privat- und Unternehmenskrediten und ganz besonders bei Staatsanleihen. Die künstlich niedrigen Zinsen haben zu enormen Fehlsteuerungen und damit zu großen Wohlfahrtsverlusten geführt. Das darf jetzt langsam mal ein Ende haben.

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Zweiteres hatte ich ja ausgeschlossen.
Bei inelastischen Gütern wird die Nachfrage nach anderen „Gütern“ reduziert, weil deren Preis pro (weniger zur Verfügung stehender) Geldeinheit zwangsläufig steigt.

Die Geldmenge kann eine Notenbank unmittelbar nur über die Überlassung von Liquidität an die Kreditinstitute beeinflussen. Unterstellt, wir reden hier von einer Preissteigerung von 10% über alle Waren und Dienstleistungen, hieße das, dass die Unternehmen einen um 10% höheren Liquiditätsbedarf haben als im Jahr zuvor. Gleichzeitig heißt aber eine unveränderte Geldmenge, dass die Notenbank den Kreditinstituten nicht mehr Liquidität zur Verfügung stellt, d.h. die Kreditinstituten können den Unternehmen nicht mehr Liquidität zur Verfügung stellen.

Das führt zunächst nicht zu weniger Inflation, sondern zu Insolvenzen wegen Illiquidität. Das führt zu mehr Arbeitslosen und weniger Wirtschaftswachstum und dann - am schmutzigen Ende - entweder zu Stagflation oder tatsächlich zu einer schrumpfenden Wirtschaft mit rückläufiger Inflation.

Kann man so machen, ist aber dumm.

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Aha. Noch ein „Modell“, mit dem nichts als die vorher getroffenen Annahmen belegt wird.

et la demande fait sauter les prix dans la cour.

Ja, nee, is klar.

Jetzt könntest Du vielleicht noch erklären, was „Güter“ von Gütern unterscheidet, und wie es sich in Deinem „Modell“ mit der Substituierbarkeit von Geld durch Güter oder was auch immer sich hinter den Wolken verbirgt, die Du herausbläst, verhält.

sondern zu mehr Inflation, weil der Preis für Geld/Liquidität erhöht wird.

Und u.a. im Nachgang zu den von dir beschriebenen Folgen

Dieses „weil“, das in Deinem Wortstrom so selbstverständlich daherfließt, hätte ich gerne mal ein klitzekleines bisselchen begründet gesehen. Denkst Du, das ginge?

Was ist denn der Preis für Geld oder Liquidität? Meinst Du damit die Guthabenzinsen oder die Kreditzinsen? Wenn man mal spaßeshalber annimmt, dass das der Fall ist: warum sollte dann die Inflation zunehmen? Steigende Zinsen sind der sicherste Weg, die Inflation zu verlangsamen, weil Menschen weniger ausgeben, weil sich das sparen wieder lohnt, weil Unternehmen nicht so viel Investieren, weil die höheren Zinsen halt auch wieder erwirtschaftet werden wollen.

Kurz: nein, die Inflation nimmt nicht zu, wenn die „Preise“ für Geld/Liquidität steigen.