Integration von Grundschulkindern

Hallo,
ich habe eine Frage bezüglich der Integration von Grundschulkindern (sowohl Migranten als auch Kindern mit Behinderungen, Lernschwächen oder Hochbegabte).

Nur kurz zu der Entstehung meiner Frage auf Grund von Beobachtungen in der Praxis:

Integration von Migrantenkindern
Im Extremfall (leider ist der Extremfall nicht die Minderheit, schließt aber nicht aus, dass es andere Fälle gibt) kommen die Kinder in die Schule ohne Kenntnisse der deutschen Sprache und ohne Kindergartenbesuch.
In den ersten Klassen muss erstmal Deutsch gelernt werden - in JEDEM Fach.
Sie weigern sich Weihnachslieder zu singen (Moslems) - umgekehrt werden die islamischen Feier- und Fastenzeiten nicht berücksichtigt oder thematisiert.
Mädchen dürfen nicht am Sport, - oder Schwimmunterricht teilnehmen.

Integration von Kindern mit Behinderungen
Die Kinder sind in der Klassenstärke in der absoluten Minderheit. Bei Kindern mit geistiger Behinderung oder Trisomie 21 langweilen sie sich und können den Unterricht nicht folgen. Integrationshelfer, die mit ihnen raus gehen wollen, um tatkräftig und praktisch zu lernen, werden zurückgewiesen „sie sollen ja integriert werden“.

Integration von Kindern mit Lernschwächen
Sie sind gestresst und können teilweise nur unter extremen Anstrengungen den Unterricht folgen und fühlen sich überfordert.

Integration von Hochbegabten
Sie werden gemobbt „Streber“, „Angeber“, mutieren in ihrer Hilfslosikeit Anschluss zu finden zum Klassenclown oder zum stillen Aussenseiter. Sie sind unterfordert, schalten ab und verlieren den Anschluss. Da sitzen Kinder, die mit vier lesen und schreiben konnten in einer Klasse mit Kindern, die erst deutsch lernen müssen, weil sie im falschen Einzugsgebiet wohnen.

Das alles ist nur die Kehrseite und natürlich gibt es aus jeder Kategorie auch Gewinner.

Meine Fragen lauten: Was ist Integration eigentlich, wie wird sie reel praktiziert und mit welchen Erfolgen? Gibt es andere Ansätze als die Integration? Ist es irgendwie bewiesen, dass eine Gesellschaft homogen sein muss um zu funktionieren? Inwieweit werden die zu integrierenden Kinder aufgefordert ihre Identität abzulegen?
Ist es möglich Migrantenkinder zu integrieren ohne dass ihre Eltern integriert sind?

Ich wäre sehr dankbar über einen Erfahrungsaustausch.

Vielen Dank und viele Grüße
Chili

Hallo Chili,

Meine Fragen lauten: Was ist Integration eigentlich,

zur Frage, was Integration ist, gibt es mehrere Antworten, da es keine einheitliche Definition des Begriffs Integration gibt. Je nach Forscher und Disziplin (z.B. Soziologie, Politikwissenschaft) unterscheiden sich die Definitionen.

Eine soziologische Definition lautet, daß Integration die Teilhabe einer Person an einer Gesellschaft bzw. einem Subsystem einer Gesellschaft ist (Definition von Esser).

Hoffmann-Nowotny definiert Integration dagegen als Teilhabe nur an der Struktur einer Gesellschaft, während Assimilation die Teilhabe an der Kultur einer Gesellschaft sein soll.

wie wird sie reel praktiziert

Indem Personen z.B. zur Hauptschule gehen oder das Gymnasium oder gar keine Schule besuchen (Partizipation am Schulsystem: Hauptschule: gering, Gymnasium: hoch, keine Schule: gar nicht).

Oder indem Personen Berufe mit unterschiedlichem Prestige oder Einkommen haben: hohes Prestige oder Einkommen - starke Integration, niedriges Prestige oder Einkommen - schwache Integration.

und mit welchen Erfolgen?

Partizipation am Bildungssystem: höhere Schulart -> höhere Kompetenzen -> höherer Schulabschluß

Partizipation am Arbeitsmarkt: Beruf -> Wahrscheinlichkeit, einen Arbeitsplatz zu bekommen -> Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Mindesteinkommen zu erzielen

Gibt es andere Ansätze als die Integration?

Mit dieser Frage wechselst Du die Begriffsebene. Hier fragst Du nämlich nach Arten oder Typen der Integration (Partizipation). Esser zufolge kann man unterscheiden zwischen:

  • multiple Integration: Teilhabe an mehreren Subsystemen einer Gesellschaft (z.B. das der Herkunfts- und das der Aufnahmegesellschaft)
  • Assimilation: Teilhabe nur an Systemen z.B. der Aufnahmegesellschaft
  • Segmentation: Teilhabe nur an Systemen z.B. der Herkunftsgesellschaft bzw. ethnischen Minorität
  • Marginalität: Teilhabe an gar keinem System (Exklusion aus allen sozialen Bezügen).

Ist es irgendwie bewiesen, dass eine Gesellschaft homogen sein muss :um zu funktionieren?

Eine Gesellschaft muß nicht homogen sein, um zu funktionieren. Die meisten Gesellschaften sind auf irgend eine Weise differenziert. Das ist heute so, das war in der Vergangenheit so. „Moderne“ Gesellschaften zeichnen sich insbesondere durch funktionale Differenzierung aus: Verschiedene Personen und verschiedene Gruppen verfügen in unterschiedlichem Ausmaß über gesellschaftlich relevante Güter und nehmen unterschiedliche Funktionen in der Gesellschaft ein. Dadurch begründen sich Beziehungen zwischen Personen / Gruppen mit unterschiedlicher Ressourcenausstattung und Funktionen und es entstehen funktionale Verzahnungen und Abhängigkeiten.

Beispiel: Lehrkräfte verfügen über Wissen und Kenntnisse, die für das Bildungswesen hoch relevant sind. Dieses Wissen und diese Kenntnisse werden benötigt, um Kindern z.B. Lesen, Schreiben und Rechnen zu lehren. Dafür werden die Lehrkräfte bezahlt.

Inwieweit werden die zu integrierenden Kinder aufgefordert
ihre Identität abzulegen?

Da Menschen mehrere Identitäten haben bzw. ihre Identität mehrere Aspekte hat (weil Menschen meistens mehreren Gruppen angehören), ist es nicht immer und nicht unbedingt notwendig, eine Identität aufzugeben, wenn eine andere erworben wird. Die direkte Aufforderung, eine Identität anzunehmen, geschieht im Vergleich zur „indirekten“ Identitätsentwicklung außerdem seltener. Identität entwickelt sich vielmehr über Erlebnisse und Erfahrungen, die Personen machen, die einer Gruppe nicht oder noch nicht vollständig angehören machen, wenn sie mit Vollmitgliedern zusammentreffen und an Aktivitäten teilnehmen, die Vollmitglieder ausüben.

Beispiel: Kinder gehen nach ihrer Einschulung in die Schule, lernen Rechnen, Schreiben, Lesen im Klassenverband, gehen auf Klassenfahrt, bleiben sitzen usw. Dadurch erwerben sie die Identität von Grundschulkindern.

Ist es möglich Migrantenkinder zu integrieren ohne dass ihre
Eltern integriert sind?

Ja. Das ist sogar die klassische Annahme: Mit steigender Einwanderergeneration nimmt die Integration in die Aufnahmegesellschaf zu (Assimilation).

Beste Grüße

Oliver

Hallo Oliver,

wow, ich habe eine Antwort bekommen! Danke!
Du schreibst auf einer sehr objektiven und wissenschaftlichen Ebene - das gefällt mir und obwohl ich sehr emotional in diesem Thema bin, habe ich noch ein Paar Rückfragen:

zur Frage, was Integration ist, gibt es mehrere Antworten, da
es keine einheitliche Definition des Begriffs Integration
gibt. Je nach Forscher und Disziplin (z.B. Soziologie,
Politikwissenschaft) unterscheiden sich die Definitionen.

Also es ging mir primär um die Integration an Grundschulen (von Migranten, Behinderten, Lernschwachen und Hochbegabten). Gibt es da tatsächlich keinen gemeinsamen Nenner was Ingegration eigentlich ist?
Bedeutet das, dass es von vielen Seiten unqualifiziert herumexperimentiert wird? Ist man sich im Klaren darüber, was das Ziel des Einzelnen bei der Integration sein soll? Wenn jeder auch nur ein bisschen anders darüber denkt, dann kann am Ende doch nur Unzufriedenheit und Chaos bei rauskommen?

Eine soziologische Definition lautet, daß Integration die
Teilhabe einer Person an einer Gesellschaft bzw. einem
Subsystem einer Gesellschaft ist (Definition von Esser).

Wie definiert man dann Teilhabe? In welcher Ausprägung von Teilhabe, ist die Integration erreicht?

Hoffmann-Nowotny definiert Integration dagegen als Teilhabe
nur an der Struktur einer Gesellschaft, während Assimilation
die Teilhabe an der Kultur einer Gesellschaft sein soll.

Wie definiert es der Bildungsenator?

Indem Personen z.B. zur Hauptschule gehen oder das Gymnasium
oder gar keine Schule besuchen (Partizipation am Schulsystem:
Hauptschule: gering, Gymnasium: hoch, keine Schule: gar
nicht).

Oder indem Personen Berufe mit unterschiedlichem Prestige
oder Einkommen haben: hohes Prestige oder Einkommen - starke
Integration, niedriges Prestige oder Einkommen - schwache
Integration.

Das finde ich interessant! Das höre ich zum ersten Mal - ist es tatsächlich so, dass Integration nach der Höhe der Bildung bzw. des Presiges gemessen wird?

Mit dieser Frage wechselst Du die Begriffsebene. Hier fragst
Du nämlich nach Arten oder Typen der Integration
(Partizipation). Esser zufolge kann man unterscheiden
zwischen:

Ich dachte eher in die Richtung „leben und leben lassen“, Inklusion oder eben ein neuer Ansatz, da die Integration in der Praxis anscheinend überwiegend Verlierer mit sich bringt.

Eine Gesellschaft muß nicht homogen sein, um zu
funktionieren. Die meisten Gesellschaften sind auf irgend eine
Weise differenziert. Das ist heute so, das war in der
Vergangenheit so. „Moderne“ Gesellschaften zeichnen sich
insbesondere durch funktionale Differenzierung aus:
Verschiedene Personen und verschiedene Gruppen verfügen in
unterschiedlichem Ausmaß über gesellschaftlich relevante Güter
und nehmen unterschiedliche Funktionen in der Gesellschaft
ein. Dadurch begründen sich Beziehungen zwischen Personen /
Gruppen mit unterschiedlicher Ressourcenausstattung und
Funktionen und es entstehen funktionale Verzahnungen und
Abhängigkeiten.

Du kannst dann bitteschön Frau von der Leyen, Herrn Zöllner und die Eheleute Sarrazin ein oder mehrere Nachhilfestunden geben!
Wenn es darum geht für die Gesellschaft funktionierende Mitglieder auszubilden, dann läuft doch etwas verkehrt, wenn ausgerechnet die Kinder, die integrierbedürftig sind, erst in der ersten Klasse mit der Gesellschaft in Berührung kommt.

Beispiel: Lehrkräfte verfügen über Wissen und Kenntnisse, die
für das Bildungswesen hoch relevant sind. Dieses Wissen und
diese Kenntnisse werden benötigt, um Kindern z.B. Lesen,
Schreiben und Rechnen zu lehren. Dafür werden die Lehrkräfte
bezahlt.

Sie müssen viel mehr leisten: zunehmend Erziehungsarbeit, Integrationsarbeit und sie müssen sich mit dem Bombardement von Reformen herumschlagen. Das JüL, die Einschulung ab 5 und deren Folgen (Raumprobleme und erhebliche Unterschiede in den Kenntnissen und Fähigkeiten der Kinder) lassen die Lehrer bis über ihre Grenzen treten. Dafür sind sie nicht ausreichend ausgebildet und dafür werden sie lediglich mitbezahlt.

Da Menschen mehrere Identitäten haben bzw. ihre Identität
mehrere Aspekte hat (weil Menschen meistens mehreren Gruppen
angehören), ist es nicht immer und nicht unbedingt notwendig,
eine Identität aufzugeben, wenn eine andere erworben wird. Die
direkte Aufforderung, eine Identität anzunehmen, geschieht im
Vergleich zur „indirekten“ Identitätsentwicklung außerdem
seltener. Identität entwickelt sich vielmehr über Erlebnisse
und Erfahrungen, die Personen machen, die einer Gruppe nicht
oder noch nicht vollständig angehören machen, wenn sie mit
Vollmitgliedern zusammentreffen und an Aktivitäten teilnehmen,
die Vollmitglieder ausüben.

Beispiel: Kinder gehen nach ihrer Einschulung in die Schule,
lernen Rechnen, Schreiben, Lesen im Klassenverband, gehen auf
Klassenfahrt, bleiben sitzen usw. Dadurch erwerben sie die
Identität von Grundschulkindern.

Ist es möglich Migrantenkinder zu integrieren ohne dass ihre
Eltern integriert sind?

Ja. Das ist sogar die klassische Annahme: Mit steigender
Einwanderergeneration nimmt die Integration in die
Aufnahmegesellschaf zu (Assimilation).

Das Problem sind die Mütter! Die Frauen, die zu Hause hocken und keine Arbeit haben und keinen Anschluss finden - sie schenken ihren Kindern ein Bild, das die Integration erschwert, z.T. auch unmöglich macht.
Da wird sehr viel gefordert: sie haben zu Hause ein anderes Leben als in der Schule. Ein ganz anderes Leben. Hier in Berlin gibt es an Brennpunktschulen ein neues Wort: „Inländerfeindlichkeit“.

Viele Grüße

Hallo Chili,

Also es ging mir primär um die Integration an Grundschulen
(von Migranten, Behinderten, Lernschwachen und Hochbegabten).

ja, es sind Spezialfälle des allgemeinen Begriffs Integration. Der der allgemeine Begriff läßt sich auf diese Spezialfälle anwenden.

Gibt es da tatsächlich keinen gemeinsamen Nenner was
Ingegration eigentlich ist?

Es gibt verschiedene Verständnisse. Dementsprechend schreibt z.B. die Bundeskanzlerin im Nationalen Integrationsplan, daß es gelte, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln.

Bedeutet das, dass es von vielen Seiten unqualifiziert
herumexperimentiert wird? Ist man sich im Klaren darüber, was
das Ziel des Einzelnen bei der Integration sein soll?

Darüber wird auf politischer Ebene diskutiert, z.B. auf den Integrationsgipfeln, die den Nationalen Integrationsplan hervorgebracht haben.

Wie definiert man dann Teilhabe? In welcher Ausprägung von
Teilhabe, ist die Integration erreicht?

Das kommt auf die Ebene an, über die man spricht. Wenn man Gruppen miteinander vergleicht (also z.B. Migranten und Einheimische), könnte man von Integration im Bildungswesen sprechen, wenn z.B. die Verteilung von Migranten und Einheimischen auf die Schularten der Sekundarstufe I gleich sind. Das würde bedeuten, daß Migranten ebenso häufig wie Einheimische das Gymnasium besuchen. Derzeit ist dies nicht der Fall.

Das finde ich interessant! Das höre ich zum ersten Mal - ist
es tatsächlich so, dass Integration nach der Höhe der Bildung
bzw. des Presiges gemessen wird?

Ja, das kann man so tun. Oftmals findet man z.B. bei Personen mit Migrationshintergrund in der ersten Einwanderergeneration ein niedriges Bildungsniveau (im Durchschnitt). Wenn dieses dann über die Generationen ansteigt und sich dem Durchschnitt der Einheimischen annähert, dann spricht man von steigender Integration hinsichtlich dieses Aspekts der Integration.

Ich dachte eher in die Richtung „leben und leben lassen“,

Das hört sich für mich so an, als hätten die verschiedenen Gruppen nicht viel miteinander zu tun, als ob sie „parallel“ nebeneinander her lebten. Das ist eine Art der Integration: Segmentation oder Separation (die berühmten Parallelgesellschaften). Aber diese Art der Integration hast Du doch eigentlich nicht im Sinn, oder?

Inklusion oder eben ein neuer Ansatz, da die Integration in
der Praxis anscheinend überwiegend Verlierer mit sich bringt.

Wieso?

Wenn es darum geht für die Gesellschaft funktionierende
Mitglieder auszubilden, dann läuft doch etwas verkehrt, wenn
ausgerechnet die Kinder, die integrierbedürftig sind, erst in
der ersten Klasse mit der Gesellschaft in Berührung kommt.

Du meinst: mit der Mehrheitsgesellschaft. Ja, das ist nicht förderlich für die Integration in die Mehrheitsgesellschaft.

Sie müssen viel mehr leisten: zunehmend Erziehungsarbeit,
Integrationsarbeit

Meine Aufzählung war nicht abschließend gemeint.

Beste Grüße

Oliver