Inklusive Pädagogik --> Vorteile

Hallo!

Ich bin mir nicht sicher, ob ich in diesem Brett richtig bin, oder das Thema nicht doch eher im politischen Bereich anzusiedeln ist. Falls ich hier falsch bin - bitte entschuldigt.

Ich bin auf der Suche nach einigen schlagkräftigen Argumenten FÜR die inklusive Pädagogik. Natürlich kenne ich Schlagwörter wie „Bildung für Alle“, „Von Verschiedenheit profitieren“ „Gemeinsames Lernen von Behinderten und menschen mit Behinderungen“ etc. Abgesehen davon geht es natürlich ja auch darum, eine gesellschaftliche Inklusion anzustreben, und wie sollte die gelingen, wenn die Kinder vorher separiert werden bzw. eine Sonderbeschulung erhalten?

Nun ist es aber so, dass mein Schwiegervater und ich regelmäßig im Clinch über dieses Thema liegen. Ich als frischgebackene Sonderpädagogin befürworte die inklusive Pädagogik - unter der Bedingung, dass eine Menge Faktoren beachtet werden müssen, damit das ganze auch funktioniert und keine reine Sparmaßnahme ist. Mein Schwiegervater ist da eher konservativ und argumentiert dagegen, dass die „guten“ Schüler ja dann schlecht wegkommen, wenn sie auf einmal mit den „dummen“ lernen müssten. Außerdem, wer möchte schon, dass die eigenen Kinder mit massiv verhaltensgestörten kleinen Monstern zusammen unterrichtet werden?!?

Ich denke jedoch, dass er (und einige andere), sollte er ein lernbehindertes Kind haben, alles in Bewegung setzten würde, um sein eigenes Kind (das aufgrund der Lernbehinderung ja eigentlich laut seiner Aussage auf die Sonderschule gehört) „auf Teufel komm raus“ in einer Regelschule unterbringen würde.

Da wir uns immer in unseren Diskussionen nach einiger Zeit auf die persönliche Ebene begeben und ein sachliches Argumentieren kaum noch möglich ist, würde ich mich freuen, wenn ihr einige faktische (aber auch ideelle) Argumente für mich hättet, die die Inklusion befürworten. Es wäre schön, wenn darunter auch einige Studien oder empirisch belegte Ergebnisse fallen (Wocken?!?).

Interessant ist übrigens folgendes: Der Sohn meines Schwiegervaters (mein Schwager) war auf einem normalen Gymnasium nicht in der Lage, die Anforderungen zu bewältigen. Da das Geld in der Familie keine Rolle spielt, wurde der Sohn für die letzten 3 Schuljahre auf ein Elite-Internat in Norddeutschland geschickt. Dort erhielt er eine tolle Förderung, auf einen Lehrer kamen ca 8 - 10 Schüler, der Unterricht war entsprechend an den Leistungsständen der Kinder ausgerichtet. Da mein Schwager an diesem Internat aber auch nur mit Ach und Krach sein Abi mit einem Schnitt von 3,7 schaffte, waren sich alle (aber stillschweigend) einig, dass eine normale Uni für ihn möglicherweise nicht zubewältigen sei. Also studiert er nun an der Fresenius-Hochschule in HH, die einen beachtlichen Betrag pro Monat kostet, dafür aber auch eine bessere Betreuung und Hilfeangebote bietet.

Vielleicht kann man diese Tatsachen ja irgendwie nutzen.

Bitte entschuldigt, dass ich so viel geschrieben habe, aber ich wollte zumindest begründen, warum ich Argumente brauche. Nicht, dass ich keine hätte. Aber irgendwie scheinen die leider nicht anzukommen…

Vielen Dank imm Voraus und viele Grüße
PlanB

Hallo!

Das ist ein schwieriger Fall…

Es gibt meines Wissens in der Pädagogik noch nicht sehr viele (empirische) Studien zu diesem Bereich. Empirik ist in der Pädagogik eh nicht so vertreten… Ich meine mich zu erinnern, bei H. Meyer und A. Helmke in Ihren Werken zur Unterrichtsqualität Hinweise auf einige Studien in den USA gelesen zu haben. Diese bieten aber eher Hinweise darauf, dass von integrierender bzw. inkl. Päd. eher die leistungsschwächeren Schüler profitieren, leistungsstärkere dagegen ihr Leistungsniveau eher weniger ausreizen können - konretere Hinweise kann ich aber nicht liefern. (Ist ja auch nicht in deinem Sinne…)

Meines Erachtens handelt es sich hier aber sowieso eher um eine Diskussion auf ideologisch-moralischer Ebene. Die Frage ist hier weniger, welche Pädagogik empirisch „besser“ abschneidet, sondern, was man gesellschaftlich will. Kann es im Interesse einer Gesellschaft sein, das Benachteiligten wichtige Bildungsangebote vorenthalten werden? Kann es gesellschaftlich gewollt sein, dass Menschen ohne Handicap ihrer Verantwortung für benachteiligte Mitmenschen enthoben werden? Unser Sozialsystem beruht bspw. darauf, dass die „Stärkeren“ für die „Schwächeren“ eintreten. Dadurch werden sie zunächst selbst geschwächt (bspw. durch Beiträge in die Arbeitslosenversicherung, obwohl sie selbst vielleicht nie arbeitslos werden). Die Gesellschaft als Ganzes wird aber gestärkt, da hier eine Verlässlichkeit für alle entsteht. Dieses Prinzip nennt man (wie Du wahrscheinlich weißt) „Solidarität“ und soziale Verantwortung. Und genau das ist der Vorteil der inklusiven Pädagogik - sie bedeutet Solidarität und Verantwortungsgefühl der „Stärkeren“ gegenüber den „Schwächeren“. Das hat (vermutlich) seinen Preis (s.o.). Aber selbst wenn, die Leistungsstärkeren durch inklusive Päd. etwas gebremst werden, so lernen Sie doch etwas wichtiges - sie haben Verantwortung für schwächere Mitmenschen… Dieses Prinzip findet sich übrigens überall in unserer Gesellschaft. Nur weil ich ein schnelles Auto habe, darf ich damit noch lange nicht schnell fahren, sondern muss auf andere Rücksicht nehmen etc. Auf Solidarität und sozialer Verantwortung beruht die Stabilität unserer Gesellschaft - und auf diese Stabilität sind alle angewiesen - auch die Stärkeren…

hilft das?

Hallo markklub!

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Natürlich hast du Recht, dass Inklusion eher auf der moralisch-ideologischen Ebene angesiedelt ist. Immerhin ist das ganze ja auch mehr ein Prozess bzw. eine Einstellung als ein erreichter Zustand.

ich wollte auch keine schwarz-weiß-Argumente à la „Inklusion ist toll“ und „Separation ist schlecht“. Der Index für Inklusion fon Boban und Hinz hat mir auch schon gut weitergehofen, drückt sich zum Teil aber sehr allgemein aus, wie ich finde.

Dennoch vielen Dank, du hast mir besonders mit dem Punkt Solidarität und Verantwortungsgefühl der „Stärkeren“ gegenüber den „Schwächeren“ einen neuen Denkanstoß gegeben.

Viele grüße
PlanB

Hallo Plan B! (witziger Name!)

Ich fürchte, die ganze Sache ist nicht so einfach, weil es wirklich auf sehr viele verschiedene Faktoren ankommt. Ein Zusammensetzung in meiner alten Klasse, in der 3 leistungsstarke und 18 schwache Schüler (darunter viele mit besonderem Förderbedarf) waren, bereitete mir einiges Kopfzerbrechen hinsichtlich der Frage, wie ich die Leistungsstarken genug fördern kann.

Tatsache ist freilich, dass die Leistungsstarken nun seit 3 Jahren auf dem Gymnasium gut klar kommen, also bei mir in der schwachen Grundschulklasse offenbar das gelernt haben, was sie brauchen.

Wenn du genauer in der Literatur nachlesen willst, würde ich dir raten, zum Thema „Integration“ zu suchen. Dort wurde nämlich - so jedenfalls mein Vorurteil - 15 Jahre vorher bereits fast alles durchdiskutiert, was jetzt zum Thema „Inklusion“ wiedergekäut wird.

Gruß!
Karl

Hallo,

bloß ein paar Argumente, vielleicht hilft es ja:

  1. Eine der wenigen, die hier empirisch gearbeitet hat, war Maria Montessori. Die war ja Ärztin, und deshalb wissenschaftliches Arbeiten gewohnt. Sie hat festgestellt, dass in gemischten Umgebungen unter fachkundiger Anleitung alle Kinder profitieren, also auch die „Guten“. „Unter fachkundiger Anleitung“ bedeutet natürlich, dass die Lehrkräfte entsprechend ausgebildet und motiviert sein müssen, was in Deutschland eher nicht der Fall ist. Untersuchungen in den USA bestätigen, dass Absolventen von Montessorischulen im Durchschnitt akademisch besser sind als die von Regelschulen (was vielleicht nicht viel heißen muss).

  2. Ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitens in gemischten Gruppen besteht darin, dass Kinder, die einen Stoff schon können, diesen den anderen beibringen. Erst dann „sitzt“ das Wissen wirklich. Das kann jeder bestätigen, der mal Nachhilfe gegeben hat.

  3. Schule dient ja nicht nur zur Vermittlung von Fachwissen. Da hätte Dein Schwiegervater auch einen Hauslehrer beschäftigen können. Schule dient zur Vorbereitung auf „Das Leben“, und das besteht halt nicht nur aus dem Diskurs mit Gebildeten. Diese Erfahrung habe ich gemacht, als ich, mit einem 1,5er Abitur, angefangen habe, auf einem Schrottplatz zu arbeiten, und das hat mir mehr geholfen als mein Studium.

  4. Der Stoff, den du in der Schule lernst, hilft dir im Leben nur wenig. Aber die persönlichen Fähigkeiten, die du erwirbst, begleiten dich ein Leben lang.

Alles Gute

Felix

Servus Plan B !

Google 'mal nach „Salamanca Erklärung“, da gibts nen Haufen Argumente (z.B. von der Unesco)
Die Erklärung selbst findest Du hier
–> http://bidok.uibk.ac.at/library/unesco-salamanca.html

Grüße aus Wien
Helmut